Eröffnung der Ausstellung
Am 30. April 2007, 18.00 Uhr wurde die Ausstellung: „…gerade Dich, Arbeiter, wollen wir. - Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften im Mai 1933“. eröffnet. Veranstalter war die SPD Bendorf.
Passend zum Tag der Arbeit eröffnete der Förderkreis “Geschichte der Bendorfer Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften” eine Ausstellung über Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften im Mai 1933.
Unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig gab eine Einführung in die Ausstellung.
Joachim Hennig ( l .) bei der Eröffnungsrede und mit seiner Ehefrau in der Ausstellung (Fotos : Andreas Damian, Bendorf)
Nachfolgend seine Einführungsrede:
von Joachim Hennig
ich möchte nicht noch einmal einzelne von Ihnen begrüßen, aber ein Gruß liegt mir doch am Herzen – und der muss sein. Ganz herzlich begrüßen möchte ich Frau Gertrud Roos. Frau Roos ist gebürtige Bendorferin und hat fast ihr ganz ganzes Leben in Bendorf verbracht. Sie ist Zeitzeugin der Ereignisse und Entwicklungen, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Und überdies ist sie ein Opfer der Nazidiktatur. Hier in Bendorf wurde sie denunziert und anschließend ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verschleppt. In der Dauerausstellung des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz werden insgesamt 62 Personen aus Koblenz und Umgebung porträtiert. Eine von ihnen ist Frau Gertrud Roos. Es ist ein Glück und eine Verpflichtung für uns, wenn wir noch NS-Opfer unter uns haben. Es werden immer weniger, umso wichtiger ist es, Menschen wie Sie, liebe Frau Roos, bei solchen Veranstaltungen begrüßen zu können.
Ich freue mich, Sie heute in die Ausstellung „’… gerade Dich, Arbeiter, wollen wir.’- Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften im Mai 1933“ einführen zu dürfen. Man bat mich, zu Ihnen zu sprechen, vor allem um den Bogen von dieser Ausstellung zur heutigen Veranstaltung zu schlagen. Denn die Ausstellung wurde von der DGB-Jugend Hessen erarbeitet und da ist es schon hilfreich, Bezüge zu Bendorf und zu unserer Region herzustellen. Das will ich gern tun. Im Hinblick auf das Programm im Übrigen muss ich mich aber auf gut 20 Minuten Redezeit und auf einige Aspekte beschränken.
Der Titel der Ausstellung „… gerade Dich, Arbeiter, wollen wir.“ ist ein Zitat von Dr. Robert Ley vom 2. Mai 1933. Die Ausstellung will an die Ereignisse am 1. und 2. Mai 1933 erinnern. Schon dies sind Stichworte für ein Abend füllendes Programm. Daraus will ich 5 Fragen formulieren, auf die wir in der Kürze der Zeit eine Antwort finden wollen.
Frage 1: Warum beschäftigen wir uns überhaupt mit Geschichte? Gibt es nicht genug aktuelle Probleme, die uns auf den Nägeln brennen und die gelöst werden müssen?
Natürlich gibt es genug aktuelle Probleme. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht auch mit der Geschichte beschäftigen sollte. Gerade die Zeit des Nationalsozialismus ist heute noch aktuell, es ist mit den Worten des Historikers Ernst Nolte „Vergangenheit, die nicht vergeht.“ Immer wieder ist die Rede von einem Schlussstrich, den man nun endlich ziehen soll. Davon reden manche Leute seit mehr als 50 Jahren. Es sind übrigens immer wieder dieselben Leute. Es sind vielfach dieselben Leute, die Verbrecher, Kriegsverbrecher, reinwaschen, ehren und gar als Gegner des Nationalsozialismus darstellen wollen. Als Stichworte sollen hier aus allerjüngster Zeit genügen: der „furchtbare“ Jurist Dr. Hans Karl Filbinger, für den „Was damals Recht war, nicht heute Unrecht sein (konnte)“, und sein Trauerredner und Apologet Günther Oettinger, beides Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Wir dürfen uns von diesen nicht unsere Geschichte umbiegen und verfälschen und auch nicht die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus rauben lassen. – Opfer, die – anders als Täter wie Filbinger – uns nahe standen und stehen. Diese historisch korrekte und mitfühlende Erinnerung sind wir auch heute noch den NS-Opfern schuldig.
Beispielhaft erwähnen möchte ich vier Bendorfer: Dr. Hans Bauer, bis 1933 Leiter der Bürgerschule in Bendorf, den Metallarbeiter Anton Gelhard aus Mülhofen und den Gewerkschaftssekretär Anton Gelhard aus Bendorf. Alle drei haben jahrelang Diskriminierung, Ausgrenzung, Bespitzelung, Verfolgung, Gefängnis und Konzentrationslager, Erniedrigung und Todesangst erlitten. Gegen Ende ihrer jahrelangen Verfolgung waren diese drei Bendorfer Widerstandskämpfer, die diesen Ehrennamen auch verdient haben, von 1938 bis 1945 in Konzentrationslagern, zuletzt alle drei im KZ Buchenwald – in Buchenwald, das die Häftlinge „Totenwald“ nannten. Zu diesen drei Bendorfern stieß im Herbst 1944 noch ein vierter Bendorfer: der Gutspächter Wilhelm Thönes vom Albrechtshof bei Bendorf. Thönes war Mitglied der Zentrumspartei gewesen und noch im Oktober 1944 den Nazis missliebig aufgefallen. Auch er wurde in „Schutzhaft“ genommen und kam ins KZ Buchenwald.
Höchstwahrscheinlich standen alle vier Bendorfer nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald vor ziemlich genau 62 Jahren auf dem Appellplatz dort und legten den „Schwur von Buchenwald“ ab. Dazu heißt es in einem Bericht eines Zeitzeugen:
Am 19. April 1945 fand die Trauerkundgebung für die Toten von Buchenwald statt. Ein großes Ehrenmal war auf dem Appellplatz errichtet. Die Blocks und Baracken waren mit Fahnen und Transparenten geschmückt. Die Fahnen fast aller Nationen wehten im Winde und zeigten, dass die Völker auch friedlich nebeneinander leben können. Unter den Klängen ihrer Nationallieder marschierten die Nationen auf. Russen, Polen, Tschechen, Slowaken, Jugoslawen, Österreicher, Ungarn, Rumänen, Engländer, Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier, Belgier, Holländer und Luxemburger.
Unter den Klängen der „Internationale“ marschierten die gemischten Blocks auf. 21.000 marschierten zum Gedächtnis für 60.000 tote Kameraden. Die Fahnen wurden vor dem Ehrenmal aufgestellt und neigten sich zum Gruß.
Der Vorsitzende des Internationalen Lagerkomitees, Walter Bartel, eröffnete die Kundgebung. Mit entblößtem Haupt gedachten die befreiten Häftlinge der Toten. Dann verlasen Mitglieder des Internationalen Komitees – jeder in seiner Sprache – den Aufruf:
…
Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.
Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muss unser sein!
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
WIR SCHWÖREN!
21.000 Männer streckten die Hand zum Himmel und sprachen: „Wir schwören!“
Die Aufgaben, die sich die Überlebenden des NS-Terrors damals gestellt hatten, haben sich heute erledigt. Kein einziger Richter oder Staatsanwalt ist von einem deutschen Gericht für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden. Auch Filbinger nicht. Im Übrigen hat sich inzwischen das Problem biologisch erledigt. Wenn überhaupt, dann stehen sie vor einem göttlichen Richter. Umso mehr sind wir Heutigen verpflichtet, die Erinnerung an die Opfer wach zu halten und ihr Vermächtnis weiter zu tragen – damit es – was der Journalist Ralph Giordano so plastisch beschrieben hat – nicht auch noch zur „zweiten Schuld“ - zur Schuld des Verdrängens und Umbiegens kommt.
Frage 2: Bei der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und gerade bei der Ausstellung hier mit dem Fokus auf den 1. und 2. Mai 1933 stellt sich immer wieder die Frage: Wie konnte es dazu kommen?
Die Ausstellung gibt dazu vier Erklärungsansätze. Darin werden zur Diskussion gestellt: die Spaltung der Arbeiterbewegung, die brutale Unterdrückung jeder Opposition im „Dritten Reich“, die geringe Unterstützung der Weimarer Demokratie durch einflussreiche Eliten und die Weltwirtschaftskrise. Bei der so genannten Machtergreifung der Nazis spielten sicherlich alle diese Faktoren eine Rolle. Dazu kann man noch weitere rechnen, wie etwa das Trauma des verlorenen Ersten Weltkrieges, das Schüren und Mobilisieren tief sitzender Ressentiments und Vorurteile, die fast geniale Ausnutzung der aufkommenden Massenmedien und auch die große Distanz der Beamten- und Richterschaft zu der ersten Demokratie auf deutschem Boden.
Dass dies hier im Einzelnen nicht ausgebreitet werden kann – und zwar weder in der Ausstellung noch in der hier nur kurzen Ein-führung -, versteht sich von selbst. Lassen Sie mich stattdessen zwei Beispiele geben.
