Gedenken an die Novemberpogrome 1938
Am 8. November 2015 gedachten die Jüdische Kultusgemeinde Koblenz und die Christlich-Jüdische Gesellschaft für Brüderlichkeit und mit ihnen viele Koblenzer der Novemberpogrome von 1938. Die Pogrome vom 9. auf den 10. November 1938, die oft verharmlosend „Reichskristallnacht“ oder - auch nicht viel besser - „Reichspogromnacht“ genannt werden, waren eine Wegmarke des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. Sie standen am Übergang von der Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden zu ihrer völligen Entrechtung und Vernichtung - dem Holocaust, der Shoa.
Nach den tödlichen Schüssen des 17-jährigen Herschel Grünspan am 7. November 1938 auf den Legationsrat Ernst vom Rath in Paris rief Goebbels mit Einverständnis Hitlers zu „spontanen Vergeltungsaktionen“ gegen „die Juden“ auf. SA, SS und die Gestapo wurden mobilisiert. Überall im Reich brannten die Synagogen. Am 11. November lag das offizielle Zwischenergebnis vor: 815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesetzte oder zerstörte Warenhäuser, 171 in Brand gesetzte oder zerstörte Wohnungen. 191 Synagogen waren in Brand gesteckt, 76 weitere vollständig demoliert. Dazu kamen Gemeindehäuser, Friedhofskapellen und andere jüdische Einrichtungen. Fast 100 Juden wurden ermordet worden, noch mehr hatten Verletzungen erlitten. Ca. 30.000 Männer verschleppte man in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen.
Auch in Koblenz wüteten die Nazis. Zerstört wurden 13 bzw. nach einer anderen Zählung 19 Geschäfte und 36 bzw. 41 Wohnungen, jüdische Mitbürger wurden misshandelt. Trupps zerstörten die Synagoge am Florinsmarkt. In Brand gesteckt wurde sie allerdings nicht - die Nachbarhäuser sollten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber der Friedhof wurde geschändet und die Leichenhalle verwüstet. Etwa 100 Männer wurden in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald verschleppt.
All dies geschah in Koblenz. Aber nicht nur in unserer unmittelbaren Nähe, sondern auch in der Umgebung: in Kobern, in Vallendar, in Bendorf, in Neuwied, in Mülheim, in Ochtendung usw. usw., im Koblenzer Raum in ca. 50 Orten - und überall in Deutschland, ohne dass sich Entsetzen, Mitleid oder Widerstand manifestierte.
Im Strafurteil des Landgerichts Koblenz von 1951 wurde eine strafrechtliche Aufarbeitung dieses Novemberpogroms in Koblenz versucht. Es ist in einer sehr nüchternen Sprache abgefasst und beschreibt u.a. die Vorfälle im Haus Kaiser-Friedrich-Straße 53. Beispielhaft für den auch in Koblenz wütenden Terror der Nazis wird auszugsweise die Passage zu der "Aktion" dort wieder gegeben. Dazu heißt es in dem Urteil:
Ein weiterer Zerstörungstrupp im Bereich der (SA-)Ortsgruppe Roon betätigte sich im Hause Kaiser-Friedrich-Straße 53, in dem die jüdischen Familien Wassermann, Bernd und Oster sowie einige weitere Juden zur Untermiete wohnten. Von den Mitgliedern dieses Trupps ist lediglich der Angeklagte E. bekannt, über die etwa 15 Mittäter konnte, abgesehen von der Person des inzwischen verstorbenen Ortsgruppengeschäftsführers Dunkel, nichts ermittelt werden. Es ist dies im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Täter, um sich unkenntlich zu machen, die Kopfbedeckung nach Verbrecherart ins Gesicht gezogen hatten.
Am Morgen (…) befand sich der Angeklagte E. auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle. Unterwegs merkte er, dass eine Aktion gegen die Wohnungen der Juden im Gange war und begab sich wieder zu seinem Haus zurück. Vor dem Hause, etwa gegen 8 Uhr, traf er den Geschäftsführer der Ortsgruppe Roon und einige weitere nicht ermittelte Männer in Zivil, die im begriffe waren, die Wohnungen der im Hause Kaiser-Friedrich-Straße 53 wohnhaften jüdischen Familien aufzusuchen. E. zeigte zunächst die im 2. Stock des Hauses befindliche Wohnung des Juden Wassermann und ging dann mit dem Trupp in die Parterrewohnung des Juden Bernd. Der Angeklagte zerschlug hier mit einem Stuhlbein vor den Augen des krank zu Bett liegenden Bernd ein Nachtschränkchen sowie in der Speisekammer ein Regal.
Danach ging der Angeklagte mit den übrigen Leuten des Trupps auch durch die Wohnungen Oster und Wassermann. Als er sich wieder nach unten begeben wollte, traf er vor der Wohnung Wassermann den Hausverwalter der Eigentümerin des Hauses, der Jüdin Oster, der ebenfalls im Hause wohnte. Der Angeklagte sagte zu den umstehenden Männern: „Der da ist auch ein Judenfreund“, stürzte sich auf ihn und schlug ihn zu Boden. (…)
Der Angeklagte E. hat sich an den Zerstörungen der Wohnungen seiner eigenen Hausgenossen und nächsten Nachbarn beteiligt, mit denen er zu Teil seit mehr als acht Jahren unter einem Dache wohnte.
So weit einige Feststellungen aus dem Urteil des Landgerichts Koblenz von 1951 zu dem Novemberpogrom hier in Koblenz. Übrigens: Die strafrechtliche Aufarbeitung des Novemberpogroms misslang nach dem Krieg – aber nicht nur hier in Koblenz, sondern in vielen anderen Städten auch.
Den Novemberpogromen folgte eine beispiellose Diskriminierung und Ausgrenzung der Juden aus der Öffentlichkeit sowie eine Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben. Damit aber nicht genug: Keine zehn Monate nach den Novemberpogromen entfesselte Hitler den Zweiten Weltkrieg. Was dann folgte, war der Völkermord, der Holocaust, die Shoa – dieses unbeschreibliche Verbrechen an den europäischen Juden.
Auch 77 Jahre nach diesen Verbrechen ist es unsere Aufgabe, die Erinnerung daran wachzuhalten und diese an die nächste Generation weiter zu geben. Lesen Sie deshalb den Artikel in "Blick aktuell" über die Gedenkveranstaltung.
Foto Natascha Desgronte, Blick aktuell :
Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung verlegte Oberbürgermeister Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig für die Stadt Koblenz einen Kranz am Mahnmal für die jüdischen Opfer des Holocaust auf dem jüdischen Friedhof in Koblenz nieder.
Einen Bericht von Blick aktuell lesen Sie bitte HIER