Vor 82 Jahren: Der Beginn des Holocaust für Koblenzer Juden
Vor 82 Jahren, am 22. März 1942, begannen die Deportationen der Juden auch aus Koblenz. Nach den ersten Transporten ab Oktober 1941 aus dem „Altreich“, der „Ostmark“ (Österreich) und dem Protektorat Böhmen und Mähren in das Ghetto von Lodz (Litzmannstadt) und dann nach Minsk, Kowno (Kaunas) und Riga im Reichskommissariat Ostland und nach der „Wannseekonferenz“ am 20. Januar 1942 begann die 3. Deportationswelle, mit der auch die Juden aus Koblenz und Umgebung „nach dem Osten“ verfrachtet wurden. In der Zeit von Mitte März bis Ende Juni 1942 wurden aus dem „Großdeutschen Reich“ mehr als 45.000 – 55.000 Menschen zu den Durchgangsghettos im Distrikt Lublin, einem Gebiet am östlichen Rand des „Generalgouvernements, sowie in das Warschauer Ghetto deportiert. Unter trostlosen Umständen, wenn sie denn diese überlebten, warteten die Menschen in den Ghettos in Ostpolen – bis sie einige Wochen oder Monate später in den Gaskammern der „Aktion Reinhard(t)“ in Belzec und Sobibor (und auch Treblinka) ermordet wurden. Diese Transporte von März bis Juni 1942 bezeichnet man als die „3. Deportationswelle“. Die Koblenzer Juden gehörten mit der 1. Deportation vom 22. März 1942 zu dieser 3. Welle. Weitere Deportationen von Juden aus Koblenz und Umgebung folgten.
Der Förderverein Mahnmal Koblenz erinnert mit einem Beitrag seines stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig an diese 1. Deportation am 22. März 1942 und an die weiteren Transporte von Koblenz aus und von Koblenzern und auch aus Nachbarorten „nach dem Osten“:
Vor 82 Jahren: Der Beginn des Holocaust für Koblenzer Juden
von Joachim Hennig
Immer wieder sind es die Jahrestage – und müssen es auch sein -, die uns an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern. Das ist Vergangenheit, die nicht vergeht (Ernst Nolte) und auch Vergangenheit, die nicht vergehen darf. Denn das, was damals in der Zeit von 1933 bis 1945 geschah, war kein „Vogelschiss in der über 1000 Jahren erfolgreichen deutschen Geschichte“ – sondern das waren Menschheitsverbrechen ungeheuren Ausmaßes –, und wir brauchen auch keine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ – sondern ein Erinnern und Mahnen. Denn: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ (Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985). Deshalb ist es gut, dass immer mehr und immer wieder auch Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“ auf die Straße gehen, gegen „Rechts“ demonstrieren und „Nie wieder!“ rufen.
Aber was soll „Nie wieder“ geschehen? Nie wieder Krieg… Nie wieder Faschismus… Was wissen wir, wir Alten und wir Jungen, denn vom Krieg und Faschismus von damals, und von dem, was nicht irgendwo, sondern hier bei uns geschah? Was wissen wir zum Beispiel vom 22. März 1942?
An jenem sonnigen Sonntag zum Frühlingsanfang begann für die Koblenzer jüdischer Herkunft der Holocaust. (vgl. HIER zu den Deportationen von Koblenz aus insgesamt). 337 namentlich bekannte Juden aus Koblenz und Umgebung und ein namenloses Baby wurden von hier aus „nach dem Osten“ deportiert. Sie waren in Koblenz und Umgebung zurückgeblieben, weil sie nicht rechtzeitig hatten fliehen können oder wollen, weil sie trotz aller jahrelanger Schikanen und Demütigungen solche Verbrechen nicht für möglich gehalten hatten. Andere waren zu Verwandten oder in die vermeintliche Anonymität der Großstädte umgezogen, waren „Binnenflüchtlinge“.
Wiederum andere hatten geahnt, was ihnen drohte, und sich für den frei gewählten Tod entschieden. So hatte das Ehepaar Benno und Alice Günther aus der Mainzer Straße 7a am 17. November 1941 Selbstmord begangen. Das Paar hatte offenbar von der 1. Deportationswelle ab dem 15. Oktober 1941 erfahren, bei der 20 Transporte mit Juden u.a. aus Köln und Düsseldorf sowie Frankfurt am Main in das Ghetto von Lodz (später: Litzmannstadt) gingen. Demonstrativ und öffentlich brachten sie sich gemeinsam am helllichten Tag in den Rheinanlagen um. Weitere Juden nahmen sich unmittelbar nachdem man ihnen ihre Deportation am 22. März 1942 mitgeteilt hatte das Leben. So am 19. März 1942 der Dipl. Ing. David Liebert und seine Frau Hedwig, geb. Kempenich, die zuletzt in der Kastorpfaffenstraße 12 wohnten.
Karten der Koblenzer Gestapokartei betreffend die Eheleute David und Hedwig Liebert,
die unmittelbar vor der Deportation Selbstmord begingen. (Quelle: Arolsen Archives).
Die für die Deportation am 22. März 1942 verbliebenen Menschen – Männer, Frauen und Kinder - hatten sich am Tag zuvor in der Schule in der Steinstraße in Koblenz-Rauental einzufinden. (Näheres zur 1. Deportation HIER) Sie wurden registriert und listenmäßig erfasst, körperlich durchsucht und ihr Gepäck wurde kontrolliert. Für die Gestapo Koblenz war das eine große Aufgabe – nicht nur die Planung und die Organisation der Deportation, sondern auch deren praktische Durchführung. Wohl sämtliche SS-Männer der Koblenzer Gestapo und auch Kriminalbeamte waren im Einsatz. Denn die Steinschule musste abgesperrt und diese große Menschengruppe dort bewacht werden.
Für die eingesperrten Menschen begann die letzte Nacht vor dem Transport. Die Unterbringung in der Turnhalle war armselig, die Gestapo hatte gerade einmal Stroh besorgt, damit sie nicht auf dem blanken Steinboden nächtigen mussten.
Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, wurden die Juden von den Gestapo- und SS-Leuten zum Abmarsch angetrieben. Diese nahmen die ihnen gelassenen Habseligkeiten und marschierten familienweise in Richtung Bahnhof Lützel.
Der Bahnhof Koblenz-Lützel, heute (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Dort mussten sie auf den „Sonderzug“ der Reichsbahn mit der Kennzeichnung „Da 17“ warten. Das war ein Zug mit älteren Personenwagen der 3. Klasse, einem Personenwagen 2. Klasse für das Begleitkommando der Ordnungspolizei und einzelnen Güterwaggons für die größeren Koffer und Kisten der Juden. Alle „Judentransporte“ hatten die Bezeichnung „Da“, deren Bedeutung („David“? „Deutsche Aussiedler“?) nicht bekannt ist. Die Beladung des „Da 17“ organisierte die Staatspolizeileitstelle Düsseldorf. Der Zug kam aus Aachen und dann über Düren nach Koblenz-Lützel. Ein Augenzeuge, Bernhard Pauli, berichtete später über die Situation am Bahnhof wie folgt (wobei seine Zeitangabe „Samstagnachmittag“ nicht stimmt, es war Sonntagnachmittag, und die Erwähnung zweier rangierender Züge nicht ganz klar ist):
„An einem sonnigen Samstagnachmittag saßen wir, Liss und ich und andere auf dem Geländer am Bergelchen, neugierig geworden durch zwei Züge, die da rangierten. Da sahen wir Koblenzer Juden zum KDF („Kraft durch Freude“)-Bahnhof an der Mayener Straße bewacht von Tschako-Polizisten (Ordnungspolizei)… Am Bahnhof herrschte großes Gedränge, Durcheinander, Geschrei und Aufregung. SS war da. Lokomotiven unter Dampf. Andere Gruppen wurden mit Lkws herangekarrt und in die Waggons getrieben. Wir wollten mehr wissen, gingen bis zum Bahnhofszaun, kletterten auf die halbhohen Mauern und guckten. Anwohner der Mayener Straße, die zunächst interessiert geschaut hatten, schlossen die Fenster, zogen die Vorhänge zu. Wir liefen nach Hause und erzählten, was wir gesehen hatten.“
Um das schlimmste Gedränge zu vermeiden, die Juden zu beruhigen und in Sicherheit zu wiegen, hatte die Koblenzer Gestapo den sehr geschätzten jüdischen Hals-Nase-Ohrenarzt Dr. Hugo Bernd und zwei städtische Fürsorgerinnen zum Bahnhof beordert. Dr. Bernd kümmerte sich unermüdlich um die Menschen, besorgte aus der Stadt zur Erfrischung Kölnisch Wasser und auch Beruhigungstabletten sowie Trockenmilch für das Baby. Als die eine Fürsorgerin, die junge Susanne Hillesheim (später verh. Hermanns), dem Kind die aufgelöste Milch zu trinken gab, erntete sie bei dem dabeistehenden Gestapomann nur höhnisches Gelächter: „Ha, die leben nicht mehr lang, die werden bald umgebracht!“
Schließlich verfrachtete man die 338 Menschen in den Sonderzug Da17. Nicht alle von ihnen hatten ihren letzten Wohnsitz in der Stadt Koblenz. Wie aus der überlieferten Deportationsliste bekannt ist, kamen „nur“ 131 aus der Stadt Koblenz, die anderen aus dem damaligen Landkreis Koblenz: 97 aus der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn und weitere 109 aus dem Landkreis im Übrigen (aus Vallendar, Bendorf, Urmitz, Mülheim, Kärlich, Dieblich, Bassenheim und Kobern).
Unter den in den Holocaust Verfrachteten waren vor allem Familien. So die Familie Hermann, der ehemalige Vertreter Leo, seine Ehefrau die Geschäftsfrau Johanna Hermann (geb. Maier) und ihre kleine Tochter Hannelore. (Näheres zur Familie Hermann HIER). Weiterhin die Familie Salomon, der Rechtsanwalt Dr. Arthur Salomon und seine Frau Alma (geb. Cohen) mit ihrer acht Jahre alten Tochter Ruth (Näheres zur Familie Salomon HIER) und auch die Vallendarer Familie Alexander, der Rechtsanwalt Dr. Arnold Alexander, seine Frau Johanna (geb. Wolff) und ihre sechs Jahre alte Tochter Karla.
