Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Carl Zenner (1899 – 1969)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie heute zum zweiten Vortrag der dreiteiligen Reihe über NS-Täter aus Koblenz und Umgebung begrüßen zu können. Das letzte Mal vor zwei Wochen habe ich den Gauleiter Josef Grohé hier porträtiert. Grohé gehörte zum Führungskorps der NSDAP und war fanatischer Gefolgsmann Hitlers, ein ganz übler Agitator und Verleumder. Aber: Unmittelbar Blut hat an seinen Händen nicht geklebt. Diesmal möchte ich Ihnen den SS-Führer Karl Zenner präsentieren. Bei ihm war es anders. An seinen Händen klebte Blut – viel Blut.

Aber lassen wir hier zu Beginn Carl Zenner selbst zu Wort kommen. Im Oktober 1944 schrieb er – in einer für ihn schwierigen Situation – an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler in abgehackt-militärischer Sprache folgendes:

Ich habe mir im Einsatz für Führer und Volk schon viel gefallen lassen müssen, und es gehört wohl schicksalsmäßig dazu, dass ein Kämpferleben, welches auf Adolf Hitler ausgerichtet ist, viel Bitteres und Verdächtigungen für seinen gerechten Einsatz erfahren muss. Traurig ist, dass ich gezwungen bin, zu meiner Verteidigung heute zur Beurteilung meiner Person folgendes zu sagen:

Ich bin Weltkriegssoldat – Mazedonien, Türkei, westlicher Kriegsschauplatz, Baltikumkämpfer – Aktivist in der Niederschlagung des Separatistenaufstandes im Rheinland, wirksamer Saboteur während der Besatzung des Rheinlandes, zweimal französisches Kriegsgericht (Koblenz und Mainz), Gründer der SA und SS im heutigen Gau Moselland bzw. auch teilweise Köln-Aachen, sehr viele Ortsgruppen gegründet, in mehreren hundert Versammlungen gesprochen, erwerbslos geworden, hunderten von Menschen das Gerechtigkeitsgefühl gestärkt durch selbstlose Hilfe, als SS-Führer meine Pflicht getan, als Polizeipräsident von Aachen gewirkt, meinen Einsatz im Osten gegeben, meine Sippe hart durch die jetzigen Kriegsereignisse schon angeschlagen, dazu ist meine Gesundheit nun auch nicht mehr die beste – alles Hinweise, die meine selbstlose, einfache und einsatzbereite Lebenshaltung zeigen.

So weit Karl Zenner im Oktober 1944. Aber auch ein „Kämpferleben, welches auf Adolf Hitler ausgerichtet ist“, fing einmal klein an. Und so wollen wir auch mit Karl Zenner, der einmal so selbstlos wurde, anfangen, als er noch ganz klein war.

Geboren wurde Karl Zenner am 11. Juni 1899 in Oberlimberg, im damaligen Kreis Saarlautern bzw. Saarlouis als Sohn von Peter Zenner und seiner Frau Barbara, geb. Fischer. Zunächst besuchte er die Volksschule in Oberlimberg. Sein Vater war Steinbruchverwalter bzw. Betriebsdirektor. Aufgrund des Berufs kamen die Eltern alsbald an den Rhein. Sie zogen nach Brohl. Dort besuchte Karl Zenner noch eine Zeitlang die Volksschule. Alsbald wechselte er auf das Gymnasium nach Andernach. Mit 18 Jahren und der sog. Primareife verließ Zenner das Gymnasium und meldete sich als Kriegsfreiwilliger. Am 20. Juni 1917 trat er in das Fußartillerie-Regiment 9 in Ehrenbreitstein ein. Den Ersten Weltkrieg erlebte er noch im türkischen Kriegsgebiet und an der Westfront. Von langer Dauer war der Kriegsdienst nicht, denn bereits am 11. November 1918 kapitulierte bekanntlich das Deutsche Reich. Aber immerhin erhielt Zenner das Eiserne Kreuz II. Klasse und das Ehrenkreuz für Frontkämpfer.

Auch nach dem Waffenstillstand war er bei der Truppe. Im Januar 1919 meldete er sich dann als Freiwilliger bei der Brigade Nordlitauen AOK Nord. Schon bald – ab Mitte April 1919 – war er zur Werbestelle Hamburg AOK abkommandiert. Dort war er zur Niederschlagung des Spartakus eingesetzt. Anschließend war er noch eine Zeitlang bei der Brigade Nordlitauen und wurde dann Ende September 1919 auf eigenen Wunsch als Gefreiter entlassen.

Zenner kehrte ins Rheinland zurück, studierte an der Handelshochschule und der Universität in Köln Volks- und Betriebswirtschaft. Ende 1921 legte er die Prüfung zum Diplom-Kaufmann ab. Anschließend war er bis Ende 1931 Angestellter und später Abteilungsleiter bei der Brohltal AG in Burgbrohl.

Seine militärische bzw. paramilitärische Art hat sich Zenner aber erhalten. Wie er später sagte, hat er im Jahr 1923 an der Niederwerfung der Separatisten im Rheinland teilgenommen. Bekanntlich marschierten französische und belgische Truppen im Januar 1923 in das Ruhrgebiet ein. Anlass dafür war, dass die Deutschen angeblich die Reparationsleistungen nicht einhielten. Der Einmarsch verursachte in der Bevölkerung große Erregung und die Reichsregierung rief auch offiziell zum passiven Widerstand auf. Als daraufhin die deutsche Wirtschaft immer zerrütteter wurde und zudem im Rheinland Separatistenunruhen begannen, verkündeten am 26. September 1923 Reichspräsident Friedrich Ebert und die Reichsregierung unter dem Reichskanzler Gustav Stresemann, das Ende des passiven Widerstands. In rechtsgerichteten Kreisen wurde dies allgemein als feige Kapitulation empfunden.

Schon sehr bald war Zenner für die NSDAP tätig. In seinem Lebenslauf gab er „Februar 1925“ an. Das war die Zeit des Neuaufbaus der NSDAP. Ich darf da noch einmal kurz erinnern: Im Dezember 1924 war das Verbot der NSDAP in Preußen aufgehoben worden, eine Woche später entließ man Hitler aus seiner Festungshaft in Landsberg und Ende Februar 1925 hatte Hitler dann die NSDAP wieder neu gegründet.

Offiziell war Zenner am 7. August 1925 in die NSDAP eingetreten. Er erhielt die niedrige Mitgliedsnummer 13.539. Er war als Politischer Leiter in dem Bezirk Koblenz-Trier-Birkenfeld tätig. Außerdem war er Ortsgruppenleiter der Ortsgruppe Koblenz der NSDAP – bis er im März 1927 vom Gauleiter Ley wegen angeblicher Unfähigkeit in dieser Funktion entlassen wurde.

Von Anfang an war Zenner Mitglied der SA. Das war eine typische Entwicklung, wie es sie immer wieder gab - wir haben sie im letzten Jahr auch in der Biografie von Robert Ley angetroffen. Anfangs rekrutierte sich die SA aus den aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Soldaten. Durch Krieg und Bürgerkrieg waren diese jungen Männer aufgewühlt, hatten noch den „Frontgeist“ und die „kämpferische Gesinnung“ und die Freund-Feind-Situation des Krieges in ihren Köpfen. Sie verlängerten all dies in ihre Nachkriegsbiografie hinein – etwa auch, indem sie – wie Zenner und Ley – als Mitglieder von Freikorps in paramilitärischen Organisationen weiter tätig waren und Krieg und auch Bürgerkrieg gegen die „Roten“ spielten. Entweder unmittelbar danach – oder wie bei Zenner und bei Ley – nach einer gewissen „bürgerlichen“ Phase setzten sie diesen militanten Aktivismus in der Nazi-Bewegung, insbesondere in der SA fort.

Die SA hatte damals vor allem die Aufgabe des sog. Versammlungsschutzes: Dazu gehörte sowohl die Unterdrückung jedweder Opposition in den eigenen Veranstaltungen als auch die gewaltsame Sprengung der gegnerischen Veranstaltungen. Die SA trat bei ihren Aufzügen u.a. betont militärisch und rücksichtslos im Vorgehen gegen politische Gegner auf und demonstrierte damit Stärke und Geschlossenheit des Nationalsozialismus. Die SA war damit wesentlicher Bestandteil eines unverwechselbaren politischen Agitationsstils, wie in die Nazis erstmalig in Deutschland einführten.

