Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Vor 70 Jahren: Gedenken an die 1. Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung am 22. März 1942.

Zum 70. Jahrestag der 1. Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung am 22. März 1942 erinnerte unser Förderverein an den unmittelbaren Beginn des Holocaust. Dazu gab er eine Presseerklärung heraus.

 

Lesen Sie HIER die Presseerklärung unseres Fördervereins zum 70. Jahrestag der 1. Deportation jüdischer Bürger aus Koblenz und Umgebung am 22. März 2012 

Für uns heute Lebenden ist es immer wieder eine historisch und moralisch bedingte Verpflichtung, uns an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Denn diese Menschen und ihre Angehörigen sollen wissen, dass sie nicht vergessen sind. Sie und ihre Schicksale sollen uns mahnen: „Nie wieder!“ – Nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Antisemitismus, nie wieder Menschenverachtung, nie wieder Krieg. Richtig, aber so leicht gesagt, mag man denken. Sicherlich, das konsequente Handeln danach ist nicht immer leicht. Es gibt die „wenn“ und „aber“, die Zwischentöne, die Kritik, die da und dort berechtigt, ja nötig ist. Sie kann aber nichts am Maßstab des Menschlichen, des Humanen ändern. Er ist der Gradmesser für uns alle, um zwischen „gut“ und „böse“ und „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden. Eine Hilfe für die Justierung dieses Gradmessers kann die Geschichte des Nationalsozialismus sein, gerade auch der Blick auf das Ende.

An diesem Ende stand der Völkermord an den europäischen Juden, der Holocaust oder die Shoa wie man ihn auch nennt. Am Anfang stand Judenhass und christliche Judenfeindschaft, am Ende Auschwitz, der größte Friedhof der Welt. Vor 70 Jahren, am 22. März 1942, begann auch in Koblenz und Umgebung die Deportation der Juden, ihre massenhafte Verschleppung, zunächst in die Vorhölle der Ghettos in Ostpolen und dann in die Hölle der Vernichtungslager, auch nach Auschwitz.

Damals lagen bereits mehr als neun Jahre der systematischen Ausgrenzung und Vertreibung hinter ihnen. Aus Nachbarn waren Juden geworden und aus Juden dann keine Menschen, sondern - wie der oberste Parteirichter der NSDAP bereits 1938 sagte – eine „Fäulniserscheinung“. Wer irgendwie konnte, hatte Deutschland verlassen, legal oder illegal, mit oder ohne Besitz. Zurück geblieben waren die Alten, Verarmten und Kranken und alle die, die an Deutschland hingen und den Deutschen einen solchen Zivilisationsbruch nicht zutrauten. Die allermeisten mussten diese Liebe und dieses Vertrauen mit ihrem Leben bezahlen.

Ab Herbst 1941 war eine Auswanderung auch offiziell nicht mehr möglich, gleichzeitig begannen im Westen die ersten Deportationen. Sie galten u.a. Juden aus Trier und aus Frankfurt/Main. Nach der sog. Wannsee-Konferenz, auf der Heydrich am 20. Januar 1942 15 Vertreter aller „zuständigen“ Behörden über die Organisation des geplanten Völkermordes an 11 Millionen europäischen Juden informierte, begann ab Mitte März 1942 eine weitere Deportationswelle. Betroffen hiervon waren dann die jüdischen Bürger von Koblenz und Umgebung. Sie waren bereits wirtschaftlich, sozial und kulturell ausgegrenzt, in sog. Judenhäusern konzentriert und mit dem „Judenstern“ stigmatisiert. Sie wurden in Listen aufgeführt und kurz vorher über ihre – wie es hieß - „Evakuierung in den Osten“ benachrichtigt.

50 Reichsmark und 50 Pfund Gepäck durften sie mitbringen. 337 Juden aus der Stadt und dem damaligen Kreis Koblenz hatten sich dann in der Turnhalle in der Steinstraße einzufinden. Ihre letzte Nacht in Koblenz mussten sie in drangvoller Enge, auf Stroh und unter notdürftigen Bedingungen verbringen. Am Sonntagmorgen wurden von der Gestapo ihre Vermögensverhältnisse geregelt – mit der Deportation verloren sie die deutsche Staatsangehörigkeit und zugleich ihr Vermögen zugunsten des Reiches. Das war der „bürgerliche Tod“. Um 14.00 Uhr – zur besten Spaziergehzeit – trieb die Gestapo die jüdischen Nachbarn vor den Augen aller, die es sehen wollten, durch die Steinstraße, dann die Mosel entlang, am jüdischen Friedhof vorbei, über die Balduinbrücke zum Güterbahnhof Lützel zum damaligen Eingang Mayener Straße.

Die Menschen, Männer, Frauen und Kinder pferchte man in Personenwagen 4. Klasse und in Güterwagen, das Gepäck in die letzten Wagen. Diese Waggons wurden abgehängt und blieben in Koblenz: Tage später konnte man sie in der jüdischen Leichenhalle von der Gestapo kaufen, abends wurden die Sachen in den Altstadtkneipen weiter verkauft.

Zu der Zeit waren die jüdischen Nachbarn bereits an ihrem Zielort angekommen: das polnische Dorf Izbica bei Lublin im besetzten „Generalgouvernement“, an der Bahnlinie Lublin-Belzec. Die meisten der 4000 Einwohner waren polnische Juden – verklärend gesagt fast ein jüdisches „Schtetl“, tatsächlich ein armseliges Provinznest, mit zumeist primitiven Holzgebäuden. Dann verschleppten die Nazis im März 1942 noch deutsche, österreichische, tschechische und slowakische Juden dorthin. Am Tag bevor die Juden aus Koblenz ankamen, trieb die Gestapo über 2200 Juden aus Izbica zum Bahnhof und verschleppte sie in das Vernichtungslager Belzec, wo sie noch am selben Tag mit Giftgas ermordet wurden.

