Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Das Durchgangsghetto Izbica

Durchgangsghetto Izbica - Der Vorhof zu den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor

 

Lage: Izbica ist ein Dorf im "Landkreis" Krasnostawski in der "Provinz" Lublin in Ostpolen, an der Grenze zur Ukraine. Der kleine Ort liegt 55 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Lublin. Er ist von drei Seiten von Hügeln umgeben, westlich des Ortes fließt der Fluss Wieprz. Izbica liegt an der Bahnlinie Warschau-Lublin-Lemberg (damals Lwów, heute Lwiw in der Ukraine). Sie führte unmittelbar in das Vernichtungslager Belzec (55 Kilometer), auf einer anderen Strecke gelangte man über Chelm in das Vernichtungslager Sobibor (87 Kilometer).

Geschichte bis 1939: Im Jahr 1750 wurde der Ort eigens für Juden gegründet, die von Christen aus einem Nachbarort verdrängt wurden. Izbica entwickelte sich dann schnell, als die Straße von Lublin nach Zamosc gebaut wurde, und war ein gewisses Handels- und Handwerkerzentrum.Bis zum Ersten Weltkrieg lebten nur Juden im Ort, es war ein Stetl. Die christlichen Nachbarn sagten: "Izbica, Izbica - jüdische Hauptstadt". In den 1920er/30er Jahren zogen einige Christen in den Ort, die 3.000 jüdischen Einwohner bildeten aber die große Mehrheit. Die Juden und der Ort selbst waren arm und provinziell.

Verfolgungsgeschichte: Mit der Besetzung Polens durch Hitler-Deutschland wurden Lublin und seine Umgebung ein Distrikt im "Generalgouvernement". Damit begann die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Polen und gerade auch in Izbica. Dafür sorgte der örtliche Gestapochef. Er verpflichtete viele Jugendliche und Männer zur Zwangsarbeit. Die Lebensmittelrationen wurden allen Bewohnern zugeteilt und waren gering. Niemand durfte unerlaubt den Ort verlassen. Eine Umzäunung gab es nicht, wohl aber eine Überwachung. Das genügte wegen der Lage des Ortes, außerdem stand auf unerlaubtem Verlassen des Ortes die Todesstrafe.

Umsiedlungen: Wegen seiner günstigen Lage wurde der Ort zum größten Durchgangsghetto, zum Sammelplatz für Juden, im Lubliner Land. Zunächst, in den Jahren 1940 und 1941, siedelten die deutschen Besatzer Juden aus Polen, aus Lodz, Glowno, Kalisz und auch aus Lublin nach Izbica um. Sie wurden einfach in die Häuser der Einheimischen gesteckt. Als die überfüllt waren, wies sie der Gestapochef in die Synagoge ein.

Erste Deportation: Am 24. März 1942, wohl ein oder zwei Tage bevor der erste Deportationszug aus Koblenz in Izbica eintraf, gab es dort eine große Razzia. Gestapo- und SS-Männer sowie Trawniki-Männer, ehemalige kriegsgefangene Ukrainer, die die deutschen Besatzer als "Hilfswillige" im Lager im benachbarten Trawniki ausgebildet hatten, trieben über 2.200 einheimische Juden auf dem Marktplatz zusammen. Von dort brachte man sie zum Bahnhof und verlud sie in Güterwaggons. Die Fahrt ging in das in der Nähe gelegene Vernichtungslager Belzec, das erst Mitte März seinen Betrieb aufgenommen hatte.

Transporte aus dem Westen: Durch die Verschleppung und Ermordung der einheimischen Juden hatte es in Izbica Platz gegeben. Diesen nahmen in den nächsten Tagen aus dem Westen deportierte Juden ein. Darunter waren auch Juden aus Koblenz und Umgebung, die am 22. März 1942 (1. Deportation von Koblenz) mit dem in Koblenz eingesetzten Sonderzug Da 17 der Reichsbahn mit zusammen insgesamt 1.000 Menschen verschleppt wurden. Bis Anfang April 1942 kamen mit Güterzügen ungefähr 4.000 "Reichsjuden" an. Die Menschen waren zum ganz überwiegenden Teil - wie gerade auch die aus Koblenz und Umgebung Deportierten - voll assimiliert und teilweise zum Christentum übergetreten. Sie kamen in eine ihnen völlig fremde Umgebung. Man zwängte sie in die von den deportierten einheimischen Juden teilweise frei gemachten Wohnung.
Alltag: Vorprogrammiert war ein sehr ernster kultureller Konflikt zwischen den armen, orthodoxen und sehr provinziellen Einheimischen und den meist wohlhabenden, hoch zivilisierten und liberalen ausländischen, gerade auch deutschen Juden. Das Ergebnis waren etwa zwei Judenräte und zwei Abteilungen jüdischer Polizei sowie Abneigung und Hass auf beiden Seiten.
In Deutschland hatte man die Juden mit der Erklärung in die Güterzüge "verfrachtet", sie würden "in den Osten zur Arbeit umgesiedelt". Aber in Izbica gab es keine Arbeit - nur Hunger und Krankheiten, Terror und zum Schluss den Tod. Für ihre Angehörigen waren sie unerreichbar. Umgekehrt durften die Deportierten - zur Beruhigung der Zurückgebliebenen - Postkarten schicken, aber nur kurze, zensierte Standardtexte. Die Karten täuschten ihre Empfänger über das Schicksal ihrer deportierten Angehörigen und über das ihnen selbst drohende Schicksal.

Zeitzeugenbericht: Es existiert ein einziger, aus Izbica hinausgeschmuggelter und deshalb unzensierter Text. In ihm heißt es zu den Lebensumständen zusammengefasst:
Der Ort werde von zwei SS-Leuten und einer Maschinenpistole beherrscht. Die Gestapo habe einen Judenrat eingesetzt, der überwiegend aus Tschechen bestehe. Ohnehin vorhandene Konflikte zwischen den Juden aus der Tschechoslowakei, aus Polen und aus Deutschland würden dadurch noch verstärkt. Es herrsche eine drangvolle Enge, Hunger und unsägliche hygienische Bedingungen. Viele Menschen würden durch diese äußeren Umstände krank. Ständig gingen Transporte aus Izbica ab, ohne dass man über das weitere Schicksal dieser Menschen etwas erfahre.

Weitere Transporte aus Izbica: Am 15. Mai 1942 gab es einen weiteren Transport aus Izbica. Er ging in das gerade in Betrieb genommene Vernichtungslager Sobibor; Arbeitsfähige waren zuvor für das Konzentrationslager Majdanek zur Zwangsarbeit selektiert worden. Am 8. Juni 1942 kam es zu einem weiteren Transport, dessen Ziel war wiederum Belzec.

Herbst 1942/Frühjahr 1943: Nachdem es im Sommer keine Deportationen mehr gegeben hatte - wohl aber viele hunderte Juden in Izbica an Typhus gestorben waren - setzten im Oktober 1942 die Transporte nach dort und dann weiter in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor wieder ein. Tausende Juden aus dem Lubliner Land wurden nach Izbica verschleppt. Diese und andere wurden am 19. Oktober 1942 nach Belzec und Sobibor ins Gas geschickt. Eine weitere Deportation am 1./2. November 1942 endete für viele schon in Izbica tödlich. Da die Güterwagen überfüllt waren, wurden mehr als 1.000 Menschen in Izbica ermordet. Am 28. April 1943 transportierte man die letzten Juden aus Izbica nach Sobibor und brachte sie um.
Insgesamt waren während der deutschen Besatzung über 26.000 einheimische und ausländische Juden in Izbica. Mehr als 3.000 kamen dort um. Die anderen wurden in den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor ermordet.

Gedenken: Auf dem jüdischen Friedhof von Izbica erinnert ein Denkmal an alle in Izbica umgekommenen Juden und ein weiteres an den Massengräbern an alle Ermordete.