In dieser Truppe machte Zenner schnell Karriere. Er war es, der die SA im Rheinland aufbaute. Schon bald war er Führer, dann Oberführer und dann SA-Standartenführer (in der letztgenannten Funktion schied er dann auch 1928 aus der SA aus). Diese Funktionen darf man allerdings nicht überbewerten. Der Organisationsgrad der NSDAP und erst recht der SA war zu dieser frühen Zeit außerhalb von Bayern und zumal im Rheinland noch recht gering. Da war man schnell an der Spitze – so viele Leute gab es da nicht. Aber immerhin: Zenner war sehr früh und an führender Stelle dabei.

Die SA war aber letztlich nicht das, was Zenner suchte. Der sich mit dem politischen Gegner herumprügelnde Saalschutz war nicht seins. Schon bald fand er ein anderes Betätigungsfeld – nämlich die SS. Im November 1925 wurde die „Schutzstaffel“ (SS) als weitere Parteitruppe geschaffen. Sie stand in der Tradition Hitlers alter Leibgarde, dem „Stoßtrupp Hitler“, und war enger auf seine Person ausgerichtet als die SA. Hitler beschrieb die Entstehung der SS später einmal so:

Ich sagte mir damals, dass ich eine Leibwache brauchte, die, wenn sie auch klein war, mir bedingungslos ergeben wäre und sogar gegen ihre eigenen Brüder marschieren würde. Lieber nur zwanzig Mann aus einer Stadt – unter der Bedingung, dass man sich absolut auf sie verlassen konnte -, als eine unzuverlässige Masse.

Damals kann im Rheinland von „20 Mann“ noch keine Rede gewesen sein. Zenner war wohl der erste und zunächst der einzige SS-Mann im Rheinland. Schon kurze Zeit nach Gründung der SS war er dann im nächsten Jahr – 1926 – damit beschäftigt, aus der SA im Rheinland die SS aufzubauen. Bereits am 16. April 1926 wurde er Angehöriger der SS, seine offizielle Bestätigung erfolgte am 1. August 1926. Seine Mitgliedsnummer war 176 – also sehr niedrig. Zum Vergleich: Der spätere Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler hatte die Mitgliedsnummer 168. Zenner und Himmler waren also zur gleichen Zeit in die SS eingetreten. Noch im selben Jahr wurde Zenner stellvertretender SS-Führer des Gaues Rheinland.

Die Aufbauarbeit war mühsam. Immer wieder legte sich Zenner dabei auch mit der französischen Besatzungsmacht hier im Rheinland an. So stand er im April 1927 in Koblenz vor dem französischen Kriegsgericht, er wurde aber freigesprochen. Sechs Wochen später war er vor einem anderen französischen Kriegsgericht in Mainz angeklagt. Da wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Zenner war übrigens auch an dem „Schwarzen Sonntag von Nastätten“ am 6. März 1927 beteiligt, von dem ich bei dem Vortrag über Josef Grohé berichtete. Er war einer der 69 Nazis, die der Koblenzer Polizeichef Biesten an der Stadtgrenze festnehmen und in Untersuchungshaft nehmen ließ.

Schwierigkeiten hatte Zenner aber nicht nur mit der französischen Besatzungsmacht und der deutschen Polizei. Es gab auch interne Schwierigkeiten. Die Probleme lagen darin, dass in dieser Frühzeit die NSDAP hier im Rheinland noch schwach und der Gau Rheinland mit den Städten Köln, Aachen, Koblenz, Trier und Birkenfeld recht groß und von unterschiedlicher Struktur war. Da und dort gab es einzelne Leute, auch einzelne Scharen und Trupps, in der späteren Zeit sogar den einen oder anderen Sturm. Zenner wurde Führer des SS-Sturms 22 („Koblenz“). Zugleich bildete er aus diesen Gruppen und Grüppchen noch eine größere Einheit – die SS-Standarte VII „Rheinland“. Den Sturm „Koblenz“ unterstellte er der Standarte „Rheinland“. Und Anfang April 1930 wurde Zenner als frisch ernannter SS-Untersturmführer Führer des SS-Sturms 22 „Koblenz“ und dann auch Führer der SS-Standarte „Rheinland“.

Damit hatte Zenner Anfang 1930 einen wesentlichen Sprung auf der Karriereleiter gemacht und die SS im Rheinland ein gutes Stück nach vorn gebracht.

Die Entwicklung aus kleinen Gruppen und Grüppchen heraus zeigte sich etwa auch am Besuch der NSDAP-Reichsparteitage. Während Zenner am Parteitag der NSDAP im Jahr 1926 in Weimar mit 5 SS-Männern teilnahm, waren es beim nächsten Parteitag im Jahr 1927 in Nürnberg schon 27 Mann. Bei den Parteitagen ab 1929 waren es dann so viele, dass der Chronist die Zahl nicht mehr exakt nennen konnte.

Zur gleichen Zeit war Zenner auch noch Reichs- und Gauredner. Da er insbesondere bei den Wahlkämpfen aktiv war – und es damals immer wieder Wahlkämpfe gab – hatte er ganz schön zu tun. Ein großer Redner war Zenner wohl nicht. Über eine Versammlung mit ihm im Dezember 1928 in Koblenz berichtete der Koblenzer Regierungspräsident wie folgt:

Seine Ausführungen gaben im Allgemeinen das Programm der Nationalsozialisten wieder. Sie waren ohne irgendeinen Zusammenhang. Für die Nichtkenner musste es unbedingt auffallen, dass er als Neuling sprach. Interessantes oder Bemerkenswertes ist aus seiner marktschreierischen Rede nicht zu erwähnen.

Eine besondere Rednergabe hatte Zenner danach nicht. Aber damals gab es im Rheinland noch so wenige NS-Aktivisten, dass die Partei jeden Mann brauchte – zumal Hitler zunächst auch noch Rednerverbot hatte, in Preußen bis September 1928.

In den genannten Funktionen war Zenner ganz schön ausgelastet – zumal in der Endphase der Weimarer Republik die politischen Verhältnisse immer unruhiger, unüberschaubarer und hektischer wurden und immer wieder Wahlen stattfanden. Und dabei waren das noch nicht einmal Zenners sämtliche Funktionen. Außerdem war er nämlich Mitglied des Gemeinderates sowie Vertreter des Bürgermeisters und Mitglied des Kreistages von Ahrweiler.

Zudem stieg Zenner in der SS weiter auf. Im Jahr 1931 wurde er erst mit der Verwaltung und dann mit der Führung der 5. SS-Brigade beauftragt. Zugleich wurde er zum SS-Standartenführer befördert. Bedenkt man, dass er im „Zivilberuf“ immerhin den anspruchsvollen Beruf eines Abteilungsleiters bei der Brohltal AG in Burgbrohl hatte, dann kann man sich die Arbeitsbelastung ungefähr vorstellen. Da fügte es sich dann, dass Zenner ab dem 1. Januar 1932 erwerbslos wurde. In seinem Lebenslauf erklärte er das damit, dass er das freiwillig wurde, um einem Familienvater mit 12 Kindern Brot und Arbeit zu erhalten.

Die Erwerbslosigkeit war für Zenner aber wohl nicht so schlimm. Auf diese Weise konnte er sich um die Partei und die SS kümmern. Bei den vorgezogenen Wahlen zum Reichstag am 31. Juli 1932 gelang es ihm, Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis 21 (Koblenz-Trier) zu werden. Das Mandat verlor er zwar bei den nächsten Reichstagswahlen im November 1932. Aber dann war die Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 nicht mehr weit. Und bei den nächsten Reichstagswahlen, den letzten „halbwegs legalen“ Wahlen am 5. März 1933 war Zenner dann wieder Reichstagsabgeordneter – diesmal „auf Lebenszeit“ - auf Lebenszeit deshalb, weil es keine Wahlen zum Reichstag mehr gab, sie wurden einfach abgeschafft.

Die Machtübernahme der Nazis beflügelte Zenners Karriere. Er wurde nicht nur Reichstagsabgeordneter. Eine Herausforderung für ihn brachte auch die Teilung der von ihm geführten 7. SS-Standarte am 1. April 1933. Aus ihr entstanden zwei SS-Standarten: die 5. und die 58. SS-Standarte. Zenner übernahm die 5. SS-Standarte („Brohl“) und musste dann sehen, dass er diese nach der „Zellteilung“ zahlenmäßig wieder auf die Höhe brachte. Das gelang ihm ersichtlich auch. Dabei wurde auch der Reichsführer-SS Heinrich Himmler auf Zenner aufmerksam. Himmler hatte inzwischen seine Macht maßgeblich erweitert. Er war als Polizeichef von München nach Berlin gegangen und wurde am 22. April 1934 formell stellvertretender Chef und Inspekteur der Geheimen Staatspolizei in Preußen, Reinhard Heydrich wurde Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) in Berlin. Genau in dieser Zeit der Umorganisation und des Machtzuwachses für Himmler wurde Zenner Ende April 1934 – mit Wirkung vom 1. April 1934 – zum Führer des SS-Abschnitts 4 in Braunschweig berufen und zum SS-Oberführer befördert.

