Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Darf ein NS-Kriegsverbrecher weiter einer Straße den Namen geben?

Die Diskussion über die Umbenennung der Friedrich Syrup-Straße in Koblenz-Rauental kommt langsam in Bewegung. Wie zu erwarten war, hat der Stadtrat von Koblenz in seiner Sitzung vom 6. April 2017 den Antrag der GRÜNEN auf Umbenennung der Straße in den Arbeitskreis Straßenbenennung verwiesen. Zuvor hatte die Stadtverwaltung wieder auf den weiten Gestaltungsspielraum bei einer solchen Umbenennung hingewiesen.
 
Einige Tage später berichtete die Rhein-Zeitung über den Antrag auf Umbenennung der Friedrich Syrup-Straße.

Lesen Sie dazu HIER den Artikel in der Rhein-Zeitung vom 12. April 2017
 
Dieser Artikel war dann Anlass für mehrere Leserbriefe. Zwei von ihnen druckte die Rhein-Zeitung in Ihrer Ausgabe vom 19. April 2017 an.  Sie sind HIER zu lesen.

Zu dem bisherigen Geschehen und seinen Begleitumständen hat sich auch unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig geäußert. Seine Stellungnahme wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben. Diese Stellungnahme ist - in leicht abgewandelter Form - auch in "Blick aktuell" - Ausgabe Koblenz - vom 20. April 2017 erschienen.  Den Beitrag in "Blick aktuell" können Sie HIER nachlesen

 

Darf ein NS-Kriegsverbrecher weiter einer Straße den Namen geben?
von Joachim Hennig

In Blick aktuell Ausgabe 14/2017 vom 6. April 2017 hat sich der Verfasser dieser Zeilen unter „Top-Thema im Blick“ zu einem Antrag der GRÜNEN Ratsfraktion in Koblenz betreffend die Umbenennung der Friedrich Syrup-Straße im Rauental geäußert. Unter der Überschrift „Ehrung eines Nazitäters?“ hat er Leben und Wirken des mit einer Straßenbenennung geehrten Friedrich Syrup eingehend und deutlich geschildert. Blick aktuell hat im Anschluss daran den Antrag, den die Fraktion der GRÜNEN in der Stadtratssitzung am 6. April 2017 gestellt hat, nebst der Presseerklärung dazu abgedruckt. Das Thema hat einige Wellen geschlagen: Der SWR – Studio Koblenz – hat in seinem Rundfunkprogramm darüber berichtet, die Landesschau aktuell brachte einen Filmbericht darüber. In beiden Beiträgen wurde die Rolle Syrups im Nationalsozialismus und die Namensgebung für die Straße im Jahr 1952 kritisch angesprochen. Soweit die Reaktion landesweit.

In Koblenz selbst war die Resonanz sehr verhalten. Der Stadtrat diskutierte kurz über den Antrag und verwies ihn in den Arbeitskreis Straßenbenennung. Zuvor hatte sich Oberbürgermeister Prof. Dr. Hofmann-Göttig auf die Frage eines Koblenzer Bürgers zu der Straßenbenennung überhaupt nicht zu der Ehrung als solcher geäußert und die Angelegenheit gleich weitergereicht: „Es ist Sache des Arbeitskreises Straßenbenennungen, sich mit den Straßennamen auseinander zu setzen.“ Und fügte hinzu: „Umbenennungen sind besonders schwierig, weil sie für die Anwohnerschaft mit hohem Aufwand verbunden sind.“ und verwies auf die (vermeintliche?) Volkes Stimme: „Ich glaube nicht, dass sich die Bürgerschaft wünscht, diese Diskussionen und vor allem die damit verbunden(en) Aufwände nunmehr, Jahrzehnte nach dem Krieg, wieder neu zu entfachen.“ Neben dem angeblich hohen Aufwand war das dann wieder die „Schlussstrich-Mentalität“.

Die Rhein-Zeitung ging in ihrer Ausgabe vom 12. April 2017 unter der Überschrift „Dürfen Straßen Namen von Nazis tragen?“ auf das Thema ein. Im Untertitel sprach sie von einer „Debatte“ und dass „bei einer Umbenennung (..) auch der Aufwand für die Anwohner bedacht werden (müsse)“. In dem Artikel ist von einer Debatte keine Rede und zu Friedrich Syrup gibt es einen ganzen Halbsatz („der 1938 den Arbeitseinsatz aller erwerbslosen und sozialunterstützten Juden im Reichsgebiet angeordnet hatte und 1942 in die Planungen für die Zeit nach den ‚Endsieg’ eingebunden war, sagen die Grünen“). Der Artikel beschäftigt sich mit dem „hohen Aufwand“ („Ganz so einfach ist eine Umbenennung allerdings nicht, erklärt die Stadt“), um dann u.a. auf die zu ändernden Visitenkarten der Anwohner zu kommen und mit dem Ausblick zu enden, dass „sich nun der städtische Arbeitskreis für Straßenbenennung mit dem Thema beschäftigen (wird)“.

