Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

In diesem Artikel porträtierte Hennig den als „Erbkranken“ zwangsweise sterilisierten F. K.:

„Operation verlief regelrecht. Wunde heilte in neun Tagen“

Teil 3 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 23. November 2000: 

F. K.

Vielfach waren die Ideen und Methoden der Nationalsozialisten, mit denen sie die eigene Bevölkerung verfolgten, nicht neu. Oft griffen sie bereits Vorhandenes auf, um es dann allerdings mit der ihnen eigenen Radikalität und exzessiv einzusetzen. So war etwa die „Schutzhaft“ keine Erfindung der Nazis, doch nutzten sie von Beginn ihrer Herrschaft an bis zuletzt dieses Instrument, um Millionen in Gefängnisse, Arbeits- und Konzentrationslager zu verschleppen.

Nicht anders war es mit der Sterilisation von Kranken und Behinderten. Überlegungen hierzu gab es seit Mitte des 19. Jahrhunderts - übrigens nicht nur in Deutschland. 1932, also noch zur Zeit der Weimarer Republik, arbeitete man einen Gesetzentwurf aus; es setzte die Zustimmung des Betroffenen zur Unfruchtbarmachung voraus. Diese Vorarbeiten konnten die Nazis übernehmen, als sie bereits am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ beschlossen. Von einer Zustimmung des Patienten oder Freiwilligkeit war jetzt keine Rede mehr. Danach war als erbkrank u.a. zu sterilisieren, wer an angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz, erblicher Blindheit oder erblicher Taubheit litt oder eine schwere körperliche Missbildung aufwies.  

Über die Sterilisation entschied ein neu geschaffenes, beim Amtsgericht eingerichtetes, Erbgesundheitsgericht. Es war mit einem Richter als Vorsitzendem und zwei Ärzten als Beisitzern besetzt. Auch in Koblenz gab es ein solches Gericht. Wie dessen Vorsitzender 1935 berichtete, „(vollzog) sich die Durchführung des Gesetzes im allgemeinen reibungslos“. 1934 gingen bei dem Gericht 1.024 Anträge auf Sterilisation ein, davon wurden im gleichen Jahr 530 antragsgemäss entschieden und 48 abgelehnt. 1935 waren es 1.193 Anträge mit 920 Anordnungen und 99 Ablehnungen. Die allermeisten Unfruchtbarmachungen erfolgten zwangsweise.

Einer der Opfer war der damals schon ältere F. K. aus einen Ortsteil von Koblenz. (Aus Gründen des Datenschutzes darf auch heute noch nicht mehr mitgeteilt werden). Der Kreisarzt des Stadt- und Landkreises Koblenz diagnostizierte bei ihm „Erbliche Fallsucht“/Epilepsie - obwohl Fälle dieser Erkrankung in der Familie nicht festgestellt werden konnten(!) und die Vererblichkeit der Epilepsie medizinisch umstritten war - und beantragte dessen Sterilisation. F. K. wandte noch ein, dass er nur selten und dann nachts einen Anfall erleide. Dies half ihm aber alles nichts: Das Erbgesundheitsgericht Koblenz stellte in seiner Sitzung vom 8. Oktober 1934 einen schweren Erbschaden fest und verfügte dessen Unfruchtbarmachung. Am 14. Dezember 1934 konnte der Kreisarzt dem Erbgesundheitsgericht Vollzug melden. „Operation verlief regelrecht. Die Wunde heilte in neun Tagen.“
 
F. K. ist einer von 190 namentlich bekannten Opfern, die aufgrund einer Entscheidung des Erbgesundheitsgerichts allein im Städtischen Krankenhaus Kemperhof in Koblenz sterilisiert wurden. Reichsweit waren es etwa 350.000 Zwangssterilisationen (mit etwa 6.000 Todesopfern hierbei). Sie dienten den Nazis zur „Rassenhygiene“ und waren Vorläufer der späteren „Tötung lebensunwerten Lebens“ durch „Euthanasie“, d. h. „Ausmerze nicht mehr Lebenstüchtiger und Arbeitsfähiger“.

Um ihre Anerkennung als Verfolgte mussten die Opfer bis in die 80er Jahre kämpfen. Seit 1998 sind auch alle Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben.