Es war die Tragödie meines Lebens!“ – Lebens- und Leidensbilder polnischer Zwangsarbeiter im heutigen Rheinland-Pfalz 20.01.2012
Ausstellung und Veranstaltungen zum 27. Januar 2012 in Trier
Die Arbeitsgemeinschaft Frieden e.V. (AGF) präsentierte zusammen mit anderen Gruppen und Institutionen die Ausstellung „Erinnerung bewahren – Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Polen 1939-1945 der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung. Gezeigt wurde sie an zwei Orten, zunächst in der Volkshochschule Trier und dann in der Universität Trier. Die Wanderausstellung wurde ergänzt durch einige Biografien von polnischen Zwangsarbeitern, die unser Förderverein erarbeitet und als regionalen Teil zur Verfügung gestellt hatte. Zu dieser Ausstellung gab es ein umfangreiches Begleitprogramm. In dessen Rahmen hielt unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig am 25. Januar 2012 in der VHS einen Vortrag mit dem Thema: „‘Es war eine Tragödie meines Lebens.“ – Lebens- und Leidenswege polnischer Zwangsarbeiter im heutigen Rheinland-Pfalz.
Lesen Sie dazu HIER den Flyer zu den Veranstaltungen.
und HIER den Artikel über den Vortrag von Joachim Hennig im Trierer Volksfreund vom 27. Januar 2012.
Abschließend können Sie den Vortrag von Joachim Hennig lesen:
„Es war die Tragödie meines Lebens!“
Lebens- und Leidensbilder polnischer Zwangsarbeiter im heutigen Rheinland-Pfalz
Vortrag von Joachim Hennig gehalten am 25. Januar 2012 in der Volkshochschule Trier
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, hier bei Ihnen im Rahmen der Ausstellung „Erinnerung bewahren – Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Polen 1939 – 1945“ und der Veranstaltungen zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in den schönen Räumen der Volkshochschule Trier sein zu können. Ich danke Thomas Zuche und der Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier für die Einladung und Dir, lieber Thomas, für die freundlichen einleitenden Worte.
Ich möchte gleich zur Sache kommen, denn ich möchte Ihnen heute abend doch einiges erzählen und da soll man sich nicht groß an der Vorrede aufhalten. Eins muss aber doch klarstellen. Das mir vorgegeben Thema, über polnische Zwangsarbeiter im heutigen Rheinland-Pfalz zu sprechen, geht zu weit. Zur NS-Zeit galten die alten Verwaltungsgliederungen noch fort. Das bedeutete, dass das heutige Rheinland-Pfalz damals aus mehreren Verwaltungs-einheiten bestand. Da war einmal die preußische Rheinprovinz mit ihren südlichen Regierungsbezirken Koblenz und Trier. Da war weiterhin Rheinhessen mit dem Zentrum Mainz, das zum Volksstaat Hessen gehört hatte. Da war weiterhin die Pfalz mit dem Zentrum Neustadt a.d. Weinstraße, die zu Bayern gehörte. Und da waren schließlich die vier rechtsrheinischen nassauischen Kreise, die zur preußischen Provinz Hessen-Nassau mit dem Zentrum Wiesbaden gehört haben. Damit habe ich Ihnen das meiste aufgeführt, von dem ich Ihnen nicht berichten möchte. Ich will Ihnen nur von dem heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz erzählen. Jede der hier erwähnten Regionen hatte eine eigene Gestapo(leit)stelle – für den jeweiligen Regierungsbezirk. Jede Gestapo(leit)stelle war für die Disziplinierung, Verfolgung und auch Ermordung der Zwangsarbeiter, auch der polnischen, zuständig. Das bedeutet, dass man im Wesentlichen nur aus diesen Gestapo-Akten Namen und weitere Informationen von ehemaligen Zwangsarbeitern erhält. Ich komme nun – wie Sie wissen - aus Koblenz und habe im Landeshauptarchiv Koblenz nach Namen und dann nach Schicksalen hinter diesen Namen recherchiert. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass die Gedenkarbeit – gerade auch die über Zwangsarbeiter – von Namen lebt. Die Namen von ehemaligen Zwangsarbeitern sind der rote Faden, an dem man ziehen muss, um über das Schicksal dieser Namenlosen etwas zu erfahren. Da war es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass die Kartei der Koblenzer Gestapo nach dem Krieg erhalten geblieben und zum Internationalen Suchdienst nach Bad Arolsen gelangt ist. Dort wurde sie inzwischen digitalisiert und kam so an das Landeshauptarchiv zurück. Dort hatte ich dann Gelegenheit, sie einzusehen und sie nach Namen, die polnisch klingen, durchzuforsten. Gefunden habe ich dutzende polnischer Zwangsarbeiter, die während des Krieges hier bei uns Verfolgung erleiden mussten. Von diesen Dutzenden habe ich 14 Biografien erarbeitet. Von diesen 14 Biografien sind hier als regionaler Teil der Ausstellung 8 Biografien zu sehen.
Es dürfte damit zugleich deutlich geworden sein, warum ich vor allem von Zwangsarbeitern aus dem früheren Regierungsbezirk Koblenz berichten werde. Eine solche Gestapo-Kartei ist für den ehemaligen Regierungsbezirk Trier nicht erhalten und deshalb kann ich über diese Schicksale auch nicht erzählen. Gleichwohl hoffe ich, dass ich Ihnen manches Interessante – auch regionalgeschichtlich Interessante – heute erzählen kann.
Bekanntlich gab es im hiesigen Raum nicht nur polnische Zwangsarbeiter. Die Formen des „Arbeitseinsatzes“ waren vielfältig. Das ist auch klar: Natürlich machte es einen Unterschied, ob der jeweilige Ausländer frühzeitig und womöglich freiwillig in das Deutsche Reich zur Arbeitsaufnahme gekommen war, oder mit zunehmender Dauer des Krieges unfreiwillig – als Kriegsgefan-gener, zwangsweise womöglich aufgrund von Razzien und Menschenjagden als „Zivilarbeiter“ nach hier verschleppt wurde. Ob er als vollwertiger und gutwilliger Knecht bei einem Bauern seine Arbeit tat, oder ob er in einem Gefangenenlager beim Autobahnbau eingesetzt war oder gar als KZ-Häftling 12 Stunden unter Tage in einem Tunnel für die „Wunderwaffe V 2“ arbeiten und dann den Rest des Tages in einem anderen Tunnel verbringen musste. Ob er als polnischer katholischer Christ den Gottesdienst feiern konnte, oder wegen Bagatellen in sog. Arbeitserziehungs-lager und in Konzentrationslager verschleppt und dort durch die Umstände ermordet wurde. Einen wesentlichen Unterschied machte es auch, ob man „germanischer“ Abstammung war, also Nieder-länder, Däne, Norweger oder Flame war, oder „fremdvölkischer Arbeitnehmer“, Franzose oder Wallone, oder gar zu den Verbündeten gehörte, wie zunächst die Italiener. Oder ob man zu den sog. Untermenschen gehörte, den Polen und vor allem den Russen.
All das lässt sich nicht verallgemeinern, sondern nur typisieren. Fest stehen aber folgende Zahlen: Im August 1944 waren im Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ 7.615.970 ausländische Arbeitskräfte als beschäftigt gemeldet. Davon waren 1,9 Millionen Kriegsgefan-gene und 5,7 Millionen zivile Arbeitskräfte. Das ist eine Augen-blicksaufnahme gerade im Monat August 1944. Für die gesamten Kriegsjahre, also von 1939 bis 1945, geht man von schätzungs-weise 14,5 Millionen ausländischer Arbeitskräfte aus – 8,4 Millionen sog. Zivilarbeiter, 4,6 Millionen Kriegsgefangene und 1,5 Millionen KZ-Häftlinge.
Die wenigsten von ihnen kamen freiwillig nach Deutschland. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel hat im März 1944 geschätzt, dass von 5 Millionen ausländischen Arbeitern keine 200.00 freiwillig gekommen waren. Im Übrigen ist die Freiwilligkeit des Herkommens die eine, die Behandlung der gekommenen Menschen eine andere Sache.
Denn nicht nur die Größenordnung, sondern auch die Durchführung des „Reichseinsatzes“ im nationalsozialistischen Deutschland war ohne Beispiel. Die sehr zahlreichen Gesetze, Verordnungen, Erlas-se, die Strafbestimmungen und das fremdvölkische Sonderrecht verfestigten und schufen erniedrigende, unmenschliche Lebens-umstände für die in Deutschland arbeitenden Ausländer. Ihre Behandlung richtete sich nach dem völkischen und rassen-ideologischen Gedankengut der Nazis, das die Differenz zwischen deutschem „Herrenvolk“ und den zur „Verknechtung“ bestimmten „fremdvölkischen“ Arbeitskräften absteckte. Es entstand ein der Dynamik des Krieges folgendes sowie den jeweiligen Besatzungs-zielen und –praktiken entsprechendes „vielfach gestaffeltes System der nationalen Hierarchisierung, eine Stufenleiter“, auf der die Polen und erst recht die Russen ganz unten platziert wurden.
