Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Meuchelmord in Laubenheim/Nahe
 
Am Donnerstag, dem 15. September 2016, hält unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig einen Vortrag mit Powerpoint-Präsentation in Bad Kreuznach. Die Veranstaltung findet statt in der dortigen Heimatgeschichtlichen Zentralbibliothek (Hospitalgasse 6) um 18.30 Uhr und hat das Thema: "Meuchelmord in Laubenheim". In seinem 1 1/2 -stündigen Vortrag wird Hennig über die Ermordung eines abgeschossenen amerikanischen Fliegers im Oktober 1944 in Laubenheim und über die Beschäftigung der Gerichte in Bad Kreuznach und anderswo mit diesem Verbrechen berichten. Die Besucher erwartet ein spannendes Stück Kriegs-, Nachkriegs- und Justizgeschichte von Bad Kreuznach und Umgebung.

Der Eintritt ist frei.

Presse:
Wochenspiegel Bad-Kreuznach v. 07.09.2016  HIER lesen

Oeffentlicher Anzeiger Bad-Kreuznach v, 12.09.2016 HIER lesen


Aktueller Presselink:

Oeffentlicher Anzeiger vom 22.09.2016 HIER lesen

Lesen Sie HIER auch:

Joachim Hennig: Der Meuchenlmord von Laubenheim. Ein Stück Kreuznacher Justizgeschichte, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, 42. Jg. (2016), S. 379 - 464.

 


 

Update: Den nachstehenden Vortrag hat unser Stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig am 15.September 2016 gehalten

 

Der Meuchelmord von Laubenheim – Ein Stück Justizgeschichte von Bad Kreuznach

Vortrag bei der Stiftung Haus der Stadtgeschichte Bad Kreuznach, am 15. September 2016

von Joachim Hennig

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ich freue mich, heute wieder bei Ihnen in Bad Kreuznach zu sein. Schon des Öfteren habe ich hier den einen oder anderen Vortrag zur jüngsten Geschichte von Bad Kreuznach und Umgebung gehalten.

 

Wer mich kennt, weiß, dass ich immer recht schwere Themen im Gepäck habe. So ist es auch diesmal. Das Thema verspricht harte Kost und die Ankündigungen in den Zeitungen haben es ja schon deutlich gemacht. Das ist Vergangenheit, die nicht vergeht und die auch nicht vergehen soll. Das ist die Geschichte, die wir alle irgendwo in unserem kollektiven Gedächtnis haben bzw. haben sollten – damit wir uns der Opfer der NS-Verbrechen erinnern und wir unsere Wertmaßstäbe für ein friedliches und respektvolles Miteinander weiter schärfen.

 

Begeben wir uns auf eine Zeitreise. Die Zeit stoppt zunächst im Februar 1953. Damalige „Wutbürger“ aus Bad Kreuznach und Umgebung hatten links und rechts des Eingangs zum Landgericht, das damals im Casinogebäude untergebracht war (heute: „Brückes 1“) den Text geschmiert: „Weg mit Schott – Freiheit für Tesch“. Unter dem Schriftzug „Weg mit Schott“ war ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen gemalt. Das war die „Begleitmusik“ zu dem Schwurgerichtsprozess des Landgerichts unter dem Vorsitz des Amtsgerichts-direktors Schott gegen den Weingutbesitzer Tesch.

 

Um was ging es? Es ging um den Langenlonsheimer Weingutbesitzer und ehemaligen SS-Obersturmführer Kurt Tesch. Dort war er 1910 als Landwirts- und Winzersohn in eine sehr – sagen wir – national gesinnte Familie hinein-geboren. Nach der mittleren Reife am Staatlichen Realgymnasium hier in Bad Kreuznach arbeitete er im elterlichen Betrieb und besuchte die Provinzial-Lehranstalt für Weinbau, Obstbau und Landwirtschaft ebenfalls hier in Bad Kreuznach. Interessant ist für uns sein Engagement als „Führer“ in der Freizeit. Erst war er ein kleiner „Führer“ in der Pfadfinderbewegung, dann Wehrsportführer dieser Bewegung in der Landesmark Mittelrhein. Schließlich überführte er sich und seinen Verband in die Hitler-Jugend, trat der Allgemeinen SS und der Reichswehr bei und war als Ausbilder und in Stabsstellungen der SS in der hiesigen Region tätig. Nach dem Tod seines Vaters und seiner Heirat konzentrierte er sich mehr auf den landwirtschaftlichen und Winzerbetrieb. Der Betrieb war inzwischen ein Reichserbhof. Nach „großen Leistungen“ als Unterführer der Waffen-SS beim Überfall auf Polen und im sog. Westfeldzug, wurde er als Kompaniefeldwebel mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Später sagte er stolz:

 

Im Alleingang holte ich mir dort als erster Spieß das EK, obwohl mein Platz eigentlich beim Tross gewesen wäre.

 

Noch in dieser Phase der „Blitzkriege“ und vor dem Überfall auf die Sowjetunion („Unternehmen Barbarossa“) wurde Tesch Ende 1940 u.k (“unabkömmlich“ wegen seines Betriebes) gestellt. Dadurch schied er aus der Waffen-SS wieder aus und kam in die Allgemeine SS. Neben seinem Betrieb widmete er sich – wie er so schön formulierte – den Aufgaben dieser Formation, also der SS. Dazu gehörte außer der Fürsorge für die Verwundeten und die Angehörigen der gefallenen der Waffen-SS unter anderem die Sorge um den Nachwuchs der Waffen-SS. Auch war er Leiter eines sog. Einsatzsturms. Es war seine Aufgabe, der Bevölkerung vor Ort in schwierigen Lebenslagen zu helfen, etwa bei der Einbringung der Ernte und auch nach Luftangriffen. Das muss er – auftragsgemäß – gut gemacht haben, denn nach dem Krieg haben ihm manche Einwohner von Langenlons-heim gerade auch darüber sog. Persilscheine ausgestellt.

 

Doch damit nicht genug. Im Rahmen seines Einsatzes vor Ort nahm er an der einen oder anderen „Tagung“ der SS im „Kloster Tiefenthal“ teil. Das seit dem 12. Jahrhundert bestehende Kloster Tiefenthal bei Eltville im Rheingau war inzwischen – wie viele andere Klöster auch – von den Nazis beschlagnahmt worden. Erst machten sie daraus eine BDM-Schule. Im Herbst 1943 zogen 250 SS-Männer ein und richteten dort eine Spionageabteilung mit einer Funkstation ein. Im Sommer 1944 übernahm der SS-Jagdverband Südwest das ehemalige Kloster und machte aus ihm (auch?) eine Kampfschule. Im September 1944 wurden Männer zur Ausbildung an die Kampfschule Kloster Tiefenthal befohlen.

 

Einer von ihnen war Kurt Tesch. Der Lehrgang dauerte zwei bis drei Wochen. Das war für die „einfachen“ Lehrgangs-teilnehmer. Tesch war wegen seiner „Fronterfahrung“ und seiner „tadellosen Haltung“ für Höheres vorgesehen. Er sollte ein Führer von zwei noch aufzustellenden Kommando-einheiten werden. Die Ausbildung dafür schloss sich an den Lehrgang an und dauerte mindestens bis Anfang November 1944. Später beschrieb Tesch die Ausbildung so:

 

Die Ausbildung bestand in der Schulung von Sabotageakten aller Art. Es wurde die gesamte Sprengtechnik für Verkehrsobjekte gelehrt, ferner wurde uns die Technik an sämtlichen Handfeuerwaffen der Gegner beigebracht, ferner wurde gelehrt, Sprengstoffe und Gifte aus handelsüblichen Präparaten selber herzustellen. Bei den erwähnten Giften handelte es sich vor allem um Berührungsgifte und ähnliche Chemikalien, anzuwenden, um Gegner hinter der Front zu schädigen. Um keine Unklarheiten aufkommen zu lassen, betone ich, dass diese Gifte von uns angewendet werden sollten, wenn wir als einzelne hinter den feindlichen Linien unsere Sabotagetätigkeit ausführen sollten. Es wurden ferner Fragen des praktischen Einsatzes, die mit diesen Sabotageakten zusammenhängen, behandelt.

 

Tesch erläuterte noch, dass diese beiden Einheiten sog. Werwolf-Einheiten gewesen seien; Maßnahmen gegen die deutsche Zivilbevölkerung seien aber nicht vorgesehen gewesen.

 

Wegen dieser umfangreichen und länger dauernden Ausbildung in Tiefenthal fiel es ihm schwer, seinen Betrieb ordnungsgemäß zu versehen. Um ihm dabei zu helfen, erteilte man ihm eine Ausnahmegenehmigung. Danach durfte er nach Dienstschluss in der Woche und am Sonntagvor-mittag die Kampfschule verlassen und nach Hause fahren. Dazu benutzte Tesch ein Motorrad und den kürzesten Weg: Mit einer Ausnahmegenehmigung konnte er die Hindenburg-brücke, die damals das rechtsrheinische Rüdesheim und Geisenheim mit dem linksrheinischen Bingen verband und eigentlich eine Eisenbahnbrücke war, befahren. So war er schnell über den Rhein in Bingen und dann die Nahe hinauf in Langenlonsheim.

 

So war es auch am Sonntag, dem 15. Oktober 1944. Tesch war wieder einmal mit seinem Motorrad vom Rheingau über die Hindenburgbrücke die Nahe hinauf unterwegs. In Bingerbrück machte er Station bei einem Geschäftsfreund und SS-Kameraden, dem Weinhändler und Hauptsturmführer (Hauptmann) der Waffen-SS Rütz. Diesen traf er aber nicht an, weil gerade Fliegeralarm gegeben wurde. So fuhr er weiter ins Naheland.

 

Es war ein heller, klarer Morgen und alles war an Rhein und Nahe friedlich - bis auf das Knattern von Teschs Motorrad. In wenigen Tagen sollte die Weinlese beginnen. Die Bevölkerung war beim Kirchgang oder schon beim Frühschoppen. Zwar machte der Krieg gewisse Vorkehrungen nötig, war aber doch noch weiter entfernt. Der Ortsgruppenleiter von Laubenheim und mehrere Leute arbeiteten an einer Panzersperre am Ortseingang. Zudem war in Laubenheim eine leichte Flakeinheit stationiert. Aber auch bei ihr ging es friedlich zu. Einige Soldaten waren ebenfalls beim Frühschoppen, ein anderer reparierte ein Fahrzeug.

 

In dieser Beinahe-Idylle gab es bald Fliegeralarm. Ursache dafür war ein US-Jagdbomber, eine B-24 Liberator der 389. Bomber Group. Diese hatte mit anderen Flugzeugen das Treibstofflager in Reisholz bei Düsseldorf angegriffen. Dabei wurde sie von der Flak getroffen, so dass sie die Formation verlassen musste und der Pilot versuchte, entlang der vorgeschriebenen Route heim zu fliegen. Beim Überfliegen von Langenlonsheim wurde die Maschine von der im Bahnhof liegenden schweren Eisenbahnflakbatterie über Heddesheim (heute ein Teil der Ortsgemeinde Guldental) abgeschossen. Die zehnköpfige Besatzung des Bombers versuchte sofort, mit dem Fallschirm abzuspringen. Einem Besatzungsmitglied, dem 23-jährigen technischen Unter-offizier Richard J. Ellwart, gelang das nicht. Offensichtlich verließ er das Flugzeug ohne Fallschirm und war beim Aufprall auf Heddesheimer Boden sofort tot.

 

Die anderen neun gingen am Fallschirm nieder. Die meisten von ihnen landeten rechts der Nahe auf rheinhessischem Gebiet. Jedenfalls einer schwebte auf Laubenheim zu. Er landete östlich der Ortslage von Laubenheim in der Gemarkung Schützenkopf, in den Weinbergen oberhalb des Dreschplatzes. Bei diesem Flieger handelte es sich um den 24-jährigen Unteroffizier Eugene Kalinowsky.

 

Er war schon länger von Laubenheim aus beobachtet worden. Sehr viele Einwohner des Ortes eilten zur Landestelle. Als erste waren zwei Soldaten in Uniform der in Laubenheim stationierten leichten Flakeinheit an Ort und Stelle. Sie nahmen Kalinowsky fest. Er war gesund und unverletzt, lediglich am Kopf hatte er eine kleine Brandwunde. Einer der beiden Soldaten hatte zuvor noch seinem Einheitsführer im Ort Meldung vom Niedergang eines feindlichen Fliegers gemacht. Der andere Soldat war daher schneller am Landeplatz und schilderte das Geschehen später wie folgt:

 

Die Maschine hatte sich etwa in 2.500 Meter Höhe befunden. Ich suchte mir sofort einen niedergehenden Fallschirm aus und war, als dieser zur Landung ansetzte, noch etwa 10 Meter von dem amerikanischen Soldaten entfernt. Ich forderte ihn sofort auf, die Hände hoch zu heben und seine Papiere herauszugeben und seine Waffen. Der Gefangene war sehr anständig, leistete keinerlei Widerstand und Waffen hatte er nicht bei sich. Ich war darüber sehr froh, dass die Sache so glatt abging, denn ich hatte auch keine Schusswaffe dabei, sondern bloß mein Seitengewehr. Mit dem hatte ich natürlich wild gefuchtelt, um bei dem Gefangenen Furcht und Schrecken zu erwecken. Ich forderte ihn nun auf, seinen Fallschirm zusammenzuraffen und einige Schritte vor mir herzugehen. Ich wollte ihn auf die Dienststelle (seiner leichten Flakeinheit in Laubenheim, Erg. d. A.) führen und dort abliefern. Dieser Aufforderung ist der Gefangene widerspruchslos nachgekommen. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten mit ihm. Inzwischen hatte sich eine größere Menschenmenge angesammelt, Kinder, erwachsene Leute und liefen hinter dem Gefangenen und mir her. Dabei wurden Drohungen laut und die Leute waren über den gefangenen Flieger aufgebracht.

 

Inzwischen hatten sich weit über 100 Schaulustige eingefunden, Männer, Frauen und Kinder, „einfaches Volk“ und Funktionäre des NS-Staates und der Partei, Deutsche und Ausländer – polnische und französische Zwangsarbeiter, die in Laubenheim arbeiten mussten.

 

Zu der Menge hatte sich auch der SS-Untersturmführer Tesch gesellt. Er war mit seinem Motorrad nach Laubenheim gefahren und hatte es an der Ecke der von Bingerbrück nach Langenlonsheim führenden Straße („Hauptstraße“, heute: Naheweinstraße) und dem hoch in die Weinberge gehenden „Hohlweg“ („Hungergraben“, heute: Hohlstraße) am Haus „Schnell“ abgestellt. Seinen Militärmantel und sein Koppel zog er aus und verstaute alles in den Packtaschen des Motorrades. Um seine Pistole nicht beim Motorrad zu lassen, steckte er sie lose in die (Hosen-)Tasche. Er wollte - wie er sich einließ - zu seinen oberhalb von Laubenheim gelegenen Weinbergen gehen und dort nach dem Rechten sehen.

 

Auf dem Weg hinauf sah er den niedergehenden Flieger und begab sich zu dessen Landestelle. Dort traf er auf die Menschenmenge und schloss sich ihr an. Die Menge setzte sich alsbald in Bewegung. Angeführt wurde sie vom Bürger-meister des Ortes, gefolgt von den beiden Flaksoldaten, die den amerikanischen Flieger in ihrer Mitte hatten. Kalinowsky machte einen verängstigten und niedergeschlagenen Eindruck und trug seinen Fallschirm immer noch mit beiden Händen vor seiner Brust. Hinter dieser Gruppe gingen der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Laubenheim, SS-Untersturmführer Tesch und andere Funktionsträger.

 

Die Menschen in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl waren dem amerikanischen Flieger ablehnend-feindlich gesonnen und äußerten das auch. Es fielen Worte wie: „Gangster, Mörder von Frauen und Kindern und Schlagt ihn tot!“ Aber es gab keine Tätlichkeiten gegen den Gefangenen. Während das „einfache Volk“ Kalinowsky übel beschimpfte und verlangte, dass er „umgelegt“ werden solle, gerieten die hinter den Soldaten gehenden Funktionsträger in einen Disput darüber, wer für ihn zuständig wäre und was mit ihm geschehen sollte. Dabei reklamierte der Ortsgruppenleiter, der zugleich örtlicher Führer der Landwacht war, den Gefangenen für sich. Die beiden Soldaten und ein weiterer Soldat der leichten Flakeinheit ließen keinen Zweifel aufkommen, dass Kalinowsky ihr Gefangener sei und dass sie ihn zu ihrer Batteriebefehlsstelle und ihrem Einheitsführer im Ort bringen würden. Tesch beteiligte sich an diesen Beschimpfungen und Diskussionen kaum. Überhaupt verhielt er sich unauffällig.

 

Der Weg führte sie alle den Feldweg, den Hohlweg („Hungergraben“) in den Ort hinab. Als sie den Ortsrand erreichten – an die Scheune Renner und das Haus Jäger kamen -, zog Tesch unvermittelt seine Pistole und rief dem an der Spitze gehenden Bürgermeister mehrmals zu, er möge ein Stück zur Seite treten. Aus nächster Entfernung schoss Tesch Kalinowsky hinterrücks ins Genick. Dieser fiel vornüber und blieb auf der rechten Straßenseite in seinem Blut liegen. Kalinowsky röchelte noch. Ein Laubenheimer Bürger stieß wohl mit dem beschuhten Fuß noch gegen dessen Kopf und sagte dabei: „Es ist gut, dass du verrecken musst, du Hund!“

 

In der Menschenmenge riefen die Umstehenden: „Tesch hat ihn erschossen.“ Ein weiterer Flak-Soldat kümmerte sich um Kalinowsky. An dessen Hinterkopf stellte er eine Einschuss-wunde fest, konnte an der Stirn aber keine Ausschusswunde erkennen. Sofort schickte der Soldat nach einem Sanitäter. Der traf schnell ein und stellte den Tod des Fliegers fest. Als er die Umstehenden fragte, wer den Schuss abgegeben habe, sah er, wie Tesch weglief. Dann bestieg Tesch unbehelligt sein am Haus Schnell abgestelltes Motorrad und fuhr davon – zunächst wiederum nach Bingerbrück zu seinem SS-Kamera-den Rütz, den er zuvor wegen des Fliegeralarms nicht ange-troffen hatte, und dann nach Hause, nach Langenlonsheim.

 

Zwei Soldaten der leichten Flak-Einheit hoben den toten Kalinowsky vom Weg auf, legten ihn an das nächstgelegene Haus und deckten ihn mit seinem Fallschirm zu. Die Reaktion der Umstehenden war unterschiedlich. Einige äußerten, es sei gut, dass er „verreckt“ sei. Die meisten Zuschauer missbilligten aber Teschs Tat. Der Grund dafür lag einmal in der Tat selbst, aber vor allem auch in die Sorge, dass sie und ihr Ort von den näher rückenden Amerikanern zur Verantwortung gezogen werden könnten.

 

Die beiden Flak-Soldaten, die den Flieger gefangen genommen hatten, meldeten das Geschehen sodann ihrer Dienststelle im Ort. Auf der Schreibstube herrschte ein ziemliches Durcheinander, einen schriftlichen Bericht fertigten sie nicht. Aber sie teilten den Vorfall dem dort anwesenden Schreiber mündlich mit und lieferten Kalinowskys Papiere, ein paar Päckchen Zigaretten und den Fliegerproviant ab.

 

Ein anderer Soldat der Flak-Einheit meldete den Vorfall dem Einheitsführer. Dieser reagierte empört und rief sofort die Feldgendarmerie und das Büro des Gauleiters Simon in Bad Kreuznach an, um den Vorfall anzuzeigen und eine Untersuchung zu veranlassen. Er gab seinen Soldaten noch den Befehl, den toten Flieger mit allen militärischen Ehren beizusetzen. Dann konnte er sich aber nicht mehr um die Angelegenheit kümmern, weil er zu einer Besprechung nach Köln musste. Dort wurde die Verlegung der Batterie verfügt, so dass er dann auch sehr schnell Laubenheim verließ.

 

Bald darauf wurde der tote Kalinowsky vom Tatort weggeschafft und beim ersten Haus am Ortsrand in zwei Meter Abstand von der Hauswand gelagert. Während der Tote dort lag, waren immer noch zahlreiche Schaulustige versammelt. Einem von ihnen hatte der Ortsgruppenleiter den Auftrag erteilt, sich um den Toten zu kümmern. Nach dessen Darstellung will er – erst jetzt – den Kopf des toten Fliegers mit dem Fuß leicht zur Seite gestoßen und zu den anderen gesagt haben: „Jetzt guck e mal, was dem die Haare verbrannt sind.“

 

 Sodann brachte man den toten Kalinowsky ins Spritzenhaus von Laubenheim. Wie er dahin kam ist unklar, entweder mit einem von Bürgern von Laubenheim geführten Fuhrwerk oder mit einem von einem Flak-Soldaten herbeigerufenen Sanka-Wagen oder mit einem Lkw.

 

Kalinowsky wurde im Spritzenhaus in einen provisorischen Sarg gelegt und dort aufgebahrt. Als man seine Beerdigung plante, erfuhr man von dem anderen Besatzungsmitglied, Richard Ellwart, der ohne bzw. mit defektem Fallschirm abgesprungen und beim Aufprall in der Gemarkung Heddesheim ums Leben gekommen war.

 

Für Ellwart war eine Beerdigung auf dem dortigen Friedhof in die Wege geleitet worden. Der Tote von Laubenheim, Kalinowsky, sollte mit ihm begraben werden. Am folgenden Tag, am Montag, dem 16. Oktober 1944, hob der Friedhofs-wärter von Heddesheim deshalb zwei Gräber aus. Das gestaltete sich aber wegen der herrschenden Trockenheit als schwierig. Die Arbeit war noch nicht fertig, als am Abend einige Soldaten der Flak-Einheit mit einem Wehrmachts-Lkw die Leiche aus Laubenheim nach Heddesheim brachten. Sie stellten den Sarg zu dem Toten von Heddesheim. Das Geschehen in Laubenheim war auch in Heddesheim allgemein bekannt und man sprach darüber, dass Tesch den Flieger erschossen hatte. Die Beerdigung der beiden toten amerikanischen Flieger, Richard Ellwart und Eugene Kalinowsky, fand am folgenden Tag, am Dienstag, dem 17. Oktober 1944, auf dem Gemeindefriedhof von Heddesheim statt. - Erwähnt sei noch, dass beide Tote dort nicht mehr liegen. Sie wurden exhumiert und auf dem amerikanischen Ehrenfriedhof Hamm in Luxemburg bestattet. Kalinowsky überführte man auf Wunsch der Familie in die USA und beerdigte ihn in seiner Heimatstadt.

 

Tesch berührte der Vorfall ersichtlich nicht. Am nächsten Morgen war er in aller Frühe mit seinem Motorrad schon wieder auf dem Weg zur Kampfschule Tiefenthal. Dort erstattete er seinem Chef Meldung von dem Vorfall. Bald erfuhr auch der Chef der SS der Region – wenn Sie so wollen der „Himmler“ u.a. des NS-Gaues Moselland, zu dem damals auch das Naheland gehörte -, der Höhere SS- und Polizeiführer Rhein-Westmark Jürgen Stroop von dem Geschehen. 10 Tage später bestellte er Tesch zu sich und sagte – so Tesch später – zu ihm: „hart bleiben“.

 

Was auch immer das bedeuten mag: die beiden Männer verstanden sich und kamen sich auch privat näher. In diesen Tagen lud Tesch Stroop zu einem Schlachtfest und zu einem Besuch in seinem Weingut in Langenlosheim ein. Und die beiden hatten dann einen zünftigen Herrenabend zusammen. Beides – der Vorfall in Laubenheim und der Herrenabend in Langenlonsheim - tat sicherlich ein Übriges, dass Tesch – wie es vorgesehen war – nach Abschluss der Lehrgänge mit Führungsaufgaben betraut wurde. Er wurde Werwolf-Führer und übernahm eine von zwei Kompanien im Wehrkreis XII.

 

Der Mord an Eugene Kalinowsky am 15. Oktober 1944 in Laubenheim hatte für Tesch in der Endphase des Krieges und auch zunächst danach keine Konsequenzen. Vielmehr konnte er bis zuletzt seinen Kampf für Hitler-Deutschland und gegen die Alliierten ganz unbehelligt weiterführen. Diesen betrieb er offensichtlich mit großem Erfolg, dafür wurde er zuletzt noch vom SS-Untersturmführer (Leutnant) zum SS-Obersturmführer (Oberleutnant) befördert.

 

Mit dem „Verschwinden“ des Nationalsozialismus verschwand auch Tesch. Er tauchte unter und lebte – wie später bekannt wurde – jahrelang in Lützelsachsen (heute ein Stadtteil von Weinheim an der Bergstraße). Dort war er als Untermieter bei einer Witwe unter dem falschen Namen Kurt Thielmann untergekommen.

 

Tesch hatte allen Grund unterzutauchen. Denn unmittelbar nach der Besetzung des besiegten Deutschlands und der Befreiung ganz Europas begann überall eine Suche nach Überlebenden, Opfern und Tätern. Ein wichtiger Bereich für die Alliierten waren dabei die alliierten Opfer des Luftkrieges und deren Täter – hatten doch die Amerikaner und Briten über dem europäischen Kontinent etwa 27.000 Flugzeuge sowie 152.000 Piloten und Besatzungsangehörige verloren. Rund 61.000 alliierte Flieger gerieten dabei in Gefangenschaft. Recht viele von ihnen kamen ums Leben – wobei die Umstände des Todes bisweilen unbekannt waren und auch heute noch sind.

 

Diese Nachforschungen der Amerikaner gab es auch in Laubenheim. Sie führten zur Internierung des Laubenheimers, der den noch röchelnden oder schon toten Eugene Kalinowsky mit dem Schuh mehr oder minder heftig getreten hatte. Nach zwei Jahren kam er aber ohne Verfahren wieder frei. Das war alles, was es an Konsequenzen aus dem „Meuchelmord in Laubenheim“ (zunächst) gab.

 

Anders war es bei den sog. Fliegerprozessen der Alliierten. Diese wurden vor allem von den Amerikanern betrieben und fanden im ehemaligen Konzentrationslager in Dachau statt. Die danach benannten „Dachauer Fliegerprozesse“ bestanden aus mehr als 200 Verfahren. Das bedeutendste dieser Prozes-se betraf Teschs SS-Vorgesetzten. Er richtete sich gegen den Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) „Rhein-Westmark“, Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei Jürgen Stroop. Zur Erinnerung: Das war der SS-Vorgesetzte Teschs, der ihn zehn Tage nach dem Mord an Eugene Kalinowsky zu sich nach Wiesbaden bestellte und ihm sagte: „hart bleiben“. Es war auch der, mit dem Tesch auf seinem Weingut das gemütliche Beisammensein beim Herrenabend hatte. Neben Stroop gab es noch 21 weitere Angeklagte. In dem Sammel-verfahren standen auch zwei Vorgesetzte Teschs von der Kampfschule Tiefenthal vor Gericht.

 

Von diesem Prozess wissen wir, dass sich alle 22 Angeklagten für nicht schuldig erklärt haben. Das Gericht informierte sich ausführlich über die Erlasse, Anordnungen, Befehle usw. deutscher Dienststellen aus den Jahren 1940 bis 1944, in denen es um die Behandlung alliierter Flieger ging, die in die Hände deutscher Soldaten oder Zivilisten fielen. Diese Dokumente bildeten die Grundlage für seine Entscheidungsfindung. In ihrer Gesamtschau kam das Gericht zum Ergebnis, dass es sich bei den Tötungen und Misshandlungen der abgestürzten alliierten Flieger um einen allgemeinen Plan des Naziregimes gehandelt habe. Weiterhin wies das Gericht den Angeklagten nach, dass sie diese Anordnungen, Befehle usw. kannten und auf dem Dienst- und Befehlsweg auch weitergegeben hatten. Das bestritten die Angeklagten auch nicht.

 

Die meisten von ihnen verteidigten sich damit, dass sie bei der Weiterleitung dieser Befehle und bei den ihnen zur Last gelegten konkreten Tötungen der Flieger „befehlsgemäß“ gehandelt hätten. Um schwere Nachteile für sich bis hin zu einer eigenen Einweisung in ein Konzentrationslager abzuwenden, hätten sie so handeln müssen wie sie gehandelt haben. Deshalb könnten sie dafür nicht bestraft werden.

 

Dabei waren die Verteidigungsstrategien Stroops einerseits und die der anderen Angeklagten, seinen seinerzeit Untergebenen, andererseits diametral entgegengesetzt. Stroop spielte den Ahnungslosen, beschimpfte seine damaligen Untergebenen und behauptete, keinen Befehl zur „Liqui-dierung“ der abgeschossenen Flieger gegeben zu haben.

 

Ganz anders äußerten sich die 21 Mitangeklagten Stroops nach dem Dachauer Fliegerprozess, und zwar wie folgt:

 

Während der Verhandlung benahm er sich wie ein Schwein. Er spielte den Ahnungslosen. In Dachau habe er „zum ersten Mal in seinem Leben“ von allem erfahren. Er belastete ungerührt seine Mitangeklagten, und nur deshalb wurden viele zum Tode verurteilt, dreizehn von insgesamt zweiundzwanzig Angeklagten. Stroop als Höherer Führer der SS und Polizei hatte alle Befehle und Anordnungen herausgegeben, aber im Gerichtssaal behauptete er steif und fest, dass seine Untergebenen auf eigene Verantwortung die amerikanischen Flieger umgebracht hätten. (…) Hätte er wenigstens einen Teil der Schuld auf sich genommen, hätte er zugegeben, dass er als höherer Befehlshaber der SS und Polizeiführer in der Rhein-Westmark den Befehl gab, die gefangen genommenen Flieger zu erschießen – denn das hat er doch getan – dann hätten die Amerikaner in Dachau nicht so viele schlichte Befehlsempfänger zum Tode verurteilt. (…) Stroop spielte den großen Herrn, hielt sich demonstrativ von dem „minderen Volk“ fern, obwohl es doch seine Mitangeklagten und dazu „Kameraden von der SS“ waren.

Das Gericht setzte sich eingehend mit dem Komplex „Handeln auf Befehl“ auseinander, und zwar im Allgemeinen wie auch im Speziellen mit Stroops Befehlen und ihrer Bedeutung für seine damaligen Untergebenen und nunmehrigen Mitangeklagten. Im Grundsätzlichen schloss es sich deren Argumentation nicht an. Nur ausnahmsweise erkannte das Gericht im „Handeln auf Befehl“ einen Strafmilderungsgrund an, wenn die Angeklagten nachweisen konnten, dass sie tatsächlich den Befehl zu einer solchen Tat erhalten hatten, dass sie nicht wussten und nicht gewusst haben konnten, dass die begangene Tat ein Unrecht war und im Widerspruch stand zu allgemein anerkannten Maßstäben menschlichen Verhaltens. Weiter mussten sie beweisen, dass sie - bis zu einem gewissen Grad zumindest - unter unmittel-barem Zwang handelten.

 

Am 21. März 1947 verkündete das Gericht die Urteile: Stroop wurde zum Tode verurteilt, ein unmittelbarer Chef von Teschs Kampfschule Tiefenthal ebenfalls zum Tode und der andere Chef von Tesch erhielt eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Da war es natürlich für Tesch sehr gut, nicht dabei zu sein. Immerhin wurde das Todesurteil gegen einen Chef von Tesch Ende 1947 auch vollstreckt.

 

Danach entwickelte sich das aber durchaus zu Teschs Vorteil. Stroop wurde von den Amerikanern nicht hingerichtet, sondern an Polen ausgeliefert. Und im Übrigen schlug die Stimmung um. Das hatte vor allem außenpolitische Gründe. Inzwischen gab es die Währungsreform in den drei Westzonen, die Sowjetunion hatte die Berlin-Blockade begonnen und hielt sie sehr lange durch. Der Kalte Krieg begann. Dafür brauchte man Verbündete. Deutschland sollte und wollte ein Partner des Westens werden.

 

Da war es schwierig, die Kriegsverbrecher so zu behandeln wie bisher und die Urteile – wie entschieden – zu vollstrecken. Das galt umso mehr, als die übergroße Mehrheit der Deutschen die Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen nicht anerkennen wollte und die Prozesse der Alliierten als „Siegerjustiz“ diffamierte. Manche Unzuläng-lichkeiten der Prozesse waren ein guter Hebel, um eine Revision der Urteile zu erreichen oder ihre Vollstreckung ganz oder teilweise abzuwenden. Dies bot den Amerikanern die Möglichkeit, „Gnade vor Recht“ ergehen zu lassen. Schon bald gab es für die im Gefängnis einsitzenden verurteilten Kriegsverbrecher Strafnachlässe und Amnestien.

 

In diesem Umfeld durfte sich Tesch Hoffnungen machen, dass über den „Vorfall“ in Laubenheim inzwischen Gras gewachsen war und er deswegen auch nichts zu befürchten hatte. Diesen Hoffnungen ließ er bald Taten folgen und er bereitete sein „Wiederauftauchen“ vor.

 

Dazu gehörte vor allem, dass er entnazifiziert wurde. Dieses Verfahren betrieb er nicht selbst, sondern schickte seine Ehefrau vor. Sie legte auch recht zahlreiche Leumund-zeugnisse, sog. Persilscheine für Tesch vor. In ihnen war von dem „Meuchelmord in Laubenheim“ keine Rede. Und so kam es, dass Teschs Ehefrau bescheinigt wurde, dass er

 

voraussichtlich nicht in die Gruppe der Belasteten oder Hauptschuldigen eingereiht würde, wenn er sich heute einem politischen Säuberungsverfahren unterwerfen müsste.

 

Und dann, am 22. Mai 1952, war Tesch wieder in Langen-lonsheim. Das war schon schlau gemacht - aber trotzdem sollte ihn seine jüngste Vergangenheit einholen. Nicht alle Langenlonsheimer stellten ihm „Persilscheine“ aus und hatten seine Tötung des amerikanischen Fliegers Kalinowsky in Laubenheim vergessen. Zumindest einer von ihnen zeigte Teschs Rückkehr bei der Ortspolizei Langenlonsheim an. Daraufhin wurde Tesch am folgenden Tag in Langenlons-heim vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag erließ das Amtsgericht Bad Kreuznach gegen ihn Haftbefehl wegen Fluchtgefahr.

 

Dann ging das so seinen Gang. Im Ermittlungsverfahren wurden Tesch und auch verschiedene Zeugen vernommen. Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach erhob Anklage gegen ihn wegen Mordes, weil er – das sollte noch ein Knackpunkt werden – den amerikanischen Flieger „heimtückisch“ getötet und damit ermordet hatte. Das Landgericht Bad Kreuznach ließ die Anklage dann zu – allerdings nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlages, weil das Gericht das Merkmal der „Heimtücke“ nicht als erfüllt ansah.

 

Damit waren die Knackpunkte des Prozesses benannt: Zum einen die Frage, ob Tesch die Tötung Eugene Kalinowsky hinterrücks aus nächster Nähe „heimtückisch“ im Sinne des Mordparagrafen begangen hatte. Und zum anderen die Frage, die auch schon bei den Dachauer Fliegerprozessen eine große Rolle spielte, und die Teschs Verteidigung natürlich auch in diesem Prozess problematisierte: das „Handeln auf Befehl“.

 

In dem Prozess ließ sich Tesch dahingehend ein, dass Stroop beim Besuch des Lehrgangs im Kloster Tiefenthal den Teilnehmern eine Ansprache gehalten hatte. In deren Rahmen ging er – so Tesch –

 

auch (…) auf die Entwicklung des Luftkrieges und die millionenfachen völkerrechtswidrigen Verbrechen gegen (die) deutsche Zivilbevölkerung ein, deren Tatsachen ja doch jedem bekannt waren, und befahl er, jeden feindlichen Flieger, wo immer er auch sei, zu töten, um sie somit an dem Abwurf ihrer Bomben außerhalb der von der Flak gesicherten Zielräume zu hindern, ja sogar um zu erreichen, dass sie einen Feindflug verweigern.

 

Der so behauptete Befehl Stroops an die Lehrgangs-teilnehmer war dann der Dreh- und Angelpunkt des Prozesses. Denn er hatte entscheidende Bedeutung für die beiden erwähnten Knackpunkte.

 

Das galt zum einen für den Knackpunkt der „Heimtücke“ beim Mord. Denn Tesch ließ sich im Verfahren dahingehend ein, dass er, als er die ersten Häuser von Laubenheim wieder erreicht habe, sein am Haus Schnell abgestelltes Motorrad gesehen habe. Blitzartig sei ihm dabei der Befehl Stroops eingefallen, der von ihm verlangt habe, jeden feindlichen Flieger zu töten.

 

Und zum anderen war ein solcher Befehl natürlich für den Knackpunkt „Handeln auf Befehl“ wichtig. Und damit für einen Schuldausschließungsgrund oder einen Strafausschlie-ßungsgrund für die Tat.

 

Diese Knackpunkte entschied das Landgericht Bad Kreuznach mehr oder minder zugunsten von Tesch. Das war aus mehreren Gründen fehlerhaft bzw. problematisch. Grob fehlerhaft war es, dass das Gericht überhaupt einen solchen Befehl Stroops als bewiesen angenommen hat. Damit soll hier nicht die Problematik der sich widersprechenden Einlassungen der Angeklagten in den Dachauer Fliegerprozessen noch einmal erörtert werden. Nein. Das Landgericht Bad Kreuznach hat auf jeden Fall einen ganz schlichten Kunstfehler begangen. Der liegt darin, dass das Gericht nie – auch nicht durch die eidliche Vernehmung eines SS-Kameraden Teschs, der ebenfalls auf dem Lehragang war – geklärt hat, wann genau diese angebliche Äußerung Stroops auf dem Lehrgang gefallen sein soll. Schließlich war Tesch von September bis mindestens Anfang November 1944 zum Lehrgang im Kloster Tiefenthal. Da kann – wenn überhaupt – diese Äußerung vor dem 15. Oktober 1944 oder auch nach dem 15. Oktober 1944 gefallen sein. Und wenn nicht einmal das Datum als bewiesen feststeht, dann steht ja auch nicht fest, dass Tesch vor dem Vorfall in Laubenheim den Befehl erhalten und aufgrund dieses Befehls gehandelt hat. Dann kann Tesch auch nicht beim Anblick seines Motorrades in Laubenheim plötzlich der Befehl Stroops eingefallen sein.

 

Nur angedeutet werden kann hier, dass es noch weitere Umstände gab, die gegen ein zwingendes Handeln Teschs auf Befehl sprechen. Ein Aspekt ist, dass Tesch – wie er entgegen seiner früheren Darstellung in der Haupt-verhandlung nach einer Zeugenaussage zugeben musste – nicht von Bingerbrück nach Laubenheim gefahren war. Vielmehr fuhr er erst an Laubenheim vorbei und nach Hause nach Langenlonsheim. Von Langenlonsheim aus fuhr er dann zurück nach Laubenheim. Es war ihm also erst in Langenlonsheim „eingefallen“, nach Laubenheim zu fahren. Das ist natürlich eine ganz andere Darstellung des Geschehens und ein ganz wichtiger Umstand. Bei dieser Tatvorgeschichte drängt es sich nämlich auf, dass Tesch nicht bei der Kontrolle seiner Weinberge das Geschehen in Laubenheimrein zufällig mitbekommen hatte, sondern dass er ganz gezielt nach Laubenheim zurückgefahren ist – und zwar offensichtlich, als er den amerikanischen Flieger mit seinem Fallschirm am Himmel sah. Deswegen und gezielt fuhr er dann nach Laubenheim. Unter diesen Umständen kann natürlich keine Rede davon sein, dass ihm – zufällig am Ort des Geschehens – bei Anblick seines Motorrades am Haus Schnell der Befehl Stroops eingefallen. Der war ihm schon vorher – spätestens in Langenlonsheim – eingefallen und das war für ihn die Triebfeder, nach Laubenheim zurückzufahren.

 

Wenn aber nicht bewiesen ist, dass überhaupt ein solcher Befehl Tesch vor der Tat erteilt worden war, dann brach seine gesamte Verteidigung in sich zusammen. Die Tat war dann ein eindeutiger Mord. Tesch hat sie – wie sich schon aus den Umständen ergibt – hinterrücks an dem wehr- und arglosen und gefangenen Eugene Kalinowsky und damit heimtückisch begangen. Und eine Milderungsmöglichkeit – aus welchem Gesichtspunkt auch immer – gab und gibt es für Mord nicht.

 

Dieses Ergebnis wollte das Schwurgericht Bad Kreuznach offensichtlich vermeiden. Und das vermied es auch. Trotz allem sah das Gericht es als bewiesen an, dass Stroop auf dem Lehrgang in der Kampfschule Tiefenthal einen solchen Befehl in Gegenwart von Tesch erteilt hatte und dass ein solcher Befehl derartig bestimmend für Tesch war, dass er bei der Tötung des amerikanischen Fliegers gar nicht seine Umgebung und die Umstände wahrnahm, sondern gleichsam blind dem Befehl Stroops folgte. Damit verneinte das Gericht das Mordmerkmal der „Heimtücke“ und konnte stattdessen so „nur“ einen Totschlag annehmen. Für diesen Totschlag bejahte das Gericht dann auch noch mildernde Umstände. Es hielt Tesch seinen tadellosen Einsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg zugute, würdigte zu seinen Gunsten die recht zahlreichen Persilscheine und kam dann noch darauf, dass er durch die Schrecken des Bombenkriegs zu der Tat verleitet worden war – obwohl er nach der Annahme des Gerichts zuvor daran überhaupt nicht gedacht hatte, sondern nur an den Befehl Stroops.

 

Das Schwurgericht verurteilte Tesch dann wegen Totschlags in einem minder schweren Fall und unter Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis. Der Öffentliche Anzeiger titelte „Acht Monate muss Kurt Tesch noch absitzen“ und berichtete, wie sich die beiden Verteidiger ihrem glückstrahlenden Mandanten zuwandten und ihm – zum Ausgang des Prozesses beglückwünschend – die Hände schüttelten.

 

Kaum war das Urteil verkündet, aber noch nicht schriftlich begründet, meldete sich wieder der Mob, diffamierte und bedrohte den Vorsitzenden des Schwurgerichts und den Vertreter der Anklage. Unter einem Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen hieß es:

 

AN DIE LANDESVERÄTER (sic!) SCHOTT UND ARNOLD SEID VORSICHTIG IHR RÖMISCHEN HURENBÖCKE WIR SEHN NICHT MEHR LANGE ZU FALLS SICH EURE MEINUNG NICHT ÄNDERT WIR LASSEN UNS DURCH EINE MINDERHEIT NICHT DEN LETZTEN REST TAPFERER HELDEN ERMORDEN/ EIN HOCH AUF DIE VERTEIDIGER DR HEIM UND DR SCHMIDT DIESE BEWIESEN DAS (sic!) ES NOCH GERMANEN GIBT WIR WERDEN SOBALD DIE AUSLÄNDISCHEN MASSENMÖRDER ABZIEHN EURE GESAMTE SAUCLIQUE AUFHÄNGEN Gz DER CHEF DER GERMANISCHEN REVOLUTIONSARMEE ABT RHEIN GENERAL SATANAS

 

Ein „stilisierter“ Galgen „zierte“ noch das Ende dieses Pam-phlets. - Und dabei konnten die Sympathisanten Teschs mit dem Urteil sehr zufrieden sein. Auch ein anderer war mit dem Ergebnis nicht zufrieden: Tesch selbst. Er ging gegen dieses Urteil noch in Revision. Das tat auch die Staatsanwaltschaft. Und die Rechtsmittel beider hatten Erfolg. Das Urteil wurde komplett aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhand-lung an das Landgericht Mainz verwiesen. Offenbar war dem Bundesgerichtshof das Klima für die Neuauflage des Prozesses in Bad Kreuznach zu „heiß“.

 

Das weitere Verfahren zog sich dann noch länger hin. Und es wurde auch wieder von Beschimpfungen und Diffamierungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft begleitet. Ein Zeitungsleser aus Düsseldorf stellte fest, dass sich die Amerikaner, deren Sache diese Angelegenheit eigentlich sei, gar nicht darum kümmerten, und schrieb:

 

Aber ausgerechnet Sie (das Gericht, Erg. d. A.), die Sie das einen feuchten Staub angeht, führen einen Prozess gegen einen Deutschen, weil er als Soldat einen Befehl ausführte. Das ist eine Schande!

 

Auch meldete sich „im Namen hundert tausender Deutscher ein anonymer Schreiber aus (Idar-)Oberstein und forderte endlich einen

 

Schlussstrich unter die kriegsbedingten Maßnahmen soldatischer Verpflichtungen. Hätte sich seine Maßnahme gegen alliierte Flieger so verbreitet, dass jeder lebend abgeschossene Flieger dem Tod geweiht war, hätten Millionen deutscher Zivilisten ihr Leben erhalten und die Feindstaaten ihre Aktionen nur auf militärische Ziele abgestellt. Abschließend richtete der Briefschreiber noch eine Warnung an die deutsche Justiz: Sollte das hoffentlich letzte Verfahren gegen Tesch nunmehr nicht durch Freispruch beendet werden, dann darf sich die deutsche Justiz nicht mehr ohne aggressive Haltung der Bevölkerung zu einer allgemeinen Rechtsprechung bekennen. Hiervor wird mit aller Eindringlichkeit ernstlich gewarnt, noch mehr aber von den Folgen einer Bestrafung, für die das Schwurgericht Mainz alle Konsequenzen ziehen muss.

Als Ergebnis dieses Prozesses ist festzuhalten: Das Schwur-gericht Mainz entschied in der Neuauflage wie schon das Landgericht Bad Kreuznach – nur mit dem Unterschied, dass es die Gefängnisstrafe für Tesch von einem Jahr und sechs Monaten auf ein Jahr ermäßigte. Außerdem rechnete es die Untersuchungshaft auf die Strafe an und erließ ihm nach einem Straffreiheitsgesetz auch noch die Reststrafe. Tesch verließ den Gerichtssaal als freier Mann.

 

Aber selbst das reichte Tesch noch nicht. Er wollte noch mehr und legte auch gegen dieses Urteil noch Revision ein. Diese blieb aber ohne Erfolg.

 

In der Sache hatte er aber voll und ganz Erfolg. Die ohnehin unter Anrechnung der Untersuchungshaft verbliebene Rest-strafe fiel unter das Straffreiheitsgesetz und damit war er ein freier Mann. Es hätte nur noch gefehlt, dass er für die erlittene Untersuchungshaft auch noch eine Haftentschädi-gung bekommen hätte. Aber wenigstens dazu kam es nicht.

 

Nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens war Tesch 45 Jahre alt, also noch in den „besten Mannesjahren“. Über sein weiteres Leben ist nur noch wenig und das punktuell bekannt. Er lebte weiter in Langenlonsheim lebte. Offenbar nach dem Tod seiner Mutter war er nicht Alleineigentümer, sondern Miteigentümer des elterlichen landwirtschaftlichen Betriebes und Weingutes. Beides verwaltete er mit und baute beides weiter aus.

 

Tesch war aber nicht nur als Mitverwalter des Betriebes und Weinguts erfolgreich. Er war auch sonst sehr rührig. So war er politisch aktiv und für die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP) tätig, bekleidete mehrere Ehrenämter und war Vorsitzender der Jagdgenossenschaft von Laubenheim.

 

Es war auch die Jagdgenossenschaft, die viele Jahre später den Meuchelmord Teschs in Laubenheim in die Öffentlichkeit und Tesch vor Gericht brachte. Auslöser war die Mitgliederversammlung der Jagdgenossenschaft im Jahr 1982. Sie verlief in sehr gespannter Atmosphäre und führte nicht zu dem von Tesch gewünschten Erfolg. Nach dem Ende des offiziellen Teils setzte man die hitzige Debatte in kleinem Kreis fort. Tesch und ein anderer Jagdgenosse gerieten aneinander. Dabei beschimpfte dieser Tesch offenbar „als Betrüger, der dreckige Geschäfte macht, Arschloch, Meuchelmörder“.

 

Das ließ Tesch nicht auf sich sitzen und strengte u.a. einen Zivilprozess vor dem Landgericht Bad Kreuznach gegen den Jagdgenossen an, in dem er ihn wegen dessen Äußerungen auf ein Schmerzensgeld von 5.000 D-Mark verklagte. Tesch machte damit eine besonders schwere Verletzung seines Persönlichkeitsrechts geltend, die Äußerungen seien geeignet, ihn als im öffentlichen Leben Stehenden und auch im geschäftlichen Bereich zu schädigen.

 

Das Landgericht Bad Kreuznach wies die Klage im Jahr 1982 insgesamt ab. Hinsichtlich der Behauptung, Tesch sei ein „Meuchelmörder“ gewesen, stellte es fest, es sei gerichts-bekannt, dass er wegen Totschlags verurteilt worden sei, weil er 1944 einen kriegsgefangenen amerikanischen Soldaten durch einen Genickschuss getötet habe. Zeuge der Tat sei auch der damals zehnjährige Beklagte gewesen, der unter dem Vorfall noch heute leide. Unter diesen Umständen habe Tesch für einen Laien, der nicht näher zwischen Mord und Totschlag unterscheide, damals einen „Meuchelmord“ begangen.

 

So weit die Geschichte des Meuchelmords in Laubenheim und ihre juristische Nachgeschichte. Beides hat sich vor Jahr-zehnten in Bad Kreuznach und Umgebung ereignet. Vor Ort erinnert nichts an dieses grausige Geschehen. In Laubenheim gibt es keinen Gedenkstein und keine Gedenkplatte für den ermordeten amerikanischen Flieger Eugene Kalinowsky. Die Ortsgeschichte von Laubenheim schweigt zu diesem Verbrechen. Auch die Justizgeschichte von Bad Kreuznach will nicht das eigene Versagen in der Nachkriegszeit dokumentieren. Kaum jemand erinnert sich ungefragt noch an diese Geschehnisse. Aber sie sind nicht ganz vergessen. Fragt man nach, so erinnern sich die Älteren doch noch schnell und recht zutreffend an „den Vorfall“ „vom Tesch“.

 

Das ist gut so. Wir wollen diese Geschichte auch in ihren Wirren und Verästelungen bewahren. Dabei wollen wir nicht nachholen, was früher nicht „bewältigt“ wurde. Sie soll uns aber vor „neuen Ansteckungsgefahren“ (Richard von Weizsäcker) warnen und uns vor Augen führen, wie wichtig eine kritische Öffentlichkeit und eine unabhängige und verantwortungsbewusste Justiz sind. Zurzeit des Mordes in Laubenheim schrieb Bertold Brecht im Exil den „Kauka-sischen Kreidekreis“. In ihm lässt er Azdak, den Arme-Leute-Richter, der das Chaos zu einer „kurzen, goldenen Zeit beinah der Gerechtigkeit“ macht, den Satz sagen: „Das Recht ist weg wie nix, wenn nicht aufgepasst wird“.

 

Diese Geschichte soll uns aber auch an die alliierten Toten der „Fliegermorde“ erinnern, die wie Millionen anderer ebenfalls Opfer des Nationalsozialismus geworden sind. Die getöteten Flieger sind so gut wie vergessen. Allerdings ist es auch nicht einfach, diese Schicksale aufzuarbeiten.

 

Möglich ist das dann, wenn es weitere Informationen gibt und diese – diesseits und jenseits des Atlantik – miteinander verknüpft werden. Das ist mit den vorliegenden Informatio-nen aus dem Strafverfahren Tesch und mit der Hilfe einer amerikanischen Journalistin und Buchautorin gelungen. Dadurch konnten zwei Nichten des abgeschossenen und in Laubenheim ermordeten amerikanischen Fliegers ausfindig gemacht werden. Von ihnen wissen wir noch folgendes über Eugene Kalinowsky:

 

Eugene Kalinowsky wurde im Jahr 1920 in Pittsfield, Massachusetts, geboren. Er stammte aus einer Einwanderer-familie. Seine Familie väterlicherseits war in Weißrussland beheimatet. Im Jahr 1912 wanderte sein Vater in die USA aus. Eugenes Mutter stammte aus Österreich und wanderte von dort in die USA ein. Beide lernten sich in den Vereinigten Staaten kennen und heirateten wohl noch während des Ersten Weltkrieges. Die Kalinowskys hatten neun Kinder, sechs Jungen und drei Mädchen. Eugene - sie nannten ihn Gene - war das zweitälteste Kind. Nicht alle Kinder wurden groß, zwei Mädchen starben in jungen Jahren. Die Kalinowskys hatten einen kleinen Bauernhof, vor allem hielten sie Vieh und bauten Gemüse an.

 

In Pittsfield ging Eugene zur Schule, zuletzt in die High School. Anschließend war er bei einem Speditionsunter-nehmen beschäftigt. Schon bald, im November 1942 wurde er Soldat. Seine Nichten erzählen, dass Gene ein „Spaßvogel“ war, gern machte er Späße und Witze und hatte viel Freude, seine Umgebung damit zu unterhalten. Eine Nichte weiß noch zu berichten, dass er ihre Familie nach ihrer Geburt im Jahr 1943 besuchte und sich die Schuhe des Babys um den Hals hängte – sie sollten ihm im Krieg Glück bringen.

 

Nicht jeder konnte oder wollte sich über seine Späße freuen und mit ihm lachen. Einer von ihnen war Eugenes Kommandant. Um ihn „loszuwerden“, schickte er Eugene zu seinem letzten todbringenden Einsatz, für den er zunächst gar nicht vorgesehen war.

 

Sein Flug am 15. Oktober 1944 war sein 50. Kampfeinsatz. Drei Tage vorher hatte er seinen 24. Geburtstag gefeiert, kurze Zeit später wollte er auf Heimaturlaub in die USA. Seine Kameraden haben ihn nie mehr gesehen. Wie bereits geschildert, wurde er zusammen mit dem in Heddesheim ums Leben gekommenen Kameraden Richard Ellwart zunächst auf dem Gemeindefriedhof in Heddesheim bestattet. Ende Juni 1945 wurden die beiden Leichen exhumiert und auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof in Hamm/Luxemburg beerdigt. Sodann bemühten sich die Amerikaner, die Angehörigen auch dieser Toten ausfindig zu machen, sie über deren Tod zu informieren und die Überführung ihrer sterblichen Überreste in die USA anzuregen.

 

Die Recherchen nach den Angehörigen von Eugene Kalinowsky waren erfolgreich. Sie waren an dessen Schicksal und seiner Überführung in die USA sehr interessiert. Für seine Mutter war die Nachricht ein Schock. Aus welchen Gründen auch immer erzählte man ihr wider besseres Wissen eine erfundene Geschichte. Danach wurde der bereits von deutschen Soldaten gefangen genommene Eugene nicht hinterrücks und aus nächster Nähe von einem SS-Mann ermordet. Vielmehr waren es Bauern aus dem Dorf, die Eugene aufgriffen und ihn mit einer Heugabel malträtierten und dann umbrachten.

 

Um den Verlust des geliebten Menschen besser bewältigen zu können, fragten Schwestern Eugenes nach persönlichen Gegenständen ihres Bruders. Vor allem ging es ihnen um eine besondere Uhr, die Eugene immer getragen hatte. Aber ihr Bemühen war vergeblich. Als Antwort erhielten sie die Information, dass es keine solchen gäbe, auch keine Uhr. Lediglich einen Geldbetrag in Höhe von $ 5,64 gebe es noch. Der wurde Eugenes Mutter per Scheck angewiesen.

 

Auf Veranlassung seiner Mutter überführte man Eugene Kalinowskys Leichnam im Sommer 1948 von Luxemburg nach New York und dann weiter nach Pittsfield. Auf dem dortigen Friedhof wurde er am 27. August 1948 mit militärischen Ehren zur letzten Ruhe gebettet. Mit dabei war damals auch die heute älteste Nichte Eugenes, deren Babyschuhe er damals, als er in den Krieg ziehen musste, als Glücksbringer um seinen Hals gelegt hatte. In ihrer Erinnerung ist geblieben, dass der Sarg mit den sterblichen Überresten ihres Onkels in die amerikanische Flagge, das Sternenbanner, gehüllt war.

 

Eugenes Kalinowskys Grab auf dem Friedhof in Pittsfield existiert noch heute. Es wird gepflegt von seinen Nichten und Neffen, von denen die meisten noch in Pittsfield leben.

 

Ja, meine Damen und Herren. Das war die Geschichte vom Meuchelmord in Laubenheim, von Kurt Tesch und von Eugene Kalinowsky. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.