In die so geleerten Häuser mussten die Koblenzer: Mehr als zehn Familien in ein Haus, 400 Menschen allein in der Synagoge oder einfach auf der Straße. Zur Überfüllung kamen starke Unterschiede. Die polnischen Juden lebten ärmlich, waren tief religiös, orthodox, und wurden mit der hoffnungslosen Lage besser fertig. Die „westlichen“ Juden waren „kultivierter“, besser gekleidet, erweckten Neid und wurden als jüdische Gestapo-Leute verschrien. Arbeit gab es für sie praktisch keine. Flucht wurde mit dem Tod bestraft.

Für uns heute, die wir von den Deportationen in die Vernichtungslager wissen, ist es bemerkenswert, dass die Koblenzer und die westlichen Juden insgesamt zunächst in Izbica blieben. Sie konnten sogar Karten und kleine Briefe an ihre Angehörigen schreiben und Päckchen und Pakete erhalten. Das alles war natürlich zensiert und reglementiert und daher nicht aussagekräftig. Aber es waren Lebenszeichen wie dies, das Bertha Schönewald (früher: Hohenstaufenstraße 1 in Koblenz) am 12. April 1942 an ihre nach Palästina geflüchteten Kinder sandte: „Liebste Kinder. Bin gesund, hoffe Zeit zu überwinden. Habe große Sehnsucht. Lasset Irene und Lotte auch lesen. Euer Wohlergehen setze voraus. Umgehend Nachricht Herzliche Küsse Mutter.“

Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Wir wissen nur, dass es am 18. und 19. Oktober 1942 eine Razzia gab, nach der Tausende von Menschen in Züge verladen wurden, die zwischen Izbica und den beiden Vernichtungslagern Belzec und Sobibor hin und her pendelten. An diesem „Schwarzen Tag von Izbica“ wurden etwa 500 Juden erschossen. Am 2. November schließlich verschleppte man die meisten noch verbliebenen Juden in das Vernichtungslager Sobibor. Wer zu fliehen versuchte, wurde aufgegriffen und wer die anschließenden Qualen noch überlebte, wurde auf den jüdischen Friedhof von Izbica an den zuvor angelegten Massengräbern erschossen.

Dieser 1. Deportation folgten weitere: die 2. am 30. April 1942 mit 105 Menschen vor allem aus Bendorf-Sayn mit unbekanntem Zielort, die 3. am 15. Juni 1942 mit 342 Personen aus der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn nach Izbica, die 4. am 27. Juli 1942 mit 79 Menschen ins Konzentrationslager Theresienstadt, die 5. am 28. Februar 1943 mit den Eheleuten Dr. Hugo und Senta Bernd sowie Sally und Flora Hermann ins Vernichtungslager Auschwitz, die 6. am 16. Juni 1943 mit den Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel ins KZ Theresienstadt und die 7. Deportation am 18. Februar 1945 mit Juden aus sog. Mischehen.

Die Erinnerung an diese jüdischen Nachbarn hält der Förderverein Mahnmal Koblenz mit Lebensbildern von Einzelpersonen wach. So z.B. an die 13-jährige Hannelore Hermann und ihre Eltern Leo und Johanna und an den Rechtsanwalt Dr. Arthur Salomon, seine Frau Alma und ihre achtjährige Tochter Ruth. An sie erinnern auch Stolpersteine vor dem Haus Johannes-Müller-Straße 6 und Friedrich-Ebert-Ring 8.


Am 70. Jahrestag der 1. Deportation wird der Förderverein Mahnmal Koblenz zusammen mit Schülerinnen und Schülern der Diesterweg- und der Hans-Zulliger-Schule insgesamt 12 Biografien von aus Koblenz „in den Osten“ Deportierten am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz anbringen. Die Zeremonie findet statt am Donnerstag, dem 22. März 2012, um 10.00 Uhr am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz.


Zusammenstellung der Namen der jüdischen NS-Opfer aus Koblenz, denen der Förderverein Mahnmal Koblenz am 22. März 2012 anlässlich des 70. Jahrestages der 1. Deportation der Juden aus Koblenz besonders gedenkt:

(11) Selma Grünewald
(20) Juristenfamilie Brasch
(22) Hannelore Hermann
(40) Jakob van Hoddis
(41) Familie Hugo Bernd
(42) Eheleute Treidel
(43) Heinz Kahn
(44) Addie Bernd
(45) Eva Salier
(50) Familie Isaak Hein
(63) Familie Arthur Salomon
(64) Georg Krämer

Diese war Grundlage für den nachfolgenden Artikel im Koblenzer Lokalanzeiger „Der Schängel“ vom 21. März 2012 HIER lesen 

Zum Gedenken an die jüdischen Opfer aus Koblenz und Umgebung brachte unser Förderverein gemeinsam mit Schülerinnen und Schüler der Diesterweg-Schule und der Hans-Zulliger-Schule Biografien dieser ehemaligen Bürger am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz an.

Lesen Sie dazu HIER eine Kurznotiz des Koblenzer Lokalanzeigers

weitere hierzu passende Artikel der lokalen Presse:

Lokalanzeiger vom 22.Aug 2012 HIER lesen

Rhein Zeitung vom 16. 06. 2012 HIER lesen

Blick aktuell vom 12. Juni 2012 HIER lesen

Artikel über die Familie Wilhelm Kahn HIER lesen

Artikel über Polcher Juden HIER lesen