Schon bald nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen und der Besetzung Polens begann die massenhafte Anwerbung von Polen. Am 16. November 1939 wies Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, die Arbeitsverwaltung an, „die Hereinnahme ziviler polnischer Arbeitskräfte, insbesondere polnischer Mädchen in größtem Ausmaß zu betreiben. Ihr Einsatz und insbesondere ihre Entlöhnung müssen zu Bedingungen erfolgen, die den deutschen Betrieben leistungsfähige Arbeitskräfte billigst zur Verfügung stellen.“
Sehr bald stellte sich heraus, dass diese Massen nicht freiwillig für eine Arbeit im Deutschen Reich angeworben werden konnten. Die deutschen Stellen in Polen setzten deshalb Anfang 1940 „Pflicht-kontingente“ fest, die jedes Dorf und jeder Bezirk zu stellen hatte. Neu war auch, dass die polnischen Gemeindevorsteher in den Anwerbeprozess unmittelbar eingeschaltet wurden. Der große Erfolg blieb aber aus. Große Teile der polnischen Bevölkerung standen dem Arbeitseinsatz ablehnend gegenüber. Der im General-gouvernement für die Anwerbung zuständige Beamte meinte, das alles sei darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung von einer Angstpsychose befallen sei. Wie die Praxis der sog. Anwerbung – zum Teil aussah – ergibt sich etwa aus dem Bericht des Kreishauptmanns (Landrats) des Kreises Neumarkt. Danach würde die Polizei einen „ungeregelten Menschenfang“ durchführen und „Geiseln nehmen“.
Wie auch immer. Fest steht, dass sich bis Mai 1940 ca. 700.000 Polen – Kriegsgefangene und sog. Zivilarbeiter – im Deutschen Reich befanden. Sie arbeiteten fast ausschließlich auf dem Land. Im Hinblick auf diesen massenhaften Einsatz von polnischen Arbeitern hatte man am 8. März 1940 ein umfangreiches Erlasswerk zur Regelung deren Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen – das waren die sog. Polenerlasse. Sie waren ein Meilenstein in der Geschichte der nationalsozialistischen Ausländerpolitik. Sie bildeten den Auftakt zu einem immer geschlossener werdenden, nach Nationalitäten differenzierten Sonderrecht für ausländische Arbeiter und die Grundlage eines umfassenden Systems der Beaufsichtigung und Repression der polnischen Arbeiter.
Das Erlasswerk bestand aus zehn Dokumenten. Ziel war eine umfassende Kontrolle und Reglementierung. Organisatorische und sichtbare Maßnahmen waren die Arbeits-Erlaubniskarte und das sichtbar zu tragende Polen-Abzeichen – die erste offizielle Kenn-zeichnung von Menschen im Dritten Reich, nach deren Muster im September 1941 der Judenstern eingeführt wurde. Das P-Abzeichen sollte sicherstellen, „dass der polnische Arbeiter zu jeder Zeit und von jedermann als solcher erkannt wird“. Die Polenerlasse waren die Kodifizierung einer Haltung und die Umsetzung der anmaßenden „Theorie“ von den „Herrenmenschen“ in rechtsförmiger Gestalt.
Eingangs der Polenerlasse wurde das Leben, die Freizeit der polnischen Arbeiter reglementiert. Es wurde bestimmt, dass die Polen vom „kulturellen Leben“ sowie von Vergnügungsstätten der Deutschen fernzuhalten seien. Um sexuelle Kontakte mit deutschen Frauen zu verhindern, müssten ebenso viele weibliche wie männliche Arbeitskräfte aus Polen abgeworben oder Bordelle für Polen errichtet werden. Schließlich sollten die Polen soweit wie möglich geschlossen untergebracht werden.
In den Erlassen wurden auch die wirtschaftlichen Aspekte geregelt. So war die Bewegungsfreiheit der Polen einzuschränken, insbesondere die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu untersagen, da – so die Begründung – die Polen erfahrungsgemäß „Arbeitsunlust, offene Widersetzlichkeit, Alkoholmissbrauch, eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstätte“ zeigten. Bei Verstößen dagegen seien „sofort geeignete, gegebenenfalls auch die schärfsten staatspolizeilichen Maßnahmen zu treffen.“
Hier wird ein Prinzip deutlich, das die Disziplinierung und Bestra-fung der Zwangsarbeiter bestimmen sollte: In der Praxis wurde das Verhalten der arbeitenden Polen durch die Gestapo sanktioniert. Es gab zwar auch ein strafrechtliches Sonderrecht für Polen, die im Dezember 1941 in Kraft getretene Polenstrafrechts-Verordnung. Aber Verstöße gegen die von den Nazis aufgestellten Verhaltens-regeln wurden im Allgemeinen nicht von den Gerichten nach den allgemeinen Strafgesetzen oder auch der Polenstrafrechts-Verord-nung, sondern vielmehr von der Gestapo vor Ort im Zusammen-spiel mit der Gestapozentrale im Reichssicherheitshauptamt in Berlin nach deren eigenen Regeln und Gutdünken geahndet.
Die Auswirkungen für ausländische Zivilarbeiter und Kriegs-gefangene und erst recht für die KZ-Häftlinge waren fatal: Über die soziale Diskriminierung und den Verlust der Freiheit hinaus bezahlten schätzungsweise 2,7 Millionen ausländische Arbeits-kräfte – gerade auch Polen – den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich mit ihrem Leben.
Angesichts dieser Zahlen versteht es sich von selbst, dass polnische Zwangsarbeiter auch in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier tätig waren – wenn dies auch heute weitgehend unbekannt ist.
Dem „Geografischen Verzeichnis nationalsozialistischer Lager und Haftstätten des Internationalen Suchdienstes in Arolsen (ITS)“ zufolge gab es allein in der Stadt Trier 2230 Zwangsarbeiter und –arbeiterinnen und in dem damals noch selbständigen Ehrang 540 sowie in Gusterath – vor allem bei den Romika-Werken - 1040 Zwangsarbeiter. Sie werden sicherlich von Herrn Dr. Nolden im zweiten Vortrag noch manches Interessante erfahren.
Noch am bekanntesten ist das eine oder andere Gefangenenlager, in denen auch Polen für den Bau der Reichsautobahn Schwerstarbeit leisten mussten – etwa beim Bau der heutigen Bundesautobahn A 48. Ein solches Lager gab es in Bassenheim an der „Eisernen Hand“. Strafgefangenenlager existierten u.a. in Uersfeld bei Mayen, in Ulmen und in Hilgert. Sie alle waren Außenlager des Gefängnisses in Koblenz.
