Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Ausstellung "Nein zu Hitler! - Sozialdemokratie und Freie Gewerkschaften in Verfolgung, Widerstand und Exil 1933 - 1945"

In Erinnerung an Sozialdemokraten und Freie Gewerkschafter zeigt die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem Kultur- und Schulverwaltungsamt der Stadt Koblenz die Ausstellung: "Nein zu Hitler! - Sozialdemokratie und Freie Gewerkschaften in Verfolgung, Widerstand und Exil 1933 - 1945". Eröffnet wird sie am 9. September 2014 um 17.00 Uhr im Historischen Rathaussaal der Stadt. Sie ist dann bis zum 9. Oktober im Rathaus zu den Öffnungszeiten des Rathauses zu sehen. In dieser umfangreichen Ausstellung werden auf 40 Tafeln die Geschichte der Verfolgung und des Widerstandes wie auch gerade Biographien von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern während der NS-Zeit eindrücklich präsentiert.

Den Info-Flyer HIER herunterladen

Zur Eröffnung der Ausstellung gab unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig einen Überblick über die Verfolgung und den Widerstand von Sozialdemokraten und Gewerkschafter aus Koblenz und Umgebung geben. Dabei erinnerte er auch an die Verfolgung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren, bei der im Rahmen der sog. A-Kartei-Aktion auch Koblenzer Sozialdemokraten und Gewerkschafter dieser Verhaftungswelle zum Opfer fielen und bis zur Befreiung in Konzentrationslagern festgehalten wurden.

Lesen Sie nachfolgend das Impulsreferat von Joachim Hennig zur Ausstellungseröffnung „Nein zu Hitler!“ am 9. September 2014 im Historischen Rathaussaal in Koblenz

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf dem Programm zur Eröffnung der Ausstellung steht nun ein Impulsreferat von mir. Dazu möchte ich Ihnen in der nächsten etwa halben Stunde einiges aus dem Leben zweier Koblenzer – genau genommen: Metternicher – erzählen: von dem Sozialdemokraten und Gewerkschafter Johann Dötsch und von dem Gewerkschafter und Kommunisten Jakob Newinger. In diese Darstellung werde ich dann noch weitere Sozialdemokraten und Gewerkschafter aus dem heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz einflechten.

Diese Geschichte beginnt im ausgehenden 19. Jahrhundert: Im Jahr 1889 wird Jakob Newinger in St. Sebastian geboren, ein Jahr später Johann Dötsch in dem damals noch selbständigen Metternich. Zur Erinnerung: Im Jahr 1889 wurde der 1. Mai als Kampftag der Arbeiterbewegung ausgerufen und im Jahr 1890 zum ersten Mal mit Massenstreiks und Massendemonstrationen begangen; im selben Jahr – 1890 – wurden die reaktionären Bismarckschen Sozialistengesetze nicht mehr erneuert.

Beide, Newinger und Dötsch, machen eine Lehre und werden Soldat: Newinger vor dem Ersten Weltkrieg und unfreiwillig. Er kommt bis nach Kiautschou, der damaligen deutschen „Musterkolonie“. Ebenso unfreiwillig nimmt er am Ersten Weltkrieg teil. Dötsch ist auch Soldat im Ersten Weltkrieg. Er hat sich freiwillig gemeldet und wird Berufssoldat.

Nach dem Ersten Weltkrieg sind beide Gewerkschafter. Newinger sorgt dafür, dass bei seiner Arbeitsstelle, der Köln-Düsseldorfer-Dampfschifffahrtsgesellschaft erstmals ein Betriebsrat gebildet und er dort hinein gewählt wird. Auch organisiert er manche – auch wilde - Streiks. 1925 tritt er in die KPD ein und zieht nach Koblenz-Metternich.

Dort ist bereits Johann Dötsch aktiv. Er ist inzwischen Beamter und SPD-Mitglied. Bald macht er eine kleine Karriere und arbeitet sich über den Ortsverein Metternich zum Parteisekretär und zum Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Koblenz hoch.

Die Goldenen Zwanziger Jahre sind für die arbeitende Bevölkerung längst nicht so golden wie manche glauben machen wollen. Etwa für engagierte Gewerkschafter wie Jakob Newinger ist es eine schwere Zeit. Immer wieder verliert er eine Arbeitsstelle, andere Arbeitgeber stellen ihn – der ihm dieser Ruf vorauseilt – schon gar nicht ein; es bleibt nur die eine oder andere „neue“, fremde Firma, die nichts von ihm weiß.

Die Weltwirtschaftskrise führt auch im politischen Bereich zu einer Polarisierung. Die hier erwähnten Arbeitervertreter sind ja nicht nur Gewerkschafter, sondern auch - und vielfach in erster Linie - Parteipolitiker. Nicht wenige Gewerkschafter und Politiker verdanken dieser Zuspitzung ein politisches Mandat. So wird Jakob Newinger in den Metternicher Gemeinderat gewählt. Dort ist auch Johann Dötsch - inzwischen Vorsitzender der SPD-Fraktion und Mitglied des Provinziallandtages der preußischen Rheinprovinz.

An eine Zusammenarbeit oder gar Einheitsfront von Sozialdemokraten und Kommunisten ist – trotz vereinzelter Aufrufe – nicht zu denken. Verheerend ist vor allem die von Stalin verkündete und von den deutschen Kommunisten übernommene Parole, Faschismus und Sozialdemokratie seien keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder. Damit diffamieren sie die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“.

Die Konfrontation zwischen den Arbeiterparteien spitzt sich in der Weltwirtschaftskrise und infolge der unterschiedlichen Haltung gegenüber der Brüningschen Deflationspolitik zu. Während die SPD diese Politik im Reichstag toleriert, macht die KPD auf allen Ebenen dagegen Front. Darüber geraten auch die beiden Metternicher Dötsch und Newinger aneinander.

Trotz aller Kontroversen und Anfeindungen sind diese Arbeitervertreter in denselben Gewerkschaften. Bekanntlich gab es damals noch keine Einheitsgewerkschaft wie heute, sondern Richtungsgewerkschaften – also Gewerkschaften, die sich einer weltanschaulichen oder politischen Richtung verpflichtet fühlten. Am stärksten sind die Freien Gewerkschaften, in denen die sozialistischen Arbeiter, und zwar sowohl die sozialdemokratischen als auch die kommunistischen organisiert sind. Daneben gibt es die christlichen Gewerkschaften und die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine. Es leuchtet ein, dass bei diesen Anfeindungen die Zusammenarbeit der Sozialdemokraten und der Kommunisten in denselben Gewerkschaften sehr schwierig ist. Daraus ziehen Kommunisten gegen Ende der Weimarer Republik die Konsequenz und gründen eine eigene kommunistische Gewerkschaft, die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO). Vertreter dieser neuen Gruppierung sind u.a. der Kommunist und „kleine“ Manager bei Opel in Rüsselsheim, Andreas Hoevel und seine Frau Anneliese. Beide sind sehr aktiv, erleiden ein sehr schweres Schicksal, sind zuletzt hier in Koblenz, werden hier verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ich erwähne sie deshalb, weil nach ihnen die Hoevelstraße benannt ist, sage aber nicht mehr zu ihnen, weil hier das Thema ja die Freien Gewerkschaften ist.

Demgegenüber nimmt die Zusammenarbeit der SPD und der Gewerkschaften zu – etwa durch gemeinsame Aktionen des republiktreuen Kampfbundes „Schwarz-Rot-Gold“ oder der Ende 1931 gegründeten „Eisernen Front“, in der sich SPD, Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, das Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold u.a. zusammenschließen, um – unter Ausklammerung der KPD – ein einheitliches Vorgehen gegen die Rechte und die NSDAP erreichen.

Johann Dötsch ist der Führer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Koblenz und sehr aktiv. Ein Bild zeigt ihn an der Spitze einer Delegation des Reichsbanners im Mainzer Volkspark im Jahr 1930. Auch ist er maßgeblich an der Eisernen Front engagiert. Deren Führer in Koblenz ist der Sozialdemokrat Dr. Wilhelm Guske. 1880 in Essen geboren, war Guske als Sohn eines Fabrikarbeiters nach der Volksschule zunächst ebenfalls Fabrikarbeiter und hat sich dann hochgearbeitet, hat Abitur nachgemacht, hat studiert, hat promoviert, war Bürgermeister, dann Landrat in Merseburg und ist ab 1930 Vizepräsident der Rheinprovinz hier in Koblenz.

