Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Presseerklärung des Fördervereins Mahnmal Koblenz zum Gedenken an den Novemberpogrom 1938
(„Reichspogromnacht“)

In diesen Tagen wird überall in Deutschland an den Pogrom 1938 („Reichspogromnacht“) erinnert. Auch in Koblenz. Das ist gerade heute wichtig und richtig.

Der vor 85 Jahren stattfindende Pogrom bedeutete einen Rückfall in die Barbarei. In einer einzigen Nacht wurden die Errungenschaften der Aufklärung, der Emanzipation, der Gedanke des Rechtsstaats und die Idee von der Freiheit des Individuums zuschanden. Seit dem 15. Jahrhundert hatte es in Mitteleuropa eine solche Judenverfolgung nicht mehr gegeben. Und dabei war der Novemberpogrom nicht – wie die im Mittelalter – ein unorganisierter, unkontrollierter Ausbruch von Gewalttätigkeiten. Vielmehr war er regelrecht programmiert und in Szene gesetzt von staatlichen und quasi-staatlichen Instanzen.

Auch heute stehen wir wieder in einer ganz schwierigen Situation. Seit Jahren breitet sich der Rassismus, der Antisemitismus, die Ausländerfeindlichkeit und der Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft krakenhaft aus. Diese Tendenzen haben sich nicht nur in Randgruppen festgesetzt, sondern auch die Mitte der Gesellschaft erreicht. Man sieht das sehr betroffen und fragt sich, ob wir als demokratisch verfasste Gesellschaft denn nichts aus unserer jüngeren Geschichte gelernt haben. So fing es schon einmal bei uns an und es endete nicht nur mit dem Zweiten Weltkrieg und 60 Millionen Kriegstoten, sondern auch mit 11 Millionen toten NS-Opfern – 6 Millionen Juden und 5 Millionen nicht-jüdischen Opfern.

Deshalb ist Aufklärung, das Wissen um die Geschichte so wichtig. Das ist kein Allheilmittel gegen diese schlimme Entwicklung, aber notwendig, damit man dieser Entwicklung entgegentreten kann. Dieses Wissen fehlt aber in Koblenz. Bis heute gibt es keine systematische, wissenschaftlich gestützte und einer breiteren Öffentlichkeit zugängliche Darstellung des Novemberpogroms hier.

Diese Lücke in der Stadtgeschichte zu schließen, hat jetzt zur 85. Wiederkehr des Novemberpogroms der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus e.V. Joachim Hennig unternommen. Im Rahmen seiner vor einiger Zeit begonnenen großen Abhandlung zur Geschichte der Juden in Koblenz, die von den Anfängen bis 1933 bereits veröffentlicht ist und in Kürze für die Zeit von 1933 bis 1938 publiziert sein wird, hat Hennig jetzt vorab die Geschichte des Novemberpogroms in Koblenz veröffentlicht.

Nachzulesen und herunterzuladen ist sie unter dem Titel: „Vor 85 Jahren: Der Novemberpogrom am 9./10. November 1938 in Koblenz“ auf der Homepage des Fördervereins Mahnmal Koblenz.

(Link : https://mahnmalkoblenz.de/index.php/informationen/informationen-von-2023/vor-85-jahren-der-novemberpogrom-am-9-10-november-1938-in-koblenz )

Auf 32 Seiten schildert Hennig die Vorgeschichte des Pogroms mit der „Polen-aktion“ von 27.-29. Oktober 1938, dem Attentat Herschels Grynszans auf den Legationssekretär vom Rath in Paris und der Inszenierung des Pogroms durch Propagandaminister Goebbels beim Treffen der „Alten Kämpfer“ in München.