Dann kam für den so titulierten „leidenschaftlichen Vorkämpfer der nationalsozialistischen Weltanschauung in der Westmark“ der Abschied von seiner 5. SS-Standarte. Damit das nicht so trocken würde, verlegte man die Veranstaltung in gastliche Räume. Der Pressereferent der 5. SS-Standarte berichtete darüber wie folgt:

Aus diesem Anlass gab Oberführer Zenner dem Führerkorps der 5. SS-Standarte am Samstag einen Abschiedsabend in den gastlichen Räumen der Schultheis-Brauerei in Weißenthurm, der durch das kameradschaftliche Entgegenkommen des Besitzers, des SS-Sturmmannes Schultheis, ermöglicht wurde. Die gesamten Führer waren zu diesem Abend erschienen, um zum letzten Male einige Stunden echter Kameradschaft und Verbundenheit mit ihrem alten Staf zu verleben. In seiner Ansprache gab der Adjudant der 5. SS-Standarte, SS-Sturmbannführer Jacobi, einen kurzen Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung der Standarte, sprach dem SS-Oberführer den Dank sämtlicher Angehöriger der Standarte aus und schloss mit einem begeistert aufgenommenen „Sieg Heil“ auf Oberführer Zenner.

Nach einigen flotten Marschweisen ergriff dann Oberführer Zenner das Wort. Er erinnerte an die Jahre der Kampfzeit, schilderte den Aufbau und das Wachsen der 5. SS-Standarte und dankte allen Angehörigen der Standarte für ihre Mitarbeit, insbesondere aber auch dem unbekannten SS-Mann, der getreu dem Wahlspruch der SS: „Meine Ehre heißt Treue“ seinen Dienst tut.

Inzwischen war auch der Führer des SS-Oberabschnitts „Rhein“; SS-Gruppenführer Heißmeyer mit seinem Stabsführer; SS-Sturmbannführer Greifeld, eingetroffen. Noch lange saßen die SS-Führer mit ihrem alten Staf zusammen in echter Kameradschaft und Verbundenheit. Solange die 5. SS-Standarte besteht, wird der Name ihres Staf Zenner unzertrennlich mit ihr verbunden bleiben, vom Sturmbannführer bis zum letzten SS-Mann wird er jedem als Führer und guter Kamerad stets vor Augen stehen. Die 5. SS-Standarte aber wird ihrem Staf keinen größeren Dank abstatten können, als dass sie ihm die Versicherung gibt, den alten, revolutionären Geist hochzuhalten, treue SS-Männer und Kameraden zu bleiben und dadurch Führer, Volk und Vaterland zu dienen. Seinen Geist in der Standarte hochzuhalten, ist das Gelöbnis, das die Standarte ihrem alten Führer gibt und mit dem sie die aufrichtigsten Wünsche für sein ferneres Wirken und Wohlergehen verbindet.

Es war kein Zufall, dass sich Zenner mit diesem feuchtfröhlichen Kameradschaftsabend bei der Schultheis-Brauerei in Weißenthurm Ende April 1934 aus dem Rheinland verabschiedete und SS-Oberführer des SS-Abschnitts IV in Braunschweig wurde. Zuvor war der SA-Chef Röhm bei Hitler vorstellig geworden und verlangte für sich und seine SA größeren Einfluss und echte Führerstellungen. Er beanspruchte die Landesverteidigung als „Domäne der SA“. Hitler erteilte dem eine Absage, da er die Reichswehrführung nicht verprellen wollte. Er glaubte, seine Kriegspläne nur mit der Reichswehr verwirklichen zu können. Deshalb sollte Röhm „liquidiert“ werden – und Vollstrecker sollte die SS sein. Dementsprechend gewann der Reichsführer-SS weiter an Einfluss und ging daran, seine Schutzstaffel für den Schlag gegen die SA-Kameraden bereit zu machen. Genauso kam es ja dann auch Ende Juni/Anfang Juli 1934, Vollstrecker dieser mehr als 80 Morde war dann tatsächlich auch die SS.

1935 wurde Zenner dann noch Stabsführer des SS-Oberabschnitts Süd in München. In Braunschweig ließ man Zenner nur ungern gehen. In der „Dienstbescheinigung“ des Vorgesetzten, eines SS-Obergruppenführers, heißt es dazu:

Ich bescheinige hiermit dem SS-Oberführer Zenner, dass er vom 5. April 1934 bis 21. Januar 1935 den SS-Abschnitt IV geführt hat. Der SS-Oberführer Zenner hat diese schwere Aufgabe mit eisernem Fleiß, sehr viel Geschick und großem Erfolg geleistet. Stets einsatzbereit, ausgezeichneter Kamerad zu Führern und Männern hat er sich in der Zeit seiner Tätigkeit im Bereich des SS-Abschnitts IV das volle Vertrauen von Vorgesetzten und Untergebenen erworben. In seinem persönlichen Leben war SS-Oberführer Zenner ein Vorbild für jeden SS-Angehörigen.

Zenner hatte sich als SS-Führer etabliert. Auch privat hatte sich das eine oder andere gefügt. Im November 1933 hatte er die sechs Jahre jüngere Anna Eichhoff geheiratet. Sie war ebenfalls Parteigenossin – immerhin mit der NSDAP-Mitgliedsnummer 178.257. Aktiv war sie in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Aus dieser Ehe gingen insgesamt drei Kinder hervor, zwei in den Jahren 1936 und 1938 geborene Söhne und nach Kriegsende – 1945 – als Nachzüglerin eine Tochter. 1936 trat Zenner aus der katholischen Kirche aus und war dann nur noch „gottgläubig“ – wie es damals so hieß.

Inzwischen hatte er stattdessen Insignien der SS erhalten: den Ehrendolch, den Totenkopfring, den Ehrendegen und zum „Julfest“ 1935 den „Julleuchter“. Diese Auszeichnungen sollten einen Korpsgeist begründen und befördern, den SS-Männern ein Elitebewusstsein vermitteln. Himmler wollte damit seine SS-Leute noch enger an sich und seine SS binden. Die SS organisierte er wie einen Orden. Den Einstieg bildete der Ehrendolch, den jedes junge SS-Mitglied erhielt. Für bewährte SS-Männer gab es einen silbernen Ring mit dem SS-eigenen Miniatur-Totenkopf. 1939 besaß den Ring fast jeder SS-Führer, der eine dreijährige Führerposition nachweisen konnte. Exquisiter war der Ehrendegen. Er wurde nur an SS-Männer ab Untersturmführer verliehen und das ausschließlich nach Himmlers Willkür und Huld. Der Degen sollte anzeigen, wen Himmler zu den oberen Tausend des Ordens zählte. Den Julleuchter gab es zum „Julfest“, zu dem die Nazis das christliche Weihnachtsfest umgestaltet hatten. Der Julleuchter sollte etwas für die Frau des SS-Manns und ihr Herz sein. Himmler meinte dazu: „Gerade die Frau will ja, wenn sie den Mythos der Kirche verliert, irgend etwas anderes haben, was ihr und das Gemüt und Herz des Kindes ausfüllt.“ Und dafür gab es eben das Julfest als Weihnachtsersatz und den Julleuchter für verdiente SS-Leute.

Zu diesem „Orden“ konnte aber nur gehören, wer auch „rasserein“ war – und zwar nicht nur in seiner Person, sondern in der der Ehefrau. Denn schließlich musste man ja auch an die Kinder und die nachfolgenden Generationen denken. Dazu hatte der Reichsführer-SS schon zur Jahreswende 1931/32 einen Heiratsbefehl herausgegeben, der allen SS-Mitgliedern die Pflicht auferlegte, „einzig und allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten“ und nur mit Genehmigung des Rasseamtes der SS oder Himmlers zu heiraten. Dabei war Himmler natürlich klar, dass diese „Rassereinheit“ nicht sofort verwirklicht werden konnte. Schließlich hatten sich Männer der SS angeschlossen gehabt, ohne dass diese Gesichtspunkte berücksichtigt wurden. Das sieht man etwa auch an Zenner selbst – so richtig germanisch-nordisch sah er ja nicht aus. Überdies musste eine Organisation wie das Rasseamt der SS erst einmal aufgebaut werden. Das geschah dann auch und Anfang 1935 wurde es als SS-Hauptamt mit der Bezeichnung Rasse- und Siedlungshauptamt geführt. 1936 war dann auch der „Alte Kämpfer“ Zenner dran. Da verlangte das Rasse- und Siedlungshauptamt auch von ihm den „Ariernachweis“, die Ahnentafel. Während Zenner der Nachweis ohne Probleme gelang, gestaltete er sich für seine Ehefrau schwierig. Dabei spielte auch eine Rolle, dass für die Zugehörigkeit zur SS nicht der Ariernachweis bis zu den Großeltern genügte. Es genügte nicht einmal – was für die Erbhofbauern erforderlich war – der Nachweis der arischen Abstammung bis ins Jahr 1800, sondern musste – schließlich war man Elite – der Ariernachweis für die SS-Führer mindestens bis ins Jahr 1750 geführt werden. So um 1800 klemmte es bei Zenners Ehefrau. In einem Zwischengutachten des Rasse- und Siedlungshauptamtes heißt es u.a.:

In der Ahnentafel der Ehefrau des SS-Oberführers Zenner befindet sich unter Nr. 30 ein Johann Vihl, Handelsmann, geboren und wohnhaft zu Brohl. Genannter Vihl ist der Sohn eines Handelsmannes Peter Vihl und dessen Ehefrau Sibilla Reichelstein, beide verstorben zu Brohl.

Da bei dem Namen Reichelstein Judenverdacht besteht, zumal gerade in der Gegend Bonn-Brohl-Andernach starke Judenansammlungen sind, teilweise bereits Mitte des 16. Jahrhunderts, der Name Reichelstein auch auf ein Herkommen aus dem Orte Reichenstein in Hessen ableitet, teilte ich meine Bedenken der Reichsstelle für Sippenforschung mit, die sich aufgrund anliegenden Gutachtens meinen Bedenken anschloss. Die Reichsstelle für Sippenforschung wird durch den zuständigen Referenten in dieser Angelegenheit weitere Ermittlungen vornehmen.

Wie das weiter ging, wissen wir leider nicht. Das erwähnte Gutachten der Reichsstelle für Sippenforschung wurde jedenfalls im Geheimschrank beim Stabsführer in Berlin deponiert. Nicht bekannt ist auch, ob Zenner wegen dieses „Ariernachweises“ für seine Ehefrau Schwierigkeiten bekam.

Zwar wurde Zenner ab 15. Januar 1937 noch Führer im SD-Hauptamt in Berlin, aber dann erhielt seine Karriere im März 1937 einen Knick. Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler – er war inzwischen ja beides, sowohl Spitze der SS auch Chef der deutschen Polizei – erteilte in seiner Eigenschaft als Reichsführer-SS Zenner eine Verwarnung (Missbilligung) und berief ihn als Führer im SD-Hauptamt in Berlin ab. Als Chef der deutschen Polizei sorgte Himmler weiter dafür, dass der Reichs- und Preußische Innenminister Frick Zenner unter Berufung in das Beamtenverhältnis und unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zum stellvertretenden Polizeipräsidenten von Aachen ernannte. Seinem Arbeitszeugnis als Stabsführer des SS-Oberabschnitts merkt man diese Missbilligung Himmlers nicht ohne weiteres an - aber es klingt doch schon zurückhaltender und nicht so überschwänglich wie sonst. Darin heißt es u.a.:

SS-Oberführer Zenner hat nicht nur energisch und zielbewusst den Stab des Oberabschnitts geführt, sondern auch im Verkehr mit den unterstellten Dienststellen, den Parteidienststellen und staatlichen Ämtern und Behörden die erforderliche Umsicht unter Beweis gestellt.

Organisatorisch begabt war SS-Oberführer Zenner jederzeit in der Lage, den an einen Oberabschnitt gestellten Anforderungen bei Aufmärschen und im Sicherungsdienst gerecht zu werden.

Auch auf dem Gebiete der Schulung und Ausbildung in weltanschaulicher und sportlicher Hinsicht, in SS-mäßiger Haltung und die Belange der Sondereinheiten betreffend hat SS-Oberführer Zenner stets seinen Mann gestanden.

SS-Oberführer Zenner verlässt seine Dienststellung, um als Polizeipräsident von Aachen in die Dienste der Polizei über zu treten.

Ich wünsche ihm für seine zukünftige Tätigkeit das Allerbeste und bin der Erwartung gewiss, dass SS-Oberführer Zenner als alter Kämpfer der Bewegung auch sein neues Amt in der gewohnt zufrieden stellenden Weise erfüllen wird.

Gezeichnet war dieses Arbeitszeugnis vom Führer des SS-Oberabschnitts Süd, dem SS-Obergruppenführer Freiherr von Eberstein.

Was genau Zenner als stellvertretender Polizeipräsident und später als Polizeipräsident von Aachen getan hat, ist nicht bekannt. Ein Schlaglicht auf sein Verhalten während der sog. Reichspogromnacht in Aachen wird noch ein Strafprozess nach dem Krieg werfen; darauf werde ich noch zurückkommen. Ansonsten gibt einen gewissen Eindruck von Zenners Wirken in Aachen ein Dankesschreiben des Regierungspräsidenten von Aachen an Zenner. Wie es darin heißt, „drängte“ es den Regierungspräsidenten, Zenner auf diese Weise seine besondere Anerkennung und seinen besten Dank für seine geleistete eifrige Arbeit und seine stets bewiesene Einsatzfreudigkeit auszusprechen. Weiter heißt es darin:

Von Anbeginn Ihrer hiesigen Tätigkeit im Jahre 1937 bis zu Ihrer Verwendung im Osteinsatz im August 1941 hat Ihre Amtsführung unter den Zeichen der schwierigsten Verhältnissen gestanden. Durch die besonders wirtschaftliche Notlage Aachens, die verwickelten und erschwerten Grenzverhältnisse zu Holland und Belgien, vor allem auch durch die starken konfessionellen Bindungen der hiesigen Bevölkerung sind Sie vor zahlreiche schwierige Aufgaben gestellt worden, die Sie aber alle mit Umsicht und Entschlossenheit in gerechter Weise zur Lösung gebracht haben. Ergaben sich für Sie bereits vor 1939 durch die unmittelbaren Kriegsvorbereitungen, wie Westwallbau und Evakuierungsmaßnahmen, Aufgaben größter Verantwortung, so wurden diese noch übertroffen durch jene Maßnahmen, die bei dem polizeilichen Sektor seit Beginn dieses Krieges notwendig waren.

Ihrer persönlichen Tatkraft ist es zu verdanken, dass in dem Luft-schutzort I, Ordnung Aachen geradezu vorbildliche Maßnahmen auf dem Gebiete des Luftschutzes getroffen worden sind. Darüber hinaus haben Sie sich stets in engster Zusammenarbeit mit allen beteiligten Stellen die tatkräftigste Bekämpfung und Beseitigung der durch die Luftangriffe hervorgerufenen Schäden, insbesondere bei dem großen Luftangriff vom 10. zum 11. Juli 1941 angelegen sein lassen.

Von den zahlreichen anderen großen Organisationsaufgaben, die an Sie herantraten und durch Sie in mustergültiger Weise erledigt wurden, erwähne ich nur die Durchschleusung der Truppen durch die Polizei, die durch Ihren Einsatz völlig reibungslos erfolgen konnte.

Durch Ihre ständige Sorge um eine geeignete und gute Unterbringung sowie eine ausreichende Versorgung und Verpflegung der Beamten der Schutzpolizei haben Sie sich darüber hinaus hier ein besonderes Verdienst erworben.

Nicht zuletzt darf ich Ihnen, Herr Zenner, für Ihre stets bewiesene kameradschaftliche Haltung auch meinen besonderen persönlichen Dank aussprechen.

Durch ihre Arbeit und Ihren Einsatz auf dem schwierigen Platz Aachen haben Sie mit dazu beigetragen, auch hier alle Voraussetzungen für einen glückhaften Ausgang dieses Krieges für unser Volk zu schaffen.

Unterdessen war Zenner an einem anderen Kriegsschauplatz tätig – nicht mehr im Westen, sondern im Osten, im sog. Osteinsatz. Im Osten konnte er seine Karriere als SS-Führer fortsetzen. Am 21. Juni 1941 wurde er zum SS-Brigadeführer befördert. Einen Tag später – am 22. Juni 1941 - hatte Hitler den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion („Unternehmen Barbarossa“) angezettelt. Und genau da sollte es für Zenner hingehen. Unter dem 12. August 1941 wurde er vom Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei unter vorläufiger Beurlaubung von seiner Verwendung als Polizeipräsident in Aachen eingesetzt als SS- und Polizeiführer im rückwärtigen Heeresgebiet 102 mit dem Dienstsitz in Minsk. Kaum war Zenner in Minsk, wurde er dann noch zum Generalmajor der Polizei befördert. Als er ein knappes Jahr später Minsk wieder verließ, dankte ihm der Generalkommissar für Weißruthenien Wilhelm Kube für seinen Einsatz, für seine – wie er es nannte – „fast durch ein ganzes Jahr bewährte Kameradschaft der Tat in Weißruthenien“ und erinnerte sich wie folgt:

Als wir gemeinsam am 1. September 1941 unser Amt aus den Händen des Führers hier übernahmen, hatten wir auf der eine Seite eine völlig neue Aufgabe mit ungeheuerlichen Schwierigkeiten vor uns, während uns auf der anderen Seite nur ganz geringe Hilfsmittel, dafür aber der unerschütterliche nationalsozialistische Wille zur Verfügung standen, die Aufgabe zu lösen, die uns gestellt worden war. Wenn in einem kurzen Jahr diese Aufgabe nicht völlig gelöst werden konnte, weil die Entwicklung an der Front besonders im Winter eine Versteifung der Lage herbeiführte, so unterscheidet sich das Weißruthenien, das Sie jetzt verlassen, doch wesentlich von dem Weißruthenien, wie wir es vor fast 11 Monaten aus dem Händen der Verwaltung der deutschen Wehrmacht übernommen haben. Sie haben in treuestem persönlichem Einsatz in den verflossenen 11 Monaten das Land mit einem fast lückenlosen Netz von Polizeistationen überzogen. Ihrer Initiative gelang es, rund 8.000 national gesinnte Weißruthenen in den Dienst der Schutzmannschaft Ihres Polizeibereichs zu verpflichten. In unermüdlichem Eifer haben Sie für die Ihnen anvertrauten Männer und Formationen gesorgt, haben Quartiere beschafft, Polizeischulen errichtet, Waffen herangeschafft und im Rahmen der vorhandenen Kräfte in engster Kameradschaft mit der Zivilverwaltung den Kampf für die Sicherung des Landes geführt. Wenn trotzdem aus dem Osten, besonders aber aus der Luft, immer wieder neue bolschewistische Kräfte nach Weißruthenien hereinströmten, dann lag es nicht an Ihnen, das zu verhindern. Die Ostgrenze unseres Gebiets, das größer ist als Bayern und Württemberg zusammengenommen, verfügt zwar über ungeheure Waldgebiete, aber über keinen ausreichenden militärischen Schutz. Wir haben es besonders in den harten Wintermonaten immer wieder erlebt, dass aus dem rückwärtigen Heeresgebiet bolschewistische Banden in Stärke von vielen hundert Mann hineinsickerten, die dann bei den im Lande verbliebenen russischen Bolschewisten und vor allen Dingen bei den Polen und Juden starke Unterstützung fanden.

Wenn während Ihrer Amtstätigkeit besonders das uns feindliche Judentum zu 10.000en vernichtet werden konnte, dann ist auch das Ihr Verdienst.

Zum Verständnis muss ich hier noch so viel ergänzen: Das deutsche Feldheer griff die Sowjetunion in drei Heeresgruppen an. Die eine Heeresgruppe war die Heeresgruppe Nord, die zweite die Heeresgruppe Mitte und die dritte die Heeresgruppe Süd. Diesen drei Heeresgruppen folgten vier Einsatzgruppen. Für die Aufstellung der Einsatzgruppen hatte Hitler Himmler Sondervollmachten erteilt. „die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegen gesetzter politischer Systeme ergeben“. Diese Einsatzgruppen wurden ab Mai 1941 aufgestellt aus Angehörigen des SD, Beamten der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei sowie Mitgliedern der Waffen-SS. Sie unterstanden dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich.

Die Einsatzgruppen waren mobile Einheiten und waren den vorrückenden Heeresgruppen zugeordnet. Der Heeresgruppe Nord folgte die Einsatzgruppe A („Baltikum“) nach, der Heeresgruppe Mitte die Einsatzgruppe B („Weißruthenien“ – so nannten die Nazis Weißrußland), der Heeresgruppe Süd die Einsatzgruppe C („Ukraine“) und schließlich die Einsatzgruppe D („Krim“), sie war der 11. Armee zugeordnet, die Aufgaben im Bereich der Halbinsel Krim hatte.

Die Einsatzgruppen sollten das rückwärtige Gebiet „säubern“ und sichern, Material sicherstellen und Saboteure und Terroristen unschädlich machen. Sie erhielten die ausdrückliche Befugnis, „in eigener Verantwortung“ Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung zu ergreifen – und dafür waren sie dann von einer Strafverfolgung befreit. Als Operationsgebiet wurde den Einsatzkommandos das rückwärtige Heeresgebiet zugewiesen. Die wichtigste Aufgabe der Einsatzgruppen war neben der Vernichtung der Kommunisten und anderer potentieller Gegner – die Tötung der in den Ostgebieten lebenden Juden sowie später auch die Tötung der aus dem Westen in den Osten deportierten Juden.

Mit diesen Einsatzgruppen beim Überfall auf die Sowjetunion haben wir uns das letzte Mal im Zusammenhang mit der Biografie des SS-Hauptsturmführers Georg Heuser beschäftigt. Vielleicht erinnern Sie sich noch. Heuser war wie Zenner in Minsk. Er kam etwas später, dafür blieb er etwas länger und war Gestapochef von Minsk.

Zu diesen Einsatzgruppen trat in den besetzten Gebieten die Organisation der SS- und Polizeiführer. An der Spitze in dieser Hierarchie stand der Höhere SS- und Polizeiführer. Davon gab es vier, entsprechend den vier Einsatzgruppen. Sie waren Himmler direkt unterstellt und persönlicher Vertreter Himmlers vor Ort. Sie repräsentierten den gesamten Machtbereich der SS und der Polizei in den besetzten Gebieten. Die Einsatzgruppen in dem jeweiligen Gebiet waren dem Höheren SS- und Polizeiführer unterstellt. Höherer SS- und Polizeiführer in dem Gebiet, zu dem Minsk gehörte, das war Russland-Mitte, war der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski.

Diesen vier Höheren SS- und Polizeiführern waren dann die SS- und Polizeiführer unterstellt. Sie waren in ihrem jeweiligen Bereich „kleine Himmler“. So war auch Zenner der „kleine Himmler“ von Weißruthenien/Weißrussland mit Sitz in Minsk. Ihm unterstand die Sicherheits- und Ordnungspolizei Weißrusslands.

Mit fortschreitender Verfestigung der Macht entstanden in den besetzten Gebieten dann Verwaltungseinheiten die sog. Reichskommissariate. In diesem Bereich gab es zwei, das Reichskommissariat Ostland und das Reichskommissariat Ukraine. Reichskommissar Ostland war der Gauleiter Hinrich Lohse. Die Reichskommissariate waren weiter aufgegliedert in Generalkommissariate. Diese wurden geführt von Generalkommissaren. Generalkommissar von Weißruthenien war der Gauleiter Heinrich Kube. Kube war also im zivilen Bereich in Weißruthenien auf derselben Ebene wie der SS- und Polizeiführer Zenner. Von Kube stammten die lobenden Worte, die ich Ihnen soeben vorgelesen habe und der Dank dafür, dass während Zenners Amtstätigkeit in Weißruthenien „das Judentum zu 10.000en vernichtet werden konnte“.

Von diesen Massenerschießungen unschuldiger Juden aus Minsk und Umgebung wissen wir nicht viel. Gut dokumentiert ist aber die Beteiligung Zenners an der Massenerschießung von 6.624 Juden in der Zeit vom 7. bis 11. November 1941 in Minsk. Dazu kam es wie folgt:

Ein gewisser Hans-Hermann Remmers wurde im Oktober 1941 zur Einsatzgruppe A abkommandiert. Der Chef der Einsatzgruppe A, ein gewisser SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker in Riga, schickte ihn nach Minsk. Dort sollte er einen „Haufen Leute“ übernehmen, die mit sicherheitspolizeilichen Aufgaben befasst seien. Ende Oktober 1941 erhielt er einen Telefonanruf aus dem Stab Stahleckers in Riga. Dieser teilte ihm mit, dass in Kürze ein Transport von etwa 1.000 reichsdeutschen Juden in Minsk eintreffe und weitere Transporte zu erwarten seien. Um für sie im Minsker Ghetto Platz zu schaffen, müsse er, Remmers, unverzüglich mit der Exekution russischer Juden beginnen. Remmers wandte ein, dass er aus menschlichen Gründen dazu nicht in der Lage sei und er das auch nicht seinen Männern zumuten könne. Unter Hinweis darauf, dass das ein „Führerbefehl“ sei, machte der Anrufer Remmers klar, dass er das zu erledigen habe. Man gab ihm noch den guten Rat, sich wegen der Absperrung der Exekutionsstätte, vielleicht auch wegen des Transports der Juden, an den SS- und Polizeiführer Zenner zu wenden. Remmers suchte Zenner auf, unterrichtete ihn über den Befehl, den er von seiner Einsatzgruppe in Riga erhalten hatte, und schilderte ihm seine Gewissensnot. Zenner zeigte Verständnis und erklärte, dass er eine ukrainische Einheit mit der Erschießung beauftragen werde. Remmers ging dann erleichtert zu seinen Leuten und sagte: „Gott sei Dank, wir haben mit der Erschießung nichts mehr zu tun, die Ukrainer machen es!“

Einige Tage später, am 7. November 1941, begann morgens zwischen 5 und 6 Uhr die geplante Aktion. Remmers begab sich um diese Zeit zum Ghetto, und kurz nach ihm fand sich auch Zenner dort ein. Ein Polizeibeamter meldete diesem, deutsche Ordnungspolizei- und SD-Leute seien gerade dabei, alle Juden – Männer, Frauen und Kinder – aus einem Wohnviertel des Ghettos heraus zu treiben. Remmers und Zenner entfernten sich alsbald wieder. Die Juden wurden außerhalb von Minsk zunächst in einer Baracke einer ehemaligen Möbelfabrik getrieben. Dort nahm man ihnen alle Wertsachen ab. Sie wurden in dieser Baracke in solchen Massen eingepfercht, dass sie die Fenster einschlugen, um nicht zu ersticken. Ihre Notdurft konnten sie nur in Handtaschen verrichten. Einige Frauen und Greise sind in dieser Baracke auch gestorben. Von dort aus transportierten Lkws im Pendelverkehr die Juden zur Exekutionsstätte. Dort waren zwei Gruben von ca. 30 Meter Länge, vier Meter Breite und einigen Metern Tiefe ausgehoben. An einer der Gruben war ein Erschießungskommando von etwa 10 – 15 sog. fremdvölkischen Schützen postiert. Das waren Hilfswillige, die zumindest versorgungsmäßig dem Kommando Schutzpolizei in Minsk unterstanden. Die Absperrung, auch die an der Baracke, nahmen deutsche Beamte dieser Dienststelle vor.

Die Juden wurden nach dem Ausladen der Lkws durch eine doppelte Postenkette hindurch bis etwa 10 Meter an die Gruben herangetrieben zu einer Stelle, an der sie sich alle, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, völlig entkleiden mussten. Wer zögerte oder sich weigerte, dem wurde „in grober Weise nachgeholfen“. Bei den abgelegten Kleidern war ein SD-Mann aus dem Kommando Remmers aufgestellt. Er hatte den Auftrag, die Opfer zu zählen.

Von hier aus trieb man mit lautem Gebrüll die Juden, vollkommen nackt, in Gruppen von etwa zehn Personen, die letzten Schritte bis zur Grube. Dort mussten sie sich mal mit dem Gesicht zur Grube, mal auf den in der Grube liegenden Leichen mit dem Gesicht zum Peloton aufstellen. Sie wurden so durch Salvenfeuer auf Kommando erschossen. Ob Zenner an der Exekutionsstätte war, ließ sich nicht feststellen.

Diese Erschießungen dauerten bis zum 11. November 1941. Die Zahl der Opfer belief sich mindestens auf 4.000 bis 6.000. Remmers meldete den Vollzug des Hinrichtungsbefehls und die Zahl der Getöteten – entsprechend den Angaben des von ihm abgestellten Zählers - telefonisch der Einsatzgruppe A in Riga.

In der Ereignismeldung UdSSR Nr. 140 vom 1. Dezember 1941 teilte der Chef der Sipo und des SD mit:

Vom Sonderkommando 1b wurden in Minsk in der Zeit vom 7. bis 11. November 1941 insgesamt 6.624 Juden erschossen.

Wenige Tage nach der Beendigung dieser Massenerschießungen russischer Juden – und zwar spätestens am 14. November 1941 - traf ein erster Transport von ca. 1.000 reichsdeutschen Juden aus Hamburg in Minsk ein. Es folgten in Abständen von nur wenigen Tagen weitere Transporte in der Größenordnung von 1.000 Personen ein – aus Düsseldorf, Frankfurt am Main und aus Berlin, später auch aus Wien und Brünn. Sie bezogen das im Ghetto freigewordene Wohnviertel.

Nicht nur – wie zuvor erwähnt - der Generalkommissar Kube, sondern auch Zenner selbst war mit seiner Arbeit in Weißrussland ganz zufrieden. Noch im Mai 1942 schrieb Zenner:

In Weißruthenien gibt es viel Arbeit. Zurzeit sogar rege Partisanentätigkeit, aber mit altem Nazischwung und rheinischem Humor wird der Laden doch geschafft.

In dem bereits erwähnten Dankesschreiben des Generalkommissars Kube heißt es dann weiter:

Einen besonderen Dank aber schulde ich Ihnen, mein lieber Brigadeführer Zenner, für die stets bewiesene (…) nationalsozialistische Kameradschaft, die uns beiden die gemeinsame Arbeit für den Führer und für das Großdeutsche Reich erleichtert hat. Ich habe stets bei Ihnen volles Verständnis für die mir gesetzten wirtschaftlichen, politischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben gefunden. Mein Ziel, das weißruthenische Volk von seinen natürlichen Feinden, den Russen, den Polen und den Juden abzusetzen, ist von Ihnen stets unterstützt worden. Darüber hinaus haben Sie durch steten Einsatz der Ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte die Aufgaben der Zivilverwaltung auch draußen bei den Gebietskommissaren erleichtert und unterstützt. Wenn Sie nun, dem Befehl des Reichsführers-SS folgend Weißruthenien verlassen, dann wünsche ich und meine Mitarbeiter Ihnen, mein lieber Parteigenosse Zenner, von Herzen guten Erfolg. In Weißruthenien werden Sie als erster Polizeichef und höhere SS-Führer in der Zivilverwaltung stets ein dankbares Andenken hinterlassen. Wir scheiden ungern von Ihnen, wissen aber, als Soldaten des Führers, dass über allen anderen Erwägungen der Gehorsam und die soldatische Pflichterfüllung der alten Nationalsozialisten stehen.

Hintergrund dieses Befehls Himmlers und Zenners Ablösung als SS- und Polizeiführer war der Vorwurf von Zenners Chef, des Höheren SS- und Polizeiführers, des SS-Gruppenführers Erich von dem Bach-Zelewski. Dessen Meinung nach hatte Zenner in der Partisanenbekämpfung zu wenig Aktivität gezeigt.

Zenner wurde daraufhin als Chef des Erfassungsamtes (Amt B II) im SS-Hauptamt nach Berlin versetzt. Dort war man aber gar nicht über sein Kommen begeistert. Der Chef des SS-Hauptamtes sah „schwarz“ bei Zenner, der seiner Meinung nach vollkommen undurchsichtig war und sich durch keine besonderen Leistungen bis jetzt ausgezeichnet hatte. Aber – so der Chef des SS-Hauptamtes weiter – er wolle es einmal versuchen. Notfalls müsse man Zenner aus einem vollkommen überflüssigen Urlaub zurückholen. Denn er habe sich in Minsk keinesfalls angestrengt, sondern ein faules Leben geführt; daher auch seine Ablösung.

Als Zenner schon wieder in Berlin war, gab es für ihn noch ein Nachspiel zu einem Vorfall, der sich Anfang Juli 1942 in dem Ort Kossow im Generalkommissariat Weißruthenien zugetragen hatte. Zu dieser Zeit wurde nämlich der Ort von der Verwaltung und von der Gendarmeriestation geräumt und ein Stück zurückverlegt. Chef der Gendarmeriestation war ein gewisser Lange. Er hatte – wie sich dabei herausstellte – ein Verhältnis mit einer Russin; diese wohnte auch bei ihm im Dienstgebäude. Auch andere Gendarme hatten mit Russinnen ein Verhältnis. Die SS-Spitze vermutete, dass die Russinnen durch ihre Kontakte zur Gendarmerie einiges ausspioniert und dann an Widerstandsgruppen weitergegeben hätten. Auch nahm man an, dass Lange aus Feigheit vor dem Feind die Gendarmeriestation geräumt hatte. Wie auch immer. Zenner machte man jedenfalls zum Vorwurf, seine Aufsichtspflichten über diese Gendarmeriestation Kossow und sein Personal verletzt zu haben. Noch im September 1942 initiierte Himmler gegen Zenner ein SS-Gerichtsverfahren ein.