Dieses und anderes Engagement kann aber nicht die Machtübernahme durch Hitler und seine Leute am 30. Januar 1933 verhindern. Es gibt Aufrufe zu einem Generalstreik – mehr aber auch nicht. Stattdessen gibt Hitler für die Wahlen im März 1933 die Parole aus: „Kampf gegen den Marxismus!“ Da ist der Brand des Reichstags am Abend des 27. Februar 1933, den die Nazis den Kommunisten in die Schuhe schieben, für sie ein „gefundenes Fressen“. Später erinnert sich der Metternicher Kommunist Jakob Newinger an diese Tage und Wochen Anfang 1933:

Die Arbeiter waren zur Stelle. Die Arbeiter, die noch an einen Generalstreik glaubten und auch dazu bereit waren, wurden von der SPD und der Gewerkschaftsführung sehr enttäuscht, da diese den Generalstreik ablehnten und damit Hitler den Weg freimachten zur Machtübernahme. Ich kann mich noch gut erinnern, wie der SPD-Abgeordnete Wels im Reichstag sagte, lieber 10 Mal mit den Nazis als einmal mit den Kommunisten. Der Reichstagsbrand von den Faschisten selbst angelegt, war das Signal zur Verhaftung aller Antifaschisten. In erster Linie ging es gegen die KPD, die auch fälschlicherweise beschuldigt wurde, den Reichstag in Brand gesetzt zu haben. Ich selbst wurde am 28. Februar 1933 als erster verhaftet und in Schutzhaft genommen. (In den) darauffolgenden Tagen kamen noch viele Genossen dazu. (…) Die Straße war sehr belebt durch den Karneval. Die Menschen protestierten gegen meine Verhaftung und verlangten meine sofortige Freilassung. Als die Ansammlung immer größer wurde, rief der Naziwirt das Überfallkommando an, was auch bald erschien und mich unter Protest der Massen in das Auto zerrte und ins Polizeigefängnis brachte. Andern Tags kamen noch mehr bekannte Genossen dazu.

Was in Koblenz dramatisch ist, durch den Bezug zum Karneval aber noch einen gewissen „lokaltypischen“ Einschlag erhält, ist anderswo, etwa in Bad Kreuznach, eine richtiggehende Menschenjagd. Nach dem kommunistischen Stadtverordneten und Vorsitzenden des gewerkschaftlichen Ortskartells Hugo Salzmann fahnden SA und andere mit Plakaten, auf denen steht: „Tot oder lebendig“ und für dessen Ergreifung lobt man 800 Reichsmark aus. Salzmann kann bei einem sozialdemokratischen Bürgermeister untertauchen und dann über das Saargebiet nach Frankreich fliehen.

Die Verhaftungen unmittelbar nach dem Reichstagsbrand gehen weiter. Ein Beispiel dafür ist der Gewerkschafter und Kommunist Alfred Knieper aus Höhr-Grenzhausen. Er wird am 10. März 1933 in sog. Schutzhaft genommen und bleibt dort fast zwei Monate. Verhaftet wird auch der Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Guske und mit Hunden wird er durch Koblenz getrieben. Wie andere hohe Beamte auch, diffamiert und kriminalisiert man ihn. Man klagt ihn wegen Korruption an, das Verfahren zieht sich hin, selbst die Justiz jener Jahre kann ihm nicht viel nachweisen, aber man hat ihn mundtot gemacht.

Inzwischen sind alle drei Staatsgewalten von den Nazis usurpiert: Die Polizei, vor allem die politische Polizei, verhaftet Gegner der Nazis willkürlich und schließt sie in „Schutzhaft“ weg. Die „unabhängige“ Justiz biedert sich in vielfacher Weise den neuen Machthabern an. Und die Volksvertretung? Die gibt es schon nicht mehr. Mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 hat sich der Deutsche Reichstag selbst entmachtet und überflüssig gemacht. Gesetze können jetzt auch von der Reichsregierung selbst erlassen werden. Und davon macht die Hitler-Regierung jede Menge Gebrauch.

Bereits unter dem Datum des 7. April 1933 ergeht das sog. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Das ist wie so vieles bei den Nazis Propaganda und euphemistisch. Damit geht es nicht um die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, sondern vielmehr um die Entlassung von politisch und „rassisch“ missliebigen Beamten. Betroffen davon ist der in Koblenz wohnende Gerichtsassessor Fritz Dreyfuss. Weil er Jude ist, soll er aus der Justiz entfernt werden. Das gelingt aber nicht, weil das Gesetz eine Ausnahme für jüdische „Frontkämpfer“ vorsieht, und Dreyfuss - im Ersten Weltkrieg dreimal schwer verwundet – ein solcher „Frontkämpfer“ ist. Dreyfuss ist aber auch Mitglied der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Für diese gibt es keine Ausnahme. Deshalb wird Dreyfuss als politisch „missliebig“ entfernt. Nur wenige Wochen später flieht Fritz Dreyfuss mit seiner Familie nach Frankreich. Als Jurist mit deutscher Ausbildung wird er weder dort noch dann in der Schweiz eine annähernd angemessene und einträgliche Beschäftigung finden.