Familie Hermann: Eltern Leo und Johanna Hermann mit ihre „Nesthäkchen“ Hannelore
und den beiden Söhnen Hans (links) und Kurt (rechts), die rechtzeitig hatten fliehen können,
1935 (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Rechtsanwalt Dr. Arthur Salomon mit seiner Tochter Ruth (verkleidet zum Purimfest),
Anfang 1940er Jahre (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Familie Alexander: Eheleute Dr. Arnold und Johanna Alexander mit Tochter Karla (wohl rechts),
das Kind links ist unbekannt, Anfang 1940er Jahre (Quelle: Yad Vashem).
Die Fahrt ging „nach dem Osten“, nach Izbica im Kreis Krasnystaw im Distrikt Lublin im von Deutschland besetzen Polen, dem „Generalgouvernement“. (Näheres zu Izbica HIER)
Die Bahnstation von Izbica mit deutschen Besatzern (Repro Metropol Verlag).
Dort trafen die Koblenzer und die Juden aus anderen Städten des Rheinlands, insgesamt etwa 1.000 Menschen, am 25. März 1942 ein. Zuvor hatten Gestapo- und SS-Leute in Izbica für diese „Reichsjuden“ Platz geschaffen: sie hatten 2.200 einheimische Juden in das neu errichtete Vernichtungslager Belzec verschleppt und dort mit Gas ermordet. In die zum Teil so geräumten Häuser quartierte man die dazukommenden Juden ein. Für alle war es ein Schock, für die verbliebenen Einheimischen, weil sie fremden Menschen Platz machen mussten, für die „Reichsjuden“, weil sie in eine völlig fremde Welt und ungewisse Zukunft kamen.
In der ersten Zeit ließ es die SS zur Beruhigung der zurückgebliebenen Juden zu, dass die Deportierten Nachrichten in die Heimat schickten. Diese wurden „natürlich“ zensiert, durften nur wenige Worte enthalten und mussten „positiv“ klingen. Eine solche Mitteilung ist von Bertha Schönewald (geb. Goldstein) erhalten, die sie am 12. April 1942 von Izbica über das Internationale Rote Kreuz ihrem noch rechtzeitig geflohenen Sohn Jakob schicken durfte. (HIER Näheres zu Bertha Schönewald und ihrer Familie sowie HIER).
Bertha Schönewald, um 1935 (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz)
Brief vom 12. April 1942 aus Izbica (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Als diese Nachricht nach der üblichen Laufzeit von einigen Monaten die Familie in Tel Aviv in Palästina erreichte, waren Bertha Schönewald und auch die anderen Koblenzer Juden längst tot. Sofern sie überhaupt die katastrophalen Verhältnisse in Izbica überlebten, wurden auch sie in das Vernichtungslager Belzec oder Sobibor verschleppt und mit Motorabgasen ermordet. Von ihnen kam keiner zurück. Bis zum Herbst 1943 starben in Belzec zwischen 440.000 und 453.000, in Sobibor etwa 180.000 Juden.
Zurück blieb von den in das „Durchgangsghetto“ Izbica deportierten 338 Menschen nur ihr Hab und Gut – soweit es die Nazis und ihre Helfer es ihnen nicht schon zuvor abgenommen hatten.
Das geschah „rechtstechnisch“ mit der 11. Verordnung zur Durchführung des Reichsbürgergesetzes vom 25. November 1941. Danach war Dreh- und Angelpunkt für den Verlust des Vermögens die deutsche Staatsangehörigkeit. Deutscher Staatsangehöriger konnte nicht mehr der Jude sein, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte. Ging der Jude so seiner deutschen Staatsangehörigkeit verlustig, so verlor er zugleich sein Vermögen, alles was er noch hatte „verfiel“ dem Deutschen Reich.
Ganz praktisch – aber nicht im Sinne der Richtlinien der Gestapo - konnte man das schon wenige Tage nach der Deportation vom 22. März 1942 in Koblenz erleben. Dazu heißt es in der grundlegenden Arbeit von Hildburg-Helene Thill (Lebensbilder jüdischer Koblenzer und ihre Schicksale, Koblenz 1987, S. 378):
„In die letzten Waggons am 22.3.1942 war das Gepäck eingeladen worden. Sie wurden abgehängt und blieben in Koblenz. In der folgenden Woche war die Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof voll mit Mänteln, Hüten, Kleidern und anderen Textilien der Deportierten, auch im Gestapokeller/Am Vogelsang 1 lagerte für einige Zeit Besitz der Verschleppten. Es kamen Leute zur Leichenhalle, die requirierten, was ihnen gefiel. Abends wurden Sachen, die man den Leuten weggenommen hatte, in den Altstadtkneipen verkauft.“
Offenbar wusste man in Koblenz, dass von den Deportierten niemand mehr nach Hause zurückkehren und Anspruch auf die geraubten Sachen erheben werde.
Der 1. Deportation vom 22. März 1942 folgten weitere. Die 2. Deportation von Koblenz-Lützel aus ging mit dem Zug „Da 9“ am 30. April 1942 (nach anderen Quellen am 3. Mai 1942) ab. Sein Ziel war das Durchgangsghetto Krasniczyn ebenfalls im Kreis Krasnystaw im Distrikt im Generalgouvernement. (Näheres zur 2. Deportation: https://mahnmalkoblenz.de/index.php/die-chronologien/die-deportationen-von-juden-aus-koblenz-und-umgebung/002-2-deportation-am-30-april-1942).
Verschleppt wurden 105 Juden, unter ihnen waren keine Koblenzer, sondern bis auf zwei aus dem Landkreis wohl nur Patienten/Bewohner der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn. Einer von ihnen war der expressionistische Dichter Jakob van Hoddis (bürgerlich: Hans Davidson), der seit 1912 als nervenkrank galt und ab September 1933 in der Bendorfer Anstalt gelebt hatte. (Näheres zu Jakob van Hoddis HIER)
Der expressionistische Dichter Jakob van Hoddis (Quelle: Internet)
Das Schicksal dieser kranken Menschen muss man sich genauso vorstellen wie das der einen Monat zuvor in das Durchgangsghetto Izbica Deportierten.
Der 3. Transport mit insgesamt 1003 Juden folgte am 15. Juni 1942. (Näheres zur 3. Deportation HIER) Er bestand aus 15 Personenwagen und neun Güterwagen und wurde am 14. Juni 1942 auf dem damaligen Bahnhof von Bendorf-Sayn mit ungefähr 250 liegenden Patienten der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn sowie etwa 80 dort Beschäftigten (Krankenschwestern und Ärzten), insgesamt 331 Personen aus Bendorf-Sayn, beladen. Unter ihnen war auch die Literaturwissenschaftlerin Dr. Johanna (Hanna) Hellmann. Seit der Tod ihrer Eltern litt sie an einer fortschreitenden Persönlichkeitsstörung und war seit Sommer 1939 in der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn. (Näheres zu Dr. Johanna Hellmann HIER).
Dr. Johanna (Hanna) Hellmann (aus Klein: Hanna Hellmann 1968, S. 17).
Der Zug fuhr vom Bahnhof Bendorf-Sayn nach Koblenz-Lützel, dort stiegen noch 11 Juden aus Koblenz zu. Diese 342 jüdischen Menschen verließen am 15. Juni 1942 um 0.00 Uhr Koblenz-Lützel. Er war wie viele dieser Züge ein „Koppelzug“, der noch an mehreren Bahnhöfen anhielt, um weitere Juden eingeladen, so 318 Juden aus dem Staatspolizeistellenbezirk Köln und 142 aus dem Bereich der Düsseldorfer Gestapoleitstelle. Die 1103 Deportierten brachte man – wie es inzwischen üblich geworden war – zunächst nach Lublin, wo ca. 100 Männer für die Zwangsarbeit im Ghetto Majdanek selektiert wurden. Die Verbliebenen fuhr man nicht mehr in ein Durchgangsghetto, sondern unmittelbar in das inzwischen „in Betrieb genommene“ Vernichtungslager Sobibor. Dort wurden bei der Ankunft am 19. Juni 1942 höchstwahrscheinlich noch am selben Tag alle Menschen mit Motorabgasen ermordet.
Die 4. und letzte große Deportation von Koblenz-Lützel aus ging am 27. Juli 1942 in das sog. Altersghetto nach Theresienstadt/Terezin bei Prag. (Näheres zur 4. Deportation HIER). Von den 79 in Koblenz eingeladenen Menschen waren 46 aus der Stadt Koblenz, 12 wiederum aus der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn und 21 aus dem damaligen Landkreis Koblenz im Übrigen. Es sollten vor allem über 65-Jährige sowie „Prominente“ und mit hohen Auszeichnungen dekorierte ehemalige Soldaten des Ersten Weltkrieges sein. Nicht mit „auf Transport“ ging die 67-jährige Rentnerin Klara Müller (geb. Wolff): Sie war seit einem Jahr Witwe und wohnte zuletzt im Kaiser-Wilhelm-Ring 12. Am Tag vor der Deportation wählte sie, ihr Schicksal ahnend, freiwillig das Leben.
Einer der Deportierten war der frühere Erste Staatsanwalt Dr. Georg Krämer. Im Januar 1942 hatte die Koblenzer Gestapo den 69-jährigen Juristen drei Wochen in Haft genommen, weil er den „Judenstern“, der seit dem 19. September 1941 Pflicht war, nicht getragen hatte, und ihn dann mit einer staatspolizeilichen Verwarnung wieder freigelassen. Noch zwei Monate vor seiner Deportation hatte Dr. Krämer seine Wohnung in der Bismarckstraße 6b auf Anordnung wohl der Stadt verlassen und zu einem Juden in der Hohenzollernstraße 146 umziehen müssen. (Näheres zu Dr. Georg Krämer und seiner Familie HIER ).
