Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Adolf Reichwein

 

Lesen Sie auch folgende Dokumente :

Promotionsurkunde der Philipps-Universität Marburg

Zwangsbeurlaubung von Adolf Reichwein vom 24. April 1933

Deckblatt der Publikation "Mexiko erwacht" von Adolf Reichwein, Leipzig 1930, 274 Seiten mit 15 Karten und 48 Abbildungen

Adolf-Reichwein Schulbericht "Schaffendes Schulvolk" über sein "Schulmodell Tiefensee"

Urteil des Volksgerichtshofes vom 20. Oktober 1944


Einen Vortrag von Joachim Hennig am 12. Oktober 2005 im Kant-Gymnasium in Boppard:

Adolf Reichwein (1898 – 1944) - Reformpädagoge und Widerständler aus Bad Ems HIER lesen

Abschriften:

Brief von Adolf Reichwein vom 22. Dezember 1926 an seinen Vater:

Admiral Oriental Line
An Bord „President Madison, 22. Dezember 1926

Lieber Vater,

ich hoffe sehr, dass Du Deinen Geburtstag gesund verlebst, ohne durch eine Erkältung gestört zu sein. Was denkst Du wohl, was ich jetzt bin?

Kadett in der amerikanischen Marine! Keine Sorge! Nur für zwei Monate. Ein Bekannter schrieb mir aus Guadalajara in Mexiko, dass man dort jetzt Regenzeit hat und die Wege unpassierbar sind. So entschloss ich mich, die Zeit gut zu nutzen und eine Reise nach Japan, China und der Südsee (Philippinen) zu machen. Und bin nun Kadett auf dem „President Madison“, einem Boot von etwa 23.000 t. Ich bekomme keinen Lohn, aber eine sehr gute Verpflegung und mache eine Reise, die sonst $ 1.200 (d.h. 5.000 M) kosten würde. Man muss zwar arbeiten, aber das tue ich gern, ist mir lieber als an Bord herumzuliegen. Auf See haben wir vier Stunden Dienst abwechselnd mit acht Stunden Ruhe; in den Häfen acht Stunden Dienst und 16 Stunden Erlaubnis, an Land zu gehen. So hoffe ich, etwas in Japan zu sehen (Yokohama, Tokio, Kobe, Osaka u. Umgegend), in China (Shanghai u. Hongkong) und die Philippinen um Manila. Im Februar kommen wir den gleichen Weg zurück und ich fahre von Seattle nach Süden: Kalifornien und Mexiko. So wird es mit der Rückkehr wohl Ende März oder Anfang April werden. So können wir diesmal Weihnachten nicht zusammen sein; aber ich habe umso mehr zu erzählen, wenn ich zurückkomme. Bis zum 20. Januar könnt Ihr Post schicken an: Mr. Adolf Reichwein S.S. President Madison, Seattle/Wash./USA. Schreibt bitte auf jeden Fall und erzählt ein wenig von Weihnachten und wie Ihr sonst den Winter verlebt.

Am Weihnachtsabend fahren wir aus. Ich werde auf der Brücke stehen und an Euch denken. Mein Leben hat ein unheimlich schnelles Tempo, aber ich lerne mehr und mehr, es zu beherrschen. So fühle ich mich auch innerlich und bin ruhig genug, alle Dinge, die mir begegnen, mit so viel Aufmerksamkeit wie irgend möglich auszuschöpfen...

Geht hinüber ins Neue Jahr; und sorgt, dass Ihr im nächsten Jahr eine Reise machen könnt! Ich hoffe, auch von Richard zu hören. Lebt wohl!

Euer Adolf   

 



Brief Adolf Reichweins vom 4. Oktober 1944  aus dem Gefängnis an seinen Vater:


Mein lieber Vater,

ich grüße Dich herzlich in Liebe und Verehrung. Gestern, an meinem Geburtstag, habe ich voll Dank an Dich gedacht, und an die verstorbene Mutter, dankbar für alle die Sorgen, Mühen und Opfer, die Ihr zeitlebens für uns Kinder gebracht habt. Du warst mir in vielem immer ein Vorbild.

Wie stets in Treue, auch heute

Dein Sohn Adolf    




Aus der Todeszelle des Gefängnisses in Plötzensee schreibt Reichwein ergreifende Abschiedsbriefe an seine Frau und seinen Vater.  

