Daweli Reinhardt-Biografie in 3. Auflage erschienen
Rechtzeitig zum Weihnachtsfest ist die seit einiger Zeit vergriffene Biografie des Koblenzer Sinto Daweli Reinhardt erschienen: „100 Jahre Musik der Reinhardts – Daweli erzählt sein Leben“. Der Zeitpunkt ist mit Bedacht gewählt, denn es besteht guter Grund, sich dieses Ausnahmemusikers und seines Lebensschicksals sowie des seiner Familie zu erinnern. Denn Daweli („Alfons“) Reinhardt ist im Sommer 80 Jahre alt geworden. Diesen runden Geburtstag konnte er aber schon nicht mehr im großen Rahmen feiern, ist er doch schwerkrank und leidet seit einigen Jahren unter der immer weiter fortschreitenden Parkinson-Krankheit. Aber seine Musik ist so spritzig wie eh und je, sie lebt und klingt gerade jetzt zur Weihnachtszeit live in seinen Kindern, Enkeln und weiteren Familienangehörigen weiter. So zum Beispiel bei Dawelis Neffen Lulo Reinhardt, seinem ältesten Sohn Mike und bei Diego Reinhardt. Sie spielen am Mittwoch, dem 12. Dezember 2012, beim Sinti-Kultur- und Musikfest „The Night of Gipsy-Music“ in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz. Oder bei Dawelis Sohn Django Reinhardt, der nach zahlreichen Gipsy-Christmas-Veranstaltungen in der Region bei einer Gala mit Band, Chor und Orchester am Montag, dem 17. Dezember 2012, in Löf seinen 50. Geburtstag feiert.
Daweli Reinhardt (2003)
Aber nicht nur „Gipsy-Christmas“ ist Anlass für die 3. Auflage von Daweli Reinhardts Lebensgeschichte. In diesen Tagen jährt sich zum 70. Mal der „Auschwitz-Erlass“. Damals, am 16. Dezember 1942, befahl der „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“ Heinrich Himmler die Auswahl von „zigeunerischen Personen“ „nach bestimmten Richtlinien“, um deren Deportation „in ein Konzentrationslager“ vorzubereiten. Dieser „Auschwitz-Erlass“ ist heute nicht mehr auffindbar, Sein Inhalt ergibt sich aber aus dem folgenden Geschehen. In den erhalten gebliebenen Ausführungsbestimmungen vom 29. Januar 1943 heißt es dazu zur „Einweisung von Zigeunermischlingen, Rom-Zigeunern und balkanischen Zigeunern in ein Konzentrationslager“: „Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad Familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz.“, sowie: „Die Familien sind möglichst geschlossen, einschließlich aller wirtschaftlich nicht selbständigen Kinder, in das Lager einzuweisen. Soweit Kinder in Fürsorgeerziehung oder anderweitig untergebracht sind, ist ihre Vereinigung mit der Sippe möglichst schon vor der Festnahme zu veranlassen. In gleicher Weise ist bei Zigeunerkindern zu verfahren, deren Eltern verstorben, im Konzentrationslager oder anderweitig verwahrt sind.“
In exakter Ausführung des „Auschwitz-Erlasses“ wurden am 10. März 1943 aus Koblenz und Umgebung 147 „Zigeuner“ in das „Zigeunerlager“ des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Unter den Verschleppten waren auch Daweli Reinhardt und seine Familie. In seiner Biografie heißt es dazu: „Am 10. März 1943 ist unsere ganze Familie – bis auf Lullo, der zuvor schon in das KZ Dachau verschleppt worden war – von Koblenz aus zusammen mit vielen anderen Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Das werde ich nie vergessen, obwohl ich damals erst zehn Jahre alt war. Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, kann sich dies beim besten Willen gar nicht vorstellen oder ausmalen. Das, was ich jetzt schildere, habe ich zu einer Zeit erlebt, in der Kinder heutzutage wohlbehütet in der Familie leben und vielleicht im 3. oder 4. Schuljahr die Schule besuchen. Es ist die Zeit der 1. hl. Kommunion.“
Als Zehnjähriger erlebte Daweli Reinhardt „die Hölle von Auschwitz“, war Lagerläufer und immer wieder unter unsäglichen, menschenunwürdigen Verhältnissen von Mord und Totschlag bedroht. Sehr eindrucksvoll schildert er in der Biografie das Lagerleben und wie ihn und die anderen immer wieder eins quälte: Hunger, Hunger, Hunger. Bei einer Selektion in Auschwitz-Birkenau gelang es Daweli, mit seinen Familienangehörigen ins Konzentrationslager Ravensbrück zu gelangen. Von da aus verschleppte man ihn weiter ins KZ Sachsenhausen. Von Sachsenhausen aus trieben ihn die SS-Leute zusammen mit seinem Bruder Josef („Busseno“) auf den „Todesmarsch“. Auch den überlebten die beiden. Wochen später kehrten sie nach Koblenz und in die Feste Franz zurück. Daweli schildert die Rückkehr so: „Vergeblich haben wir nach unserer Familie Ausschau gehalten. Erschöpft und traurig setzten wir uns dort auf einen Stein. Mein Bruder Josef fing an zu weinen und auch ich vergoss Tränen. Uns war klar, dass unsere Mutter und die jüngeren Geschwister die Konzentrationslager nicht überlebt hatten, denn sonst wären sie nach der inzwischen seit der Befreiung vergangenen Zeit mit Sicherheit nach Lützel zurückgekehrt. Ich tröstete gerade meinen Bruder und auch mich selbst damit, dass wir jetzt fort von hier gingen in eine andere Stadt, um dort gemeinsam ein neues Leben anzufangen. Da plötzlich stürzt ein jungen Mädchen aus einem kleinen grünen Häuschen heraus und ruft lauthals: ‚Mama, Mama, da sind Daweli und Busseno!’ Sofort kommt meine Mutter aus dem Häuschen herausgeschossen, die Kinder hinterher. Die Freude ist reisengroß. Meine Mutter und meine Geschwister haben sich geradezu kaputt geweint.“
Daweli Reinhardt (vorn in der Mitte mit Gitarre) und seine Familie, um 1971.