Auf der Grundlage der erst nach der Befreiung vom Faschismus begonnenen Aufklärung durch die Ermittlungen der Landeskriminalpolizei – Abteilung Koblenz – von 1949 und den Strafprozess des Landgerichts Koblenz mit dem Urteil vom 12. Juli 1951 gegen 13 Angeklagte sowie von Berichten von Zeitzeugen entsteht so ein Bild von den Geschehnissen am Morgen des 10. November 1938 in Koblenz: von den Verwüstungen einer Vielzahl jüdischer Wohnungen und Geschäfte und der Verhaftung von ca. 100 jüdischen Männern und ihrer Verschleppung in das Konzentrationslager Dachau bei München. Geschildert werden auch die Folgen dieser Verbrechen: die Versuche der jüdischen Opfer, so gut es ging, aufzuräumen und die Schäden zu beseitigen, und die umgehenden Maßnahmen der führenden NS-Täter zur vollständigen Entrechtung der Juden durch eine Sturzflut von Anordnungen und Entlassungen, Befehlen und Verboten.

All dies geschah nicht irgendwo, sondern hier bei uns. Nicht unmittelbar, letztlich aber doch vorbereitet wurde dieses Geschehen durch den Stadthistoriker Dr. Hans Bellinghausen, nach dem noch heute eine Straße in Koblenz benannt ist. In seiner im Sommer 1938 veröffentlichten Artikelserie über „Alt-Koblenz und die Judenplage“ hatte er berichtet, wie in der NS-Zeit viele jüdische Geschäfte und Betriebe infolge der Diskriminierungen und Schikanen hatten aufgeben müssen, und dann geschrieben: „Einige Metzger, Händler und kleine jüdische Kaufleute stehen dann noch ganz am Rande dieses geschichtlichen Überblicks über die Bedeutung des Koblenzer Judentums, das auch hier eingesehen hat, dass seine Rolle im Dritten Reich Adolf Hitlers ausgespielt ist.“

Nach dem Novemberpogrom nahm das „Koblenzer Nationalblatt“ diese Darstellung Bellinghausens wieder auf und stellte in einem nicht namentlich gekennzeichneten Artikel fest: „Anfang 1938 wohnten in unserer Stadt noch etwa 800 Juden. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate wird diese Zahl hoffentlich a u f  e i n  N i c h t s  z u s a m m e n s c h r u m p f e n !“

Wie sagte doch Bertolt Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“. Es wird höchste Zeit, dass die Mitte der Gesellschaft das erkennt und dementsprechend handelt.

Zur Erinnerung an die Opfer des Novemberpogroms in Koblenz präsentiert der Förderverein Mahnmal Koblenz am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz 13 Biografien, die in der „Reichspogromnacht“ Verfolgung erlitten haben. Das sind:

  1. Juristenfamilie Brasch (Jüdische Rechtsanwälte aus Mayen/Koblenz)
  2. Hannelore Hermann (Jüdisches Mädchen aus Koblenz)
  3. Eheleute Isidor und Erna Treidel (Jüdischer Rechtsanwalt und seine Frau aus Mayen/Koblenz)
  4. Heinz Kahn (Jüdischer junger Mann aus Trier, lebte Jahrzehnte in Polch)
  5. Addie Bernd (Jüdischer junger Mann aus Koblenz)
  6. Familie Isaak Hein (Jüdische Familie aus Cochem)
  7. Familie Arthur Salomon (Jüdischer Rechtsanwalt aus Koblenz)
  8. Albert Trum (Rechtsanwalt aus Boppard)
  9. Helga Treidel / Helen Carey (Tochter der jüdischen Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel aus Koblenz)
  10. Marianne Pincus, geb. Brasch (Tochter des jüdischen Juristen Ernst Brasch und seiner Frau Else aus Koblenz/Frankfurt) 
  11. Günter Stern / Joe Stirling (Sohn der jüdischen Eheleute Alfred und Ida Stern aus Nickenich/Koblenz)  
  12. Margot und Rudolf Kahn (Kinder der jüdischen Eheleute Wilhelm und Jenny Kahn aus Kottenheim/Koblenz)
  13. Irene Futter, geb. Schönewald (Tochter der jüdischen Eheleute Hermann und Berta Schönewald aus Koblenz)