Damit sind schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis viele ihrer aktiven politischen Gegner verhaftet, geflohen, eingeschüchtert oder mundtot gemacht. Unterdessen halten die Führungen der SPD und der Freien Gewerkschaften an ihrem Kurs fest und vermeiden generell eine Konfrontation mit den Nazis.

Im Gegenteil lassen sich Ende März 1933 fünf führende Sozialdemokraten von dem kommissarischen preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Göring dafür gewinnen, zu ihren Parteifreunden ins Ausland zu fahren und bei ihnen für eine „Imageaufbesserung“ des Nazi-Regimes und zur Mäßigung bei der Berichterstattung hierüber zu werben. Als „Gegenleistung“ verspricht Göring, das Verbot der SPD-Zeitungen aufzuheben.

Einer dieser prominenten Sozialdemokraten ist der im Jahr 1888 in Oberstein (heute: Idar-Oberstein) geborene Emil Kirschmann. Er ist Redakteur der (sozialdemokratischen) Rheinischen Zeitung in Köln. 1924 wird er für den Wahlkreis Koblenz-Trier-Birkenfeld Reichstagsabgeordneter, ab 1926 zugleich – das geht damals – Ministerialrat im preußischen Innenministerium. Im Zuge dieser Pressekampagne fährt Emil Kirschmann in das unter Aufsicht des Völkerbundes stehende Saargebiet.

Diese Pressemission ist – wie zu erwarten war – erfolglos. Natürlich hebt Göring auch nicht das Verbot der SPD-Presse auf. – Stattdessen durchsucht die Politische Polizei die Wohnung Emil Kirschmanns in Köln. Er selbst befindet sich zu dieser Zeit im Saargebiet, wird gewarnt, kehrt nicht ins Deutsche Reich zurück, sondern bleibt im Saargebiet. Alsbald leitet er in Saarbrücken ein vom Prager Exilvorstand der SPD (SOPADE) finanziertes sog. Grenzsekretariat. Dieses und die in anderen Ländern eingerichteten Grenzsekretariate sollen illegale Schriften ins Reich transportieren, die reichsdeutschen Parteizellen unterstützen, Kontakte zu neuen Widerstandsgruppen herstellen und politische Informationen aus Deutschland sammeln und an die SOPADE weiterleiten.

Als die Hitler-Regierung den traditionellen Kampftag der Arbeiterbewegung, den 1. Mai, mit Demonstrationen und Aufmärschen in ihrem Sinne organisiert und erstmals in der deutschen Geschichte zum Feiertag, zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ erklärt, sind die Gewerkschaften mit ihrem Anpassungskurs dabei und rufen ihre Mitglieder zur Teilnahme auf. Ziel der Nazis ist es, die Gewerkschaften in Sicherheit zu wiegen und den Arbeiter für sich und die deutsche „Volksgemeinschaft“ zu gewinnen.

Auch in Koblenz und Umgebung wird der 1. Mai nach Art der Nazis gefeiert.

Das ist das Vorspiel nur und am folgenden Tag kommt das, was die Nazis schon längst geplant haben: die Zerschlagung der Gewerkschaften. Überall im Deutschen Reich stürmt die SA die Gewerkschaftsbüros, verhaftet Funktionäre und beschlagnahmt das Eigentum. Die Regierung erklärt die Freien Gewerkschaften für aufgelöst und bildet die Deutsche Arbeitsfront (DAF) unter Robert Ley als Zwangsvereinigung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Betroffen von diesen Verhaftungen ist auch der spätere Rheinland-Pfälzer Carl Vollmerhaus. Er wird im Berliner Gewerkschaftshaus verhaftet und in das Gefängnis Plötzensee gebracht. Meines Wissens werden in Koblenz in diesem Zusammenhang keine Gewerkschafter in „Schutzhaft“ genommen. In Betracht gekommen wäre vor allem Johann Dötsch. Aber auch er bleibt hier noch verschont. Möglicherweise ist er als Gewerkschafter nicht so sehr in Erscheinung getreten. Die Nazis nehmen ihn eher als SPD-Mann, als Funktionär und Politiker sowie als Mann der „Eisernen Front“ wahr. Denn verschont bleibt er auch nicht. Er wird dann Ende Juni 1933 - im Zuge des Verbots der SPD am 22. Juni 1933 als „staats- und volksfeindlich“ - in „Schutzhaft“ genommen.

Diese frühen „Schutzhaftnahmen“ sind generell nicht von unbegrenzter Dauer wie die späteren. Dötsch kommt bald wieder frei, wird aber noch einmal vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. Vollmerhaus entlässt man im August 1933. Knieper kommt – wie gesagt – nach zwei Monaten frei. Er wird aber am 1. September 1933 erneut festgenommen und ins Konzentrationslager Esterwegen verschleppt. Dort ist er 1 ½ Jahre inhaftiert. Newinger bleibt in Koblenz in „Schutzhaft“ und kommt erst nach einem Jahr wieder frei.

Der Bendorfer ehemalige Schulleiter und Sozialdemokrat Dr. Hans Bauer und zwei Gewerkschafter namens Gelhard werden wegen ihres Kontaktes zu einem ins Saargebiet geflohenen Gewerkschaftssekretär und zu einem Grenzsekretariat der Exil-SPD (SOPADE) – sehr wahrscheinlich zu dem Grenzsekretariat in Saarbrücken unter ihrem Leiter Emil Kirschmann - ebenfalls wegen Hochverrats mit jeweils zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und vier Monaten Zuchthaus bestraft. Den zuvor erwähnten Jakob Newinger verurteilt man wegen des Besitzes illegaler Zeitungen zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus.

Viele Verurteilte kommen nach Verbüßung der Strafhaft nicht frei, sondern werden unmittelbar anschließend oder kurz danach wie es heißt „in Schutzhaft überführt“. Bauer verschleppt man wie seine beiden Kameraden Gelhard ins Konzentrationslager Buchenwald.

Damit sind viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter „in die Flucht geschlagen“, hinter Zuchthaus- und KZ-Mauern verschwunden und auch mundtot gemacht. Typisch für viele in Freiheit lebende Sozialdemokraten ist Johann Dötsch. Er lebt in Koblenz unauffällig als Handlungsreisender für Seifenartikel und als Obstbauer.

Am 1. September 1939 entfesselt Hitler mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg. Vor wenigen Tagen haben wir an dieses Ereignis vor nunmehr 75 Jahren erinnert. Nur wenig bekannt ist, dass sich bereits mit dem Kriegsbeginn die Lage der politischen Gegner im In- und Ausland wesentlich verschärft.

Im Inland beginnt mit diesem 1. September 1939 die sog. A-Kartei-Aktion. Benannt ist sie nach einer von der Gestapo speziell für den Kriegsfall angelegten Kartei, der „A-Kartei“. In ihr sind viele Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter registriert. Diese sollen bei Ausbruch des Krieges festgenommen, in „Schutzhaft“ gebracht und in ein Konzentrationslager überführt werden. Damit will man sicher gehen, dass diese – früheren – Gegner keine wie auch immer geartete Sabotage bei Kriegsbeginn und danach begehen können. Aufgrund dieser Kartei werden dann auch insgesamt etwa 850 Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter festgenommen. Unter ihnen sind der Metternicher Johann Dötsch und der Höhr-Grenzhausener Alfred Knieper. Sie werden in das Konzentrationslager Sachsenhausen bzw. Buchenwald verschleppt. Carl Vollmerhaus bringt man im September 1939 mit ca. 100 Berliner Gewerkschaftern ins KZ Sachsenhausen.

Mit Kriegsbeginn schaffen die Nazis und ihre juristischen Helfer auch neu Straftatbestände sowie Strafschärfungen bestehender Gesetze – oft die Todesstrafe - und neue Strafvollzugsregelungen.

Unter Strafe steht etwa das Abhören ausländischer Sender. Das wird den Eheleuten Hoevel zum Verhängnis. In dem Verfahren, das für sie mit dem Todesurteil und der Hinrichtung endet, wird auch Jakob Newinger bestraft. Nur knapp entgeht er dem Fallbeil. Sein ehemaliger Kompaniechef in China setzt sich für ihn ein und erreicht für ihn eine Zuchthausstrafe von „nur“ 10 Jahren.