Beispiel 1: Dr. Robert Ley. Ley, von dem das Zitat stammt, das Titel der Ausstellung wurde, war vor der so genannten Macht-ergreifung der Nazis Gauleiter des NS-Gaues Köln-Aachen. Er war der Prototyp des rüpelhaften, radikalen Nationalsozialisten, der „Schlachten“ der SA anzettelte, die nichts anderes waren als schwerer Landfriedensbruch – und eher noch mehr. Als solcher war er auch Initiator des „Schwarzen Sonntag von Nastätten“. Für den 6. März 1927 hatte ein jüdischer Mitbürger von Nastätten dort zu einem Vortrag mit dem Thema: „Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus“ eingeladen. Um diese Veranstaltung zu stören, karrte Ley auf zwei Lkws etwa 150 Nazis aus Köln, Wiesbaden, Neuwied, Koblenz und Lahnstein in das Taunusstädtchen Nastätten. Als sie dort eintrafen, hatte die örtliche Polizei die Veranstaltung schon wegen starken Andrangs beendet. Ley machte daraus eine Gegenveranstaltung und hielt von der Ladefläche des Lkws eine Propagandarede gegen die Juden. Seine SA-Leute marschierten unterdessen durch den Ort, griffen Juden an und verteilten Propagandamaterial. Es kam gar noch zu einem regelrechten Tumult mit Handgemenge, bei dem ein Nazi durch einen Polizisten zu Tode kam. Ley und seine Leute verließen dann Nastätten und drohten dabei noch einer jüdisch aussehenden Frau und ihren Kindern mit den Fäusten und riefen ihr zu: „Wir kommen wieder und schneiden den Juden die Hälse ab!“ – Nicht besser erging es übrigens Horchheim nach einer von den Nazis auf der Schmittenhöhe begangenen Sonnenwendfeier im Jahr 1930. Als sie von dort durch Horchheim marschierten, gerieten sie mit Mitgliedern des örtlichen Arbeitergesangvereins aneinander, die dort ihre Vorkirmes feierten und sich das Gehabe der Nazis verbaten und ihnen die Hakenkreuzfahne abnahmen. Ley mit 150 bis 200 SA-Leuten konnte die Hakenkreuzfahne zwar nicht zurückbeschaffen. Dafür randalierten die Nazis aber in Horchheim. Unter Johlen und Pfeifen warfen sie mit Steinen und Bierflaschen die Fensterscheiben der Häuser ein, die zur bevorstehenden Kirmes schon die Reichsflagge Schwarz-Rot-Gold gehisst hatten, und riefen: „Wir stecken das ganze Nest in Brand!“
Beispiel 2: Der so genannte Preußenschlag. Diese und weitere Vorfälle bildeten in Preußen den Anlass für das Verbot der SA. Das Verbot erfolgte aber sehr spät – im Frühjahr 1932 – und zu einer Zeit, als die von der SPD in Preußen geführte Regierung schon keine parlamentarische Mehrheit mehr hatte. Das Kabinett Braun blieb daraufhin nur noch geschäftsführend im Amt. Im Deutschen Reich war Heinrich Brüning als Reichskanzler zurückgetreten, sein Nachfolger wurde Franz von Papen. Dieser bildete ein so genanntes „Kabinett der nationalen Konzentration“ und hob das SA-Verbot auf. Das führte sogleich zu von der SA provozierte Straßenkämpfe. Diese wiederum nahm von Papen zum Anlass zum sog. „Preußenschlag“. Auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung, des so genannten Diktaturparagraphen, setzte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg die preußische Regierung ab und Reichskanzler von Papen als Reichskommissar für Preußen ein. Papen enthob den Ministerpräsidenten Braun seines Amtes und übernahm die Führung des preußischen Ministerpräsidiums. Es folgte eine Welle von Entlassungen republikanischer, demokratischer Beamter. Die Nazis waren mit dem Preußenschlag sehr zufrieden. Einen Tag später notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Alles rollt wie am Schnürchen ab. (…) Die Roten haben ihre große Chance verpasst. Die kommt nie wieder…“ In der Tat markierte der „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Weimarer Republik. Die kampflose Kapitulation der Linken hatte der Republik und dem Glauben an ihre innere Kraft das Rückgrat gebrochen.
Gleichwohl waren die freien Gewerkschaften und die SPD keineswegs untätig – und auch nicht hier in Bendorf. Bauer und die beiden Gelhards waren nicht nur Mitglieder der SPD sondern auch im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ziel dieses nach den Farben der Weimarer Republik benannten Bundes war es, die Weimarer Republik und die Demokratie zu verteidigen und mit zu tragen und ihre Gegner mit deren eigenen Mitteln niederzukämpfen, damit die Republik endlich zu einem Staat der deutschen Republikaner werde. Immer wieder gab es große Kundgebungen des Reichsbanners, in der hiesigen Region vor allem in Koblenz. Einer der wichtigen Reichsbanner-Leute war dabei der Bendorfer Gewerkschaftssekretär Ernst Rebber. Noch vor dem Preußenschlag und in Reaktion auf die im Herbst 1931 durch die „nationale Opposition“ gebildete „Harzburger Front“ kam es zur Bildung der Eisernen Front. In ihr sollten sich gegenüber der Harzburger Front die republikanischen Parteien und Gewerkschaften aller Richtungen unbeschadet ihrer verschiedenen Auffassungen in vielen Dingen zum Kampf gegen den Nationalsozialismus und für die Rettung der demokratischen Republik zusammenschließen. Dieser Schulterschluss gelang aber nicht: das Bürgertum versagte sich diesem Appell. Träger der Eisernen Front waren neben der SPD nur noch der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Sinnfällig wurde dies an dem gemeinsamen Kampfsymbol, den drei Pfeilen: Zeichen für Partei, Gewerkschaft und Reichsbanner, d. h. für politische, wirtschaftliche und physische Macht der Arbeiterbewegung.
Einer der regionalen Hauptredner der Eisernen Front war der schon erwähnte Bendorfer Gewerkschafter Ernst Rebber. Ein anderer war der Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Wilhelm Guske. Guske, selbst Arbeitersohn und langjähriges Mitglied der SPD, war Stellvertreter des Oberpräsidenten der Rheinprovinz und einer der leitenden Verwaltungsbeamten im hiesigen Raum.
Guskes Schicksal und die Reaktionen hierauf können exemplarisch verdeutlichen, wie es damals um die Demokraten und die demokratische Gegenwehr stand. Es begann damit, dass Guske im Zuge des Preußenschlags als Vizepräsident der Rheinprovinz beurlaubt wurde. Mehr als eine kurze Notiz war der SPD-Zeitung „Rheinische Warte“ dieser Hinauswurf eines republikanischen Beamten nicht wert – obwohl schon damals vor ihm viele ausgewiesene Demokraten aus ihren Ämtern entfernt worden waren. Kaum hatten die Nazis am 30. Januar 1933 die Macht an sich genommen, wurde eben diese Rheinische Warte – wie ein dutzend SPD-Zeitungen in Preußen ebenfalls – vorübergehend verboten. Als sie wieder erschien, blieb ihr nur noch unter der Überschrift „Genosse Guske im Interesse der Festigung der verfassungsmäßigen republikanischen Staatsform in den Ruhestand versetzt“ zu vermelden:
„Zuerst glaubten wir an einen Karnevalsscherz. Durch Rückfragen haben wir dann aber festgestellt, dass das Preußische Staatsministerium, Kommissare des Reichs, den Genossen Guske aufgrund des § 3 Abs. 2 der Verordnung vom 26. Februar 1919 sofort in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Der § 3 Abs. 2 wurde aufgrund des Republikschutzgesetzes vom 21. Juli 1922 der Verordnung eingesetzt (und sollte gerade die Republik vor Staatsfeinden von rechts schützen; Erg. des Verf.). Die ordentlichen Gerichte werden Gelegenheit haben, diese neupreußische Einschätzung der Republikaner zu prüfen. Weitere Ausführungen müssen wir uns im Hinblick auf die Pressenotverordnung versagen.“
Das war der Abgesang. Ein Karnevalsscherz war es nicht. Auch war der Hinweis auf die Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte fehl am Platze. Diese Überprüfung gab es nicht – ganz abgesehen davon, dass man sich ganz ernstlich fragen musste, wie eine solche Überprüfung überhaupt ausgegangen wäre. Im Übrigen: Ein paar Tage später musste die Rheinische Warte ihr Erscheinen endgültig einstellen – und das wenige Tage vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 – der letzten halbwegs legalen Wahl. – Nach den Reichstagswahlen ging es in diesem Stil schnell. So wurden schon am 9. März 1933 die Volkshäuser der Freien Gewerkschaften von der SA besetzt.
Frage 3: Warum umwarb Ley in dem Zitat gerade den deutschen Arbeiter?
In der Tat ist es befremdlich, dass Ley die deutschen Arbeiter umwarb bzw. umwerben musste. Denn vom Anspruch her hätten die deutschen Arbeiter in der NSDAP organisiert sein müssen. Gegründet wurde die NSDAP als „Deutsche Arbeiterpartei“, und sie hieß ja auch „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“. Entgegen diesem Anspruch war die NSDAP aber eine eher kleinbürgerliche Protestbewegung. Auch als Massenpartei hatte sie ihre Wähler vor allem im bürgerlich-protestantischen Lager, weniger unter den Arbeitern und auch weniger unter den Katholiken.
Frage 4: Was war jetzt eigentlich los im Mai 1933?
Im Mai 1933 setzten die Nazis ihren Plan um, die Gewerkschaften zu zerschlagen und eine nationalsozialistisch geführte und staatlich reglementierte „Deutsche Arbeitsfront“ zu etablieren. Dies gelang auch erstaunlich gut, weil die Gewerkschaften nicht einheitlich organisiert waren. Es gab neben der kommunistischen RGO die sozialistischen, „freien Gewerkschaften“, die christlichen und die liberalen Gewerkschaften. Zudem hatten die Gewerkschaften durch die Weltwirtschaftskrise viele Mitglieder verloren und sie waren durch das Schwanken der politischen Parteien in ihrem Verhältnis zu Hitler selbst schwankend. Den sich daraus ergebenden Anpassungskurs nutzten die Nazis sehr geschickt aus.
Zunächst landeten sie einen propagandistischen Coup, indem sie den auch in der Republik nie offiziell anerkannten Arbeiterfeiertag, den 1. Mai, als „Tag der nationalen Arbeit“ zum Nationalfeiertag mit bezahlter Arbeitsruhe erklärten.