Auch Dawelis Vater und seine beiden älteren Brüder Bernhard und Karl überlebten den Völkermord an den Sinti und kehrten nach Koblenz zurück. Sein Vater betrieb dann eine zeitlang einen Zirkus, bei dem Daweli als Artist und Musiker auftrat. Bald heiratete Daweli seine Frau Waltraud („Trautchen“), die ersten Kinder kamen zur Welt, Daweli war danach „Schroddeler“ und einer der Koblenzer „Altstadt-Kings“. Seine Karriere als Musiker begann er Mitte der 1960er Jahre mit Schnuckenack Reinhardt und dem von ihnen wieder entdeckten „Swing deutscher Zigeuner“. Beizeiten gab er sein Können und Wissen als Sologitarrist seinen fünf Söhnen weiter: an Mike, Bawo, Django, Sascha und Moro. Bis auf Django, der sich mehr auf den Gesang verlegt hat, spielen alle heute noch Gitarre und treten in unterschiedlicher Besetzung auf.
All dies hat Daweli Reinhardt dem Autor seiner Biografie Joachim Hennig vor nunmehr 10 Jahren erzählt. Das Buch erschien gerade noch rechtzeitig zum Gipsy-Swing-Konzert auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein am 28. Juni 2003. Es war das letzte Mal, dass Daweli Reinhardt öffentlich auftrat – aber wie: zusammen mit seiner Familie und mit Weggefährten aus der Musikszene. Noch bis in die tiefe Nacht saß und spielte man/frau zusammen an einem großen Lagerfeuer und genoss den Sinti-Swing „made in Koblenz“.
Damals begann auch die Erfolgsgeschichte von Dawelis-Biografie. 2006 war die 1. Auflage vergriffen. Bald gab es eine 2. Auflage, die der Förderverein Mahnmal Koblenz zusammen mit seiner Ausstellung „’Wir können nur vorwärts, denn hinter uns ist der Tod.’ NS-Opfer aus der Region Koblenz und Neuanfang vor 60 Jahren“ zum Gedenktag für die Opfer des National-sozialismus am 27. Januar 2007 im Landtag von Rheinland-Pfalz präsentierte.
Ein Höhepunkt in dem sehr ereignisreichen Leben Daweli Reinhardts war die Verleihung des Landesverdienstordens Rheinland-Pfalz am 18. Dezember 2009 durch den damaligen Kultusstaatssekretär Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig im Rathaus in Koblenz. Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann nannte Daweli eine „Persönlichkeit mit außergewöhnlicher Güte und Größe“.
Blickt man auf das Leben Daweli Reinhardts zurück, so es ein Stück Geschichte mit allen Auf und Ab, was den Menschen und gerade der Minderheit der Sinti widerfahren konnte und widerfahren ist: Es ist ein bewegendes Stück Koblenzer und auch deutscher Geschichte des vergangenen 20. Jahrhunderts, ein Stück Schicksalsgeschichte der ungeliebten, diskriminierten und dann verfolgten und ermordeten deutschen Sinti und ein Stück Erfolgsgeschichte der Koblenzer Musikerfamilie Reinhardt. Das Zwischenergebnis nach „100 Jahre Musik der Reinhardts“ ist heute durchaus positiv, möge es so bleiben und noch einiges besser werden. Das wünschen sich Daweli Reinhardt und mit ihm viele andere auch. Also: Auf die nächsten 100 Jahre!
Daweli Reinhardt bei der Verleihung des Landesverdienstordens Rheinland-Pfalz an ihn, Dezember 2009
(ihm gratulierend: Kulturstaatssekretär Prof. Dr. Hofmann-Göttig, rechts neben Daweli sitzend: seine Frau Trautchen und sein ältester Sohn Mike).
Buchtipp: Daweli Reinhardt/Joachim Hennig: 100 Jahre Musik der Reinhardts – Daweli erzählt sein Leben. 3. ergänzte Auflage, Verlag Dietmar Fölbach, Koblenz, ISBN 978-3-934795-24-2, Preis: 6.-- €