In diesen Lagern, die formell dem Gefängnis in Koblenz unter-standen, mussten aber nicht nur Strafgefangene, sondern auch andere polnische Menschen arbeiten, der die Nazis in dem besetz-ten Polen habhaft werden konnten. Einer von ihnen war der Schüler Norbert Widok. Er war als 17-Jähriger mit anderen Schülern seiner Schule verhaftet worden. Man warf ihnen vor, einen Aufstand gegen die deutsche Besatzung vorbereitet zu haben. Aber selbst das in dem besetzten Polen agierende deutsche Sondergericht konnte ihm und den anderen nichts nachweisen. Norbert Widok wurde deshalb freigesprochen. Das bedeutete aber keineswegs, dass er auch frei kam. Vielmehr wurde er von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. Man verschleppte ihn in das Gefangenenarbeitslager Bassenheim bei Koblenz. Hier musste er ebenfalls an der Reichsautobahn – heute A 48 - arbeiten. Fast 60 Jahre später kam er zum ersten Mal nach der Befreiung nach Koblenz zurück. Beim Wiedersehen der Stätten seiner Verfolgung in Bassenheim sagte er: „Die Erniedrigungen, die Folter, die unmenschliche Behandlung – es war die Tragödie meines Lebens.“
So wichtig, gar unerlässlich solche Zwangsarbeiter für die deutsche Landwirtschaft und Industrie auch waren, so problematisch waren sie andererseits für den NS-Staat. Denn sie bildeten in den Augen der Nazis und ihrer vielen Helfer eine „volkstumspolitische Gefahr“. Hitler hatte schon 10 Tage nach dem Überfall auf Polen die Richtung vorgegeben. Himmler hatte Hitler – wie es hieß – „über die Frage der Behandlung von Fällen, in denen Kriegsgefan-gene mit deutschen Frauen und Mädchen freundschaftlich oder gar geschlechtlich verkehren und deutsche Frauen und Mädel sich mit Kriegsgefangenen einlassen, um seine Meinung gebeten“. Daraufhin hatte Hitler angeordnet, dass in jedem Falle ein Kriegsgefangener, der sich mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mädel eingelassen habe, erschossen werde und dass die Frau bzw. das Mädel in irgendeiner Form öffentlich angeprangert werden solle und zwar durch Abschneiden der Haare und Unterbringung in ein Konzentrationslager.“
Diese Praxis wurde dann in den Polenerlassen vom 8. März 1940 einer der zentralen Punkte. Himmler selbst hatte dazu grundsätzlich ausgeführt: „Wenn ein Pole mit einer Deutschen verkehrt, ich meine jetzt also geschlechtlich abgibt, dann wird der Mann gehängt, und zwar vor seinem Lager. Dann tun’s nämlich die anderen nicht. Es ist außerdem ja dafür gesorgt, dass eine genügen-de Anzahl polnischer Frauen und Mädchen mit hereinkommen, so dass also hier von einer Notwendigkeit gar nicht mehr die Rede sein kann. Die Frauen werden unnachsichtig den Gerichten vorgeführt und wo der Tatbestand nicht ausreicht – solche Grenzfälle gibt es ja immer – in Konzentrationslager überführt.“
Begleitet waren diese Verhaltensmaßnahmen von einer großen Propagandakampagne. Jeder deutsche Bauer, der Ausländer beschäftigte, erhielt ein Merkblatt, in dem es hieß: „Haltet das deutsche Blut rein! Das gilt für Männer wie für Frauen! So wie es als größte Schande gilt, sich mit einem Juden einzulassen, so versündigt sich jeder Deutsche, der mit einem Polen oder einer Polin intime Beziehungen unterhält. Verachtet die tierische Triebhaftigkeit dieser Rasse! Seid rassebewusst und schützt eure Kinder. Ihr verliert sonst euer höchstes Gut: Eure Ehre!“
Diese sog. GV-Verbrechen wurden also – jedenfalls was die polni-schen Männer anbetraf – ohne jegliches Strafverfahren und seine rechtsstaatlichen Sicherungen allein von der Gestapo geahndet. Der Verfahrensgang war der, dass der polnische Mann vielfach mit einer Anzeige bei der Gestapo denunziert wurde. Diese nahm ihn in „Schutzhaft“, verhörte und quälte ihn. Wenn sie meinte, er habe sich mit einer deutschen Frau eingelassen, dann beantragte die örtliche Gestapo unter Schilderung des Sachverhalts bei der Gestapozentrale in Berlin – dem Reichssicherheitshauptamt – die sog. Sonderbehandlung. Wenn das RSHA die Sonderbehandlung anordnete, wurde wieder die örtliche Gestapo aktiv. Sie bestimmte einen in der Nähe der Arbeitsstelle des Betreffenden aber doch etwas abgelegenen Ort zur Richtstätte, lud die SS- und Nazigrößen der Region zur Teilnahme ein, besorgte zwei polnische Strafgefangene als Henker und befahl die Polen aus der Umgebung zur Richtstätte. Sodann brachte man den polnischen Arbeiter sowie einen fahrbaren Galgen, den die Gestapo Koblenz für diese Zwecke bereithielt, zur Richtstätte. Mit dem Polen machte man dann „kurzen Prozess“. Nach seiner Ermordung ließ die Gestapo die anderen Polen antreten. Man verwies auf das Verwerfliche der Tat und machte ihnen klar, dass ihnen das gleiche passierte, wenn sie sich mit deutschen Frauen oder Mädchen einließen. Danach gab es für die Gestapoleute belegte Brötchen und Kognak. Anschließend wurde die Leiche des Ermordeten in das Anatomische Institut der Bonner Universität gebracht. Cirka 10 solcher „Morde vor der Haustür“ sind aus den Akten feststellbar. Zwei Lebensläufe der so ermordeten polnischen Männer sind im regionalen Teil der Ausstellung dokumentiert. Das ist zum einen Marian Abramski, den die Koblenzer Gestapo in Briedel an der Mittelmosel hängte, und das ist zum zweiten Franciszek Matczak, der in Engers bei Neuwied umgebracht wurde.
Wer arbeitet schon gern unter Zwang, unter hohem Leistungsdruck und dann noch für wenig Geld und geringer Verpflegung und dann noch in der Fremde für einen fremden „Arbeitgeber“, dessen Verachtung und Erniedrigung man tagtäglich erleben und erleiden muss?! - Sicherlich nur wenige. So war es nur sehr verständlich, dass die Arbeitsleistung der Zwangsarbeiter zum Teil gering war. Der Sicherheitsdienst der SS - der SD - fasste im April 1941 in einem Bericht die Situation wie folgt zusammen: „In allen Gauen wird über den niedrigen Stand der Arbeitsmoral der ausländischen Arbeiter Klage geführt. Arbeitsvertragsbrüche, Arbeitsverweige-rungen, Arbeitsunwilligkeit, (…), Unpünktlichkeit und unberech-tigte Krankmeldungen sind bei den ausländischen Arbeitskräften sehr häufig.“ Weiter beklagte der Bericht die beinahe tägliche Erscheinung, dass ausländische Arbeiter ihre Arbeitsstelle verlassen und flüchtig wurden.
Diese Flucht aus dem zumeist aufgezwungenen Arbeitsverhältnis nannten die Nazis Arbeitsvertragsbruch – obwohl es in diesen sehr oft zwangsweise begründeten Zwangsarbeitsverhältnissen keinen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelten Arbeits-vertrag gab. Die Arbeitsvertragsbrüche waren eins der Hauptprobleme des Ausländereinsatzes im „Dritten Reich“. Von der Interessenlage her konnte das Naziregime solche Arbeitsvertragsbrüche nicht dulden. Sie mussten von daher geahndet werden. In einem Rechtsstaat sind generell unabhängige Gerichte für die Ahndungen von – sagen wir – sozialwidrigem Verhalten zuständig. – Allerdings gibt es auch sog. Verwaltungsunrecht. Das wird von Verwaltungsbehörden geahndet – denken Sie an die „Knöllchen“ wegen falschen Parkens oder überhöhter Geschwindigkeit -, aber auch in solchen Bagatellsachen gibt es in einem Rechtsstaat einen Rechtsweg. Der führt bei uns beispielsweise zur Überprüfung der Bußgeldbescheide durch die Amtsgerichte und gegen deren Entscheidung ist sogar noch die Rechtsbeschwerde an das Oberlandesgericht möglich.
In der NS-Diktatur gab es einen solchen Instanzenzug ohnehin nicht. Es stellte sich lediglich die Frage, ob für solche „Arbeitsver-tragsbrüche“ die Gerichte oder die Gestapo – letztentscheidend – zuständig sein sollten. Es ging um die Verteilung der Kompetenzen. Diese war dann alsbald geregelt. Für Arbeitsvertragsbrüche von Polen war sehr bald die Sicherheitspolizei ausschließlich zuständig. Das Reichssicherheitshauptamt ließ die Gerichte außen vor. Das RSHA sah in den Gerichten nur einen Umweg, der sehr zeitraubend war und zudem einer erheblichen Kontrolle bedurfte, um zu genehmen Entscheidungen zu gelangen. Deshalb schaltete das Reichssicherheitshauptamt die Gerichte immer mehr aus der Ahndung von „Arbeitsvertragsbrüchen“ aus. Und machte sich selbst zuständig für „Vergehen gegen die Arbeitsdisziplin“.
Die Justiz ließ das ohne großen Widerstand so geschehen. Reichs-minister der Justiz Otto Thierack billigte dieses Vorgehen ausdrücklich und erklärte im Oktober 1942 dazu: „Unter dem Gedanken der Freimachung des deutschen Volkskörpers von Polen, Russen, Juden und Zigeunern und unter dem Gedanken der Frei-machung der zum Reich kommenden Ostgebiete als Siedlungsland für deutsches Volkstum beabsichtige ich, die Strafverfolgung gegen Polen, Russen, Juden und Zigeuner dem Reichsführer SS zu über-lassen. Ich gehe hierbei davon aus, dass die Justiz nur in kleinem Umfang dazu beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten. Zweifellos fällt die Justiz jetzt schon sehr harte Urteile gegen solche Personen, aber das reicht nicht aus, um wesentlich zur Durchführung des oben angeführten Gedankens beizutragen. Es hat auch keinen Sinn, solche Personen Jahre hindurch in deutschen Gefängnissen und Zuchthäusern zu konservieren, selbst dann nicht, wenn, wie das heute weitgehend geschieht, ihre Arbeitskraft für Kriegszwecke ausgenutzt wird.“
Das führte dann zu Schicksalen wie dem von Stanislaus Kowalski. Als Sohn polnischer Eltern wurde er 1912 in Hörde bei Dortmund geboren. Er und seine Eltern waren also sog. Ruhrpolen. Nach dem Ersten Weltkrieg ging er mit seinen Eltern zurück nach Polen. Bald nach der deutschen Besetzung musste er für die Deutschen Zwangs-arbeit leisten. Seine letzte Arbeitsstelle war auf einem Bauernhof in Bad Kreuznach. Von dort floh er. Die Gestapo fasste ihn und brachte ihn nach Koblenz. Die Koblenzer Gestapo sorgte für seine Überführung in das SS-Sonderlager/KZ Hinzert bei Hermeskeil im Hunsrück zur – wie es hieß – „Arbeitserziehung“. Sechs Wochen später wurde er dort für „gesund und entlassungsfähig“ erklärt. Er kam aber nicht frei, sondern ging von Hinzert aus „auf Transport“ in das Konzentrationslager Natzweiler bei Straßburg. Als er dort am selben Tag eintraf, war er todkrank. Man diagnostizierte „vorherzusehende Verfallserscheinungen“. 10 Tage später starb Stanislaus Kowalski im KZ Natzweiler.
Es musste nicht unbedingt eine Flucht sein, um die ausländischen Arbeiter in die Fänge der Gestapo und zur „Arbeitserziehung“ zu bringen. Dabei spielte es auch keine entscheidende Rolle, aus welchen Gründen der Betreffende hierher gekommen war, ob „freiwillig“ oder gezwungen. In jedem Fall wurde von ihm eine hohe Arbeitsleistung und strikte Disziplin verlangt. Wer diesen Normen des NS-Terrors nicht genügen konnte oder wollte, lief Gefahr, weiteren Terror erleiden zu müssen. Dies konnte den Zwangsarbeitern mit oder auch ohne „Grund“ sehr schnell wider-fahren, wenn sie bei der Gestapo gemeldet wurden. Und das widerfuhr relativ vielen.
Einer von ihnen war Edward Ch. Als gerade einmal 18-Jähriger meldete er sich mehr oder minder freiwillig zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Man brachte ihn zu einem Bauern in Engers. Dort kam es bald zu Spannungen. Edward erbrachte nur mäßige Arbeitsleistungen, verlangte aber mehr Lohn. Als er den nicht erhielt, versuchte er wohl, durch „Arbeitsbummelei“ freizukom-men. Auch soll er sich „staatsfeindlich“ geäußert haben. Von seinem „Arbeitgeber“ gemeldet, brachte man ihn zur Gestapo nach Koblenz. Von dort kam er alsbald zur „Arbeitserziehung“ in das SS-Sonderlager/KZ Hinzert. Nach acht Wochen wurde er entlassen und von der Gestapo in Koblenz zu einem anderen Bauern in Neuwied gebracht. Auch hier warf man ihm „Arbeitsbummelei“ vor. Erneut kam er zur Gestapo nach Koblenz. Diese sorgte diesmal auf Dauer für die Einweisung in ein Konzentrationslager. Von Koblenz aus verschleppte man Edward Ch. erst ins KZ Buchenwald und dann in das KZ Sachsenhausen. Mit seinem Eintreffen dort im Juli 1943 verlor sich seine Spur.
So weit einige exemplarische Lebensläufe von polnischen Zwangsarbeitern, die Sie auch im regionalen Teil der Ausstellung nachlesen können.
Allgemein ist noch zur Lage der Zwangsarbeiter zu sagen, dass sie vor allem in den Städten besonders unter den alliierten Luftangriffen zu leiden hatten. Heutzutage hört man immer wieder – und nur – von den Leiden der deutschen Bevölkerung unter den alliierten Luftangriffen. Für die Zwangsarbeiter waren diese aber sehr viel schlimmer als für die Einheimischen. Denn diesen war – wie allen Ausländern - generell die Benutzung von öffentlichen Bunkern verboten. In einigen Lagern gab es lediglich Splitterschutzgräben, einfache Erdgräben, die – wenn überhaupt - mit Brettern oder Bohlen abgedeckt und dann mit der ausgehobenen Erde überdeckt wurden. Manchmal waren sie eher eine weitere Gefahr als ein Schutz. Ein Schlaglicht auf die Situation wirft ein Brief eines französischen Arbeiters in Essen im Frühjahr 1943 an seine Angehörigen: „Seit 20. Dezember ist das der 35. Alarm, fast jeden Abend sind sie da. Ihr könnt mir glauben, dass man sich in den Baracken nicht gerade amüsiert, das zittert wie ein Kartenhaus. Man bleibt auf dem Zimmer, denn wir haben keinen Schutzraum in der Nähe.“
Oft wurden die Zwangsarbeiter zum Aufräumen und Beseitigen der Schäden nach den Luftangriffen verpflichtet. Das waren dann zusätzliche Arbeiten. Zudem wurde ihre ohnehin schon sehr lange Arbeitszeit durch die häufigen Alarme und Angriffe noch wesentlich länger.
Die Zerstörungen durch die Angriffe der Alliierten verstärkten oft die vorhandenen Ressentiments und den Hass auf die Ausländer. Mitleid gab es vielfach nicht. Nicht selten sah man die Lage der Zwangsarbeiter als eine gerechte Strafe dafür an, dass der Krieg für die Deutschen immer härter und verlustreicher wurde. Die Stim-mung der Deutschen gibt eine Meldung des Sicherheitsdienstes der SS (SD) Koblenz von Februar 1943 wieder. Darin heißt es u.a.: „Die Polen und insbesondere die Russen werden viel zu human behandelt. Das Arbeitstempo der Sowjetrussen ist nur dann ein gutes, wenn ein handfester Wachmann, Bauer oder Vorarbeiter dabeisteht, von dem der Sowjetrusse weiß, dass er unter Umständen auf der Stelle Prügel zu erwarten hat. Nur Arrest bei Wasser und Brot und gegebenenfalls Dresche werden das Gros dieser Leute zu einer anständigen Arbeitsleistung auf die Dauer zwingen können.“
Zur gleichen Zeit schrieb ein französischer Arbeiter folgendes nach Hause: „Ich hoffe, dass es bald zu Ende ist, denn hier haben die Leute eine Gesinnung wie die Wilden. Die fünfjährigen Rangen bedrohen uns schon auf der Straße. Man beißt sich förmlich die Finger ab, weil man nichts sagen darf; man muss alles einstecken.“
Es sollte dann noch mehr als zwei Jahre dauern und Millionen und Abermillionen Menschenleben kosten, bis das nationalsozialisti-sche Deutschland besiegt und die Menschen befreit waren.
Nach Kriegsende vergingen dann 45 und mehr Jahre, bis man wieder voneinander hörte. Es waren die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter, die – sofern sie den Zwangsaufenthalt in Deutschland überlebt hatten - inzwischen in die Jahre gekommen waren und für ihre Rentenversicherung den Nachweis ihrer Tätigkeit als Zwangsarbeiter in Nazi-Deutschland benötigten.
Es dauerte dann noch einmal weitere 10 Jahre, bis sich – auch unter dem Druck von Gerichtsverfahren und der öffentlichen Meinung – die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft dazu bereit fanden, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ins Leben zu rufen und sie mit 10 Milliarden D-Mark auszustatten. Das Geld wurde zum Teil für die Entschädigung der Zwangsarbeiter verwandt, die im Deutschen Reich Zwangs- und Sklavenarbeit hatten leisten müssen. Die Mittel gingen auch an ehemalige polnische Arbeiter, aber auch an Zwangsarbeiter anderer Nationalitäten wie auch an Deutsche und Juden. Mehr als 1,6 Millionen NS-Opfer erhielten eine einmalige Entschädigungsleistung in Höhe von 2.556 bis maximal 7.669 €. In dem regionalen Tei derAusstellung hier ist das Schicksal des polnischen Zwangsarbeiters Jan Nowogrodzki dokumentiert. Für seine mehr als zwei Jahre währende Zwangsarbeit erhielt er eine Entschädigung in Höhe von 2.556.- € --- und das nach fast 60 Jahren. Das ist schon beschämend. Die Scham nimmt zu, wenn man sieht, was für andere getan wurde und getan wird. Das Erinnern ist das mindeste, was wir diesen Menschen heute schuldig sind.
Vortrag über die Koblenzer Stolpersteine und ihre Hintergründe
Am 4. Februar 2012 hielt unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig einen Vortrag zu den in Koblenz verlegten „Stolpersteinen“ und gab dazu die nachfolgenden Hintergrundinformationen:
Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 - 1945
Vortrag gehalten von Joachim Hennig, am 4. Februar 2012 im Medienladen Koblenz
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich begrüße Sie sehr herzlich zum heutigen Vortrag „Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 - 1945“ und freue mich über Ihr Kommen. Mein Name ist Joachim Hennig. Ich bin stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz. Als solcher möchte ich Sie auch im Namen des Vereins sehr herzlich begrüßen. Dieser Vortrag soll Ihnen Hintergrundinformationen zu den in Koblenz verlegten und zu verlegenden „Stolpersteinen“ geben. Denn Sie und Ihre Gruppe sind daran interessiert, diese „Stolpersteine“ zu betreuen.