Der Abschiedsbrief an seine Frau Rosemarie lautet:

Liebe Romai,

die Entscheidung ist gefallen. Zum letzten Mal schreibe ich deinen mir so teuer gewordenen Namen. In meiner letzten irdischen Stunde sind meine Gedanken noch einmal mit besonderer Innigkeit bei Dir und den vier Kindern, die Du mir geschenkt hast und die mir Jahre – die mir viele scheinen – so viel Freude, Aufrichtung und Erbauung waren.

Diese drei Monate sind für mich trotz aller Qual ach von großer innerer Bedeutung gewesen; sie haben vieles klären und hoffentlich auch läutern helfen, was man gerne in seiner letzten Stunde geklärt und geläutert hat. Ich scheide ruhig, weil ich die Kinder in deiner Hut weiß.

Möge Gott Euch stärken, das Schwere zu überwinden und das Leben in Stärke fortzusetzen. Die Kinder, in eine Zukunft hineinwachsend, seien Dir Trost und spätere Freude.

Dein Edolf




Abschiedsbrief von Adolf Reichwein vom 20. Oktober  von der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee an seinen Vater:  


Name des Briefschreibers: Reichwein
Berlin-Plötzensee, den 20. Okt. 1944
 

Mein lieber Vater,

in der letzten Stunde denke ich voll Dank alles dessen, was Du in Deinem langen Leben Gutes an mir getan hast. Noch viele Jahre wünsche ich Dir; erhalte Dich für Deine Enkel, die Dich nun dringender brauchen denn je.

Von Herzen
Dein Adolf

 




Der einzige überlebende Mitangeklagte des Prozesses vom 20. Oktober 1944, Gustav Dahrendorf, erinnert sich später an den Verlauf der Verhandlung:



Die Verhandlung trug alle Züge eines Schau- und Tendenz-Prozesses. (...) Freisler schrie, gestikulierte. Keine Formulierung ohne entsetzliche Bosheit oder Brutalität, kein Fünkchen Menschlichkeit, keine Andeutung auch nur formalen Rechts.(...)

Im Ablauf der Verhandlung gegen Adolf Reichwein gab es einen großen und erschütternden Abschnitt. Reichweins Offizial-Verteidiger, dem jeder Versuch eines Einwands zu den „Tatbeständen“ abgeschnitten worden war, bat schließlich, das Gericht möge doch die außerordentlichen Qualitäten seines Mandanten berücksichtigen. Es schien, als wolle Freisler Adolf Reichwein sprechen lassen.

Reichwein begann mit ganz leiser Stimme. Er konnte nicht lauter sprechen. Die Haft mit ihren seelischen Erregungen und körperlichen Misshandlungen hatte ihm die Stimmkraft genommen. Ich konnte seine Stimme kaum vernehmen. Für Sekunden nur waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Mich packte eine tiefe Sympathie für diesen Mann. So wie er da stand, war er das Symbol alles Menschlichen, von dem selbst in diesem Augenblick alle Qual des Leidens abfiel.

Er begann von seiner Arbeit zu sprechen. Er begann ... und einer Meute gleich brach es aus Freisler heraus: Menschlichkeit, menschliche Werte? Wer das große Vertrauen so sehr geschändet habe wie Reichwein, habe das Recht verwirkt, menschlich bewertet zu werden. Schluss, Schluss – kein Wort mehr. Verbrecher, Verbrecher ... Ein Orkan von brutalsten Formulierungen unterbrach die Stille, die sich für einen Augenblick – nicht mehr war es – um diesen Menschen gebreitet hatte. – Reichwein sprach später kein Schlusswort.   

 

   

Weiterführende Hinweise :

Ullrich Amlung: „... in der Entscheidung gibt es keine Umwege“ – Adolf Reichwein 1898 – 1944. Reformpädagoge, Sozialist, Widerstandskämpfer, 2. Aufl., Marburg 1999,

Gabriele C. Pallat/Roland Reichwein/Lothar Kunz (Hg.): Adolf Reichwein: Pädagoge und Widerstandkämpfer.
Ein Lebensbild in Briefen und Dokumenten (1914 –1944). Paderborn u.a. 1999.