Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Am 6. November 2024 erinnert Koblenz an den verheerenden Luftangriff der Royal Air Force (RAF) auf das Zentrum der Stadt. Dabei gab es 109 Tote und 558 Verletzte. Schon zuvor hatte es Luftangriffe auf Koblenz gegeben, auch zahlreiche danach, der vom 6. November 1944 war aber der schwerste Angriff auf die Stadt. Damit war der Luftkrieg in die Heimat gekommen, den Hitler schon Jahre zuvor angezettelt und immer wieder fortgesetzt hatte.
 

Die 109 Toten des Angriffs vom 6. November 1944 sind urkundenmäßig registriert, der Öffentlichkeit sind deren Namen und Schicksale aber nicht bekannt. Es waren sicherlich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, Junge und Alte, Zivilisten und Soldaten, Mitglieder der NSDAP und andere, Deutsche und Ausländer. Und jedenfalls ein Toter war ein Opfer des Nationalsozialismus: der 43-jährige Brauereiarbeiter (Mälzer) Franz-Josef Mürb.  Mürb kam im Gefängnis in der Karmeliterstraße („Karmelitergefängnis“) am 6. November 1944 ums Leben.

An dieses umgekommene NS-Opfer und an andere NS-Opfer, die bei den Luftangriffen auf Koblenz ebenfalls im dortigen Gefängnis waren, erinnert unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig in seinem Beitrag: Vor 80 Jahren: der Bombenangriff am 6. November 1944 bringt viel Leid und auch etwas Freud zugleich.

 

Vor 80 Jahren – Bombenangriff am 6. November 1944 bringt viel Leid und auch etwas Freud zugleich

von Joachim Hennig

Am 6. November 2024 erinnert Koblenz an den verheerenden Luftangriff der Royal Air Force (RAF) auf das Zentrum der Stadt. Dabei gab es 109 Tote und 558 Verletzte. Schon zuvor hatte es Luftangriffe auf Koblenz gegeben, auch zahlreiche danach, der vom 6. November 1944 war aber der schwerste Angriff auf die Stadt. Damit war der Luftkrieg in die Heimat gekommen, den Hitler schon Jahre zuvor angezettelt und immer wieder fortgesetzt hatte: mit dem Luftangriff der deutschen Legion Condor auf Guernika im Rahmen des Spanischen Bürgerkriegs am 26. April 1937 mit mehreren Hunderten, wenn nicht gar mehr als 1.000 Toten, mit dem Angriff der deutschen Luftwaffe auf Warschau („Schlacht um Warschau“) im Rahmen des „Blitzkriegs“ gegen Polen im September 1939 mit vielen Zerstörungen, weiter mit dem Bombardement von Rotterdam („Rotterdamer Blitz“) am 14. Mai 1940, das die holländische Hafenstadt weitgehend in Schutt und Asche legte, mit der vollständigen Zerstörung der englischen Stadt Coventry am 14. November 1940 und den monatelangen Bombardements der russischen Stadt Leningrad und der anschließenden Hungerblockade mit mehr als einer Million Toten.

Die 109 Toten des Angriffs vom 6. November 1944 sind urkundenmäßig registriert, der Öffentlichkeit sind deren Namen und Schicksale aber nicht bekannt. Es waren sicherlich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, Junge und Alte, Zivilisten und Soldaten, Mitglieder der NSDAP und andere, Deutsche und Ausländer. Und jedenfalls ein Toter war ein Opfer des Nationalsozialismus: der 43-jährige Brauereiarbeiter (Mälzer) Franz-Josef Mürb. Mürb kam im Gefängnis in der Karmeliterstraße („Karmelitergefängnis“) am 6. November 1944 ums Leben. 

 

  Karteikarte der Gestapo Koblenz betreffend Franz Josef Mürb – Vorder- und Rückseite.

Der in Andernach lebende Franz Josef Mürb war ein „Politischer“ und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Koblenz seit längerem bekannt. In der Zeit der Weimarer Zeit war er Mitglied der SPD, trat aber nicht sehr in Erscheinung. Nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 äußerte er sich mehr und deutlicher, auch an seinem Arbeitsplatz in einer Brauerei. Das machte er so oft und kritisch, dass sein Arbeitgeber - die Nazis nannten diese Leute „Betriebsführer“ - Franz Josef Mürb entließ. Natürlich meldete man ihn auch der Gestapo Koblenz, die in ihrer Karte über ihn vermerkte, er habe „Hetzreden“ gehalten und sei deshalb entlassen worden.

Mürb ließ sich von seinem politischen Interesse und Engagement aber nicht abbringen. Er nahm Kontakt auf zu Kommunisten. Bei einem illegalen Treffen mit ihnen – die KPD wurde nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 verboten und ihre Mitglieder verfolgt – wurde er im Januar 1936 mit anderen festgenommen und kam in Haft. Noch im selben Jahr verurteilte ihn das Sondergericht Köln zu 2 Jahren und 5 Monaten Zuchthaus. Im Juni 1938 wurde er aus der Haft entlassen, musste sich aber ein ¾ Jahr lang regelmäßig bei der Polizei melden.

Als politischer Mensch wollte Mürb über das Geschehen in der Welt, gerade im Weltkrieg nach der Landung in Nordfrankreich beim „D-Day“ am 6. Juni 1944, informiert sein. Dazu hörte er zusammen mit seiner Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Schmid, und seiner verwitweten Mutter Magdalena, geb. Schüttler, die bei ihnen in Andernach wohnte, ausländische Sender. Welche das waren, ist nicht bekannt, im Allgemeinen waren das der BBC in London und der Moskauer Rundfunk. Das war nach der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 verboten und wurde mit Zuchthaus bestraft, leichtere Fälle mit Gefängnis, schwere mit dem Tode. Die drei Mürbs wurden wegen des Radiohörens wohl denunziert, jedenfalls wurden sie am 29. September 1944 festgenommen und in das Karmelitergefängnis eingeliefert. Die beiden Frauen entließ man am folgenden Tag wieder, Franz Josef Mürb wurde als Haupttäter angesehen. Gegen ihn erging Haftbefehl, für die Untersuchungshaft blieb er weiter im Gefängnis und der Oberstaatsanwalt in Koblenz leitete gegen alle drei ein Ermittlungsverfahren ein.

Dann kam es zu dem verheerenden Luftangriff am 6. November 1944. Dabei wurde auch das Karmelitergefängnis getroffen. Es war schon durch den Angriff vom 19. Juli 1944 stark beschädigt worden, blieb aber weiter eingeschränkt in Betrieb. Mit dem Angriff vom 6. November 1944 wurde es dann völlig zerstört.

Karmeliterkirche und Gefängnis nach der Zerstörung am 6. November 1944.

Während sich dafür zumindest das meiste Wachpersonal in Luftschutzräume in Sicherheit bringen konnten, kam das für Gefangene nicht in Frage. So starb Franz Josef Mürb am 6. November 1944 in Untersuchungshaft im Karmelitergefängnis in Koblenz. Die Gestapo meldete nur noch dessen Tod, woraufhin der Oberstaatsanwalt in Koblenz das Verfahren gegen ihn und seine Angehörigen einstellte.

Für andere Häftlinge war die Bombardierung des Gerichtsgefängnisses ein großes Glück. So für den Metternicher Metzger Karl Siegler. Er stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Familie. Schon sein Großvater mütterlicherseits Bernhard David war Händler in Metternich. Seine Mutter Amalie heiratete den neun Jahre älteren Hermann Josef Siegler aus Düngenheim. Er hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1930 in der Trierer Straße 316 eine Metzgerei, in der seine Frau Fleisch und Eier verkaufte. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor, von denen drei im Kindesalter starben. Das zweitjüngste Kind war der 1904 geborene Karl. Er trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Metzger. 1933 heiratete er die Witwe Dorothea Helene Thelen, geb. Rohleder, beide zogen in die Kornpfortstraße in Koblenz.

Offenbar wurde Karl Siegler durch die dann einsetzenden Diskriminierungen und Schikanen erwerbslos. Jedenfalls bezog er Anfang 1938 Wohlfahrtsunterstützung. Dabei gab er Nebeneinkünfte in Höhe von 341 Reichsmark nicht an. Das fiel bei der von allen Juden verlangten Anmeldung ihres gesamten Vermögens auf und führte zu einem Strafverfahren. Genüsslich und diffamierend berichtete das Koblenzer Nationalblatt über diesen „Fall“ und Karl Sieglers Verurteilung in Juni 1938 zu 3 Monaten Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung und der Pogromnacht am 9./10. November 1938 („Reichspogromnacht“) beabsichtigte er, mit seiner Ehefrau nach Südamerika zu emigrieren. Das gelang aber nicht, wahrscheinlich scheitere es bereits an der Ausstellung der Reisepässe. Ende 1940 wurde Siegler – wie es hieß – „wegen Besuchs einer öffentlichen Gastwirtschaft, das (sic!) eine Auseinandersetzung und eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zur Folge hatte, von der Staatspolizeistelle Koblenz 8 Tage (in) staatspolizeiliche Haft (genommen).“

Zu dieser Zeit waren die Eheleute Siegler wahrscheinlich von der Castorstraße 19 in das „Judenhaus“ in der Marktstraße 5 zwangsweise eingewiesen worden. Auch musste Karl Siegler wie viele andere Juden zwangsweise arbeiten, wohl im Straßenbau und beim NS-Kraftfahrkorps. Als „Volljude“ hatte er seit September 1941 auch den Judenstern zu tragen, da half es nicht, dass er mit einer „arischen“ Frau verheiratet war. Diesen Schutz durch die „Mischehe“, der in anderen Bereichen vor dem Schlimmsten bewahrte, verlor er aber, als seine Frau am 10. Januar 1944 starb.

Deren Tod nahm die Koblenzer Gestapo zum Anlass, den in ihren Augen missliebigen und schwierigen Menschen Karl Siegler „loszuwerden“. Sie nahm ihn in „Schutzhaft“ und beantragte seine „Abschiebung nach dem Osten“. Er sollte wie die anderen Koblenzer Juden, die 1942 und 1943 in den Holocaust deportiert wurden, nach Auschwitz gebracht werden. Tatsächlich ordnete das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin am 5. Juni 1944 auch seine Verschleppung dorthin an.

 

Karteikarte der Gestapo Koblenz betreffend Karl Siegler – Vorder- und Rückseite.

Dazu kam es aber nicht, weil - ehe diese Anordnung in Koblenz eintraf - die Westalliierten am „D-Day“ in der Normandie gelandet waren und für Hitler-Deutschland dann anderes vorrangiger war. Stattdessen musste Karl Siegler in seiner Gefängniszelle den Luftangriff am 19. Juli 1944 erleben, bei dem auch das Karmelitergefängnis getroffen wurde. Das war ein schwerer, aber nicht vernichtender Angriff auf das Gefängnis. Von Toten unter den Häftlingen ist nichts bekannt, wir wissen aber, dass manche Zellen zerstört wurden und es kein Wasser und keinen Strom mehr gab.

Nach den Aufräumarbeiten ging der Betrieb eingeschränkt weiter. Es kam sogar zu neuen Einlieferungen. 10 Tage später verschleppte die Gestapo sog. Sippenhäftlinge aus der Umgebung von Koblenz in das Gefängnis. Das waren Lina Lindemann und ihre Tochter Marie-Luise und Therese Kaiser und ihre Tochter Elisabeth. Lina Lindemann, geb. von Friedeburg, war die Ehefrau des Artilleriegenerals Fritz Lindemann, eines wichtigen Mitverschwörers beim Umsturz- und Attentatsversuchs am 20. Juli 1944.

Eheleute Fritz und Lina Lindemann.

Lindemann hatte zuvor seine Ehefrau in Sicherheit gebracht - zu deren jüngerer Schwester Ilse-Margot von Hohenzollern, die mit Prinz Albrecht von Hohenzollern(-Sigmaringen) verheiratet war und auf Burg Namedy bei Andernach lebte. Während Fritz Lindemann nach dem 20. Juli zunächst noch hatte fliehen können und man fieberhaft nach ihm suchte, wurde seine Ehefrau Lina auf Burg Namedy am 28. Juli 1944 festgenommen und mit ihrer Tochter in das Karmelitergefängnis gebracht.

Das gleiche Schicksal traf Therese Kaiser und ihre Tochter Elisabeth. Therese Kaiser war die Ehefrau des ehemaligen christlichen Gewerkschafters und Reichstagsabgeordneten der Zentrumspartei Jakob Kaiser. Er hatte Kontakt zum Widerstand und wurde nach dem 20. Juli 1944 ebenfalls gesucht. Seine Frau hatte Angehörige in (Neuwied-)Irlich, die sie in diesen Tagen zusammen mit ihrer Tochter Elisabeth besuchte. Das war die Familie Mohr, ihr Bruder Josef (Sepp), dessen Ehefrau Katharina (Käthe) und deren Sohn Martin.

Eheleute Sepp und Käthe Mohr mit Sohn Martin

Therese Kaiser und ihre Tochter wurden Anfang August ebenfalls von der Gestapo festgenommen und in das Karmelitergefängnis verbracht.

Drei Wochen später kamen im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 weitere Personen in das Gefängnis. Es waren ehemalige Mandatsträger und Funktionäre der verbotenen bzw. nicht mehr existierenden Parteien. Sie wurden reichsweit „vorsorglich“ im Rahmen der „Aktion Gewitter“ oder „Aktion Gitter“ festgenommen und eingeliefert. Unter ihnen waren zwei Koblenzer Politikerinnen, die frühere SPD-Stadtverordnete Maria Detzel und die ehemalige Landtagsabgeordnete des Zentrums Helene Rothländer.

  Maria Detzel

Während Maria Detzel Ende September 1944 aus der Gestapohaft wieder entlassen wurde, war es bei Helene Rothländer komplizierter. Sie hing – wie es von der Gestapo hieß - „noch ihren alten zentrümlichen Ideen nach“, so dass die „Einweisung in ein KL (…) für angebracht gehalten (wurde).“ Dazu kam es aber nicht, vielmehr wurde sie auf Weisung des Reichssicherheitshauptamtes und nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung am 4. Oktober 1944 aus der Haft entlassen.

Helene Rothländer

Bevor Helene Rothländer freikam, lernte sie Lina Lindemann näher kennen. Diese war zwar in einer Einzelzelle untergebracht, eine wohlwollende Wachtmeisterin erlaubte aber den Kontakt der beiden Frauen. Das ging so weit, dass die Bewacherin Frau Lindemann sogar zu Helene Rothländer ließ, die dort mit anderen Frauen in einer Gemeinschaftszelle war. So kam es zu wiederholten Besuchen mit – wie Helene Rothländer später berichtete – interessanten Gesprächen, gemeinsamen Gebeten und dem Singen von Kirchenliedern. Tochter Elisabeth war in einer anderen Gemeinschaftszelle untergebracht und alsbald weggebracht. Sie erzählte später darüber: „Am schwersten (…) war für mich die Zeit in Koblenz. (…) Wir hatten gutes Essen dort. Die Leitung des Hauses lag in katholischen Händen. Die Vorsteherinnen waren gut, aber entsetzlich ängstlich. Wir lebten mitten unter den Frauen, alles ganz junge, die man auf der Straße aufgelesen hatte. Für eine kurze Zeit ist es gewiss ganz interessant, einmal unter diesen Menschen als ihresgleichen zu leben. (…) Aber besser ist es, allein in einer Zelle zu sein, und Hunger zu haben, aber dafür dir selbst zu gehören.“

So erlebten den schweren Luftangriff am 6. November 1944 u.a. die sechs hier beschriebenen Menschen: der Mälzer Franz Josef Mürb, der ehemalige Metzger Karl Siegler und die „Sippenhäftlinge“ Lina Lindemann und Tochter Marie-Luise und Therese Kaiser und Tochter Elisabeth. Das Bombardement war dieses Mal so verheerend, dass das Karmelitergefängnis total zerstört wurde. Während Franz Josef Mürb bei dem Angriff zu Tode kam, blieben die anderen Fünf unverletzt und waren auf einmal frei. Die englische Luftwaffe hatte sie – ungewollt – freigebombt.

Die so gewonnene Freiheit nutzte Karl Siegler zur Flucht. In dem Chaos verschwand er aus dem Gefängnis und flüchtete in die Eifel, den dort vorrückenden amerikanischen Truppen entgegen. Bis zum Ende des Krieges konnte er sich – auch mithilfe seiner späteren Ehefrau – in einer Mühle auf dem Maifeld verstecken. Die Bomben haben Karl Siegler möglicherweise das Leben gerettet, ihn zumindest vor einer Deportation in das „Altersghetto“/Konzentrationslager Theresienstadt bei Prag bewahrt. Allerdings wäre Anfang November 1944 schon keine Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau möglich gewesen. Denn wegen der im Osten vorrückenden Roten Armee hatte der Reichsführer-SS Heinrich Himmler am 1. November 1944 befohlen, dort die Massenmorde mit Giftgas einzustellen und die Spuren zu verwischen. Dessen ungeachtet wäre Karl Siegler aber höchstwahrscheinlich mit der letzten, der 7., Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt verschleppt worden. Von ihr waren die letzten in Mischehe lebenden Juden und Kinder aus „Mischehen“, die sich zum jüdischen Glauben hielten („Geltungsjuden“), betroffen.

Aus dem Karmelitergefängnis flüchteten auch Therese Kaiser und ihre Tochter Elisabeth und kehrten zur Familie Mohr in (Neuwied-)Irlich zurück. Um nicht als „Illegale“ zu erscheinen, meldeten sie sich vorschriftsmäßig bei der dortigen Polizeistelle an. Das Ergebnis war dann, dass die Gestapo drei Wochen später wieder in Irlich zu Festnahmen erschien - diesmal nicht nur Therese Kaiser und ihre Tochter, sondern auch die Eheleute Sepp und Käthe Mohr, nur deren Sohn Martin ließen sie unbehelligt. Alle vier Festgenommenen brachte man, weil das Karmelitergefängnis völlig zerstört war, nach Altwied. Dort kamen sie mit anderen Gefangenen auf dem Hof der Burg in eine Baracke des Reichsarbeitsdienstes. Anfang Dezember 1944 lud man sie auf einen Lkw und verschleppte sie nach Berlin. Dort gab es pausenlose Verhöre, Schläge und Erniedrigungen. Den Willen konnten sie den Vier aber nicht brechen, sie verrieten nichts, litten aber sehr. Im März 1945 holten man die Vier aus ihren Zellen heraus und verfrachtete sie in das KZ Buchenwald bei Weimar. Dort trafen sie auf Lina Lindemann, die eine Woche zuvor nach Buchenwald transportiert worden war.

Lina Lindemann hatte die Freiheit am 6. November 1944 nicht zur Flucht genutzt. In Sorge und Ungewissheit um das Schicksal ihrer Familie blieb sie im Gefängnis – nichtwissend, dass ihr Ehemann inzwischen schwer verletzt verhaftet worden und gestorben war, ihre beiden Söhne als Soldaten im Felde standen und ihre Tochter mit anderen Kindern der Verschwörer in ein Heim der NS-Volkswohlfahrt nach Bad Sachsa im Südharz gebracht worden war. Daraufhin wurde sie mit den anderen nicht geflohenen Häftlingen aus dem Karmelitergefängnis über die noch brennende Schiffsbrücke nach Ehrenbreitstein getrieben und dort in den Kasematten der Festung untergebracht. Einige Tage später begann für sie eine Odyssee durch fast das ganze damalige Deutschland. Das führte sie über das Gefängnis in Vallendar in das Gefängnis Altenkirchen, Mitte Januar 1945 in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel, dann in das KZ Stutthof bei Danzig, weiter in das Strafvollzugslager der SS und Polizei in Danzig-Matzkau und das „KZ Finkenbruch bei Lauenburg“ (in Pommern). Schließlich kam sie am 9. März 1945 in das KZ Buchenwald.

In Buchenwald steckte man Lina Lindemann und die Kaisers und Mohrs mit anderen „Sippenhäftlingen“ und „Ehren-“ und „Sonderhäftlingen“ abseits des eigentlichen Lagers in eine Isolierbaracke tief im Wald und von SS-Leuten bewacht. Vor der näher rückenden Front brachte man die Häftlinge Anfang April weiter nach Süddeutschland und dann in das KZ Dachau bei München. Ende April fuhr man die insgesamt 139 Gefangenen aus 17 Nationen über den Brenner in das Pustertal in Südtirol. Dort in dem verlassenen Hotel „Pragser Wildsee“ wurden sie Anfang Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit. Nach und nach kehrten sie dann in ihre Heimat zurück.

Die befreiten Sippen- und Sonderhäftlinge im Hotel Pragser Wildsee im Pustertal/Südtirol am 5. Mai 1945.

Auch Karl Siegler kehrte aus seinem Versteck in einer Mühle im Maifeld zurück - in seine alte Heimat Metternich. Dort eröffnete er in dem Haus des ermordeten Julius Marx eine Metzgerei. Jahre später, nachdem er ein Restitutionsverfahren betrieben hatte, verlegte er seinen Betrieb an die alte Stelle in die Trierer Straße 316. Karl Siegler war einer der wenigen überlebenden Koblenzer Juden. Ende der 1950er Jahre engagierte er sich im Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz und war zuletzt (bis zu seinem Tod wohl im Jahr 1968) deren 2. Vorsitzender.

Für Karl Siegler und für die nach dem Krieg wiedergegründete Jüdische Kultusgemeinde war der verheerende Bombenangriff am 8. November 1944 somit ein Glücksfall. So nah liegt manchmal Freud und Leid beieinander.