Die Artikelserie endete in der Rhein-Zeitung vom 25. Januar 2001 mit einer Kurzbiografie der „Sippenhäftlinge“ Lina und Marie-Luise Lindemann:
In „Sippenhaft“ Opfer der Nazis
Letzter Teil der RZ-Serie über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 25. Januar 2001: Lina und Marie-Luise Lindemann
In ihrem unbändigen Hass gegen Andersdenkende und Widerständler verfolgten die Nationalsozialisten nicht nur diese selbst, sondern auch deren Familienmitglieder als „Sippenhäftlinge“. Solche Opfer wurden vor allem Angehörige von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944. Zwei von ihnen waren Lina Lindemann und ihre Tochter Marie-Luise.
Frau Lindemann war mit dem Artilleriegeneral Fritz Lindemann verheiratet. Er war im Laufe der NS-Herrschaft ihr Gegner geworden und am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. Als die Gestapo davon erfuhr, fahndete sie nach ihm, verhaftete ihn und verletzte ihn dabei so schwer, dass er am 22. September 1944 in Berlin starb. Während dieser Zeit befand sich Frau Lindemann im Schloss Namedy bei Andernach. Dort führte sie ihrer Schwester Ilse-Margot von Hohenzollern-Sigmaringen, die mit dem Prinzen Albrecht v. Hohenzollern verheiratet war und die einen Unfall erlitten hatte, vorübergehend den Haushalt. Am 28. Juli 1944 verschleppte die Gestapo Frau Lindemannn nach Koblenz ins Karmelitergefängnis. Es folgten Verhöre, die erst nach dem Tod ihres Mannes - von dem sie aber nichts erfuhr - aufhörten. Auch während der Luftangriffe war sie im Koblenzer Gefängnis. In dem anschließenden Chaos hätte sie fliehen können, sie blieb dort aber aus Rücksicht auf ihre Tochter und die übrige Familie. Dann verschleppte man sie über die Gefängnisse in Vallendar und Altenkirchen in das Frauen-KZ Ravensbrück und schließlich in das KZ Stutthof bei Danzig. Dort traf sie mit aus anderen Teilen Deutschlands herangeschafften „Sippenhäftlingen“ der Familien Stauffenberg, Goerdeler u.a. zusammen. Nach dem Willen der „Sonderkommission 20. Juli“ sollte ihnen ein Verfahren wegen Mitwisserschaft und Beihilfe an dem Attentat gegen Hitler vor dem Volksgerichtshof gemacht werden. Doch es kam anders. Da die russische Armee näher rückte und sie nicht in ihre Hände fallen sollten, verschleppte man sie weiter in mehrere Konzentrationslager im Westen und Süden, bis sie Ende April 1945 im KZ Dachau ankamen. Von dort transportierte man sie noch nach Tirol, wo sie Anfang Mai 1945 von den Amerikanern in ihre Obhut genommen wurden.
Unterdessen war die zehnjährige Tochter Marie-Luise - wie Frau Lindemann erst nach der Rückkehr ins Nachkriegs-Deutschland erfuhr - ebenfalls zum „Sippenhäftling“ der Nazis geworden. Die Gestapo hatte das Kind am 25. August 1944 aus Namedy abgeholt. Wie andere Kinder von „Verschwörern des 20. Juli“ auch verschleppte man sie in ein Kinderheim in Bad Sachsa/Harz. Als der Plan, die Kinder zur Umerziehung in Nazifamilien unterzubringen, scheiterte, entließ man die Mehrzahl von ihnen, 14 Kinder - darunter auch Marie-Luise - blieben aber. Sie sollten vor allem ihre Herkunft vergessen. Über das Schicksal ihrer Eltern erzählte man ihnen nichts, die Fotos von ihnen nahm man ihnen weg, trennte sie von den Geschwistern und verbot ihnen, ihre Familiennamen zu gebrauchen. Schließlich erhielten sie neue Namen - so sollte aus Marie-Luise Lindemann „Krause“ werden.
Auch nach Kriegsende lebten die Kinder zunächst im Heim, wurden dann aber von einer Verwandten Stauffenbergs befreit. Erst im Spätsommer 1945 sahen sich Frau Lindemann und ihre Tochter Marie-Luise in Namedy wieder.