Familie Krämer: Dr. Georg und seine Frau Johanna mit den Söhnen Wilhelm (links) und Fritz (rechts), um 1911,
die drei überleben (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Vorder- und Rückseite der Koblenzer Gestapokartei betr. Dr. Georg Krämer (Quelle: Arolsen Archives)
Die insgesamt 1.165 Menschen kamen am 28. Juli 1942 in Theresienstadt an. Es ist nicht bekannt, dass ein von Koblenz aus Transportierter die Verschleppung überlebt hat. Viele der alten Menschen ertrugen die katastrophalen Lebensverhältnisse dort nicht und kamen dort um, Dr. Georg Krämer nach drei Monaten am 1. November 1942.
Damit waren Ende Juli 1942 die „großen“ Deportationen aus Koblenz beendet. Mit diesen vier Transporten wurden danach 188 Juden aus der Stadt Koblenz, 543 Patienten/Bewohner der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn und 132 Juden aus dem übrigen damaligen Landkreis Koblenz verschleppt.
Zurück blieben in Koblenz und Umgebung nur wenige Juden. Das waren zum einen die „Funktionsjuden“, die die Gestapo noch für die Abwicklung der „Judenangelegenheiten“ gebraucht hatte und noch brauchte, wie den HNO-Arzt Dr. Hugo Bernd und seine Frau Selma (geb. Fuchs), den bis zuletzt das Sekretariat der Jüdischen Gemeinde in Koblenz verwaltende Sally Hermann und dessen Ehefrau Flora (geb. Rothschild) und den ehemaligen Rechtsanwalt Dr. Isidor Treidel und seine Ehefrau Erna (geb. Hecht).
Zum anderen waren das die wenigen mit einem „arischen“ Ehepartner in „Mischehe“ lebenden Juden wie der Kaufmann Semmy Pollack und die „Mischlinge, Personen mit „arischen“ und jüdischen Eltern- bzw. Großelternteilen. Schließlich waren das noch die ganz wenigen untergetauchten Juden wie Werner Appel. Die und alle anderen Juden und ihre Angehörigen lebten in ständiger Todesangst, denn sie mussten ebenfalls mit ihrer Deportation und der – inzwischen zur Gewissheit gewordenen – anschließenden Ermordung rechnen.
Aber auch die ins Ausland geflohenen Koblenzer Juden mussten mit diesem Schicksal rechnen – sofern sie nicht weit genug geflohen bzw. weitergeflohen waren. Denn insbesondere nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Luxemburg, die Niederlande, Belgien und Frankreich am 10. Mai 1940 (sog. Westfeldzug) drohte den dorthin Geflüchteten weitere Verfolgung. Und nach der sog. Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, auf der 15 zu den Funktionseliten des nationalsozialistischen Regimes gehörende Parteifunktionäre und Ministerialbeamte – acht von ihnen mit dem Doktortitel - über die Verschleppung und Ermordung von 11 Millionen Juden Europas diskutierten, kam es zu dem Völkermord an den europäischen Juden.
Kein Jude war in Westeuropa mehr sicher: die Horchheimerin Eva Hellendag (verh. Salier), die, als sie 1936 die Hilda-Schule verlassen musste, zu ihrer Großmutter nach Holland kam, der nach Belgien mit drei seiner Töchter geflohene Koblenzer Kaufmann Moritz Weinberg, die nach Nordfrankreich zu Onkel und Tante gebrachte Hella Brück und der Koblenzer Kaufmann Josef Oster. Sie alle und viele andere jüdische Emigranten nahm man in ihren Zufluchtsländern fest, verschleppte sie in Sammellager und deportierte sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die allermeisten von ihnen wurden mit dem Giftgas Zyklon B in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Der zuletzt in der Bahnhofstraße 27 wohnende Kaufmann Josef Oster floh im Februar 1939 nach Belgien. Dort wurde er nach dem Überfall Hitler-Deutschlands von der dortigen Polizei nach Südfrankreich in das Lager Gurs verschleppt. Von Gurs transportierte man ihn im August 1942 in das Sammellager Drancy bei Paris und von dort aus in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.(Näheres zu Josef Oster und seiner Familie HIER).
Josef Oster (Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz)
Die Koblenzerin Helene (Hella) Brück brachte ihr Vater nach dem Tod ihrer Mutter und wegen seiner eigenen ständigen Verfolgung zu Verwandten nach Trier, dann in das lothringische Thionville (Diedenhofen) und schließlich in das westfranzösische Saumur. Dort wurde sie festgenommen und von Angers aus in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. (Näheres zu Hella Brück und ihrer Familie HIER).
Familie Brück: Vater Hugo mit den Kindern Helene (Hella) und Franz, um 1937, Vater und Sohn überleben
(Quelle: Stadtarchiv Koblenz).
Der Koblenzer Kaufmann Moritz Weinberg, der mit seiner Familie in der Löhrstraße 133 gewohnt hatte, war 1938 nach Amsterdam geflohen und dann nach Belgien weitergewandert. Dorthin brachte er auch drei seiner Töchter, u.a. die 1927 geborene Margot und die 1932 geborene Inge. Jedenfalls Moritz Weinberg und seine Tochter Inge wurden in Belgien festgenommen und im Lager Kaserne Dossin in Malines/Mechelen interniert und dann mit einem Transport vom 31. Oktober 1942 nach Auschwitz-Birkenau ins Gas geschickt. Die Familie Weinberg wurde sehr zerstreut, zwei Söhne konnten früh auswandern, eine Tochter nach Palästina fliehen, die Mutter Else (geb. Windmüller) und der Sohn Erich gingen mit der 1. Deportation von Koblenz aus am 22. März 1942 auf Transport in das Durchgangsghetto Izbica.