Selbst die rechtzeitig ins Ausland geflohenen und dort gebliebenen politischen Gegner sind ihres Lebens nicht sicher.

Hugo Salzmann, dessen Frau und Sohn ihm alsbald folgen, lebt illegal in Paris. Wie viele andere deutsche Emigranten auch, wird er bei Kriegsbeginn interniert und in das südfranzösische Konzentrationslager Le Vernet verschleppt. Seine Frau wird von der französischen Vichy-Regierung der Gestapo ausgeliefert. Ein Jahr lang ist sie hier in Koblenz in „Schutzhaft“. Da man ihr nichts nachweisen kann, legt man eine Gestapo-Spitzelin in ihre Zelle. Diese bringt sie zum Sprechen und sorgt dafür, dass sie in das Frauen-KZ Ravensbrück kommt. Dort stirbt sie im Dezember 1944 an Entkräftung. Ihr Mann Hugo wird ein Jahr später von den Franzosen ebenfalls an die Gestapo ausgeliefert und auch im Koblenzer Gefängnis inhaftiert. Wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit verurteilt ihn der Volksgerichtshof zu 8 Jahren Zuchthaus.

Andere, wie Emil Kirschmann, haben noch vergleichsweise Glück. Kirschmann, nach der zugunsten des Anschlusses an Deutschland ausgegangenen Volksabstimmung ebenfalls nach Frankreich geflohen, kann in Südfrankreich untertauchen und - anders als Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding, die die Franzosen der Gestapo ausliefern – mit dem Schiff in die USA fliehen.

Ein Lichtblick in dieser dunklen Zeit ist der Widerstand in Deutschland, am bekanntesten ist der Widerstand des 20. Juli 1944 und dessen Umfeld. Vor wenigen Wochen haben wir aus Anlass der 70. Wiederkehr der Ereignisse dieser Widerständler gedacht. Auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter gehörten zu diesen Kämpfern für ein „anderes“, besseres Deutschland. Einer von ihnen ist der im Jahr 1898 in Bad Ems geborene Reformpädagoge und Sozialist Adolf Reichwein. Nach 1933 als Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde „kaltgestellt“, ist er weiter pädagogisch tätig. Ab 1940 stellt er Kontakte zu den Widerstandskreisen um Wilhelm Leuschner und Julius Leber her und schließt sich dem „Kreisauer Kreis“ an. Er nimmt an den großen Tagungen der „Kreisauer“ teil und ist als Kultusminister einer „Regierung nach Hitler“ im Gespräch. Bei der Kontaktaufnahme zu kommunistischen Widerstandskämpfern Anfang Juli 1944 wird er von einem Gestapospitzel verraten und festgenommen. Der Volksgerichtshof unter seinem Präsidenten Freisler verurteilt ihn am 20. Oktober 1944 wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode, wenige Stunden nach dem Todesurteil wird Adolf Reichwein in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Ausgelöst durch das Attentat vom 20. Juli 1944 findet einen Monat später die sog. Aktion Gewitter statt. In einer großen Verhaftungswelle werden mehrere Tausend frühere Reichs-, Landtags- und Stadtverordnete von KPD und SPD sowie alle ehemaligen Gewerkschafts- und Parteifunktionäre der SPD festgenommen, und zwar „gleichgültig (…), ob diesen im Augenblick etwas nachzuweisen ist oder nicht“. Lediglich über 70-Jährige, Kranke und solche, die sich mittlerweile um das NS-Regime „verdient“ gemacht hätten, sollten verschont bleiben.

Betroffen von der Aktion „Gewitter“ ist in Koblenz u.a. die frühere Stadtverordnete Maria Detzel, die sich als „wahre Mutter der Kriegsopfer“ einen Namen verdient hat. 1892 in (Koblenz-)Güls geboren, ist sie Mitglied der SPD und der Freien Gewerkschaften und Stadträtin. Ende März 1933 stimmt sie bei der ersten Sitzung der Koblenzer Stadtverordnetenversammlung nicht für die Ehrenbürgerrechte an den neuen „Führer“ Adolf Hitler. Anschließend legt sie ihr Mandat nieder. In späteren Jahren kommt sie zweimal kurzzeitig in „Schutzhaft“. Im Zuge der Aktion Gewitter wird sie ein drittes Mal verhaftet und kommt nach einem Monat wieder frei.