Wie schon früher hat man sich mit dem Namensgeber, seinem Leben und Wirken nicht näher beschäftigt. Typisch dafür ist der Titel der Berichterstattung „Dürfen Straßen Namen von Nazis tragen?“ Bei der Friedrich-Syrup-Straße geht es nicht um den Namen eines Nazis. Syrup war als „alter“ preußischer Spitzenbeamter nach dem Aufnahmestopp in die NSDAP ab Mai 1933 „erst“ im Jahr 1937 Parteimitglied geworden. Wenn man allen NSDAP-Mitgliedern  eine solche Ehrung aberkennen wollte, hätte man auch in Koblenz wohl viel zu tun. Denn reichsweit gab es ca. 7,7 Millionen Mitglieder der NSDAP. Entscheidend ist vielmehr, dass Friedrich Syrup ein Kriegsverbrecher war. Seit 1936 war er in kleinen Gremien aktiv, die den Zweiten Weltkrieg und den Vernichtungskrieg im Osten planten und organisierten. Den Vorsitz in diesen Gremien hatte der Beauftragte für den Vierjahresplan, Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe Hermann Göring. Nachfolger in dieser von Syrup wahrgenommenen Funktion war ab 1942 Fritz Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz. Hermann Göring und Fritz Sauckel waren nach der Befreiung vom Nationalsozialismus Angeklagte im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Beide sind als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt worden. Göring hat sich der Hinrichtung durch eine Giftampulle entzogen, Sauckel wurde am 16. Oktober 1946 in Nürnberg hingerichtet. Und Syrup – nur ein Nazi von ca. 7,7 Millionen?

Diese Geschichte und anderes mehr ist bisher – bis auf den Artikel in Blick aktuell – nicht zur Sprache gekommen.. Stattdessen geht es um den angeblich hohen Aufwand, den eine solche Straßenumbenennung – und gerade diese(?) - mit sich bringt. Man fragt sich: Wie war das eigentlich nach der Wende 1990 in der ehemaligen DDR? Da wurden ganze Städte umbenannt. Ob man da die Visitenkarten der Anwohner zum Maßstab gemacht und danach gehandelt hat? Bei den von der DDR Geehrten war das dann wohl auch etwas anderes, das waren ja keine Kriegsverbrecher... Zur Erinnerung – wenn es auch schon „Jahrzehnte nach dem Krieg“ her ist: Hitler-Deutschlands Angriffskrieg hat mehr als 55 Millionen Menschen das Leben gekostet. Das waren allein die Kriegstoten, von den anderen Opfern des Nationalsozialismus im engeren Sinne (11 Millionen) ganz zu schweigen.
   
Zu Recht verweist die Stadt darauf, dass die Umbenennung eine Ermessensentscheidung ist. „Ermessen“ ist ein juristischer Begriff. Er stellt die Verwaltung von der strikten Gesetzesbindung frei und verweist auf die Lösung, die angesichts der besonderen Umstände des Falles nach Abwägung allen Für und Wider „dem Zweck der Ermächtigung am besten gerecht wird.“ Die Ermessensentscheidung setzt also eine sehr sorgfältige Ermittlung der besonderen Umstände des Einzelfalls und des entscheidungserheblichen Sachverhalts voraus. Erst wenn man diese ermittelt hat, kann man das Für und Wider sachgerecht abwägen. Alles andere ist nur ein Schnellschuss, bei dem ein Fehler bei der Ermessensbetätigung vorprogrammiert ist. Die Herausstellung des angeblich „hohen Aufwandes“ für eine Umbenennung ist von daher sehr problematisch.

Aber – so soll man sich beruhigen – es sei ja nicht das letzte Wort gesprochen. Schließlich werde sich der städtische Arbeitskreis für Straßenbenennung mit dem Thema beschäftigen. Nun gut. Wenn man sich auf der Homepage der Stadt über diesen Arbeitskreis, seine Zusammensetzung, seine Aufgabenstellung und sein Leitbild informieren will, findet man gerade diese Information: „Der Arbeitskreis für Straßenbenennung, mit dem Stitzungsdienst (gemeint ist wohl: Sitzungsdienst, Anm. d. Verf.)  beim Vermessungsamt, schlägt dem Stadtrat die neuen Straßennamen zur Entscheidung vor.“ Das ist nicht viel, was der Arbeitskreis da an Informationen über sich und seine Jahrzehnte lange Arbeit preisgibt. Da nimmt es auch nicht wunder, dass der Arbeitskreis nichtöffentlich tagt. Eine Transparenz bei der Vergabe von Ehrungen durch Straßenbenennungen bzw. bei der Aberkennung davon sieht anders aus. Er ist wohl auch die „richtige“ Stelle für die schadlose Entsorgung kritischer Fragen zur Stadtgeschichte.

So ist es schon wiederholt dem einen oder anderen engagierten Bürger von Koblenz passiert. Auch der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich, dass er schon einmal – im Jahr 2001 – die Straßenbenennungen in Koblenz kritisch hinterfragt hatte. Damals hatte er einen dreiseitigen Brief an alle im Stadtrat vertretenen Parteien zur Straßenbenennung gerichtet. Antwort erhalten hat er seinerzeit nur von der CDU- und von der FDP-Fraktion im Stadtrat. Erwähnenswert ist lediglich die Antwort der Fraktionsvorsitzenden der FDP. Frau Ursula Schwerin schrieb: „Ich gehe davon aus, dass der Inhalt Ihres Schreibens alle derzeit und zukünftig Verantwortlichen in Bezug auf Straßenbenennungen nachdenklich stimmen wird. Vielleicht haben wir es uns etwas zu leicht (zu bequem) gemacht und einfach akzeptiert, was uns der ‚Arbeitskreis Straßenbenennungen’ als Vorschläge im Haupt- und Finanzausschuss sowie im Stadtrat weitergab? Ihren dreiseitigen Brief hebe ich mir gut auf.“ – Soweit Frau Schwerin im Jahr 2001. Man darf gespannt sein, wie es mit der beantragten Umbenennung der Straße nach dem Kriegsverbrecher Friedrich Syrup 17 Jahre später weitergeht. Ob man/frau in Koblenz  inzwischen sensibler mit dem Thema umgeht und das pflichtgemäße Ermessen in diesem und in anderen Fällen sachgerecht betätigt? Bis jetzt sieht es nicht danach aus.