Deshalb die Frage: Für wen werden diese „Stolpersteine“ verlegt?
Das Thema betrifft die jüngere Geschichte hier in Deutschland. Eine Zeit, zu der die allermeisten von Ihnen noch nicht geboren waren – ich übrigens auch nicht. Ich möchte Ihnen etwas über die Zeit von 1933 – 1945 hier in Deutschland erzählen. Der Zeitraum betrifft mal gerade 12 Jahre. Zu Ende war diese Zeit 1945, also heute vor 67 Jahren.
Sie werden sich sicherlich fragen, warum ich Ihnen – wenn ich Ihnen schon etwas von deutscher Geschichte erzähle – gerade von diesen 12 Jahren berichte. Deutsche Geschichte gibt es seit fast 1.100 Jahren. Warum von diesen 1.100 Jahren gerade die 12 Jahre von 1933 – 1945. Die Erklärung ist die: Es gibt keine Zeit der deutschen Geschichte, die für uns heute so wichtig ist wie diese 12 Jahre. Diese 12 Jahre sind – wie man so sagt – „Vergangenheit, die nicht vergeht“. Diese 12 Jahre sind immer gegenwärtig – etwa, wenn es um Neonazis geht – denn damals in den 12 Jahren gab es – wenn Sie so wollen – das „Original“ dieser Neonazis – die Nazis, die Nationalsozialisten. „Neo“ heißt ja „neu“. Die Nazis von 1933 – 1945 sind diejenigen, denen die Neonazis folgen wollen.
Damit das nicht passiert, gibt es im heutigen Deutschland zahlreiche Bemühungen. Eine dieser Anstrengungen ist die Gedenkarbeit, die ich Ihnen hier näher bringen will. Die Gedenkarbeit will verhindern, dass es heute und später hier in Deutschland wieder Nazis – Neonazis – gibt. Diese Arbeit sagt: „Nie wieder!“ – „Nie wieder Nationalsozialismus!“ – „Nie wieder Nazis oder Neonazis!“
Was ist jetzt diese Gedenkarbeit? Es ist die Erinnerung an die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945, vor allem die Erinnerung an die Opfer. Wir wollen an unbekannte, namenlose Menschen erinnern, ihnen ihren Namen, ihre Geschichte, ihre Würde und Kultur wieder zurückgeben, die ihnen von den Nazis so menschenverachtend geraubt wurde. Außerdem wollen wir solche Menschen zeigen, die dem Terror der Nazis Widerstand entgegengesetzt haben, die „nein“ gesagt und gegen die Nazis gehandelt haben. Sie können und sollen für uns heute Vorbilder sein, damit wir hier und heute in unserer Gesellschaft – Zivilcourage üben, d.h. handeln, wenn ein anderer Mensch bedrängt wird, Schaden erleiden kann von anderen Menschen, dass wir dem schwachen Menschen in seiner Not helfen und ihn nicht allein lassen.
Diese Gedenkarbeit ist heute in Deutschland so wichtig, dass es seit vielen Jahren einen offiziellen Gedenktag gibt. Es ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar jeden Jahres. Es ist kein Nationalfeiertag, auch kein religiöser Feiertag, sondern ein nationaler Gedenktag. An diesem Tag denkt man an die Opfer des Nationalsozialismus. Es ist kein Feiertag, aber ein Gedenktag, an den öffentlichen Gebäuden gibt es Fahnen – das ist bei uns ja nicht so häufig -, und diese Fahnen sind auf halbmast. Sie drücken also Trauer aus. Trauer über die Opfer des Nationalsozialismus. In vielen Parlamenten, im Deutschen Bundestag und auch im Landtag von Rheinland-Pfalz finden Sondersitzungen zum Gedenken an die NS-Opfer statt. In vielen Städten Deutschlands, auch hier in Koblenz, wird an Mahnmalen und an anderen Stellen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Sie haben sich vielleicht schon gefragt, warum denn gerade der 27. Januar der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ist. Die Erklärung scheint einfach zu sein: Es ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz durch die Armee der damaligen Sowjetunion. Das war am 27. Januar 1945.
Was war und ist Auschwitz? Auschwitz ist der größte Friedhof in der Geschichte der Menschheit. Die Nationalsozialisten deportierten in diese Gegend des heutigen Ostpolen, die die Nazis damals im Zweiten Weltkrieg besetzt hatten, mehrere Millionen Menschen. Sie kamen dort in ein Konzentrationslager, abgekürzt KZ. Das Lager war gleichzeitig ein Vernichtungslager. Dort wurden diese Menschen gequält, sie mussten sehr hart arbeiten, hatten unendlich großen Hunger, sind an Hunger und Krankheiten gestorben. Allein in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden ungefähr 1,2 bis 1,6 Millionen Menschen mit Giftgas ermordet. Und das einfach deshalb, weil diese Menschen – vor allem Juden aus Deutschland, aber auch aus fast ganz Europa – anders waren als die Nazis. Die Nazis wollten Menschen alle nach einem Schema - blond und mit blauen Augen. Sie meinten, diese und nur diese Menschen seien gut und wertvoll. Die anderen seien minderwertig. Sie wollten Menschen züchten wie Hunde – nach Rassengesichtspunkten. Und außerdem durfte keiner eine andere Meinung haben als sie selber.
Als die Rote Armee am Nachmittag des 27. Januar 1945 das KZ Auschwitz betrat, waren die Lageranlagen von den Wachmannschaften der SS verlassen. Man fand die Leichen von 600 Gefangenen, die nur Stunden vor der Befreiung des Lagers getötet worden waren. 7.650 kranke und erschöpfte Gefangene wurden fürs erste gerettet. In den Lagerhäusern fanden die Befreier 350.000 Männeranzüge, 837.000 Frauenkleider und große Mengen an Kinder- und Babykleidung. Zusätzlich fanden sie Zehntausende Paar Schuhe und 7,7 Tonnen menschliches Haar in Papiertüten, fertig für den Transport verpackt.
Über diese historischen Ereignisse hinaus, die sich am 27. Januar 2012 zum 67. Mal jährten, ist „Auschwitz“ aber noch etwas anderes: Auschwitz ist im nationalen und auch internationalen Sprachgebrauch inzwischen das Synonym für Unmenschlichkeit, Völkermord, Rassenwahn und Intoleranz.
Die Wurzeln dieser Unmenschlichkeit, dieses Völkermords, dieses Rassenwahns und dieser Intoleranz liegen weiter zurück. Das kann ich Ihnen hier nicht erzählen, das würde lange dauern. Ich kann Ihnen auch nicht schildern, wie es möglich war, dass Politiker an die macht kamen, die solche Gefühle schürten und sie in die Tat, bis hin zum Völkermord, umsetzten – und warum Menschen, viele, viele Menschen in Deutschland mithalfen, dass so etwas passieren konnte.
Jedenfalls ist es passiert. Und es ist überall in Deutschland passiert. Auch hier in Koblenz. Und beginnen will ich mit dem Anfang dieser 12 Jahre des Nationalsozialismus. Das war der 30. Januar 1933. An diesem Tag kam Adolf Hitler mit seinen Nationalsozialisten an die Macht. Hitler wurde Reichskanzler, also Chef der Reichsregierung.
Die Verfolgung in Koblenz begann schon wenige Tage nach der sog. Machtergreifung am 30. Januar 1933 mit dem Erscheinungsverbot für Zeitungen, mit der Verhinderung von Demonstrationen und der Entfernung von Demokraten aus Schlüsselstellungen in den Verwaltungen. Demokraten, die den Nazis beim Aufbau ihrer Macht im Wege waren, wurden einfach aus ihren Ämtern entfernt und durch ihre Leute, also durch Nazis, ersetzt.
Einen Monat später, Ende Februar 1933, brannte dann das Parlamentsgebäude, der Reichstag in Berlin – heute wieder Sitz unseres Parlaments, des Deutschen Bundestages. Die Hintergründe für den Brand sind bis heute nicht richtig geklärt. Sie werden auch wohl nicht mehr geklärt werden können. Jedenfalls war dieser Brand für die Nazis der willkommene Anlass, mit den politischen Gegnern aus der sog. Kampfzeit abzurechnen und insbesondere unerbittlich Kommunisten, später auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter zu verfolgen. Zunächst nahmen die Nazis in ganz Deutschland viele Kommunisten in sog. Schutzhaft. Festgehalten wurden sie hier in Koblenz vornehmlich in dem Koblenzer Stadtgefängnis in der Karmeliterstraße. Das steht heute nicht mehr. Es stand da, wo sich jetzt der rückwärtige Teil des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB - „Koblenzer Hof“) befindet und das Gedenkrelief für Pater Josef Kentenich angebracht ist.