Dieses Verfahren zog sich dann mehr als ein Jahr hin. Es wurde dann aber gegen Zenner mit der Begründung eingestellt, dass ihm eine Verletzung seiner Aufsichtspflicht über die Gendarmen nicht nachgewiesen werden könne. Grundlage hierfür war ein Bericht. Danach habe dieser sein Amt mit feinem Fingerspitzengefühl für die politischen Notwendigkeiten Weißrutheniens geführt und durch seine Maßnahmen, wie auch der Wehrmachtsbefehlshaber „Ostland“ hervorgehoben habe, die Voraussetzungen für die Befriedung Weißrutheniens geschaffen.

Unerwähnt blieb bisher, dass Zenner neben all diesen Tätigkeiten seit Juli 1937 auch Mitglied des Obersten Parteigerichts der NSDAP in München und ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof in Berlin war. Über seine langjährige Tätigkeit dort ist nicht viel bekannt. Wohl wissen wir, dass mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges neue und schärfere Strafvorschriften in Kraft traten, für die schwersten dieser Straftaten wurde der Volksgerichtshof zuständig. Der Umfang der Tätigkeit des Volksgerichtshofs wie auch seine Brutalität nahmen zu. Vor allem unter dem Präsidenten Roland Freisler, dem nach dem Krieg so genannten „Mörder in roter Robe“, wurden die Urteile maßlos. Es wurde kein irgendwie geartetes Unrecht, nicht einmal Unrecht nach Nazi-Maßstäben „gesühnt“, sondern derjenige, der sich mit seinem Verhalten außerhalb der Volksgemeinschaft stellte und unangepasst war, wurden mithilfe von Paragrafen liquidiert.

Der Volksgerichtshof bestand aus mehreren Senaten. Die Senate tagten in der Hauptverhandlung mit fünf Mitgliedern. Den Vorsitz in einem Senat hatte der Präsident – also Freisler -, der Vizepräsident war Vorsitzender eines anderen Senats und die übrigen Senate wurden jeweils von Vorsitzenden Richtern geleitet. Weiterhin war jeder Senat besetzt mit einem beisitzenden Richter, das war ein Berufsrichter. Vielleicht erinnern sich die Älteren von Ihnen noch an den Fall des Richters Hans-Joachim Rehse – der letzte und erfolglose Versuch der Nachkriegsjustiz, einen Richter für seine Mitwirkung an der NS-Justiz, vor allem an Todesurteilen, doch noch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Neben diesen beiden Berufsrichtern wirkten in der Hauptverhandlung des Volksgerichtshofs noch drei ehrenamtliche Richter mit. Theoretisch hatten sie die Mehrheit in diesem Gremium. Aber faktisch hatten sie nichts zu sagen. Sie waren auch handverlesen und nur Staffage für die Verhandlungen des Volksgerichtshofs.

Ein solcher ehrenamtlicher Richter war auch der SS-Brigadeführer Zenner. Es sind einige Verfahren bekannt, bei denen er als ehrenamtlicher Richter mitgewirkt hat – auch solche mit Todesurteilen. So systematisch hat man nach Urteilen von ihm aber auch noch nicht geforscht. Zufällig sind mir zwei Strafverfahren unter Beteiligung von Zenner bekannt geworden.

Das eine betraf den Koblenzer Medizinalrat Dr. Paul Kolf. Gegenstand dieses Strafverfahrens war ein Plausch unter Nachbarn im Sommer 1943 – zu einer Zeit, als die italienische Regierung unter Badoglio drauf und dran war, mit den Alliierten einen Waffenstillstand zu schließen. In den Worten des Strafurteils spielte sich das Geschehen hier in Koblenz wie folgt ab:

Am 6. August 1943 kamen auf einer Straße in Koblenz zwei Nachbarn ins Gespräch. Der eine war der Medizinalrat Dr. Paul Kolf und der andere der Friseurmeister Hans St. Dr. Kolf sagte zu St., er – Kolf – habe einen Brief bekommen, dass er schlecht verdunkle. St. bestätigte das. Daraufhin meinte Kolf: „Ach was, das ist ja alles Unsinn, in vier Wochen ist der Krieg doch aus.“ St. erwiderte: „Nun mal langsam, Herr Doktor, so schnell schießen die Preußen nicht.“ Kolf entgegnete: „Italien fällt ab, und wir können uns dann auch nicht mehr halten. Es kann bei uns genauso kommen wie in Italien. Wenn die Partei nicht mehr besteht, wird eben das Militär die Sache in die Hand nehmen. Brauchitsch ist schon wieder da!“ St. meinte darauf: „So einfach ist es doch nicht.“ Und Kolf erwiderte: „Passen Sie auf, in vier Wochen sprechen wir uns wieder.“

Das war alles. Der Medizinalrat Kolf wurde denunziert --- von wem wohl? Und man machte ihm den Prozess vor dem Volksgerichtshof. – Was warf man ihm vor? Der Vorwurf lautete auf Verstoß gegen § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Hierin ging es um die berüchtigte „Zersetzung der Wehrkraft“. Diese Vorschrift lautete:

(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft:

1. wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zu wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht…

(2) In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.

  …….

Der Volksgerichtshof saß dann in der Hauptverhandlung vom 18. Oktober 1943 über Kolf zu Gericht. Das war der 1. Senat unter Vorsitz des Präsidenten Freisler und als einer der ehrenamtlichen Richter fungierte Zenner. Wegen dieser Meinungsäußerung im engsten Kreis – gerade im vertrauten Gespräch mit einem Nachbarn – verurteilte das Gericht Kolf wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode. Die Gründe für dieses Todesurteil sind genau eine Seite lang.

Ein Nachsatz noch: Nach der Verurteilung hat Dr. Kolf an den Reichsjustizminister Thierack ein Gnadengesuch gerichtet. Damit hatte er- was nach meinen Erfahrungen sehr selten ist – doch tatsächlich Erfolg. Im Gnadenweg wurde das Todesurteil des Volksgerichtshofs in eine 6- oder 8-jährige Zuchthausstrafe – so genau weiß ich das nicht mehr - umgewandelt. Selbst Thierack war die Todesstrafe ersichtlich zu hart. Dr. Kolf hat dann die Strafe im Zuchthaus in Regensburg verbüßt. So weit ich weiß, ist Dr. Kolf kann kurz nach der Befreiung infolge der Bedingungen seiner Strafhaft verstorben.

Noch ein weiterer Fall beleuchtet die Tätigkeit Zenners als ehrenamtlicher Richter beim Volksgerichtshof. Das ist das Verfahren gegen den alten Parteigenossen Robert Busch aus Boppard/Rhein. Busch bat Zenner um Hilfe, weil ein anderer Bopparder, ein gewisser SA-Obersturmführer Emil Fätsch, Busch angezeigt hatte, beleidigende Äußerungen über Staat und Partei gemacht zu machen. Zenner verwandte sich für Busch, weil er der Auffassung war, Fätsch habe unwahre Behauptungen aufgestellt, um Busch zu schaden und daraus einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen zu wollen. Jedenfalls saß Zenner als ehrenamtlicher Richter beim Volksgerichtshof auch bei diesem Fall zu Gericht. In der Hauptverhandlung konnte Fätsch die von ihm aufgestellten Behauptungen nicht beweisen und Busch wurde freigesprochen. Irgendwie kam dieses Verhalten Himmler zu Ohren – zumal Zenner nach dem Freispruch Buschs den Anzeigenerstatter Fätsch beim Kreisleiter in Boppard und beim HJ-Führer des Gaues Moselland, wo Fätsch beschäftigt war, anschwärzte. Auf Zenners Erklärungsschreiben hin antwortete ihm Himmler unter dem 2. November 1944 wie folgt:

Lieber Zenner!

(…) Aus Ihren Zeilen entnehme ich, dass Ihre Gesinnung so untadelig war, wie ich es erhofft habe, ersehe aber gleichzeitig, dass Sie keinerlei Verständnis für meine Frage haben.

Es ist unmöglich, dass man sich zu gleicher Zeit für einen Angeklagten einsetzt, um dann später über ihn Richter zu sein! Entweder mussten Sie als alter SS-Mann und Parteigenosse sich für den anderen alten Parteigenossen einsetzen und bei Behörden für ihn Zeugnis ablegen, oder Sie mussten sich da heraushalten, um als Richter an der Sitzung teilzunehmen und Ihr Votum gemäß Ihrer Erkenntnis über Recht oder Unrecht des Falles abzugeben. (…) Undenkbar ist, wenn man saubere und klare Verhältnisse im Rechtswesen haben will, - bei aller Lauterkeit Ihres Wollens – Ihr Verhalten gewesen!

Ich ersuche Sie, in Zukunft nach dem aufgezeigten Grundsatz zu handeln und sich nicht von Ihrem mir bekannten und anständigen Gemüt im besten Wollen zu Handlungen verleiten zu lassen, die anfechtbar und stärkster Kritik ausgesetzt sind.