Ebenso geschickt geplant war die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am folgenden Tag, am 2. Mai 1933. Schon morgens wurden in einer reichsweiten Aktion die Gewerkschaftshäuser besetzt und Gewerkschaftsführer in Schutzhaft genommen. Am selben Tag erließ der uns inzwischen bekannte Ley dann einen Aufruf, aus dem das Motto dieser Ausstellung entnommen ist. Etwas ausführlicher lautet das Zitat wie folgt:
Wir treten heute in den zweiten Abschnitt der nationalsozialistischen Revolution ein. Ihr werdet sagen, was wollt Ihr denn noch, Ihr habt doch die absolute Macht! Gewiss, wir haben die Macht, aber wir haben noch nicht das ganze Volk. Die Arbeiter haben wir noch nicht hundertprozentig, und gerade Dich wollen wir, wir lassen Dich nicht, bis Du in aufrichtiger Erkenntnis restlos zu uns stehst.
Und zynisch fuhr Ley dann fort:
Uns täuscht der schlaue Fuchs nicht! Lieber geben wir ihm einen letzten Fangschuss, als dass wir jemals wieder dulden würden, dass er sich erhebe. Die Leiparts und Graßmänner (Leipart und Graßmann waren 1. bzw. 2. Vorsitzender des ADGB) mögen Hitler noch so viel Ergebenheit heucheln - es ist besser, sie befinden sich in Schutzhaft.“
Am 5. Mai 1933 konnte Ley Hitler melden, dass sich alle Arbeiter- und Angestelltenverbände mit über 8 Millionen Mitgliedern bedingungslos unterstellt hätten. Denkwürdig ist dann der 10. Mai 1933: An diesem Tag erklärte sich Hitler zum Schirmherr der Arbeiterschaft. Gleichzeitig wurde die Deutsche Arbeitsfront (DAF) gegründet, Ley wurde ihr Führer. Am selben Tag wurde noch die Beschlagnahme des Vermögens der SPD und des Reichsbanners verfügt; davon waren auch alle Zeitungen betroffen. Am Abend des 10. Mai 1933 kam es dann noch zu den Bücherverbrennungen.
5. und letzte Frage: Wie ging es nach Mai 1933 weiter?
Der Mai 1933 hatte sehr nachhaltige Wirkungen: Gewerkschafter wurden in so genannte Schutzhaft genommen, andere konnten ins Ausland fliehen, wieder andere zogen sich ins Private zurück. Der erwähnte Bendorfer Gewerkschaftssekretär Rebber emigrierte ins Ausland und war dort im Kampf gegen Hitler-Deutschland aktiv. Widerstand in Deutschland leisteten nur einige. Dazu gehörten in Bendorf Hans Bauer, die beiden Gelhards und die Ehefrau des Mülhofener Gelhard. Es war ein im Wesentlichen individueller Widerstand, da die legalen Organisationsstrukturen zerschlagen und illegale nicht bzw. nicht in größerem Maße aufgebaut werden konnten.
Ein Sinnbild dafür ist das Foto der Ausstellung, das zwar keinen Widerstand, aber eine Verweigerungshaltung, eine Resistenz, zeigt – einen Arbeiter, der beim Stapellauf eines Schiffes im Jahre 1936 den Hitlergruß verweigert. Etwas Ähnliches, aber wesentlich Schwerwiegenderes gibt es auch von dem Mülhofener Anton Gelhard zu berichten. Nachdem dieser Mitte der 1930er Jahre wegen „Hochverrat“ zwei Jahre und sechs Monate Zuchthaus verbüßt hatte und im Anschluss daran auch noch ins KZ Dachau in sog. Schutzhaft gekommen war und auch seine Frau nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe auch noch ins Frauen-Konzentrationslager Moringen verschleppt worden war, brachte dieser Mann an seinem Arbeitsplatz in der Schwemmsteinfabrik Frankfurt/Main GmbH hier in Bendorf noch den Willen und die Kraft zum weiteren Widerstand auf. In Anwesenheit von ausländischen Zwangsarbeitern drohte er – so der Bericht der Gestapo Koblenz - dem NS-Betriebsleiter tätlich und äußerte sich zu einem Betriebsappell wie folgt: „Hört auf mit Eurem Mist da oben und lasst die Leute arbeiten.“ Als einziger Arbeiter nahm er dann an dem anschließenden Betriebsappell nicht teil. Daraufhin wurde er verhaftet und kam vier Wochen lang in Schutzhaft. Einige Monate später nahm man ihn erneut in „Schutzhaft“ und verschleppte ihn ins KZ Buchenwald. Dort wurde er am 11. April 1945 mit Hans Bauer, Anton Gelhard aus Bendorf, Wilhelm Thönes und vielen tausend anderen Häftlingen befreit. Dann schwor er mit ihnen den „Schwur von Buchenwald“.
Damit schließt sich der Kreis.
10 Jahre Förderverein Mahnmal Koblenz 1997-2007
Im Sommer feierte unser Förderverein seit zehnjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass zeigte unser Verein in der Koblenzer Florinskirche die Ausstellung: "'Wir können nur vorwärts, denn hinter uns ist der Tod.' - NS-Opfer aus der Region Koblenz und Neuanfang vor 60 Jahren."
Lesen Sie HIER die Einladung unseres Vereins zu der Ausstellung.
Lesen Sie HIER auch den Artikel aus der Rhein Zeitung vom 21. August 2007
Aus Anlass des von teilen des DGB am 1. September begangenen Antikriegstag besuchten Bendorfer Gewerkschafter die Ausstellung „Wir können nur vorwärts, denn hinter uns liegt der Tod“ in der Florinskirche. Für sie war das auch die Erinnerung an den in der Ausstellung ebenfalls porträtierten Bendorfer Johann (Hans) Bauer (1888 - 1947).
Mitglieder der Gruppe Bendorfer Gewerkschafter vor der Gedenktafel des Bendorfer Hans Bauer.
Im Bild rechts der DGB-Ehrenvorsitzende Willi Böhm.
Auf Spurensuche
Am 20. September hielt unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig beim Bürgerverein Synagoge Ahrweiler einen Vortrag über das „Das Lager ‚Rebstock‘ bei Dernau an der Ahr“. Darin stellte er die Geschichte des KZ-Außenlager bei Dernau/Marienthal dar. Es war ein Außenlager des KZ Buchenwald und eines von zwei KZ-Außenlagern im heutigen Rheinland-Pfalz. (Das zweite KZ-Außenlager war das Lager Cochem mit seinen beiden Teillagern in Bruttig und Treis.).
Angekündigt wurde der Vortrag mit der Notiz: „Auf Spurensuche“:
Was wissen wir heute noch von dem Lager Rebstock bzw. dem „KZ Rebstock“? Beim Bürgerverein Synagoge ging der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig mit Interessierten auf Spurensuche. Er erzählte die Geschichte der Tunnelanlagen von Dernau und Marienthal und was aus ihnen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurde. Als Eisenbahntunnel während des Ersten Weltkrieges gebaut und später zur Champignonzucht genutzt, dienten die unterirdischen Anlagen ab Herbst 1943 zur Montage der „Vergeltungswaffe“ V2. Der mit einer Powerpoint-Präsentation ergänzte Vortrag schilderte, wie dort zunächst dienstverpflichtete Arbeiter, dann Zwangsarbeiter, Militärinternierte und schließlich KZ-Häftlinge für den Angriffskrieg Hitler-Deutschlands „Vergeltungswaffen“ bauen mussten bzw. bauen sollten. Die Geschichte der Tunnelanlagen und der dort arbeitenden Menschen rief Hennig in Erinnerung anhand von Zeitzeugenberichten. Insbesondere ging er auf das Schicksal eines französischen Widerstandskämpfers ein, der als 18-Jähriger vom KZ Buchenwald in das „Lager Rebstock“ zur Sklavenarbeit verschleppt wurde. Höhepunkt der Veranstaltung war ein Film über diesen ehemaligen Widerstandskämpfer. Nach mehr als 60 Jahren kehrte er auf Einladung des Fördervereins Mahnmal Koblenz nach Dernau und die Stätte seiner Verfolgung und Erniedrigung zurück. Es war ein bewegendes Dokument eines Menschen am Ende seines Lebensweges, der nicht vergessen aber verziehen hat und zur Versöhnung der Völker mahnte.
Lesen Sie nachfolgend den Vortrag unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig:
Das Lager „Rebstock“ in Dernau
Vortrag von Joachim Hennig am 20. September 2007 beim Bürgerverein Synagoge in Ahrweiler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke Ihnen, lieber Herr Liewald, für die freundlichen einleiten-den Worte und Ihnen allen für den aufmunternden Beifall. Das sind Vorschusslorbeeren, die gut tun. Ich hoffe, dass ich diesen gerecht werde.
Meine Damen und Herren, lassen Sie sich heute Abend entführen – entführen in eine andere Welt. Diese Welt ist nicht weit weg von hier – nur einige Kilometer die Ahr hinauf – hinauf nach Dernau. Gleichwohl ist diese Welt heute – zum Glück – fremd. Es ist die Welt des Nationalsozialismus, eine Zeit, die gerade einmal gut 60 Jahre zurück liegt. Bei aller Fremdheit ist diese Welt also zeitlich und räumlich gar nicht weit von uns heute hier entfernt.
Das Thema meines Vortrages lautet: „Das Lager ‚Rebstock’ in Dernau“. Der Begriff „Lager Rebstock“ ist etwas blass – und historisch auch nur – für das, was ich Ihnen erzählen will - teilweise korrekt. Sehr viel plastischer ist der Begriff „KZ Rebstock“ – dafür ist dieser Begriff historisch nicht korrekt. Und außerdem: Sie haben sich bestimmt auch schon gefragt, warum denn dieser Vortrag von mir, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus e.V. in Koblenz, hier an der Ahr gehalten wird. Eine Erklärung dafür gibt eine damalige Firma mit einer Tarnadresse in Koblenz. All dies wollen wir heute zusammen ein wenig aufklären, wir wollen uns auf die Spurensuche nach dem Lager „Rebstock“ in Dernau begeben.
