100. Stolperstein in Koblenz – Verlegung am 13. November 2014
Am Donnerstag, dem 13. November 2014, fand die nächste Verlegeaktion von Stolpersteinen, es war die 9. Aktion dieser Art in Koblenz, statt. An diesem Tag hatte der Kölner Künstler Gunter Demnig ein umfangreiches Programm zur Verlegung seiner Steine. Höhepunkt – jedenfalls aus Koblenzer Sicht – war die Verlegung des 100. Stolpersteins in Koblenz auf dem Zentralplatz.
Das morgendliche Programm Demnigs begann mit der Verlegung des 1. Stolpersteins in Braubach. In Anwesenheit des dortigen Stadtbürgermeisters und Angehörigen des NS-Opfers wurde ein Stolperstein für einen Behinderten und nicht an das NS-Unrechtsregime „Angepassten“ verlegt. Ihm war es gelungen, vor der drohenden Verschleppung in eine NS-Tötungsanstalt aus dem „Pflege“heim zu fliehen. Alsbald wurde er aber aufgegriffen und in ein Konzentrationslager verschleppt. Dort kam er – wie man so sagt – um. Angehörige von ihm, der ledig gestorben ist, haben in der letzten Zeit sein Schicksal recherchiert und die Verlegung des 1. Stolpersteins in Braubach organisiert. Sie werden bei der Verlegung auch anwesend sein.
Anschließend kam Gunter Demnig nach Koblenz und verlegte einen Stolperstein in Metternich, Trierer Straße 248. Dieser Stolperstein erinnert an den jüdischen Arzt Dr. med. Johann (Hans) Reiner. Reiner hat für Juden eine ungewöhnliche Verfolgungsgeschichte und stammt auch nicht aus einer Koblenzer Familie. Geboren wird er im Jahr 1886 in Teplitz/Österreich. Er durchläuft die Ausbildung als Mediziner und kommt als Medizinal- und Regierungsrat nach Koblenz
Am 29. Juli 1927 eröffnet er seine Arztpraxis in dem damals noch selbständigen Metternich in der Trierer Straße 248. Der jüdischen Kultusgemeinde in Koblenz schließt er sich nicht an. Offenbar steht er der Religion recht fern. Dafür spricht auch, dass er mit der im Jahr 1897 in Sarrebourg/Lothringen geborenen französischen Staatsangehörigen Madeleine, geb. Schmitt, verheiratet ist, sie ist Katholikin. Dieser persönliche und familiäre Hintergrund ist dann offensichtlich Anlass für die Feststellung der Koblenzer Gestapo, „Reiner hat am 21. November 1935 anlässlich seiner 25-jährigen Praxis in der katholischen Kirche in Metternich ein feierliches Amt lesen lassen. Er ist wohl katholisch getauft, aber jüdischer Abstammung.“
Lange bleibt Reiner nicht in Metternich. Er ahnt wohl, was ihm bevorsteht. Denn er wird von der Gestapo überwacht und steht ausweislich eines Vermerks vom 31. Oktober 1935 unter Spionageverdacht. Im Juli 1937 weiß die Koblenzer Gestapo, dass er nach Prag geflohen und Emigrant ist. Diese Flucht hat für ihn noch ein Nachspiel. Denn hierbei soll er ein Devisenvergehen begangen haben. Jedenfalls verurteilt ihn die Strafkammer des Landgerichts Koblenz in Abwesenheit zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis.
Während der „Sudetenkrise“ – am 4. August 1938 - erwirbt Reiner die tschechische Staatsangehörigkeit. Nach dem „Münchner Abkommen“ (30. September 1938) und der „Zerschlagung der Rest-Tschechei durch Hitler (15. März 1939) arbeitet Reiner in Prag, in dem von Hitler-Deutschland besetzten Tschechien (dem Protektorat Böhmen und Mähren) als leitender Kinderarzt. Aber wohl bald gerät er wieder in das Blickfeld der Gestapo. Er wird wegen angeblichen „Schleichhandels“ von der Gestapo verhaftet. Diese hält ihn zunächst in ihrem eigenen Gefängnis, dem berüchtigten Prager Gestapogefängnis Pankrác gefangen.
Am 20. März 1945 bringt man ihn in die Kleine Festung Theresienstadt/Terezín, die unter der Bezeichnung „Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Prag, Polizeigefängnis Theresienstadt“ als Filiale des Prager Gestapogefängnisses firmiert. Die Kleine Festung ist vor allem Haftort für Angehörige des tschechischen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Besatzung. Inhaftiert sind dort auch tschechische Politiker und Künstler, Geistliche und Journalisten. Seit 1943 ist die Kleine Festung schließlich Hinrichtungsort für ca. 250 Menschen. Einer von diesen ist Dr. Johannes Reiner. Fünf Wochen nach seiner Einlieferung wird er am 26. April 1945 um 6.00 Uhr morgens hingerichtet. Aller Voraussicht nach wird Reiner als tschechischer Widerstandskämpfer ermordet. Die letzte Exekution in der Kleinen Festung Theresienstadt findet eine Woche später, am 2. Mai 1945, statt. An diesem Tag sind 49 Männer und drei Frauen aus dem tschechischen Widerstand die Opfer.
Die Initiative für die Verlegung dieses Stolpersteins geht von einer Enkelin Dr. Reiners, Frau Christine Müller, aus. Frau Müller hat – soweit das möglich war – das Schicksal ihres Großvaters recherchiert. Sie wird mit ihrer Familie bei der Verlegung des Stolpersteins in Metternich, Trierer Straße 248, anwesend sein und sicherlich einige Worte an die Anwesenden richten.
Im Anschluss an die Verlegung des Stolpersteins in Metternich wurde die Aktion auf dem Zentralplatz in der Innenstadt fortgesetzt. Dort wurden die Stolpersteine 97, 98, 99. und 100 vor dem Forum Confluentes - an der Kreuzung Clemensstraße/ Viktoriastraße verlegt – in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig und SchülerInnen und LehrerInnen der Diesterweg- und der Hans-Zulliger-Schule..
Die vier Steine erinnern an die Familie Kaufmann, die in der früheren Balduinstraße 37 lebte. Die fünfköpfige Familie wohnte seit 1920 in Koblenz und seit 1936 in der Balduinstraße. Der Vater Hermann Kaufmann war gebürtig aus Boppard. Er zog bald in die Schweiz nach Zürich, kehrte aber zu Beginn des Ersten Weltkrieges nach Deutschland zurück, um für das Kaiserreich zu kämpfen. Während des Krieges war er Soldat und wurde mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Er und seine Frau Hedwig, geb. Abraham, hatten drei Söhne. Die ganze Familie wurde mit der 1. Deportation am 22. März 1942 nach Izbica in das von den Deutschen besetzte „Generalgouvernement“, verschleppt: die Eltern und die beiden jüngeren Söhne Hans Jakob und Ernst, die noch Schüler waren, vom Koblenzer Güterbahnhof in Lützel aus. Der älteste Sohn Alfred (geb. 1922), war ebenfalls in dieser Deportation, die für ihn allerdings seinen Ausgangspunkt in Bendorf-Sayn hatte, wo er Hilfspfleger in der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt war. Der für Koblenz 100. Stolperstein wird für den jüngsten Sohn, den bei der Deportation 11jährigen Ernst, verlegt.
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