Da sieht man doch, dass es auch bei der SS mit der Rechtspflege „anständig“ zuging. Im Übrigen war das mit der „Zukunft“ nicht mehr so weit her, als Zenner Mitte November 1944 diesen Brief Himmlers von der Feld-Kommandostelle erhielt.

Inzwischen war Frau Zenner mit ihren beiden Kindern in der Wohnung in Aachen ausgebombt worden und Zenner hatte sie „kriegsmäßig“ in Brohl untergebracht. Im Übrigen war Aachen die erste deutsche Stadt, die von den Alliierten am 21. Oktober 1944 befreit wurde. Auch für seine Mitwirkung beim Volksgerichtshof blieb Zenner nicht mehr viel Zeit. Denn am 3. Februar 1945 wurde das Gebäude des Volksgerichtshofs bei einem alliierten Bombenangriff zerstört und Freisler von einem niederstürzenden Balken im Keller des Gebäudes getötet. Dabei wurden viele Akten zerstört und vernichtet. Die Nazis machten zwar weiter, aber es war sehr beschwerlich, die Akten wieder zu rekonstruieren. Es gab bis Anfang April 1945 noch weitere Prozesse, aber zahlreiche Angeklagte konnten doch noch überleben.

Nach Kriegsende hat Zenner – nach seinen eigenen Angaben – im Alpengebiet nahe der deutsch-österreichischen Grenze bis zum 29. Mai 1945 „noch gekämpft“. Dann geriet er in französische Gefangenschaft. Alsbald wurde er an die britische Besatzung ausgeliefert. Hintergrund war, dass die Briten, in deren Zone Aachen lag, Zenner für seine Mitwirkung an der „Reichspogromnacht“ in Aachen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen wollten. – Das ist der Prozess, den ich Ihnen vorher schon angekündigt hatte. - Tatsächlich kam es dann im Frühjahr 1947 vor dem britischen oberen Militärgericht zu einem Verfahren. Angeklagt waren neben Zenner – als ehemaligem Polizeipräsidenten - der frühere Kreisleiter, der ehemalige Oberbürgermeister, drei Polizeibeamte und zwei Feuerwehrleute. Ihnen wurde vorgeworfen, die Zerstörung der Aachener Synagoge geplant und ausgeführt zu haben. Nach den Feststellungen im Urteil hatte Zenner den Pogrom in Aachen tatkräftig gefördert. Er war dabei, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November am frühen Morgen Feuerwehrleute die Synagoge in Brand setzten. Er erteilte den Beamten des nahe gelegenen Polizeireviers den Befehl, das Gelände abzusperren. Der ebenfalls anwesende Oberbürgermeister hatte Mühe, Zenner zu veranlassen, Feuerwehrleute einzusetzen, um ein Übergreifen des Feuers auf angrenzende Gebäude zu verhindern. Anschließend schickte Zenner SS-Leute los, in der Stadt die jüdischen Geschäfte zu demolieren. Einem Polizisten machte er Vorwürfe, weil dieser angeordnet hatte, Plünderungen zu verhindern. Dabei wurde Zenner beschuldigt – was aber nicht bewiesen wurde -, dass er wertvolle Bücher aus der Bibliothek der Synagoge an sich genommen habe.

Zenner verteidigte sich damit, nur auf Befehl gehandelt zu haben. Danach sei nur deutsches Leben und Eigentum zu schützen gewesen - und „Juden sind nach dem Gesetz keine Deutschen“. Zenner muss sich im Strafverfahren auch im Übrigen „unmöglich“ aufgeführt haben. In dem Urteil hieß es dann, der Angeklagte zeigte sich „rücksichtslos und unverschämt (…) machte den Eindruck einer kühnen und rücksichtslosen Person (…) und gab dem Gericht klar zu erkennen, dass er, welche Schritte er auch unternommen haben mag, um bestimmte Leute und bestimmte Vermögen zu schützen, gemäß den Befehlen in gleicher Weise energisch vorgegangen ist zur Ausführung eines Plans zur Zerstörung der Synagoge“. Daraufhin wurde Zenner vom britischen Oberen Militärgericht zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe zugunsten der jüdischen Gemeinde verurteilt. Von der Gefängnisstrafe verbüßte er drei Jahre und wurde dann aufgrund einer Gnadenentscheidung im Juni 1950 entlassen.

Zenner kehrte nach Brohl zurück und arbeitete wieder als Angestellter dort. Seine Kühnheit wurde ihm dann aber doch noch zum Verhängnis. Er war nämlich so kühn, nach alle dem als ehemaliger Polizeipräsident und Polizeigeneral Ansprüche auf Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes geltend zu machen. Da sein letzter Dienstsitz Berlin war, stellte er auch dort den Antrag. Dieser wurde abgelehnt, daraufhin klagte er vor dem Verwaltungsgericht in Berlin. Auch da blieb er ohne Erfolg. Die Klage wurde im Oktober 1956 abgewiesen, weil er seine Ernennungen zum Beamten, also zum Polizeipräsidenten von Aachen und zum Generalmajor der Polizei ausschließlich seiner engen Verbindung zum Nationalsozialismus, insbesondere der Zugehörigkeit zur SS, zu verdanken gehabt habe. Dieses Urteil enthielt auch Feststellungen zu Zenners Tätigkeit in Minsk.

Das Urteil wurde der Staatsanwaltschaft Koblenz mitgeteilt. Man nahm Ermittlungen auf, das Verfahren zog sich aber sehr in die Länge. Erst 3 ½ Jahre später, am 1. März 1960 wurde Zenner in Untersuchungshaft genommen. Nach weiteren 1 ¼ Jahren kam es dann zur Hauptverhandlung. Angeklagt war Zenner wegen der Ermordung von 6.624 Juden in Minsk in der Zeit vom 7. bis 11. November 1941. Mitangeklagt war der bereits erwähnte Remmers. Dieser belastete Zenner schwer. Nach Zeugenaussagen sei Zenner ein „ständig von Härte redender, ständig Rotwein trinkender SS-Satrap gewesen, der von seiner Datscha aus regierte, aber zu feige war, selbst ins Partisanengebiet zu gehen“; Zenner sei ein „freiwilliger Anhänger Hitlers (gewesen), wie geschaffen für die hinterhältige Ermordung der Juden“.

Ein israelischer Journalist berichtete über die Verkündung des Urteils gegen den „Satrapen von Minsk“ wie folgt: Zenner, „ein bebrilltes Bulldoggengesicht, sank wie ein Toter auf die Anklagebank“. Im seinem Schlusswort hatte Zenner noch gesagt: „Ich glaubte an den Nationalsozialismus, und mein Glaube zerbrach mit dem Dritten Reich. Ich war ein ehrlicher Idealist wie Millionen anderer Männer und Frauen.“

Das Schwurgericht beim Landgericht Koblenz erklärte in seinem Urteil alle Einlassungen Zenners für unglaubhaft und fand ihn schuldig, an der Ermordung von mindestens 4.000 bis 6.000 Juden verantwortlich mitgewirkt zu haben. Dabei wurde nicht ausgeschlossen, dass die gemeldete Zahl von 6.624 Opfern zu hoch gegriffen gewesen sei. Seine Tathandlungen sah man lediglich als Beihilfe zum Mord an und verurteilte ihn zu der dann höchstmöglichen Freiheitsstrafe von 15 Jahren Zuchthaus. Schon wenige Wochen später wurde er wegen seines Gesundheitszustandes für haftunfähig erklärt und nach Hause entlassen. Erst 1 ½ Jahre später erreichte die Staatsanwaltschaft, dass er erneut verhaftet und in ein Gefängnislazarett verbracht wurde. Mehrere Gnadengesuche hatten keinen Erfolg. Sie wurden u.a. vom rheinland-pfälzischen Justizminister mit der Begründung abgelehnt, Zenner habe „von seiner Machtfülle in unmenschlicher Weise Gebrauch gemacht“.

1967 erreichte er doch noch seine Haftentlassung wegen dauernder Haftunfähigkeit. Zuletzt lebte er als Pflegefall im Brohl und starb am 16. Juni 1969. Beerdigt ist Zenner auf dem Brohler Friedhof. Auf seinem Grabstein sind sein Geburts- und Todesdatum nicht wie üblich mit Stern und Kreuz gekennzeichnet, sondern vielmehr nach dem Brauch der SS mit der aufrechten und umgekehrten Lebensrune in Form eines Y.

Zahl der Todesurteile des Volksgerichtshofs

Jahr             Todesurteile

1934              -

1935             23

1936             -

1937             32 (bei 618 Angeklagten)

1938             17

1939             36

1940             53

1941             102              

1942             1192

1943             1662

1944             2097 (bei 4379 Angeklagten)