In dem vom Internationalen Suchdienst in Arolsen im Jahr 1949 herausgegebenen „Katalog der Lager und Gefängnisse in Deutsch-land und in den von Deutschland besetzten Gebieten vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945“ (kurz: CCP) werden mehr als 9.000 Lager aufgezählt und kurz beschrieben. In der nur 12 Jahre währenden NS-Zeit gab es in Deutschland und in dem besetzten Europa fast unzählig viele und sehr unterschiedliche Lager. Sie waren geradezu ein Kennzeichen der Naziherrschaft über Deutsche und auch der deutschen Herrschaft über weite Teile von Europa. Es gab die Konzentrationslager wie Dachau und Buchenwald, die Konzentrations- und Vernichtungslager wie vor allem Auschwitz-Birkenau, die „reinen“ Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“ wie Belzec und Treblinka, die Zwangsarbeitslager im Generalgouvernement, die Ghettos, die Polizeihaftlager, die Arbeitserziehungs-lager, die Kriegsgefangenenlager oder -kommandos sowie das ausgedehnte Lagersystem des „Reichseinsatzes“ ausländischer Zwangsarbeiter in Deutschland. In diesem System von Lagern
- waren etwa 18 Millionen Menschen inhaftiert,
- wurden in den knapp 6 Jahren des Zweiten Weltkrieges etwa 11 Millionen Menschen vernichtet bzw. fielen den Haft- und Lebensbedingungen zum Opfer. Die größten Bevölkerungs-gruppen der gezielten Vernichtung waren Jüdinnen und Juden (etwa 5,1 Millionen) und sowjetische Kriegsgefangene (etwa 3,3 Millionen),
- lebten mehrere Jahre lang etwa 10 - 12 Millionen Menschen, die aus ihrer von der deutschen Wehrmacht und SS besetzten Heimat in eines der mehr als 20.000 „Zivilarbeiterlager“ ganz überwiegend zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren.
Im Folgenden soll hier nur die Geschichte der Konzentrationslager kurz skizziert werden. Damit sie einen Eindruck bekommen, wovon wir sprechen, seien die folgenden Zahlen genannt: In der zweiten Hälfte des von den Nazis entfesselten Zweiten Weltkrieges, also ab Ende 1942, gab es ein System von Konzentrationslagern, das aus 22 Hauptlagern und über 1.200 Nebenlagern bestand, in denen mehr als eine halbe Million, Anfang 1945 sogar mehr als 700.000 Häftlinge inhaftiert waren.
Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager lässt sich vereinfacht in vier Phasen aufteilen, diese bildeten zugleich wichtige Entwicklungsstufen der NS-Herrschaft.
Die 1. Phase begann unmittelbar nach der sog. Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 und reichte bis etwa Sommer 1934. In dieser Zeit monopolisierten die Nazis ihre Macht und festigten sie. Stichwort hierfür ist die Verfolgung des politischen Gegners, des „Feindes“ im Innern. Formaler Anlass hierfür war der Brand des Reichstages am 27. Februar 1933 sowie die sofort daraufhin erlassene Reichstagsbrandverordnung. Mit ihr wurden alle Freiheitsrechte der Weimarer Reichsverfassung bis auf weiteres – und tatsächlich bis zum Ende der NS-Terrorherrschaft – außer Kraft gesetzt. Die Reichstagsbrandverordnung bildete dann die formal-rechtliche Grundlage für die Verhängung der sog. Schutzhaft. Politische Gegner der Nazis, vor allem Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschaften, sowie kritische Bürgerliche wurden in Schutzhaft genommen und dazu in Gefängnisse, aber auch schon in – gefängnisähnliche - Konzentrationslager verschleppt.
Die zweite Phase der Konzentrationslager begann etwa mit der Ermordung der SA-Führung Ende Juni 1934, den Aktionen im Rahmen des sog. Röhm-Putsches. In dieser Zeit übernahm die bayerische Gruppe der SS-Führung um Heinrich Himmler, dem späteren Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, und um Reinhard Heydrich die Politische Polizei im Reich und auch die Inspektion und Verwaltung der Konzentrationslager. Diese Phase war im Frühsommer 1936 mit dem dritten Gestapo-Gesetz und der Zusammenführung von Politischer Polizei und Kriminalpolizei unter dem Dach der „Sicherheitspolizei“ (SD) abgeschlossen. In dieser Phase war die Zahl der KZ-Häftlinge auf dem niedrigsten Stand: Im Sommer 1935 waren weniger als 4.000 Menschen in „Schutzhaft“ in diesen Lagern. Diese Entwicklung zeigt, dass sich inzwischen der Nationalsozialismus in Deutschland vollständig etabliert und seine Gegner politisch isoliert, eingesperrt oder umgebracht hatte.
Im Jahr 1936 begann eine neue, die 3. Phase der Konzentrations-lager. Sie war zunächst gekennzeichnet durch die Planung und den Neubau neuer Konzentrationslager. Grund hierfür war, dass die Nazis die Verfolgung auf weitere Bevölkerungskreise ausdehnten. In Ausfluss ihres Rassenwahns begannen sie alle „Elemente“ innerhalb des deutschen Volkes zu bekämpfen, die – in der Sprache der Nazis – die „gesunde Substanz“ des Volkes schädigten, weil sie anders waren, in der Terminologie der Nazis „asozial, „arbeitsscheu“, trunksüchtig“ sowie homosexuell oder „Berufsverbrecher“ waren. Sogar Zeugen Jehovas fielen unter diesen Teil der Bevölkerung, der vom „gesunden Volkskörper“ isoliert und dann „ausgemerzt“ werden sollte. Als erstes begannen die Nazis im Sommer 1936 mit dem Bau des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Berlin. Es folgten dann das KZ Buchenwald bei Weimar, das KZ Flossenbürg in der Oberpfalz, das KZ Neuengamme bei Hamburg, das Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg/Elbe, das KZ Groß-Rosen bei Breslau und das KZ Mauthausen bei Linz /Niederösterreich. Kennzeichen dieser Phase der Konzentrationslager war, dass die Arbeit der Häftlinge für die Produktion „entdeckt“ wurde. Die Häftlinge mussten Baustoffe, vor allem Ziegel, herstellen und arbeiteten in Steinbrüchen. Zudem änderte sich die Häftlingsstruktur. Mit zunehmender Dauer des Krieges kamen Einwohner der von den Deutschen besetzten Länder in die KZs: vor allem Polen, Franzosen, Tschechen, Jugoslawen, Holländer, Belgier, darunter auch viele Juden und sog. Zigeuner. Zur gleichen Zeit stieg die Zahl der Toten in den KZs. Im KZ Dachau etwa stieg die Todesrate von 4 Prozent im Jahre 1938 auf 36 Prozent im Jahr 1942 und im KZ Mauthausen, dem schlimmsten aller im Reichsgebiet gelegenen Lager, stieg die Sterblichkeitsrate von 24 Prozent im Jahr 1939 auf 76 Prozent im Jahr 1940.
Die 4. und letzte Phase der Konzentrationslager begann ungefähr mit dem Angriffskrieg Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941. Diese letzte Phase war gekennzeichnet durch die systematische Deportation und Ermordung der europäischen Juden. Dabei muss man sehen, dass nur ein Teil der Juden überhaupt die Konzentrationslager erreichte. Sehr, sehr viele von ihnen wurden durch die deutschen Einsatzgruppen in der Sowjetunion „vor Ort“ ermordet, sehr, sehr viele andere brachte man in den Vernichtungslagern auf polnischem Gebiet um. Nur ein geringerer Teil von ihnen erreichte überhaupt die Konzentrationslager. Trotz allem war in dieser Phase die Zahl der KZ-Häftlinge am größten. Im April 1943 waren es 203.000, im August 1944 524.000 und am Ende des Krieges vermutlich mehr als 700.000. Dabei nahm die Zahl der Häftlinge aus den europäischen Ländern im Vergleich zu den deutschen Häftlingen immer mehr zu. Der Anteil der nicht-deutschen Häftlinge stieg in dieser Zeit auf mehr als 90 Prozent. Ein weiteres Kennzeichen dieser Phase war die völlige Ausbeutung der KZ-Häftlinge für die Zwecke der Rüstungsindustrie. Speziell dafür wurde das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt gebildet. Es organisierte einerseits die Arbeit der KZ-Häftlinge in den KZ-eigenen Produktionsstätten und andererseits deren Arbeit in bestehenden Privatunternehmen. Zu diesem Zweck wurden in der Nähe von bestehenden Privatunternehmen KZ-Außenlager errichtet, in denen die KZ-Häftlinge untergebracht wurden, um in den nahe gelegenen privaten Rüstungsunternehmen Zwangsarbeit zu leisten. - Am Ende dieser letzten Phase - es war zugleich die letzte Kriegsphase - nahm die Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge für Privat-unternehmen in KZ-Außenlagern noch weiter zu. Grund hierfür war, dass infolge des Krieges die Rüstungsproduktion immer mehr in unterirdische Produktionsstätten verlagert werden musste. Um die Kriegsproduktion in den vor Bombenangriffen sicheren Stollen und Höhlen, zugleich aber auch die teuren Produktionsanlagen für die Zeit nach dem Krieg sicherzustellen, wurden Zehntausende von Häftlingen zu Arbeiten in unterirdischen Produktionsanlagen gezwungen.
Einer dieser unterirdischen Orte, in denen KZ-Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten, lag nicht weit von hier – er befand sich in Dernau.
Warum – so kann man fragen – warum gerade Dernau? Um schon keine Missverstände aufkommen zu lassen: Mit den damaligen Bewohnern von Dernau hatte das nichts zu tun. Das waren keine besonders strammen Nazis. Dernau war damals ein Dorf wie viele, viele andere auch. Insoweit war Dernau für damalige Verhältnisse „normal“. Die Entscheidung der Nazis, in Dernau eine solche Produktionsstätte einzurichten, beruhte auf anderen Gründen. Einmal war es die Nähe Dernaus zur damaligen Westfront und zum anderen waren es die Tunnelanlagen von Dernau.
Die Tunnelanlagen waren während des Ersten Weltkrieges und auch noch danach entstanden. Sie gehörten zu einer Eisenbahnstrecke von Liblar über Ringen bis zum Anschluss an die Ahrstrecke in Rech. Diese Eisenbahnstrecke – auch Strategische Bahn bezeichnet - war nie fertig gestellt, teilweise waren noch nicht einmal Schienen verlegt worden. Aber es gab zwischen Ringen und Rech fünf doppelgleisige Eisenbahntunnel im Ahrtal: den Silberbergtunnel (600 Meter lang), den Kuxbergtunnel (1.285 Meter lang), den Trotzenbergtunnel (1.340 Meter lang), den Sonderbergtunnel (120 Meter lang) und den Herrenbergtunnel bei Rech mit einer Länge von 330 Metern.
In den Zwanziger Jahren lagen diese Tunnelanlagen brach. In der NS-Zeit betrieb man dort eine Champignonzucht. Diese Anlage diente vor allem zur Arbeitsbeschaffung. In einem Artikel „Edelpilzzucht in Ahrweiler“ schrieb dazu der damalige Kreisleiter und Landrat von Ahrweiler Dr. Simmer im Heimatkalender des Kreises Ahrweiler 1936:
Der wirtschaftliche Wert dieser Anlage liegt zunächst in der Schaffung von Arbeit für bisher erwerbslose Volksgenossen, das gerade in der Stadt Ahrweiler die Wirtschaftskrise besonders stark in Erscheinung trat und die nunmehr dort beschäftigten Arbeiter zum Teil 7 bis 8 Jahre erwerbslos waren. Diesen Arbeitern ist damit eine dauernde Beschäftigungsmöglichkeit gegeben, so dass sich einige von ihnen bereits mit einem Eigenheim angesiedelt haben.
Später übernahm ein Spanier die Zucht. Diese Idylle der Edelpilz-zucht in den Tunnelanlagen von Dernau hatte dann aber im Sommer/Herbst 1943 ein Ende. In die Romantik des Ahrtals zog schnell der Krieg ein: Erst die Rüstungsindustrie für die Kriegs-produktion, dann die Arbeiter, die immer unfreiwilliger und zwangsweise dort Arbeit verrichteten, schließlich KZ-Häftlinge, die Sklavenarbeit verrichtet mussten und dann kam der Krieg selbst noch und vor diesem suchte die Zivilbevölkerung von Dernau und Umgebung Schutz vor dem Bombenangriffen in den Tunnel-anlagen.
Eine wichtige und Vorreiterrolle spielte dabei eine schon kurz angesprochene Firma, die Firma Johannes Gollnow & Sohn. Diese hatte ihren Hauptsitz in Stettin und war eine bekannte Werft- und Stahlbaufirma. Sie stellte schon in Stettin Bodenanlagen für das A4-Programm her. Aus diesem A4-Programm ging dann die V2-Rakete, die von den Nazis in den letzten Monaten des Krieges eingesetzte Vergeltungswaffe 2, hervor.
Im Herbst 1943 kam die Firma Gollnow & Sohn an den Rhein und an die Ahr. In Koblenz hatte sie eine Tarnadresse (Firma Johannes Gollnow & Sohn, Werk Koblenz, Postfach 367, Koblenz). Und in Dernau und Umgebung hatte die Firma Gollnow & Sohn faktisch alle fünf Tunnel mehr oder weniger in Besitz genommen. In dem Haupttunnel, dem Kuxbergtunnel, richtete die Firma Werkstätten, Prüf- und Kontrollstände ein und ließ dort Spezialfahrzeuge für die V2 bearbeiten und ausstatten.
Vor allem wurde dort die elektrische Ausrüstung für die V2-Schießbatterien hergestellt und in die Fahrzeuge eingebaut. Es wurden dort die Bodenanlagen-Fahrzeuge für die V2-Rakete verkabelt. Die Arbeiter stellten Kabelbäume her, installierten die elektrische und die mechanische Ausstattung verschiedener Fahrzeuge und prüften diese durch; insbesondere wurde der Meillerwagen zum Heranholen und Aufrichten der Rakete verdrahtet.
Der Trotzenberg- und der Sonderbergtunnel dienten diesem Betrieb im Kuxbergtunnel als Materiallager und Verladebahnhof.
Beschäftigt waren damals bei der Firma Gollnow vor allem zivile Arbeiterinnen und Arbeiter, Männer und Frauen, die von der Wehr-macht abkommandiert oder von ihrem Arbeitgeber Gollnow & Sohn nach Dernau versetzt worden waren. Das örtliche Arbeitsamt zwangsverpflichtete jede verfügbare Arbeitskraft – vom jungen Mädchen bis zum nicht mehr „frontverwendungsfähigen“ Kriegsinvaliden. Darüber hinaus wurden wohl auch Kriegsgefangene – Italiener - und auch sog Ostarbeiter - also oft zum zwangsweisen Arbeitseinsatz in Deutschland verschleppte Ukrainer und Russen - beschäftigt. – Alles war streng geheim, die einzelnen Abteilungen, Werkstätten waren gegeneinander abgeschottet, nur mit Sonderausweisen konnte man bestimmte Werkstätten aufsuchen.
Der Kuxbergtunnel und bisweilen auch die anderen vier Tunnelanlagen hatten inzwischen den Tarnnamen „Lager Rebstock“ erhalten und waren einer Tarnfirma mit dem Namen „Mittelwerk GmbH“ unterstellt worden.
Das war Ende 1943 aber nur der Anfang. Diese unterirdischen, nicht weit entfernt von der Westfront gelegenen Anlagen waren gegen Kriegsende zu wertvoll, als dass sie von der Firma Gollnow & Sohn nur teilweise oder auch nur als Materiallager genutzt werden sollten. Schon bald entstanden bei dem Volkswagenwerk Begehrlichkeiten, diese unterirdischen Anlagen auch für die eigene Rüstungsproduktion zu nutzen. Es ging dabei um die Herstellung einer anderen „Vergeltungswaffe“, der Flugbombe Fi 103, besser bekannt unter dem Namen V1 – Vergeltungswaffe 1. Deren Produktion sollte ab Ende Juli 1944 teilweise in das „Lager Rebstock“ verlagert werden. Dazu waren aber noch wesentliche bauliche Veränderungen – im Kuxbergtunnel – nötig. Gleichwohl begann das Volkswagenwerk Maschinen und Ausrüstungsgüter nach Dernau zu schaffen, allein Mitte Juli 1944 waren es 22 Eisenbahnwaggons voll.
Inzwischen begann die Arbeit bzw. die Planung der Arbeit in den Tunnelanlagen eine neue Dimension anzunehmen. Mit den Dienstverpflichteten vor Ort, den Kriegsgefangenen und Ostarbeitern ließ sich die Produktion der Firma Gollnow & Sohn für die V2 und die unmittelbar bevorstehende Produktion der V1 durch das Volkswagenwerk nicht mehr bewältigen. So war es nur konsequent, dass die Firma Gollnow & Sohn und auch das Volkswagenwerk bei der SS KZ-Häftlinge für die Zwangsarbeit anforderten. Ehe aber tatsächlich KZ-Häftlinge in die Tunnelanlagen von Dernau kamen, wurden erst noch andere Häftlinge und Gefangene nach Dernau verschleppt – höchstwahrscheinlich mussten sie dort auch arbeiten.
Eine Gruppe waren holländische Juden aus Amersfoort. In Amersfoort gab es damals ein Polizeidurchgangslager. Dort waren u.a. holländische Juden interniert, die gegen anti-jüdische Anordnungen verstoßen hatten, einige von ihnen hatten auch politischen Widerstand geleistet. Nach und nach wurden diese Juden in Straf- bzw. Erziehungslager geschickt und Unternehmen zugeteilt, auf deren Gelände sog. Erziehungslager errichtet wurden. Anfang August 1944 kamen in zwei Transporten 467 dieser holländischen Juden von Amersfoort in das „Lager Brück“. Diese Juden waren offensichtlich der Firma Gollnow & Sohn zur Zwangsarbeit in den Tunnelanlagen von Dernau zugewiesen. Nach der Darstellung eines Zeitzeugen sollen die Verhältnisse dort katastrophal gewesen sein. Unzureichende Ernährung, Kälte, harte Arbeit, Schläge und Tätlichkeiten, Einsamkeit, Schlafmangel und Todesangst hätten die Menschen zermürbt. Viele seien erschöpft und dem Tode nahe gewesen. Es wurde davon berichtet, dass die Menschen fast vollständig umgekommen seien. Bewiesen ist das nicht. Leichen, die dieser Gruppen zugeordnet werden könnten, wurden keine gefunden. Ihr Schicksal ist unbekannt – auch das der Überlebenden.
Eine weitere Gruppe bestand offenbar aus italienischen Militärinternierten. Nach der Kapitulation der Italiener waren diese Gefangenen fast rechtlos. Etwa 400 von ihnen waren im Sommer 1944 auf dem Truppenübungsplatz Ahrbrück in einem provisorischen Zeltlager untergebracht. Es spricht viel dafür, dass eine Gruppe von 30 bis 50 Gefangenen in den Tunnelanlagen ebenfalls Zwangsarbeit leistete.
Eine dritte Gruppe waren ungarische Juden, zumeist KZ-Häftlinge. Sie brachte man am 2. September 1944 nach Dernau, damit sie für das Volkswagenwerk die V1 produzieren sollten. Von dieser Gruppe sind Überlebende bekannt. Einige haben über ihr Schicksal berichtet. Hier folgt der Bericht eines von ihnen namens Gyorgy Stein, der als 17Jähriger von Ungarn nach Auschwitz deportiert wurde. Er erinnert sich wie folgt:
Nachdem wir ungarischen Juden im Mai 1944 nach Auschwitz verschleppt worden waren, wurden auf persönlichen Befehl Himmlers Elektro-spezialisten gesucht, die der „Endlösung“ entgehen könnten, wenn sie für die deutsche Rüstungsindustrie arbeiten würden. Da ich vor kurzem eine Lehre als Autoelektriker abgeschlossen hatte, meldete auch ich mich für diese Arbeit. Arthur Schmiele vom Volkswagenwerk Fallersleben prüfte uns, indem wir einen Bolzen mit einer Schieblehre messen mussten. Da nur 100 von uns den Test bestanden, die Zielquote aber 300 war, wurden uns 200 technisch unqualifizierte Häftlinge einfach zugeteilt. Unter ihnen befanden sich z.B. Bauern, Schuster, Händler, Zahnärzte, Schneider oder Studenten. Unsere Spezialeinheit bestand also nur aus 100 tatsächlich qualifizierten Kräften, bei den übrigen 200 wurden die Berufsangaben entsprechend gefälscht.
Anfang Juni 1944 kamen wir von Auschwitz nach Fallersleben. (…) Als die VW-Werke in Fallersleben durch einen Volltreffer der alliierten Luftangriffe erheblich beschädigt worden waren, wurden wir am 29. Juni 1944 nach Thil in Frankreich zur Grube Tiercelet verlegt. Dort war noch nichts vorhanden, und wir mussten erst einmal Baracken für uns bauen. (…)
Anfang September 1944 wurde Thil evakuiert, und in einem Tag ging es von dort über Koblenz nach Dernau.
Das Lager in Dernau lag, angesichts des Dorfes, auf der Spitze eines Hügels. Es bestand aus zwei neuen Baracken und einer modernen Küche mit einem elektrischen Kühlschrank. Die SS hatte eine kleine gesonderte Baracke. Ein hoher Stacheldraht umgab das Lager; dieser war aber nicht elektrisch. Ein großes Weinbaugebäude, das vom Lager aus zu sehen war, trug ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Dernauer Winzerverein“ auf dem Dach.
Wir verbrachten die Tage innerhalb eines Tunnels, der etwa 200 Meter vom Lager entfernt war. Dieser verlassene Eisenbahntunnel war etwa 600 Meter lang und an beiden Eingängen offen. Es gab weder elektrisches Licht noch Strom. Einer der Eingänge führte zu einem großen Platz. Am anderen Ende dieses Platzes gab es noch einen Tunnel, der mit einer riesigen Stahltür versehen war. Uns wurde nicht erlaubt, dort hinein-zugehen, aber wir wussten, dass dort Geheimarbeiten im Gange waren. Dieser Tunnel war es auch, der die Aufmerksamkeit der alliierten Luftwaffe anzog. Über Tag konnte da nichts rein oder raus, und die zivilen Arbeiter liefen während der Luftangriffe zum Schutz in unseren Tunnel.
Wir hatten keine Arbeit. Wir machten täglich den Tunnel sauber und warteten drei Wochen auf die Ausrüstung und die Maschinenteile, die von uns installiert werden sollten. Aber nichts kam an. Etwa vier Wochen später – an einem regnerischen Tag, an dem keine Luftangriffe erwartet wurden – kam ein Zug mit nur vier Wagen an, worauf wir schnell verladen wurden. Tags zuvor hatten wir das Lager und die Küche abge-baut und ließen die leeren Baracken und den leeren Tunnel hinter uns. Nach zwei Tagen kamen wir am 29. September 1944 (im KZ Mittelbau-Dora im Harz) an. Dort taten wir die gleiche Arbeit wie im VW-Werk.
Soweit der Bericht eines von 300 ungarischen KZ-Häftlingen, die als Sklavenarbeiter des Volkswagenwerks von Tiercelet Anfang September 1944 in das Barackenlager oberhalb von Marienthal kamen. Sie sollten hier in den Tunnelanlagen für das Volkswagenwerk die V1 produzieren. Dazu kam es aber nicht, weil die dafür nötigen Maschinenteile aus Tiercelet nicht rechtzeitig nach Marienthal/Dernau gebracht wurden. Deshalb verließen sie nach drei Wochen unverrichteter Dinge das Barackenlager bei Marienthal und kamen ins KZ Mittelbau-Dora. In den Tunnelanlagen von Dernau ist – davon ist auszugehen – vom Volkswagenwerk zu keinem Zeitpunkt auch nur eine Flugbombe Fi 103 – sprich V 1 – gebaut worden.
Aus diesem Bericht erfahren wir aber etwas von einem Lager, das oberhalb von Marienthal und nördlich des Bahndamms lag. Dort hatten alte beschädigte Baracken gestanden. Diese waren abgerissen und neue Baracken errichtet worden. Um die Baracken wurden hohe Zäune gezogen und Wachtürme aufgestellt. Dorthin zogen die 300 jüdischen KZ-Häftlinge, die für die Produktion der V 1 für das Volkswagenwerk vorgesehen waren. Als sie dort einquartiert wurden, waren die Arbeiten an den Baracken noch nicht ganz fertig.
Ausgeführt wurden diese Arbeiten an dem Barackenlager oberhalb von Marienthal in Richtung Esch von 30 KZ-Häftlingen, vor allem von polnischen Häftlingen aus Warschau. Diese waren am 21. August 1944 aus dem Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar kommend in Dernau eingetroffen. Es waren die ersten KZ-Häftlinge, die für die Firma Gollnow & Sohn bestimmt waren. Sie waren ein Baukommando. Ihre Aufgabe bestand darin, für die ihnen nachfolgenden KZ-Häftlinge Unterkünfte zu errichten bzw. herzurichten. – Was hier begann und sich dann weiter entwickelte war das Kommando „Rebstock“, besser: Außenkommando „Rebstock“ bzw. noch besser: KZ-Außenlager „Rebstock“. Offiziell nannte man es „Kommando“. Damit bezeichnete man eine Häftlingsgruppe, die zu bestimmten Arbeiten eingeteilt wurde. Es gab Innenkommandos, etwa für Arbeiten auf der Schreibstube, in der Effektenkammer, der Latrine und im Krematorium. Und es gab Außenkommandos, etwa in Steinbrüchen; tagsüber arbeiteten die Häftlinge im Steinbruch und kehrten dann abends ins KZ zurück. Wo die Entfernungen zur Arbeit zu groß waren, wurden Außen- oder auch Nebenlager eingerichtet. Diese neuen „Außenlager“ wurden weiterhin vom KZ verwaltet und blieben ihm organisatorisch verbunden. Ein solches Außenkommando mit einem KZ-Außenlager entstand nun in Dernau. Dieses Kommando bzw. Außenlager mit Häftlingen aus dem KZ Buchenwald bei Weimar hatte ebenfalls den Tarnnamen „Rebstock“.
Einer der ersten Häftlinge aus dem KZ Buchenwald war der polnische Häftling Jan Gortat. Später berichtete er über seine Ankunft Ende August 1944 in Dernau/Marienthal wie folgt:
Wir, etwa 35 Männer, wurden in eine Ortschaft namens Marienthal gebracht. So hieß die Bahnstation, an der wir ausgestiegen sind. Man sagte uns, dass wir uns im Kommando Rebstock befanden, einer Niederlassung des Lagers Buchenwald. Wir wurden in einer Baracke untergebracht. Wir waren beschäftigt bei Ordnungsarbeiten, wie das Reparieren von Baracken, das Aufstellen eines Stacheldrahtzaunes, das Bauen von Beobachtungstürmen.
Diese Angaben werden ergänzt durch die Aussage eines damaligen Wachmannes. Er gab an:
Im Herbst 1944, den genauen Zeitpunkt kann ich heute nicht mehr angeben, wurden (…) eine oder drei neue Baracken mit massivem Material erstellt. Die oder diese Baracken wurden mit einem etwa 3 Meter hohen stabilen Stacheldrahtzaun umgeben. Die Erstellung hat nur kurze Zeit in Anspruch genommen, da Fertigteile verwendet wurden. Es waren plötzlich 80 bis 100 Männer in dem Lager, die in den eingezäunten Baracken untergebracht waren. Es handelte sich um stark abgemagerte Personen. Die Männer trugen Holzschuhe, blau-weiß gestreifte Anzüge und ein blau-weiß gestreiftes Käppi.
Gemeint sind damit weitere KZ-Häftlinge aus dem KZ Buchen-wald. Diese kamen in zwei Transporten nach Dernau/Marienthal. Der erste wurde am 2. September 1944 in Buchenwald formiert und traf am 4. September 1944 in Dernau/Marienthal ein. Der zweite Transport ging am 14. September in Buchenwald ab und traf dann wenige Tage später hier ein. Die Verhältnisse beim ersten Transport schilderte ein französischer Widerstandskämpfer, der in Frankreich festgenommen, inhaftiert und dann ins KZ Buchenwald verschleppt wurde, wie folgt:
(Das Kommando) wurde am 2. September 1944 in Buchenwald formiert, und es ist hervorgegangen aus dem letzten Konvoi, der am 15. August 1944 aus Paris kam. Die Gefangenen waren alle nummeriert in den Serien 76.000, 77.000 und 78.000. Dieses Kommando bestand ausschließlich aus Technikern oder Leuten, die sich Techniker nannten, um einer viel härteren Arbeit insbesondere in den Steinbrüchen zu entkommen. Es handelte sich insbesondere um Mechaniker (Dreher, Fräser) und um Funker. In diesem Kommando waren wir etwa zu 150 Franzosen, und unsere Aufgabe bestand darin, Kabelbretter für die V 1 oder V 2 herzustellen.
