Lesen Sie hier die Kurzbiografie von Richard Christ.
„Wir sind die Moorsoldaten ...“
Teil 2 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 17. November 2000:
Richard Christ
Kaum waren die Nazis an die Macht gekommen, verfolgten sie ihre politischen Gegner. Als erste, äußerst brutal und hartnäckig bekämpften sie die Kommunisten. Den Vorwand hierzu lieferte der Reichstagsbrand in der Nacht vom 27./28. Februar 1933. Die daraufhin erlassene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ („Reichstagsbrand-Verordnung“) war die scheinlegale Grundlage, um reichsweit Kommunisten in „Schutzhaft“ zu nehmen.
Die Koblenzer Polizei nahm etwa 80 „Funktionäre“ der KPD fest. Einer war der Koblenzer Buchhändler Richard Christ. Er war Kandidat der KPD für die Kommunalwahlen am 12. März 1933 und wurde auch zum Stadtverordneten gewählt. Sein Mandat konnte er aber nicht antreten, blieb er doch wie die anderen in Schutzhaft. Die Häftlinge wurden im damaligen Stadtgefängnis in der Karmeliterstraße festgehalten und mussten tagsüber renovieren - im SA-Heim an der Pfaffendorfer Brücke, in der Langemarckkaserne oder in der SS-Kaserne am Schloßplatz.
Im Juni 1933 verschärfte sich ihre Lage. Zu Vernehmungen und Misshandlungen kamen sie in die SS-Kaserne. Besonders brutal gebärdete sich der SS-Obersturmführer Emil Faust. Ein Schutzhäftling berichtet: „Nach 24-stündiger menschenunwürdiger Behandlung ... kam ... der SS-Mann Emil Faust, traktierte uns mit Gummiknüppel, Faustschlägen und Fußtritten und sprang zuletzt wie eine Hyäne auf Richard Christ mit den Worten: ‘Da ist er ja, der intellektuelle Vogel!’ Er schlug auf ihn stundenlang ein. Ich selbst war Augenzeuge dabei und kann beeiden, dass er Christ mit dem Gummiknüppel nicht nur auf die Brillengläser in der Absicht schlug, um ihm das Augenlicht auszulöschen, sondern auch fortgesetzt Nierenschläge versetzte (ebenfalls mit dem Gummiknüppel) wie es nur fachkundige Sadisten in den Konzentrationslagern und in den SS-Höhlen taten, die auf das Leben der Gefangenen es absahen.“
Mitte August 1933 wurde Christ mit etwa 40 anderen Schutzhäftlingen aus Koblenz in das Konzentrationslager Esterwegen, einem der „Emslandlager“, verschleppt. Dort trafen sie erneut auf Emil Faust. Er begrüsste sie mit den Worten: „Wer sind die Koblenzer? Hände hoch!“, um sich gleich auf sie zu stürzen und zu verprügeln. Dann stellte er sich ihnen vor: „Das Herz im Leibe lacht mir, wenn ich euch sehe; ihr werdet die Heimat nie wiedersehen!“
Trotz aller oder gerade wegen dieser Drangsalierungen und Quälereien entstand in den Emslandlagern zu Weihnachten 1933 das „Lagerlied von Börgermoor“, das erste KZ-Lied überhaupt. Es ist ein Überlebenszeugnis aus den KZs der Nazis und in leicht veränderter Melodie als „Die Moorsoldaten“ und in Bearbeitung von Folkmusikern wie Pete Seeger ein Aufruf für Menschlichkeit, gegen Unterdrückung und Krieg. Die erste Strofe lautet im Original:
Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Eichen stehen kahl und krumm.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor.
Richard Christ wurde 1934 aus dem KZ Esterwegen entlassen. Er emigrierte dann nach Frankreich und starb bald darauf in Toulouse an Nierenblutungen. Zeitzeugen führen dies auf die Misshandlungen durch Faust zurück. Faust selbst wurde - als einer der wenigen Täter - zu lebenslanger Haft verurteilt.