Die so Inhaftierten wurden in einer SA-Kaserne verhört und misshandelt. Zu diesem Gebäude wissen wir bisher nicht mehr, als dass es in der Nähe des Schlosses stand. Auch wissen wir etwas über die Quälereien, die dort stattfanden.
Es folgten die ersten Schikanen und Drangsalierungen der Juden, indem man sie als Richter, als Staatsanwalt oder als Rechtsanwalt und auch aus der Ausbildung zu diesen Berufen entfernte, ihre Geschäfte boykottierte und sie wegen vermeintlicher Straftaten kriminalisierte.
Weiter ging es mit den Gewerkschaften. Sie wurden im Mai 1933 zerschlagen und Gewerkschafter vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. Die SPD wurde einen Monat später verboten. Dann kamen auch SPD-Leute in „Schutzhaft“. Die ersten Koblenzer kamen in die neu errichteten Konzentrationslager im Emsland. Dort in Esterwegen wurden sie u.a. von einem Koblenzer SS-Mann und späteren Leiter eines Konzentrationslagers gequält. Einer dieser „Schutzhäftlinge“ war der Koblenzer Kommunist und Buchhändler Richard Christ. Als ihn die Wähler der letzten halbwegs freien Kommunalwahlen im März 1933 in den Stadtrat wählten, saß er schon hier in Koblenz „Schutzhaft“ ein. Zunächst wurde er hier in Koblenz gequält. Ein Jahr später starb er an den Folgen der erlittenen Misshandlungen. Für Richard Christ ist übrigens in der Neustadt 23 ein „Stolperstein“ verlegt.
Drangsaliert - wenn auch in deutlich geringerem Maße - wurden auch die Mitglieder der (katholischen) Zentrumspartei. Ihre Abgeordneten verloren ihre Mandate und waren Diffamierungen ausgesetzt. Mit Sparkassen- und Devisenverfahren wollte man sie kriminalisieren. Diese Strafprozesse endeten aber mit Freispruch.
Härter ging die Justiz mit den Kommunisten (KPD) um. Anlass für Strafverfahren gegen sie waren etwa illegaler Waffenbesitz, die Herstellung oder Verteilung von Flugschriften der KPD, die Zahlung von Beiträgen an die inzwischen illegale Parteikasse o. ä. Solche Aktivitäten galten als Hochverrat und führten auch bei Koblenzern zu Strafverfahren. So wurden beispielsweise in einem Massenverfahren 21 Koblenzer Kommunisten wegen Verteilung von Flugschriften und Zeitungen sowie sonstiger Betätigung für die inzwischen illegale KPD mit bis zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.
Die Justiz ließ sich schon sehr früh und auch in anderen Bereichen für das Unrechtsregime missbrauchen. Dies geschah beispielsweise bereits ab 1934 in den Erbgesundheitsgerichten, die aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sog. Rassenhygiene betrieben. Auch das hier in Koblenz ansässige Erbgesundheitsgericht ordnete Zwangssterilisationen an. Allein 1934 waren es 530 und 1935 920 Anordnungen. Die allermeisten Unfruchtbarmachungen erfolgten zwangsweise. Viele wurden im Städtischen Krankenhaus Kemperhof durchgeführt.
Eine andere Form des Rassismus der Nazis war es, „fremde Rassen“ als genetisch „minderwertig“ zu diskriminieren, wie es etwa durch die sog. Nürnberger Gesetze und ihre Folgeerscheinungen geschah. In Verfolg dessen gab es hier in Koblenz Mitte 1935 die „Judenliste von Koblenz“, mit der unter Namensnennung im Einzelnen zum Boykott gegen jüdische Geschäfte, Rechtsanwälte, Ärzte u.a. aufgerufen wurde. Nach dem „Blutschutzgesetz“, einem Nürnberger Gesetz, waren außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen Juden und „Ariern“ verboten. Schon ein Kuss war versuchte „Rassenschande“. Der 57jährige Jude Max Kaufmann aus Koblenz wurde wegen eines solchen Kusses vom Landgericht Koblenz zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Diese Strafe büßte er vollständig ab und wurde als Jude alsbald in den Osten deportiert.
Zentrum dieses sich immer mehr steigernden Terrors war die Leitstelle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo-Leitstelle) in der Straße „Im Vogelsang“. Das Gebäude existiert heute nicht mehr, wohl aber die Straße „Im Vogelsang“. Es ist eine kleine Straße neben dem heutigen Landeshauptarchiv und sie führt - heute wie früher - auf den Haupteingang des Gebäudes des Landgerichts. Erst um 1935 hatte die Gestapo das Gebäude bezogen. Es war viele Jahre lang von der Reichsbank genutzt worden. Als diese dann in die Neustadt am Schloss zog, in das Gebäude, in dem sich heute die Landeszentralbank befindet, wurde dieses alte Reichsbankgebäude frei. In dies zog wie gesagt die Gestapo. Sie können sich vorstellen, was sich dort jahrelang in den im Keller gelegenen Tresorräumen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt hat. Dort war das „Hausgefängnis“ der Gestapo(leit)stelle Koblenz. Dorthin wurden Mitbürger gebracht, vor allem um sie zu verhören und dabei zu quälen und zu foltern.
Im katholischen Rheinland blieb es nicht aus, dass der politische Katholizismus, die katholische Kirche und der katholische niedere Klerus ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten gerieten. Die Nazis wollten letztlich die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und den Einfluss des Katholizismus zurückdrängen. Dabei rückten die katholischen Priester immer mehr in das Blickfeld. Auf ihrem Rücken trugen die Nazis - auch hier in Koblenz - ihren „Weltanschauungskampf“ gegen die katholische Kirche aus. Das sah dann beispielsweise so aus, dass schon die Nichtbeflaggung des Kirchturms Anlass für eine vorübergehende „Schutzhaft“ und/oder eine mehrmonatige Gefängnisstrafe war.
Auch evangelische Pfarrer blieben von den Nazis nicht verschont. Einer der bekanntesten ist der Dickenschieder Pfarrer Paul Schneider, der wiederholt in Koblenz in „Schutzhaft“ inhaftiert war. Teils hielt man ihn in dem bereits erwähnten Karmelitergefängnis fest, teils aber auch im Polizeigefängnis (heute Neubau der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz am Friedrich-Ebert-Ring). Aus diesem Polizeigefängnis heraus wurde Pfarrer Paul Schneider ins KZ Buchenwald deportiert. Wegen seines unbeugsamen Widerstehens aus christlicher Überzeugung erhielt er später den Ehrennamen „Prediger von Buchenwald“. Er ist wohl das erste Koblenzer Opfer des nationalsozialistischen Regimes, das in einem Konzentrationslager umgebracht wurde.
Ähnlich aufrecht waren die Zeugen Jehovas bzw. die Ernsten Bibelforscher wie sie damals hießen. Zunächst überzog man sie wegen ihres Glaubens mit Strafverfahren und sperrte sie in Gefängnisse. Später nahm man einige von ihnen auch hier in Koblenz in „Schutzhaft“ und verschleppte sie in Konzentrations-lager.
Das Jahr 1938 kündigte dann einen Wendepunkt der Verfolgung im Nationalsozialismus an. Der Vorbote dieses Wendepunktes war die sog. Reichspogromnacht. Sie und ihre Folgen machten den jüdischen Mitbürgern deutlich, dass für sie die bürgerlichen Rechte und Gesetze in einem totalen und existentiellen Sinne nicht mehr galten. In Koblenz wurden von Trupps der SA, SS und Gestapo 19 Geschäfte und 41 Wohnungen demoliert. Jüdische Mitbürger wurden misshandelt, die Synagoge wurde zerstört, der Friedhof geschändet und die Leichenhalle verwüstet. Die Gestapo verhaftete etwa 100 Männer und verschleppte sie ins Konzentrationslager Dachau. Dabei gab es durch Herzattacken zwei Todesopfer. Wohl alle kamen dann wieder frei, aber die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder - auch hier in Koblenz - waren in ihrem Lebensnerv schwer getroffen und letztlich als rechtlos aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Die endgültige Wende brachte der vom Hitler am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen entfesselte Zweite Weltkrieg. Auf diese Situation hatten die Nazis nicht nur längere Zeit militärisch und außenpolitisch hin gearbeitet, sondern sich auch innenpolitisch vorbereitet. Dazu hatten sie eine Kartei mit SPD-Parteifunktionären und mit Gewerkschaftern angelegt. Am 1. September 1939 verschleppten sie entsprechend dieser sog. A-Kartei-Aktion etwa 850 Personen in Konzentrationslager. Einer von ihnen war der Metternicher SPD-Funktionär Johann Dötsch. Er blieb fast sechs Jahr im KZ Sachsenhausen. Er überlebte und war nach seiner Rückkehr nach Koblenz Wiederbegründer der SPD in Koblenz. Kaum ein Jahr später starb er an den Folgen der im KZ erlittenen Misshandlungen.