Diese Aussage illustriert die Verhältnisse recht anschaulich, sie macht zugleich deutlich, dass die KZ-Häftlinge über den Zusammenhang der von ihnen erzwungenen Arbeit nur wenig wussten. Wir wissen heute, dass diese KZ-Häftlinge an der Elektrik für die V 2 arbeiten mussten. Untergebracht waren die Häftlinge jedenfalls teilweise in drei Baracken, die auf dem Bahndamm „westlich“ von Dernau standen. Das ergibt sich u.a. aus einer Aussage eines weiteren Häftlings. Darin heißt es u.a.:
Ich wurde zur gleichen Zeit wie mein Vater (…) und 180 weitere Gefangene (von Buchenwald) verlegt, wir waren circa 90 Franzosen sowie Polen, Russen und Tschechen. Wir waren fast alle Spezialisten für Elektrizität und Mechanik. Meine KZ-Nummer war 77.644. Das Lager Dernau bestand aus Außenbaracken, das heißt aus Unterkünften im Freien. Wir arbeiteten in den Werkstätten von Marienthal, der Nachbargemeinde; die Werkstätten befanden sich ca. 2 km von Dernau entfernt. Sie waren in Tunnel, die in den Berg gehauen waren, untergebracht.
In Dernau/Marienthal befanden sich – neben den 300 ungarischen Juden, den Spezialisten für die Herstellung der V 1, zu der es in Dernau wegen des fehlenden Materials nie kam – also auch Häftlinge aus dem KZ Buchenwald – und zwar zunächst 30 und dann bis zu 207 Häftlinge. Das waren vor allem Franzosen, Polen und Russen. Die Häftlinge waren in den drei Baracken untergebracht und marschierten jeden Tag von diesen Baracken zum ihrer Arbeitsstelle. Sie befand sich im Trotzenbergtunnel. Dazu benutzten sie den noch vorhandenen Bahndamm. Sie arbeiteten dort in zwei Schichten jeweils 12 Stunden lang und stellten die Elektrik für den Meillerwagen der V 2 her.
Über die Lebensbedingungen dort gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Der ehemalige Leiter der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung der Firma Gollnow & Sohn etwa äußerte sich dazu wie folgt: Die Häftlinge seien den Umständen entsprechend gut behandelt worden, zumal es sich ja fast ausschließlich um besonders qualifizierte Spezialarbeiter gehandelt habe. - Diese Einschätzung eines führenden Mitarbeiters der Firma Gollnow & Sohn muss man natürlich mit Vorsicht werten. Er hatte sicherlich ein Interesse, die Arbeit in „seiner“ Firma nicht als ein „Mordkommando“ erscheinen zu lassen. Und im Übrigen muss man die von ihm selbst so bezeichneten „Umstände“ berücksichtigen: Schließlich war das Sklavenarbeit im feindlichen Ausland und für ein verbrecherisches, mörderisches System zur Herstellung von Vernichtungswaffen, die gegen das eigene Volk eingesetzt werden sollten, und Arbeit, die zur systematischen Erschöpfung führte. – Gleichwohl muss man sehen, dass diese KZ-Häftlinge Spezialisten waren, die man für diese Arbeit brauchte. Man konnte kein Interesse daran haben, diese Menschen „unmittelbar“ umzubringen, denn das System konnte auf sie nicht verzichten.
Einen Einschnitt in die Lebensbedingungen der KZ-Häftlinge gab es dann Mitte November nach alliierten Luftangriffen, bei denen der Wald bombardiert wurde, an dessen Rand die drei Baracken standen. Die Baracken wurden zwar nicht getroffen, die SS-Wachmannschaft nahm dies jedoch zum Anlass, die KZ-Häftlinge aus den Baracken in den Tunnel zu verlegen. Später schilderte ein ehemaliger KZ-Häftling das so:
Ich kann mich erinnern, dass im Wald neben unseren Baracken das deutsche Militär stationiert war, Kraftfahrzeuge, Panzer. Nach einigen Wochen wurde dieser Wald von Flugzeugen der Alliierten bombardiert. Die Baracken, in denen ich war, wurden nicht getroffen, sie wurden nur mit Kleinkalibergeschossen beschossen. Wir wurden in den Tunnel umquartiert, in dem wir arbeiteten. Wir haben uns dort einen Monat lang pausenlos aufgehalten.
Die KZ-Häftlinge arbeiteten dann weiter 12 Stunden täglich im Trotzenbergtunnel an der Elektrik des Meiller-Wagens. Sie verließen den Tunnel überhaupt nicht mehr und verbrachten die restliche Zeit des Tages ebenfalls im Tunnel. – Nicht unerwähnt bleiben soll, dass bei Bombenangriffen der Alliierten auch die Bevölkerung von Dernau und Umgebung in diesem Tunnel Schutz suchte.
Dieses KZ-Außenlager bzw. Kommando Rebstock des KZ Buchen-wald hatte dann nicht mehr lange Bestand. Wegen des Luftkrieges und um die Wege für die Produktion der V 2 zu verkürzen, wurde der Rüstungsbetrieb der Firma Gollnow & Sohn in Dernau/-Marienthal abgebaut und nach Artern in Thüringen verlegt. Der Transport von Material und Menschen begann Ende November 1944 und endete mit einem Transport am 14. Dezember 1944. Die SS-Wachmannschaft ließ die Häftlinge zum Bahnhof von Dernau marschieren und presste sie mit 90 Mann in einen Waggon.
Dort in Artern mussten die KZ-Häftlinge ihre Zwangsarbeit für die Firma Gollnow & Sohn und für die V 2 fortsetzen. Anfang April 1945 wurde das KZ-Außenlager Artern aufgelöst. Die Häftlinge wurden auf den „Todesmarsch“ in Richtung Tschechoslowakei getrieben. Ihr Ziel sollte das KZ Theresienstadt sein.
Tagsüber wurde ununterbrochen marschiert, die Nächte verbrachten sie in Feldscheunen, leerstehenden Fabriken u.ä. Ein Häftling berichtete später davon, dass die Aufseher „barbarischer“ wurden und die Alten und Kranken, die nicht mehr laufen konnten, an Ort und Stelle niedergeschlagen wurden.
Inzwischen waren die wenigen von Artern mitgegebenen Vorräte erschöpft. Die Häftlinge hatten so gut wie nichts mehr zu essen; einige von ihnen kochten in den Marschpausen in Konserven-büchsen ausgerissenes Gras. Nach einigen Tagen erreichten sie das KZ-Außenlager von Rehmsdorf in der Nähe von Zeitz. Dort blieben sie einige Tage. Dann brachen sie mit den Insassen des KZ-Außenlagers Rehmsdorf – das waren vor allem Juden - auf, um in Güterwaggons verladen zu werden. Die Kranken waren zuvor in der Krankenstation des Lagers erschossen worden.
Die Fahrt mit dem Güterzug ging weiter ins Erzgebirge, nach Marienberg. Später berichtete ein französischer Zeitzeuge folgendes:
Am 16. April 1945, nahe der Sudetengrenze auf dem kleinen Bahnhof von Marienberg, mitten im Gebirge, wurde der Konvoi nach zwei Tagen gestoppt, ohne Lokomotive. Gegen 8 Uhr morgens fanden die Alliierten im Zug eine Zielscheibe von militärischem Interesse und schossen ihre Salven ab. Meine (…) und ich sowie weitere Kameraden nutzten den Beschuss aus, sprangen von unseren offenen Waggons und flüchteten in Richtung des Tannenwaldes, der sich in 500 bis 600 m Entfernung von den Gleisen befand. Die Flucht fand unter den Geschossen der Flak und den Bomben der Alliierten statt. Als die Flugzeuge die Deportierten bemerkten, stellten sie ihre Aktion ein, aber die Opfer waren zahlreich. Die SS-Wachen verfolgten uns, indem sie auf uns schossen, einige Kameraden wurden gefasst und sofort hingerichtet. Mein Vater und ich drangen in den Wald vor, wo wir die Waffen der SS hörten. Mit zwei Kameraden, die wir einige Zeit später trafen, liefen wir mehrere Kilometer weit, wobei wir uns versteckten. Die ganze Gegend war über unsere Flucht alarmiert. Gegen Ende des Nachmittags wurden wir auf der Höhe einer versteckten Lichtung von deutschen bewaffneten Zivilisten entdeckt. Unter ihrer Waffenbedrohung haben wir uns ergeben. Die deutsche Zivilbehörde eines Weilers in der Region Marienberg übergab uns den SS-Wachen, die uns am Abend dem Rest des Konvois eingliederten. Sie haben gezögert, uns vor der kleinen Bevölkerung des Weilers hinzurichten.
Die Häftlinge wurden dann weiter teils zu Fuß teils in Güter-waggons in die Tschechoslowakei getrieben. Schließlich kamen sie im tschechischen Litomerice/Leitmeritz an. Von den 3.500 in Rehmsdorf abmarschierten Häftlingen kamen noch etwa 1.000 in Leitmeritz an. Im Lager war es sehr kalt. Wegen der Kälte und der Entkräftung starben jede Nacht 30 – 40 Häftlinge.
