Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Das Durchgangsghetto Krasniczyn

   
  Das kurze Leben "im Osten" (Robert Kuwalek)

 

Lage: Krasniczyn ist ein Dorf  im "Landkreis" Krasnostawski in der "Provinz" Lublin in Ostpolen, an der Grenze zur Ukraine. Der kleine Ort liegt ca. 55 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Lublin und ist ein Nachbarort von Izbica. Krasniczyn hat keine eigene Bahnstation. Der nächste Bahnhof ist in Krasnystaw (17 Kilometer entfernt), an der Eisenbahnstrecke Warschau-Lublin-Lemberg (damals Lwów, heute Lwiw in der Ukraine). Diese führte unmittelbar in das Vernichtungslager Belzec, auf einer anderen Strecke gelangte man über Chelm in das Vernichtungslager Sobibor.
    
Geschichte bis 1939: Krasniczyn wurde urkundlich erstmals 1564 erwähnt; es erhielt dann das Stadtrecht, das im 19. Jahrhundert wieder verloren ging. Schon bald hatte der Ort eine wechselvolle polnisch-ukrainische Geschichte. Bei der Ersten Polnischen Teilung im Jahr 1772 kam das Dorf zum österreichischen Galizien. Nach dem Wiener Kongress (1815) gehörte es zum Königreich Polen (Kongresspolen), eines vom Russischen Reich abhängigen Staates. Während des Ersten Weltkrieges war es von Österreich-Ungarn besetzt, danach Teil des  wiedererstandenen polnischen Staates. Die jüdischen Bewohner prägten den Charakter des Ortes. Sie waren in verschiedenen Parteien und Vereinigungen organisiert und im Handel und im Handwerk tätig. Im Jahr 1927 zerstörte ein Feuer die meisten jüdischen Gebäude. Im Jahr 1933 lebten dort 487 und im März 1941 715 Juden.    
 
Verfolgungsgeschichte: Mit der Besetzung Polens durch Hitler-Deutschland wurden Lublin und seine Umgebung ein Distrikt im "Generalgouvernement". Damit begann die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Polen und auch in Krasniczyn. Anfang der 1940er Jahre richteten die deutschen Besatzer ein Ghetto ein. Die Lebensmittelrationen wurden allen Bewohnern zugeteilt und waren sehr gering.  
 
Erste Deportation: Mit demselben Transport wie die einheimischen Juden aus Izbica wurden auch die Juden aus Krasniczyn am 24. März 1942 deportiert. Sie mussten den aus dem Westen kurz darauf eintreffenden Juden Platz machen. Wie in Izbica dürfte es eine Razzia von Gestapo- und SS-Männern sowie Trawniki-Männern gegeben haben. Sie trieben rund 500 Juden zusammen und verschleppten sie in das in der Nähe gelegene Vernichtungslager Belzec, das Mitte März seinen Betrieb aufgenommen hatte.  
 
Transporte aus dem Westen:  Wie in dem größeren Durchgangsghetto Izbica begannen auch in Krasniczyn im März 1942 die Transporte aus dem Westen. Sie kamen aber zunächst nicht aus dem Rheinland bzw. dem "Altreich", sondern vielmehr aus Tschechien. Es folgten im April 200 Juden aus Izbica. Am 28. April 1942 traf ein Transport mit 1.000 Juden aus Mainfranken (Würzburg, Bamberg, Nürnberg u.a.) in Krasnystaw ein. Die Juden wurden anschließend zu Fuß nach Krasniczyn getrieben. Ein zweiter Transport gelangte am 3. Mai 1942 nach Krasnystaw und dann weiter nach Krasniczyn. Dies war der Transport mit dem Sonderzug Da 9, der am 30. April 1942 - als zweiter von Koblenz - vom Güterbahnhof Lützel abging und in dem sich u.a. fast 100 Patienten der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn befanden. Die drei bis vier Tage dauernde Fahrt, während der sie von der mitgenommenen Verpflegung leben mussten und nichts zu trinken bekamen, war an sich schon eine große Strapaze. Diese ohnehin schwierige Situation wurde für die Patienten aus Bendorf-Sayn noch schlimmer. Denn sie waren ja körperbehindert, psychisch krank und vielfach gebrechlich. Wegen ihres Zustandes hatte sie die Reichsbahn schon "bevorzugt" deportiert - mit "G-Wagen" (gedeckten Güterwagen) beim Sonderzug Da 22.
 
Alltag: Nachdem sie diese Strapazen überstanden hatten, erlitten sie bei der Ankunft in Krasniczyn einen "Kulturschock". Denn aus den doch recht wohlhabenden westdeutschen Städten, in denen sie bis zuletzt trotz aller Schikanen und diskriminierenden Maßnahmen in meist "gutbürgerlichen", geordneten Verhältnissen gelebt hatten, gelangten sie mitten in die tiefste polnische Provinz. Dort bewegte sich das jüdische Leben - wie auch das der nicht-jüdischen polnischen Bevölkerung - in den Bahnen althergebrachter Traditionen. Krasniczyn und die anderen Orte waren arm, es gab kein fließendes Wasser, keine Toiletten und Elektrizität. Nicht selten lebte eine vielköpfige einheimische Familie in einer Einzimmerwohnung. Und in diese sehr beengten Verhältnisse kamen dann noch die aus dem Westen dorthin Verschleppten. Ganz schlimm waren die sanitären Verhältnisse. So schrieb ein aus Stettin in einen Nachbarort von Krasniczyn deportierter Jude nach Hause: "Wir wohnen zu elft in einem Raum. In den Wohnungen herrscht große Armut. Am quälendsten ist die Erledigung der Klosetttätigkeiten. In der frischen, freien Umgebung, in der Natur, denn die hiesigen Menschen lassen diese Orte in einem schlimmen Zustand."
 
Damit solche Nachrichten nicht mehr nach außen dringen konnten, wurde den nach Krasniczyn Deportierten von Anfang an der Briefverlehr abgeschnitten. Gleichwohl geschriebene Briefe wurden von dem Leiter des Postamts Krasniczyn abgefangen. In einem dieser nicht vernichteten, erhalten gebliebenen Briefe eines Würzburger Juden heißt es: "Wir bitten sehr darum, uns Lebensmittelpakete zu schicken. Wir können Pakete und Geld empfangen, aber wir armen Würzburger haben bis jetzt überhaupt nichts gesehen. Die Pakete können bis zu vier kg wiegen. Wir bitten um Suppenkonzentrat und Suppenwürfel (…) in kleinen Paketen. Wir sind auch dankbar für Käse." Auch dieser verzweifelte Hilferuf blieb ungehört, denn - wie gesagt - dieser Brief wurde abgefangen.  
 
Diese sehr beengten, armseligen Verhältnisse mussten Spannungen hervorrufen und taten es auch. Wesentlich verschärft wurden diese noch durch die nationalen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede. Es war eine Ansammlung von Konfliktlagen. Die Neuankommenden waren zum ganz überwiegenden Teil - wie gerade auch die aus Koblenz und Umgebung Deportierten - voll assimiliert und teilweise zum Christentum übergetreten. Die einheimischen Juden empfanden sie als "reich", ihr Auftreten als arrogant und anmaßend. Folglich behandelten sie diese nicht als Glaubensbrüder und -schwestern, sondern als Deutsche, denen mit Misstrauen und Feindseligkeiten zu begegnen war. Das gemeinsame Verfolgungsschicksal solidarisierte nicht, sondern bestärkte noch alte Vorurteile und Klischees.  
 
In Deutschland hatte man die Juden mit der Erklärung in die Güterzüge "verfrachtet", sie würden "in den Osten zur Arbeit umgesiedelt". Aber in Krasniczyn gab es keine Arbeit - nur Hunger und Krankheiten, Terror und zum Schluss den Tod. Der Tod kam für sie noch schneller als für die nach Izbica verschleppten Juden. So haben nicht wenige Kranke wahrscheinlich schon den vier Tage dauernden Transport nach Krasniczyn nicht überstanden, andere starben im Ghetto, weil sie Hilfe benötigten, die sie nicht erhielten. Ohnehin hatten die deutschen Besatzer für die Juden in Krasniczyn einen baldigen Tod vorgesehen.    
 
Weitere Transporte aus Krasniczyn: Im Mai 1942 gab es einen weiteren Transport aus Krasniczyn. Zuvor hatten die deutschen Besatzer nach einer Razzia 327 Juden vor dem Schulgebäude zusammen getrieben. Anschließend mussten sie zu Fuß weiter nach Krasnystaw. Auf dem dortigen Bahnhof prügelte man sie in einen Güterzug und verschleppte sie in das kurz zuvor in Betrieb genommene Vernichtungslager Sobibor.  
Einen Monat später, im Juni 1942, liquidierten die Deutschen das Ghetto. Sie trieben 200 Juden auf den Friedhof von Krasniczyn und erschossen sie dort. Die verbliebenen Juden mussten zu Fuß nach Izbica. Von dort aus wurden sie in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und in den Gaskammern ermordet. In Krasniczyn zerstörten die deutschen Besatzer alle jüdischen Einrichtungen, auch die Synagoge.  
 
Gedenken: Es ist nicht bekannt, dass in Krasniczyn an die jüdischen oder auch an andere Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird.