Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

In der Ausgabe vom 13. Januar 1999 berichtete Hennig über einen polnischen Zwangsarbeiter:

Mieczyslaus J: „...weil ich soviel Hunger hatte und auch viel arbeiten mußte.“

Je länger der Zweite Weltkrieg dauerte je mehr ausländische Arbeitskräfte kamen ins Deutsche Reich. Die ersten waren polnische Kriegsgefangene, später kamen teils freiwillige, vor allem aber zur Arbeit gezwungene „Zivilarbeiter“ aus dem Westen und gerade auch aus dem Osten hinzu. Während des Krieges mußten - als Kriegsgefangene oder als „Zivilarbeiter“ - zwischen 10 und 12 Millionen ausländische Menschen - Männer, Frauen und Kinder - in Deutschland arbeiten.

Einer von ihnen war der im Jahre 1908 in Posen geborene Pole Mieczyslaus J. Er besuchte die deutsche Schule dort. Sein Vater und sein ältester Bruder kämpften im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite: der Vater fiel, der Bruder verlor in den Kämpfen bei Verdun ein Auge. Mieczylaus J. lebte in Polen, war von Beruf Klempner, verheiratet und hatte ein kleines Kind.

Nach dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 kämpfte J. auf polnischer Seite. Wenige Wochen später wurde er verwundet und geriet in deutsche Gefangenschaft. Als er genesen war, entließ man ihn nicht nach Hause, sondern beorderte ihn als „Zivilarbeiter“ nach Traben-Trarbach. Ende 1941 wurde er vom Schöffengericht Koblenz wegen Diebstahls zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Unmittelbar aus dem Koblenzer (Gerichts-)Gefängnis in der Karmeliterstraße kam er zu einen Gastwirt und Winzer in einen anderen Moselort. Dort blieb er aber nur zwei Wochen. Er fiel auf, nachdem er drei Gläser mit eingekochtem Fleisch geöffnet, teilweise verzehrt und dann wieder an ihren alten Platz gestellt sowie aus dem Keller eine angebrochene Flasche Wein ausgetrunken hatte. Im anschließenden Strafverfahren ließ er sich dahin ein, er habe das Fleisch gegessen, weil er nach der Rückkehr aus dem Gefängnis viel Hunger gehabt habe und auch viel habe arbeiten müssen; leergegessen habe er die Gläser nicht, damit das nicht auffiele.

Eine Chance hatte Mieczylaus J. von vornherein nicht. Schon bei der ersten Vernehmung hatte sich die Gestapo Koblenz eingeschaltet und verfügt, daß er nach der Strafverbüßung ihr zugeführt werden sollte; ohne Bestrafung sollte er sofort der Gestapo vorgeführt werden. Bei dieser Sachlage konnte das Koblenzer Sondergericht schon fast entscheiden wie es wollte, es kam eigentlich nicht darauf an. Schließlich verurteilte es ihn aufgrund der neu geschaffenen Polenstrafrechtsverordnung und wegen Diebstahls zu drei Monaten Straflager. Da die Untersuchungshaft angerechnet wurde, hatte er die Strafe nicht zu verbüßen -vielmehr übernahm die Koblenzer Gestapo ihn unmittelbar in der Haft. Was mit Mieczylaus J. dann geschah, ist - wie in sehr sehr vielen solchen Fällen - nicht bekannt.

Für die Polen - wie auch für die Russen - galt damals ein Sonder“recht“. Sie mußten das „P“-Abzeichen tragen, Sperrstunden einhalten, durften keine Gaststätten besuchen u.ä. „Arbeitsbummelei“ konnte je nach der Schwere zur Einweisung in ein Konzentrationslager führen. Auf Geschlechtsverkehr mit einer deutschen Frau stand die Todesstrafe.

Diese Strafen verhängte und vollstreckte die Gestapo im wesentlichen selbst. Zu diesem Zweck besaß die Gestapo Koblenz einen fahrbaren Galgen. Er wurde bei Bedarf auf einen Lkw geladen und zu Exekutionen gefahren - nach Mülheim bei Koblenz, nach Bad Kreuznach, in die Nähe von Bad Neuenahr und anderswohin. Im Anschluß an die Hinrichtungen gab es für das Personal immer ein kleines Saufgelage mit Kognak und belegten Brötchen. Die Leichen der Polen wurden unterdessen in das Anatomische Institut der Universität Bonn verbracht.

Joachim Hennig in Rhein-Zeitung vom 13. Januar 1999