Im Zuge der Kriegsvorbereitungen schufen die Nazis die Grundlagen für die Verfolgung im künftigen Krieg, der dann Verfolgungen in einem ganz anderen Maße auslöste bzw. ermöglichte. Mit Kriegsbeginn holte man die in der Schublade verwahrten Gesetze und Verordnungen hervor und setzte sie in Kraft: die Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 17. August 1938, die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939, die Kriegswirtschafts-Verordnung vom 4. September 1939 und die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939. Allein schon die Wortwahl „Volksschädling“ macht deutlich, was damit bezweckt war: die „Schädlingsbekämpfung“, die Vernichtung von Menschen.
Diese Rechtsvorschriften lieferten die scheinlegale Grundlage für die Bestrafung u.a. von Eides- und Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Saboteuren, und das bedeutete oft - wie es damals hieß - ihre „Ausmerze“. Auch Koblenzer bzw. Personen aus dem Umland wurden Opfer dieser Blutjustiz. Einer dieser Eides- und Kriegsdienstverweigerer war der Pallotiner-Pater Franz Reinisch, er gehörte zum Kreis um Pater Josef Kentenich. Reinisch wurde wegen seiner Gewissensentscheidung, den Treueid als wehrpflichtiger Soldat auf Hitler persönlich nicht leisten zu können, vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Neben diesem Reichskriegsgericht in Berlin gab es aber auch eine Militärgerichtsbarkeit „vor Ort“, die solche Handlungen mit drakonischen Strafen aburteilte. Hier in Koblenz residierte ebenfalls ein Militärgericht. Es hatte seinen Sitz im Coenenschen Haus in Ehrenbreitstein. Auch dies verhängte Todesurteile, nach einer groben Stichprobe wissen wir von mindestens 11 Todesurteilen.
Zur Aburteilung solcher Wehrdienstentziehungen waren auch die zivilen Gerichte zuständig. Solche Straftaten kamen aber nun nicht vor die „normalen“ zivilen Gerichte. Vielmehr hatten die Nazis schon frühzeitig Sondergerichte geschaffen. Ein solches Sondergericht war etwa der Volksgerichtshof in Berlin. Daneben gab es aber solche auch „vor Ort“. Sie hießen auch so - nämlich Sondergerichte - und waren bei den Landgerichten angesiedelt. Zunächst existierte beim Landgericht in Koblenz noch kein derartiges Sondergericht, es wurde dann aber im Jahre 1940 eingerichtet - wegen des starken Geschäftsanfalls wie es hieß. Von da ab spielte in diesem Bereich auch das Sondergericht Koblenz eine schlimme Rolle. Vom Sondergericht in Koblenz sind allein 15 Todesurteile bekannt.
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte in vielem eine schwerwiegende Verschärfung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse und eine weitere Radikalisierung der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und ihre Helfer. Damit änderten sich die Repressalien der Nazis reichsweit und in dem von ihnen angegriffenen und besetzten Europa, aber auch konkret hier in Koblenz. Es änderte sich nicht die Richtung der Verfolgung, wohl aber deren Schwere und die Zahl der Opfer. Waren bisher - bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges - die Toten die Ausnahme, so war es für die Zeit danach eher umgekehrt: Die Ausnahme waren die Überlebenden.
Auf den 1. September 1939 datierte auch der sog. Ermächtigungserlass Hitlers, der die pseudo-rechtliche Grundlage für den als „Euthanasie“ genannten Massenmord an mehreren hunderttausend Menschen bildete. Auch Koblenzer Mitbürger sind als „lebensunwertes Leben“ (Stichwort der Nazis: „unnütze Esser“) vernichtet worden. Die meisten von ihnen sind in der „Euthanasie“-Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg mit Kohlenmonoxyd ermordet und anschließend verbrannt worden. Das war für sie die letzte Station auf ihrem Leidensweg.
Mit dem Krieg verstärkte sich auch die Verfolgung der Sinti und Roma. Hatte man diese als Zigeuner bezeichneten Menschen zunächst schikaniert, dann registriert und die in der Umgebung von Koblenz lebenden Sinti hier konzentriert, so wurden sie alsbald deportiert. Im Zusammenhang mit dem sog. Westfeldzug wurden im Mai 1940 zehn in Koblenz lebende Sinti-Familien (insgesamt 77 oder 78 Personen) aus ihren Wohnungen herausgeholt und gesammelt. Sie kamen in Ghettos in das besetzte Polen, aus denen inzwischen polnische Juden vertrieben worden waren. Um dort überhaupt überleben zu können, mussten sie - selbst 10-jährige Kinder - in Steinbrüchen u.ä. sehr hart arbeiten.
Im Zuge des „Westfeldzuges“ wurden die Nazis auch vieler politischer Gegner habhaft, die seit 1933 in das Ausland emigriert waren. Gerade aus Koblenz und Umgebung flohen einige, vor allem Juden, nach Holland. Andere, „Politische“ - es waren ganz überwiegend Kommunisten - suchten zunächst in dem Saargebiet, das einen Sonderstatus hatte, Zuflucht und flohen später weiter nach Frankreich. Teilweise nahmen sie sogar auf Seiten der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teil. Nach der Besetzung eines Teils von Frankreich wurden sie von den kollaborierenden Franzosen den Nazis ausgeliefert. Man verschleppte sie nach Deutschland und einige von ihnen saßen mehr oder minder lange in Gestapohaft in Koblenz. Ihnen machte man dann vor dem Volksgerichtshof in Berlin den Prozess. Manche von ihnen wie etwa der aus (Höhr-) Grenzhausen stammende Kommunist und Spanienkämpfer Hermann Geisen wurde vom Volksgerichtshof wegen „Zersetzung der Wehrkraft, Hoch- und Landesverrats“ zum Tode verurteilt und im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Nach wie vor wurden die katholischen Priester und Patres verfolgt. Eine größere Anzahl von ihnen - zwar nicht aus Koblenz selbst, wohl aber aus dessen näherer Umgebung - wurde allein wegen der Verteidigung ihres religiös-seelsorgerischen Bereichs, ihrer kulturellen Autonomie und ihrer ethischen Maximen schikaniert und festgenommen und dann in Koblenz in Gestapohaft gehalten. Besonders unerbittlich gingen die Nazis und ihre Helfer gegen die in Schönstatt bei Vallendar beheimatete Schönstatt-Bewegung vor.
Unterdessen verfolgte der Nationalsozialismus schon längst nicht mehr nur seine traditionellen Gegner. Als totale Weltanschauung und als totaler Staat ließ man in letzter Konsequenz keine autonomen Instanzen oder Organisationen neben sich zu. Deshalb duldete man im Bereich der Jugend auch keine autonomen Erziehungsträger und keine autonomen Gruppen und selbst kein nonkonformes Verhalten einzelner. Diesen Totalitätsanspruch setzten die Nazis auch im Bereich der Jugend immer mehr durch, indem man bald außer der Hitler-Jugend keine Jugendverbände mehr duldete. Die letzte traditionelle Jugendgruppe, die darunter zu leiden hatte, war die bündische Jugend. Eine solche gab es auch hier in Koblenz. Es war der „Graue Orden“, eine bündische Jungenschaft im Bereich der katholischen Kirche. Auch dessen Mitglieder waren „Schutzhaft“ und Verfolgung ausgesetzt. Sie hatten hier in Koblenz übrigens Kontakte zu dem seinerzeit in Bonn studierenden Willi Graf, der später als Mitglied der „Weißen Rose“ hingerichtet wurde. Das ist übrigens der Grund dafür, dass die Grundschule in Koblenz-Neuendorf den Namen „Willi-Graf-Schule“ trägt.
Die Verfolgung der Juden endete im Völkermord. Seit der sog. Reichspogromnacht hatte sich ihre Lage weiter zugespitzt. In den folgenden Wochen und Monaten ging ein Hagel diskriminierender Verordnungen auf sie nieder. Ein Symbol war der gelbe Stern. Er signalisierte den bevorstehenden Beginn der Deportation. Die Juden waren auch in Koblenz und dessen Umgebung die mit Abstand größte Opfergruppe. Wie keine andere Gruppe wurde für sie die geradezu fabrikmäßige Vernichtung in den KZs des Ostens angeordnet und ganz konsequent durchgeführt. Nachdem im Sommer oder Herbst 1941 die Vernichtung der in deutschen Einflussgebiet lebenden Juden beschlossen und im Januar 1942 auf der sog. Wannsee-Konferenz der verwaltungsmäßige Ablauf des Völkermords koordiniert worden war, setzten ab März 1942 auch die Deportationen der in Koblenz und Umgebung noch lebenden Juden ein.