Eva Hellendag wurde von ihrer Mutter Antonie (geb. Loewenberg) zur Familie ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes Simon nach Holland gebracht. Zwei Jahre später ging sie auch nach Holland. Eva verlor ihre Mutter und Großmutter bei der Selektion, sie selbst kam dann in das Lager Vught und musste u.a. bei dem Unternehmen Philipps Zwangsarbeit leisten. Im Juni 1944 wurde sie nach Auschwitz-Birkenau zur Arbeit selektiert. Sie musste Radioröhren zusammenbauen und überlebte, weil sie „Facharbeiterin“ war. Sie war die Einzige, die von den hier erwähnten Koblenzern die Deportation in den Holocaust überlebt hatte. (Näheres zu Eva Hellendag, verh. Salier, und ihrer Familie HIER).
Eva Hellendag (verh. Salier) mit ihren Eltern Antonie und Simon, um 1936
(Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz).
Von Koblenz aus wurden dann auch die bis dahin hier noch verbliebenen Juden auf weiteren „kleinen“ Deportationen verschleppt. So mit der 5. Deportation die Eheleute Dr. Hugo und Selma Bernd (geb. Fuchs) und die Eheleute Sally und Flora Hermann (geb. Rothschild). (Näheres zu den Eheleuten Bernd HIER). Sie fuhren am 28. Februar 1943 hier ab und wurden wahrscheinlich dem Transport der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf angeschlossen. Mit den Düsseldorfer Juden wurden sie am 1. März 1943 einem von Stuttgart ausgehenden Transport angeschlossen. Dieser bestand letztlich aus ca. 1.500 vor allem rheinischer Juden und traf in Auschwitz-Birkenau am 2. März 1943 ein. Jedenfalls die beiden Koblenzer Ehepaare überlebten die Selektion an der Rampe in Auschwitz-Birkenau nicht und starben im Giftgas. (Näheres zur 5. Deportation HIER).
Die Eheleute Dr. Hugo und Selma Bernd mit ihren Kindern Beate und Hans Reiner, um 1936, die überleben
(Quelle: Förderverein Mahnmal Koblenz)
Am 16. Juni 1943 kamen dann noch der ehemalige Rechtsanwalt Dr. Isidor Treidel, der noch den Rechtsverkehr mit den deportierten Juden abzuwickeln hatte, und seine Ehefrau Erna (geb. Hecht) auf Transport. (Näheres zur 6. Deportation HIER). Man brachte sie nach Köln und von dort aus mit weiteren Einzelpersonen aus Aachen und Witten, insgesamt 35 Juden, wenig später in das Altersghetto/Konzentrationslager Theresienstadt. Dort wurden sie als „Arbeiter“ und „Haushalt“ registriert und Mitte Oktober 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und mit Giftgas ermordet. (Näheres zu den Eheleuten Dr. Isidor und Erna Treidel HIER).
Die Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel, um 1940 (Quelle Förderverein Mahnmal Koblenz).
Damit gab es in Koblenz nur noch wenige Menschen jüdischer Herkunft, die in Mischehe lebten oder Mischlinge waren. Sie standen dem Judentum ohnehin fern und selbst sie wurden zuletzt noch deportiert. Mit einem Transport von Mitte Februar 1945 verschleppte man 18 von ihnen von Koblenz erst nach Frankfurt am Main und dann von dort aus am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt/Terezin, wo sie am 18. Februar 1945 zusammen mit ca. 600 Juden ankamen. Von den 616 Deportierten starben in den letzten Kriegswochen noch sechs, ob unter den Toten auch Koblenzer waren, ist nicht bekannt. (Näheres zur 7. Deportation HIER).
Die „Bilanz“ des Rassenwahnsinns vor 80 Jahren ist auch für die Koblenzer Juden ungeheuer groß. Sie lässt sich aber nicht wirklich an Zahlen festmachen. Sicher ist, dass 194 Juden mit letztem Wohnsitz im heutigen Koblenz (also mit den inzwischen eingemeindeten Vororten) unmittelbar aus Koblenz deportiert wurden. Außerdem wurden Koblenzer Juden (als Patienten oder Pfleger) aus der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn aus und nach ihrer „Binnenflucht“ aus Köln, Düsseldorf, Frankfurt am Main u.a. „nach dem Osten“ verschleppt. Deren Zahl ist genauso unbekannt wie die der vor allem nach Westeuropa Geflohenen, die nach der deutschen Besetzung von Luxemburg, der Niederlande, Belgien und Frankreich von dort aus in den Holocaust geschickt wurden.
Die Verfolgung der Juden durch Hitler-Deutschland und der Holocaust ist unbeschreiblich und nicht in Worte zu fassen. Dr. Robert M.W. Kempner, selbst Jude und als Oberregierungsrat im Preußischen Innenministerium Mitarbeiter an der – folgenlos gebliebenen – Denkschrift „Der verpasste Nazi-Stopp: Die NSDAP als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung“ sowie späterer Stellvertreter des US-amerikanischen Chefanklägers bei dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, versuchte es einmal, so in Worte zu fassen:
„Man hat ihnen die Berufe genommen, das Besitztum gestohlen, sie durften nicht erben oder vererben, sie durften nicht auf Parkbänken sitzen oder einen Kanarienvogel halten, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, keine Restaurants, keine Konzerte, Theater oder Kinos besuchen, für sie galten bestimmte Rassegesetze, ihnen wurden sämtliche staatsbürgerlichen Rechte entzogen, die Freizügigkeit wurde ihnen genommen, ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde wurden in den Staub getreten, bis sie in Konzentrationslager deportiert wurden und in die Gaskammern kamen. Hitler und sein Drittes Reich begingen diese Verbrechen von 1933 bis 1945. Die Opfer waren Juden, Halbjuden, Vierteljuden, Geltungsjuden, Glaubensjuden. Der gelbe Judenstern kennzeichnete sie. Es waren Raubmorde, die das nationalsozialistische Regime an ihnen verübte, nur ein Teil konnte entkommen.“
Der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
am 27. Januar 2024
Um und am 27. Januar dieses Jahres finden in Koblenz und an vielen anderen Orten wieder die Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus statt. Eine Übersicht über die Veranstaltungen im ganzen Land Rheinland-Pfalz gibt das Programmheft des Landtages zu Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Ankündung der Veranstaltungen in Koblenz finden Sie auf den Seiten 35, 36 und 37.
Das Programmheft kann HIER heruntergeladen werden.
Zu den eigenen Veranstaltungen hat unser Förderverein folgende Erklärung herausgegeben:
Presseerklärung des Fördervereins Mahnmal Koblenz
für die Veranstaltungen zum Gedenktag für die NS-Opfer am 27. Januar 2024
Zum Gedenktag für die NS-Opfer am 27. Januar erinnern wir in Koblenz wie auch im ganzen Land wieder an die verfolgten, geschundenen und ermordeten Menschen während der Hitler-Diktatur. Damit setzt der Förderverein Mahnmal Koblenz zusammen mit der Stadt und Kooperationspartnern die gute und wichtige Tradition fort. Mit Veranstaltungen am und um den Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus wollen wir in dieser sehr aufgewühlten, friedlosen Zeit am 79. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau an die Nazi-Verbrechen und die sie erleidenden Menschen erinnern und mahnen.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Veranstaltungen stehen Kinder und Jugendliche, die Opfer dieser Menschheitsverbrechen wurden. Für die Nazis hatte die Jugend von Anfang an eine große Bedeutung, sie wurde heftig umworben durch Uniformen und Aufmärsche, spektakuläre Wettkämpfe und öffentliche Auszeichnungen.
Aber schon ideologisch wurde diese Jugend ausgenutzt – als Partei- und Staatsjugend nach dem Gesetz über die Hitler-Jugend von 1936 als „Soldaten einer Idee“. Man beraubte sie aller Freiräume und autonomen Gestaltungsmöglichkeiten. Hitler selbst hat es propagandistisch einmal so umschrieben: „Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. (...) Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich.“
Ein derartiges System musste von seinem totalitären Anspruch her alles das in den Worten Hitlers „weghämmern“, was nicht in dieses Leitbild des Nationalsozialismus passte. Damit gerieten die Kinder und Jugendlichen in das Fadenkreuz der Nazis genauso wie die Erwachsenen. Die Nationalsozialisten machten da keinen Unterschied, gaben den Jüngeren keine Schonung wie wir sie – unter ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen - unseren Kindern und Jugendlichen angedeihen lassen. Wie die Erwachsenen wurden auch sie wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung und ihres oppositionellen Verhaltens diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und ermordet.
Zur Erreichung dieses Zieles wurden gewachsene jugendeigene Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus standen bzw. sich von ihm nicht vereinnahmen ließen, wie vor allem die katholische und bündische Jugend und ihre Führer bekämpft und gleich- und ausgeschaltet. Für diese Gruppen wird in der Ausstellung Hans Renner porträtiert, „Kastorianer“ und Aktivist der katholischen „Sturmschar“.
Zudem brachte das totalitäre NS-System jugendeigenen Widerstand und jugendeigene Resistenz hervor. Diese jungen Leute bildeten Gruppen und waren später auch nur noch einzelne aus dem bündischen, dem christlichen und dem Arbeiter-Milieu. Eine solche informelle Gruppe war die Michaelstruppe aus Kruft/Bell mit ihrem „Bezirkskommandanten“ Willi Lohner und ihrem „Kreiskommandanten“ Hans-Clemens Weiler. Auch der Andernacher Edgar Lohner mit seinen Bonner Freunden bildete eine solche Gruppe bündischer Jugendlicher.
In ihrem Rassenwahn, der sog. Rassenhygiene, brachten die Nazis großes Leid und auch Tod über junge kranke, behinderte, nicht angepasste Menschen, wie die in der Ausstellung porträtierten Maria K., Elisabeth M., die Brüder Willi und Horst Strauß sowie Alois Gass.
Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden jüdische Kinder und Jugendliche. Manche von ihnen konnten ihre Eltern schweren Herzens noch ins Ausland auf „Kindertransport“ schicken, wo sie überlebten, während ihre Eltern selbst im Holocaust ermordet wurden.
Ein solches „Kindertransportkind“ war die 1926 in Koblenz geborene Irene Schönewald, verh. Futter. Von ihr stammt das Motto der Ausstellung. Ihre Mutter Bertha hatte ihr in das Poesiealbum geschrieben: „Wohl dem, der in dem Herzen Friede und unter Menschen Freunde hat“. Bertha Schönewald konnte Irene noch auf den Transport nach Dänemark schicken, von wo sie nach Palästina emigrierte und wie ihre älteren Geschwister Jakob und Charlotte, verh. Hein, überlebte. Mutter Bertha gelang die Flucht aus Hitler-Deutschland aber nicht, sie wurde mit der 1. Deportation von Koblenz aus „nach dem Osten“ verschleppt und kam im Holocaust um.
Bertha Schönewald und Tochter Irene (ca.1938)
Andere porträtierte Kindertransport-Kinder sind Hans Reiner Bernd/John Burne, Helga Treidel/Helen Carey, Marianne Brasch/Pincus, und die Geschwister Ingeborg und Egon Berlin. Die ebenfalls biografierten jüdischen Kinder und Jugendlichen wurden hingegen von Koblenz aus und zum Teil auch aus ihren Fluchtorten im Ausland nach Auschwitz u.a. deportiert, wie Hannelore Hermann, Eva Hellendag/Salier, Addie Bernd, Heinz Kahn, Paul Sonnenberg, Werner Strauß und Hella Brück.
Ein ähnliches Schicksal hatten die Sinti-Kinder zu erleiden. Sie kamen mit ihren Eltern und Großeltern in Ghettos in Polen oder in das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau. Statt vieler von ihnen werden in der Ausstellung Michael Reinhardt/Böhmer und Daweli Reinhardt porträtiert.
Aber nicht nur deutsche Kinder und Jugendliche waren Opfer des NS-Terrors, sondern auch ausländische. Die Nazis verschleppten sie wegen ihres Widerstandes gegen das NS-Regime als KZ-Häftling oder wie die Ukrainerin Warwara T. und den Polen Norbert Widok als Zwangsarbeiter hierher.
Die Ausstellung des Fördervereins Mahnmal Koblenz mit diesen und anderen, insgesamt 27 Biografien junger NS-Opfer, wird ab Dienstag, dem 23. Januar 2024, bis Freitag, dem 9. Februar 2024 in der Citykirche am Jesuitenplatz in Koblenz gezeigt. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Samstag von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr (nicht während der Gottesdienste).
Die beiden Veranstaltungen am Gedenktag selbst beginnen am Samstag, dem 27. Januar 2024, um 17.30 Uhr mit der Statio am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz. Dabei bringen Schülerinnen und Schüler der Diesterweg- und der Hans-Zulliger-Schule die Biografien der porträtierten NS-Opfer am Mahnmal mit einer Rose an und Oberbürgermeister David Langner verliest deren Namen.
Anschließend um 18.00 Uhr findet die Gedenkstunde in der Citykirche statt. Es sprechen Oberbürgermeister David Langner und Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal Koblenz Dr. Martin Schlüter. Eine Schülergruppe des Gymnasiums auf dem Asterstein gestaltet einen Wortbeitrag. Die Gedenkstunde endet mit einem christlich-jüdischen Gebet und wird umrahmt von Musik.
Anschließend besteht Gelegenheit, die Ausstellung in der Citykirche zu besuchen.
Im Begleitprogramm zur Ausstellung zeigt der Förderverein Mahnmal Koblenz mit einer Einführung und anschließenden Diskussion den selbst produzierten Dokumentarfilm „Werner Appel – Jüdisches Leben und Überleben in Koblenz 1933-1945“ (2009). In 60 Minuten erzählt der 1928 geborene jüdische „Schängel“ Werner Appel wie er als Kind und Jugendlicher die NS-Zeit in Koblenz erlebt und als „U-Boot“ überlebt hat. Dabei geht er mit einer Schülergruppe durch die Stadt und zeigt die damaligen Stätten der Verfolgung. Zu sehen ist der Film am Sonntag, dem 4. Februar 2024, um 11.00 Uhr im Kurt-Esser-Haus, Markenbildchenweg 38 (Nähe Hauptbahnhof), dort im Medienladen, 2. Stock.
Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.
Wir empfehlen auch das Poesiealbum von Irene Schönewald (vh. Futter) das auf dieser Webseite unter Irenes Story in engl. Sprache vorliegt:
"Titelbild" - "Collage" mit Briefen von Bertha Schönewald an ihre Tochter Irene in Dänemark mit Fotos der beiden.
Seite aus Irene Schönewalds Poesiealbum. Dieser Eintrag führte zum Motto der Ausstellung.
"Irenes Story" kann HIER heruntergeladen werden