Dann mussten die KZ-Häftlinge auch dieses Lager verlassen. Ihr Todesmarsch ging weiter. Inzwischen hatte die Deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapituliert. Die Häftlinge mussten aber weitermarschieren. Die Überlebenden von ihnen kamen bis in die Außenbezirke von Prag. Als Prag am 11. Mai 1945 von der Sowjetarmee befreit wurde, waren auch bald die KZ-Häftlinge frei.
Meine Damen und Herren, das war in einer kleinen Skizze die Geschichte der Tunnelanlagen von Dernau und die der Menschen, die dort in der NS-Zeit als dienstverpflichtete Arbeiter, Zwangs-arbeiter und KZ-Häftlinge für den Angriffskrieg Hitler-Deutsch-lands sog. Vergeltungswaffen bauen mussten bzw. bauen sollten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging diese Geschichte, wie vieles aus der NS-Zeit – sehr oft absichtsvoll -, in Vergessenheit. Bald wurde unter Ausnutzung der Tunnelanlagen von Dernau/Marienthal der Regierungsbunker eingerichtet. Wenn überhaupt, dann wurde von diesem Staatsgeheimnis gesprochen und berichtet.
Einer der sich mit dem Regierungsbunker beschäftigte und dann auch auf die Geschichte der Tunnelanlagen in der NS-Zeit stieß, war der Journalist Michael Preute aus Köln. Der Name Michael Preute sagt Ihnen wahrscheinlich nicht viel. Michael Preute ist heute eher bekannt unter seinem Pseudonym – Jacques Berndorff – der Eifelkrimi-Autor. Also: Jacques Berndorff hatte Mitte der 80er Jahre die Geschichte des – wenn man so will - „KZ Rebstock“ angestoßen.
Daraufhin bildete sich eine Bürgerinitiative. Sie war durch die Recherchen Preutes sensibilisiert und dann auch schnell aktiv geworden, weil die Flurbereinigung die örtlichen Verhältnisse des Bahndamms bei Dernau und der seinerzeit dort stehenden drei Baracken nachhaltig zu verändern drohte. Die Flurbereinigung in diesem Bereich konnte die Bürgerinitiative nicht verhindern, aber immerhin hat sie zweierlei erreicht.
Zum einen sorgte sie für amtliche Aufklärung, indem sie ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz „auf den Weg brachte“ Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen „unbekannt“ war die „Untersuchung und Verfolgung von Mordhandlungen, die in dem ehemaligen Konzentrationslager Dernau, Kreis Ahrweiler, einem Nebenlager des Konzentrationslager Buchenwald, begangen worden sein sollen“. Dieses sehr umfangreiche und breit angelegte Verfahren hat zu keiner Anklage geführt. Die Ermittlungen haben nicht ergeben, dass „in dem unter dem Tarnnamen ‚Rebstock’ betriebenen Lagerkomplex Dernau/Marienthal noch verfolgbare Straftaten (sprich: Mord) begangen worden sind. Zudem konnte ein noch lebender Angehöriger der Bewachungs- oder Lagermannschaften nicht ermittelt werden“. Zum anderen hat die erwähnte Bürgerinitiative aber erreicht, dass an der Stelle, wo die drei Baracken der KZ-Häftlinge standen, eine Erinnerungstafel angebracht wurde.
Schließlich hatte diese Initiative noch Fernwirkungen, von denen ich drei sehe:
Zum einen hat das Ermittlungsverfahren eine Publikation von Uli Jungbluth veranlasst mit dem Titel: „Wunderwaffen im KZ ‚Rebstock’“. Darin wertet Jungbluth vor allem die umfangreichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Koblenz aus.
Zum anderen ist daraus die Publikation von Wolfgang Gückelhorn mit dem Titel „Lager Rebstock“ entstanden. Gückelhorn untersucht vom militärhistorischen Standpunkt her die Rüstungsproduktion in den Tunnelanlagen und hat vor allem hoch interessante Fotografien aus dem Lager „Rebstock“ von November 1943 der Öffentlichkeit präsentiert, die heute im Deutschen Museum in München archiviert sind.
Und drittens bin ich als stellvertretender Vorsitzender des Förder-vereins Mahnmal Koblenz inspiriert worden. Durch Kontakte nach Frankreich war es mir möglich, einen französischen KZ-Häftling, der seinerzeit ins KZ-Außenlager Rebstock verschleppt worden war, aufzuspüren und nach hier einzuladen. Sein Name ist Roger Detournay. Im Juli 2005 kam Herr Detournay nach mehr als 60 Jahren zum ersten Mal wieder nach Deutschland, und gerade auch nach Koblenz und nach Dernau. Im Alter von fast 79 Jahren ließ er sich auf eine Reise in seine Vergangenheit und der Verfolgung in Nazi-Deutschland ein. Es war für Herrn Detournay äußerst schwer, sich diesen Erinnerungen und dieser Geschichte zu stellen. Aber er hat es in einer bewundernswürdigen Weise getan und ich denke, es war für ihn wichtig, es zu tun. Wir vom Förderverein Mahnmal Koblenz haben darüber einen Film gedreht. Den Film mit dem Titel „Wenn Berge reden könnten - Die Tunnelanlagen von Dernau“ möchte ich Ihnen gleich noch zeigen. Ehe ich das tue, möchte ich Ihnen aber noch ein paar biografische Angaben über Herrn Detournay machen:
Roger Detournay wird am 21. August 1926 geboren – interessanterweise nicht weit von hier, in Euskirchen. Der Grund dafür liegt darin, dass sein Vater und damit auch seine Familie im Zug der französischen Besetzung des Rheinlandes nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland gekommen waren.. Später übersiedelt die Familie nach Frankreich, in die Umgebung von Chartres. 1940 beginnt Roger Detournay eine Ausbildung als Dreher. Zwei Jahre später tritt er der französischen Widerstandsbewegung FTP in Chartres bei. Er verteilt Flugblätter mit antideutschem Inhalt. Ein Jahr später erhält er wichtigere Aufgaben Er ist beteiligt bei Sabotageakten, Attacken gegen Mitglieder der deutschen Besatzungsarmee, bei der Hilfe für die, die sich dem Besatzungsregime verweigern, bei Angriffen gegen Rathäuser und beim Legen von Bränden.
Bei einer Aktion am 6. Juli 1944 – inzwischen sind die Alliierten in der Normandie gelandet – wird er bei einer Ausweiskontrolle von deutschen Soldaten festgenommen. Er kommt in das Gefängnis von Chartres. Als er dort einen Mann sieht, von dem er merkt, dass er ihn denunziert hat, weiß er, dass alles für ihn verloren ist. Er wird in einem „Raum der Qualen“ verhört und mit einem Ochsenziemer geschlagen. Weitere Verhöre folgen. Ende Juli 1944 muss er bei einem Verhör ein „Urteil“ unterschreiben, Mitgefangene von ihm auch. Sie meinen, das sei ihr Todesurteil und sie würden stand-rechtlich erschossen. Zehn Tage später wird Roger Detournay in ein Gefängnis nach Paris gebracht. Eine Woche später, am 15. August 1944, geht er mit einer Gruppe von Widerständlern „auf Transport“. Sie werden in Viehwaggons verladen. Einige fliehen, die Deutschen nehmen Geiseln. Sie müssen sich nackt ausziehen, 90 Gefangene sind in einem Waggon. Es ist der letzte Transport, der aus dem besetzten Paris nach Deutschland abgeht. Nach einer langen Fahrt in den Viehwaggons durch Frankreich und durch Deutschland erreichen sie am 20. August 1944 das KZ Buchenwald bei Weimar. Sie werden kahl geschoren, kommen unter die Dusche, Roger Detournay erhält die Häftlingsnummer 77.923 und wird zur Arbeit eingeteilt. Er wird dem Leichenkommando zugeteilt und muss die Leichen ins Krematorium bringen. Das sind für ihn die schlimmsten Eindrücke seiner Häftlingszeit. Später erinnert er sich noch zu genau, dass seine Füße immer voller Blut waren.
Wenige Tage später sucht man im KZ Buchenwald Techniker, insbesondere Mechaniker (Dreher, Fräser) für das Kommando Rebstock in Marienthal/Dernau. Roger Detournay ist dabei und kommt Anfang September 1944, als gerade 18-Jähriger, hier zur Zwangsarbeit. Er arbeitet im Trotzenbergtunnel an der Elektrik für die V 2 und ist in den drei Baracken auf dem Bahngelände untergebracht. Den Rest seiner Geschichte unter der Nazi-Terrorherrschaft kennen Sie. Später muss er nach Artern, dann auf den „Todesmarsch“ in die Tschechoslowakei. Am 11. Mai 1945 wird er befreit.
Mehr als 60 Jahre später kommt Roger Detournay auf Einladung des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. wieder nach Deutschland, nach Koblenz und nach Dernau. Diesmal ist der fast 79-Jährige in Begleitung seiner Tochter Claudine. Über ihn und die Tunnelanlagen von Dernau machen wir dann den Film, den ich Ihnen jetzt zeigen möchte. Er hat den Titel „Die Tunnelanlagen von Dernau – Wenn Berge reden könnten“. Es sind die letzten Aufnahmen von Roger Detournay. Als er nach Hause zurückkehrt, klagt er über Schmerzen. Es wird daraufhin festgestellt, dass er an einer tückischen Krankheit in einem fortgeschrittenen Stadium leidet. Er wird noch operiert – ohne Erfolg. Roger Detournay kämpft seinen letzten Kampf – und verliert. Er stirbt am 11. November 2005 zu Hause in einem Vorort von Paris.
Soweit die biografischen Angaben zu Roger Detournay. Der jetzt folgende Film beginnt aber noch nicht mit ihm, sondern vielmehr mit dem Regierungsbunker und geht dann auf Spurensuche und gräbt sich immer mehr in die Geschichte ein. Ich wünsche Ihnen interessante 35 Minuten.
Vielen Dank.
Einen Presseartikel vom Vortrag finden Sie HIER