Seit 1922 ist die Familie Brück in Koblenz ansässig. Der 1896 geborene Vater Hugo stammt aus Trier. Im Ersten Weltkrieg ist er Soldat an der Front und erleidet eine Gasvergiftung. Nach dem Krieg arbeitet er als Kaufmann und heiratet seine Frau Grete, geb. Levy. Er wird Teilhaber der Rohproduktenankaufstelle Ignaz Tröster in Koblenz-Lützel, die sein Schwiegervater Jakob Levy im Jahr zuvor erworben hat. Als sein Schwiegervater Anfang der 1930er Jahre stirbt, wird er Alleineigentümer der Firma Ignaz Tröster Nachfolger.
Das Geschäft floriert, hat drei Lastwagen und bis zu 25 Beschäftigte. Es macht 80 Prozent des gesamten Rohproduktenhandels in Lützel aus. Die Brücks haben zwei Kinder, die 1926 geborene Helene (Hella) und den 1928 zur Welt gekommenen Sohn Franz.
1933 Mit der Machtübernahme der Nazis und dem „Judenboykott“ geht das Geschäft zurück. Den Nazis vor Ort sind Hugo Brück und sein Rohproduktenhandel ein Dorn im Auge. Schon früh diffamieren und schikanieren sie ihn.
Juni 1936 Hugo Brücks Ruf schädigen sie u.a. mit seinen angeblichen außerehelichen Beziehungen zu „deutschen“ Frauen. Die Diffamierung als „planmäßiger Rasseschänder“ schafft es bis in das Hetzblatt „Der Stürmer“. Er titelt im Juni-Heft: „Der Jude Brück. – Ein Auserwählter/Ein Rasseschänder/Ein Teufel und ein Menschenverderber.“
Oktober 1936 Die örtlichen Nazis wüten, weil Brück immer noch guten Kontakt zu „Ariern“ hat und sein Handel noch relativ gut läuft. Sie lancieren einen weiteren Artikel in den „Stürmer“. Unter der Überschrift: „Jud Hugo Brück – Der Betrüger und Arbeiterschinder von Koblenz Lützel.“ verleumden sie ihn wegen seiner Geschäftspraktiken.
Die Koblenzer Gestapo ermittelt gegen ihn wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“. Als man ihm nichts nachweisen kann, leitet man ein Verfahren wegen Kapitalflucht an. Beide Vorwürfe sind haltlos, ebenso haltlos ist der weitere Vorwurf, gegen die Preisstoppverordnung verstoßen zu haben. Die Verfahren werden eingestellt.
Juli 1937 Grete Brück stirbt in einem Kölner Krankenhaus.
Oktober 1937 Witwer Hugo Brück bringt seine beiden Kinder Hella und Franz zu seiner Schwester Clara Drucker nach Trier.
Sohn Franz bleibt nur ganz kurz dort. Seine Tante in Trier bringt ihn über die französische Grenze zu ihrer Schwester Ella Loeb, geb. Brück, und deren Ehemann Albert Loeb nach Thionville/Diedenhofen in Lothringen. Dort besucht er die Schule und teilt das Schicksal von Onkel und Tante, die ab dem Sommer 1939 wiederholt umziehen, um den Schikanen und der Verfolgung der deutschen Besatzungsmacht zu entgehen.
Auch Tochter Hella bleibt nicht länger bei ihrer Tante in Trier. Sie wird ebenfalls nach Thionville gebracht, dort aber zu ihrem Onkel mütterlicherseits, dem Rabbiner Henri Levy, der dort mit seinen beiden Töchtern wohnt. Hella lebt in der Familie Levy.
12. Dezember 1937 In einem weiteren Verfahren wird Vater Hugo vom Schöffengericht Koblenz vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen.
Hugo Brück veräußert seinen Rohproduktenhandel an einen „Arier“.
Februar 1938 Beim Grenzübertritt ohne Pass wird Hugo Brück verhaftet.
März 1938 Vom Landgericht Koblenz wird er wegen Beihilfe zu schwerer Urkundenfälschung, Betrugs und Steuerhinterziehung (wohl im Zusammenhang mit der Veräußerung des Geschäfts) zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.
21. Dezember 1938 Das Landgericht Koblenz verurteilt ihn wegen versuchter verbotener Ausfuhr inländischer Zahlungsmittel (wohl bei seinem gescheiterten Grenzübertritt im Februar 1938) zu sechs Wochen Gefängnis.
17. Januar 1939 Hugo Brück zieht zu seiner Schwester nach Trier. Diese hat inzwischen für ihn eine Emigration nach Kuba organisiert.
26. Januar 1939 Er flieht mit dem Schiff von Le Havre nach Kuba.
1940/41 Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Frankreich verlassen die Familien Loeb und Levy mit Franz und Hella Thionville.
Sie lassen sich vorübergehend in Saumur im Departement Maine-et-Loire im Westen Frankreichs nieder. Während die Loebs mit Franz nach Brive-la-Gaillarde im nicht von Deutschland besetzten Südwesten Frankreichs ziehen, bleibt Rabbiner Levy mit Familie in Saumur.
1942 Angers, die Hauptstadt des Departements Maine-et-Loire wird Zentrum der Gestapo. Daraufhin beginnen im Departement die Razzien nach Juden. Wohl im Februar 1942 wird Hella von der Gestapo verhaftet und am 20. Juli mit dem 8. Transport zusammen mit 823 anderen, unter ihnen 201 französische Juden und vier weitere Kinder, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. 19 Menschen überleben, Hella ist nicht unter ihnen.
Ungeklärt ist das Schicksal ihres Onkels Henri Levy und dessen beider Töchter. Auf der Deportationsliste vom 20. Juli 1942 sind sie nicht aufgeführt. Möglicherweise sind sie in Saumur oder Angers verblieben und dann bei dem großen Bombenangriff der Alliierten im Mai 1944 mit allein 7.000 Vermissten ums Leben gekommen.
Juni 1943 Franz verlässt seine Tante Ella und seinen Onkel Albert Loeb und taucht in der inzwischen von Hitler-Deutschland ebenfalls besetzten Südzone Frankreichs unter.
Die Loebs werden in der Südzone interniert und in das Sammellager Drancy bei Paris verschleppt.
29. April 1944 Ella und Albert Loeb werden mit dem Transport Nr. 72 zusammen mit 1.002 anderen jüdischen Menschen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Von ihnen überleben 1945 12 Männer und 38 Frauen, die Eheleute Loeb sind nicht unter ihnen.
Von der Familie Brück überleben nur Hugo Brück und sein Sohn Franz. Vater Hugo gelingt bald die Auswanderung von Kuba in die USA, sein Sohn Franz wandert nach dem Krieg zu seinem Vater in die USA aus.
Hella Brück, Vater Hugo Brück und Franz Michael Brück (Foto: Stadtarchiv Koblenz).