Nur wenig später wird das Koblenzer Gefängnis dem Andernacher Franz Mürb zum Verhängnis. Mürb war früher Mitglied der SPD und ist ein entschiedener Gegner der Nazis. Nach deren Machtübernahme äußert er sich zum neuen Regime kritisch und wird deshalb entlassen. 1936 trifft er sich mit Kommunisten in Vallendar und wird deswegen vom Sondergericht zu 2 Jahren und 5 Monaten Zuchthaus verurteilt. Ende September 1944 wird er erneut unter dem Verdacht verhaftet, ausländische Sender gehört zu haben. Franz Mürb kommt in Untersuchungshaft in das Koblenzer Gefängnis und wird dort bei dem schweren Bombenangriff der Alliierten am 6. November 1944 in seiner Gefängniszelle getötet.

Die Befreiung kommt für die den NS-Terror-Überlebenden zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen Umständen. Johann Dötsch etwa wird im April 1945 vom KZ Sachsenhausen auf den „Todesmarsch“ in Richtung Ostsee getrieben. Wer schwach ist und nicht mithalten kann, wird von der SS-Wachmannschaft erbarmungslos getötet und am Straßenrand liegen gelassen. Dötsch überlebt und wird – schwerkrank – in der Nähe von Schwerin befreit.

Er kehrt nach Koblenz zurück und wird in der Anfang 1946 gebildeten Provinz Rheinland-Hessen-Nassau Präsidialdirektor, also ein kleiner „Minister“. Vom Tod gezeichnet, geht für ihn doch noch ein Wunsch in Erfüllung. Wie später sein Pflegesohn Fritz Görgen und sein Patenkind Günther Pauli (der spätere SPD-Bundestagsabgeordnete) berichteten, lässt er sich Mitte September 1946 auf einer Bahre zum Wahllokal tragen, um an den ersten freien Wahlen nach dem NS-Regime teilnehmen zu können. Drei Wochen später stirbt Johann Dötsch an den Folgen der KZ-Haft.

Ein ähnliches Schicksal hat der im KZ Buchenwald befreite Hans Bauer. Auch er kehrt krank und geschwächt nach Bendorf zurück, wird noch Oberstudiendirektor des Gymnasiums in Traben-Trarbach. Hans Bauer verunglückt dann 1947 auf dem Weg zur Schule tödlich.

Der frühere Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Wilhelm Guske wird 1946 nach dem plötzlichen Tod des Oberbürgermeisters Wilhelm Kurth (SPD) von den Koblenzer Genossen zur Rückkehr veranlasst. Guske kehrt auch zurück, wird Oberbürgermeister von Koblenz, muss aber bei den ersten freien Wahlen im September 1946 den Chefsessel für den gewählten Oberbürgermeister Josef Schnorbach (CDU) räumen. Guske wird Ministerialbeamter in Hessen und stirbt 1957 in Wiesbaden.

Jakob Newinger ist nach der Befreiung im Zuchthaus Siegburg bald wieder in Koblenz aktiv. Er wird Hallenmeister des Schlachthofs und Betriebsratsvorsitzender. Auch ist er beim Wiederaufbau der KPD aktiv, ist Mitglied des Bürgerrats und bemüht sich – vergebens – um eine Einheitsfront von KPD und SPD. Als Arbeiter hat er Glück und ist von den Berufsverboten für KPD-Mitglieder nicht betroffen. Jakob Newinger tritt 1954 in den Ruhestand und stirbt 1972.

Johann Dötsch hat sich im KZ Sachsenhausen mit dem Berliner Gewerkschafter Carl Vollmerhaus angefreundet und ist mit ihm auf dem „Todesmarsch“ gewesen. Als entschiedener Gegner der Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone nimmt Vollmerhaus die Einladung seines Freundes Dötsch nach Koblenz an. Hier beteiligt sich Vollmerhaus sogleich am Aufbau der Gewerkschaften, wird Aufsichtsratsvorsitzender der Konsumgenossenschaft Mittelrhein, Vorsitzender des Arbeitsgerichts Koblenz und lange Jahre 2. Vorsitzender der ÖTV Koblenz. Carl Vollmerhaus stirbt 1979 im Alter von 95 Jahren in Koblenz.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Update:

Lesen Sie HIER den Bericht über die Ausstellungseröffnung in der Rhein-Zeitung vom 11. September 2014.