Der erste Transport, der mit Güterwaggons vom Güterbahnhof in Lützel aus erfolgte, fand am 22. März 1942 statt – vor nunmehr fast 70 Jahren. Mit dem Transport wurden 337 Juden aus dem Stadt- und Landkreis Koblenz in ein Ghetto in Ostpolen. Notdürftig Platz gab es da auch nur, nachdem dort zuvor eingepferchte polnische Juden in die nahe gelegenen Vernichtungslager Chelmno, Belzec und Sobibor verschleppt und dort ermordet worden waren. Das gleiche Schicksal war auch den Juden aus Koblenz bestimmt und im Herbst oder Winter 1942 kamen alle von ihnen im Rahmen der sog. Aktion Reinhard, benannt nach dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich, in den Vernichtungslagern Sobibor oder Belzec um. In der Folgezeit gab es noch fünf weitere Deportationen von Koblenz aus mit zum Teil unterschiedlichen Zielen, darunter auch Auschwitz. Damit wurden wesentliche Teile der damaligen bürgerlichen Gesellschaft ausgerottet. Kaufleute, Unternehmer, Rechtsanwälte, Ärzte, Künstler u.a. mit ihren Familien wurden Opfer dieses Rassenwahns. Alle Verfolgten verloren schon durch die bloße - wie es hieß - „Auswanderung“ ihre deutsche Staatsangehörigkeit. In den Konzentrationslagern kamen mindestens 576 jüdische Mitbürger aus dem Stadt- und Landkreis Koblenz um - nur 24 Personen überlebten. Fast zeitgleich mit ihrer Deportation in die Vernichtungslager war bestimmt worden, dass nach dem Tod eines Juden sein Vermögen dem Deutschen Reich verfiel. Verantwortlich für diese Deportationen war die Geheime Staatspolizei - Staatspolizeistelle Koblenz.
Ein ähnliches Schicksal wie die Juden hatten die Sinti zu erleiden. Der massenhafte Mord an ihnen begann mit Himmlers Auschwitz-Erlass von Dezember 1942, mit dem etwa 22.000 Sinti und Roma aus ganz Europa in den als „Zigeunerlager“ bezeichneten Abschnitt des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Die erste Deportation der Sinti aus Koblenz fand am 10. März 1943 statt. Betroffen hiervon waren etwa 150 Personen, 40 Männer, 44 Frauen und 65 Kinder. Es waren „Zigeunermischlinge“ wie sie die Nazis nannten, die am Morgen mit drei Waggons vom Koblenzer Hauptbahnhof aus nach Auschwitz verschleppt wurden. In der Folgezeit hat es mindestens noch eine weitere Deportation von Sinti aus Koblenz gegeben. Diese fand Ende April 1944 statt und hatte ebenfalls das „Zigeunerlager“ des KZ Auschwitz-Birkenau zum Ziel. Diese Deportationen wurden von der Kriminalpolizei hier in Koblenz mitorganisiert und durchgeführt. Wie bei den Juden gab es auch unter den Sinti und Roma in Auschwitz „Selektionen“. Die Arbeitsfähigen wurden in andere KZs verschleppt, die übrigen Anfang August 1944 „liquidiert“. Allein in Auschwitz wurden 26 Sinti aus Koblenz ermordet.
Mit fortschreitendem Weltkrieg kamen immer mehr ausländische Staatsangehörige ins Deutsche Reich und auch nach Koblenz. Sie waren für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft dringend nötig, denn es standen damals sehr viele Männer als Soldaten im Krieg und zudem wurden in der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft viele Arbeitskräfte gebraucht. Diese Ausländer waren entweder Kriegsgefangene oder - wie man sie im Unterschied hiervon verharmlosend nannte - „Zivilarbeiter“. In Koblenz gab es zeitweise 1.265 Fremdarbeiter, vor allem Russen und Polen. Beispielsweise in Moselweiß und in Lützel existierten „Ostarbeiterlager“. Die Zwangsarbeiter waren bei öffentlichen Betrieben und bei Privatfirmen beschäftigt und kehrten vielfach nach der Arbeit in die Sammelunterkunft zurück. Am schlechtesten ging es den Sowjets. Sie waren für die Nazis „Untermenschen“, mussten das Abzeichen „Ost“ für Ostarbeiter tragen, waren fast ausschließlich in Sammellagern - mit Stacheldraht herum - untergebracht. Ihre Lebenssituation war generell gekennzeichnet durch schlechte Ernährung, Bezahlung, Unterbringung und Kleidung, oft überlange Arbeitszeiten, mangelnde ärztliche Versorgung, Übervorteilung durch deutsche Vorgesetzte, Diffamierungen und Misshandlungen. Man wollte nur ihre Arbeitskraft. Schwangerschaften waren unerwünscht. Allein im Städtischen Krankenhaus Kemperhof wurde bei mehreren hundert Polinnen und Ostarbeiterinnen die Leibesfrucht abgetrieben. Kam es gleichwohl zur Geburt eines Kindes, so hatte es angesichts der gesamten Umstände kaum eine Lebenschance und wurde der Mutter auch weggenommen, damit diese sofort wieder Zwangsarbeit leisten konnte. Bei Arbeitsverweigerungen und „Unbotmäßigkeit“ kamen sie vorübergehend in Gestapohaft. Auf dem Koblenzer Hauptfriedhof sind aus jenen Jahren 630 Sowjetbürger, 57 Polen und andere ausländische Staatsangehörige beerdigt.
Bisher wurde immer von Verfolgungssituationen und von widerständigem Verhalten von Personen berichtet, die Mitglieder von Gruppen waren - und die deshalb widerständig und/oder Opfer von Verfolgung wurden. Der Betreffende wurde verfolgt, weil er Kommunist, Zeuge Jehovas, katholischer Priester, Sinto, Jude, Zwangsarbeiter o.ä. war. Auf der Höhe des Terrors wurde potentiell jedes nonkonforme Verhalten, ja jede abweichende, „defätistische“ Meinungsäußerung zum Verbrechen. Damit erreichte die Verfolgung eine ganz neue Dimension: Es kam tendenziell zur Verfolgung des Volkes.
Pastor Martin Niemöller, einer der aktivsten Köpfe der Bekennenden Kirche und langjähriger Verfolgter der Nazis, hat diese Entwicklung und die Unfähigkeit, dagegen wirksam protestieren zu wollen und später zu können, einmal in die treffenden Worte gekleidet:
Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.
Als Lichtblick in jener ganz dunklen Zeit, als moralische Instanz und als Funken Hoffnung auf ein besseres Deutschland gab es den Attentatsversuch am 20. Juli 1944. Ein unmittelbarer Bezug zwischen jenem Widerstand und Koblenz lässt sich nicht herstellen. Aber immerhin sei so viel gesagt: Die in Boppard geborene Maria Terwiel, eine Juristin, war Mitglied der Widerstandsgruppe der sog. Roten Kapelle und wurde ebenso hingerichtet wie der in Bad Ems geborene und zum Kreisauer Kreis gehörende Sozialist und Reformpädagoge Adolf Reichwein. In Koblenz selbst geboren war der katholische Priester und Armeepfarrer a.D. Friedrich Erxleben. Als profiliertes Mitglied des sog. Solf-Kreises entging er einer Verurteilung durch den Volksgerichtshof und dem mutmaßlichen Tod nur knapp. Nach dem Krieg kehrte er in eine Pfarrei an der Untermosel zurück.
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler setzte eine ungeheuer große und massive Verfolgung der daran Beteiligten ein. Dabei machten die Nazis und ihre Helfer nicht einmal vor deren Familienangehörigen, also Frauen und Kindern, und selbst nicht vor einer Schwägerin eines Prinzen von Hohenzollern halt. Diese war mit dem Artilleriegeneral Fritz Lindemann verheiratet und lebte während des Krieges bei ihrer Schwester auf Burg Namedy bei Andernach. Frau Lindemann war als sog. Sippenhäftling längere Zeit in Gestapohaft in dem Karmelitergefängnis in Koblenz, ehe sie dann über viele Stationen fast durch das ganze damalige Deutsche Reich gehetzt und schließlich in Tirol in den Alpen befreit wurde.
Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, bin ich zwar nicht am Ende und auch nicht fertig, aber ich höre hier mit dem Vortrag auf. Vieles konnte ich nur verkürzt darstellen, manches gar nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Interesse.