An „Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 – 1945“ schloss sich dann der Vortrag an „Warum heißt die Hoevelstraße eigentlich so?“ Hintergrund dafür war, dass die VHS vor einigen Jahren aus der Innenstadt ins Rauental in die Hoevelstraße umgezogen war.
Warum heißt die (Koblenzer) Hoevelstraße eigentlich so?
Vortrag von Joachim Hennig gehalten am 17. Januar 2002 bei der Volkshochschule Koblenz
Warum heißt die Hoevelstraße eigentlich so? Sicherlich können wir alle, die hier versammelt sind, eine vorläufige Antwort geben: Sie ist benannt nach dem Ehepaar Anneliese und Andreas Hoevel, das in Koblenz eine Zeitlang gelebt und aus kommunistischer Haltung heraus Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hat. Wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir dies aber auch noch nicht sehr lange. Vielleicht haben wir diese Informationen erst der Ankündigung im VHS-Verzeichnis entnommen oder dem einen oder anderen vor kürzerer Zeit erschienenen Artikel in der Rhein-Zeitung. Und dabei trägt die Hoevelstraße diesen Namen nicht erst seit gestern. Diese Straße, die früher nach dem Kampfflieger des I. Weltkrieges Boelckestraße hieß, trägt erst seit 1948 diesen Namen. Dass wir lange Zeit nichts über die Namengeber wussten, liegt u.a. daran, dass die Zeit des Nationalsozialismus und gerade auch die Verfolgung und der Widerstand vor Ort totgeschwiegen und verdrängt wurden oder einfach kein Thema waren. Es kam hinzu, dass die Straßenschilder - was man in solchen Fällen nie machen sollte - keinerlei erklärenden Zusatz erhielten und auch heute nicht enthalten. Zudem stand die Hoevelstraße früher nicht so im allgemeinen Interesse. Das hat sich nach der Schließung der Boelcke-Kaserne und der Ansiedlung der Oberfinanzdirektion - Zentrale Besoldungs- und Versorgungsstelle -, der Volkshochschule, der Musikschule und anderer Einrichtungen inzwischen geändert. Gleichwohl hatten diese Stellen bisher keinen Anlass gesehen, diesen neuen Standort - auch in seiner historischen Dimension - anzunehmen. Dies hat sich nun ein wenig geändert, sonst wären wir alle heute Abend nicht hier in der VHS.
Die Lebensgeschichte der beiden Hoevels begann vor ziemlich genau 100 Jahren. Anneliese wurde am 3. Oktober 1898 in Köln-Nippes als Anna Johanna Wilhelmine Fiedler geboren. Sie war die Tochter des Buchdruckers Wilhelm Fiedler und seiner Ehefrau Wilhelmine. Der Vater war Mitglied der SPD und bei einer sozialdemokratischen Zeitung in Köln beschäftigt. Von Anneliese wissen wir aus der Kindzeit und Jugendzeit nicht mehr, als dass sie die Mittelschule und höhere Handelsschule besucht hat. Unser weiteres Wissen beginnt erst, nachdem sie Andreas Hoevel kennen gelernt hatte.
Andreas wurde am 24. Februar 1900 in Pallien (heute ist Pallien ein Vorort von Trier) geboren.
(vgl. Andreas (André) Hoevel – Personentafel Nr. 36).
Er war das sechste von sieben Kindern von Philipp Hoevel und seiner Ehefrau Elisabeth. Der Vater war Personalamtsleiter beim Eisenbahnausbesserungswerk Trier-West.
Das klingt nicht sehr aufregend, das war aber auch nur die eine Seite Philipp Hoevels. Die andere Seite war die eines Tüftlers und Erfinders. Früher war er mit Adam Opel, dem späteren Gründer der Adam Opel AG, befreundet gewesen. Um 1885 hatten die beiden Freunde vor, zusammen ein Fahrradgeschäft aufzumachen. Doch dazu kam es nicht, weil Hoevels Familie ihm riet, „auf Nummer sicher zu gehen“ und eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Aber auch danach blieb Philipp Hoevel in seiner Freizeit ein Trüftler. In der Zeit von 1916 bis 1923 hatte er sich zehn Erfindungen patentieren lassen. Darunter war etwa ein Trethebelantrieb für Fahrräder oder auch ein Zielkörper für Geschicklichkeitsspiele auf Billards.
Seine wichtigste Erfindung war aber eine Dosenlampe für feste Brennstoffe wie Paraffin, Stearin, Wachs u.a. - das so genannte Hindenburg-Licht. Ursprünglich hatte er die Lampe zur Beleuchtung von Güterwagen entwickelt gehabt. Während des I. Weltkrieges tüftelte er an seiner Erfindung weiter. Die Soldaten sollten die Lampe als Kochgerät nutzen können, um sich in den Schützengräben eine Tasse Kaffee heiß machen zu können. Die Armee interessierte sich dafür, Philipp Hoevel sollte Direktor der Herstellerfirma werden. Er schied aus dem öffentlichen Dienst aus, verkaufte seinen Grundbesitz in Trier und zog zunächst nach Mainz und später mit seiner Familie nach Wiesbaden. Philipp Hoevel fand damit aber nicht sein Glück. Er teilte das Schicksal vieler Erfinder, die die Früchte ihrer Arbeit nicht ernten konnten. Man nutze ihn aus, statt seiner strichen andere die Verdienste und die Gelder dafür ein. - Doch verlassen wir damit Andreas Hoevels Vater. Das Verhältnis zwischen den beiden war in den schweren 30er Jahren nicht allzu gut gewesen. Vor allem hat der Vater nicht viel Sympathie und Verständnis für Andreas’ spätere Entwicklung in politischer Hinsicht gehabt, stammte Andreas doch aus einem - wie könnte es in Trier anders gewesen sein - gut katholischen Elternhaus.
Wie seine Schwester später berichtete, war Andreas im Gegensatz zu seinen Geschwistern sehr unruhig und häufig unglücklich, er weinte viel und jämmerlich. Als heranwachsendes Kind war er höchst empfindlich und eigensinnig und verabscheute Rohheit und Grobheit. Er nahm selten an Hauereien unter seinen Schulkameraden (teil) und als ihn einmal ein Älterer verprügelte, rief er - wie die sieben Jahre ältere Schwester berichtete - sie um Hilfe. Trotzdem war er kein Feigling, sondern zeigte mitunter außergewöhnlichen Mut und leistete allerhand Tollheiten. So fuhr er als ein junger Mann eines Tages in übermütiger Stimmung mit seinem kleinen Opel die Treppen zum Kölner Dom zum Gaudium der Zuschauer hinauf und hinunter. Als ihn ein Polizist wegen Trunkenheit verhaften wollte, antwortete er: „Mein lieber Freund, wenn ich betrunken wäre, könnte ich das nicht tun." Daraufhin ging der Schutzmann lächelnd und kopfschüttelnd fort.
Zunächst besuchte Andreas Hoevel vier Jahre die Volksschule in Pallien. Dann wechselte er im Jahre 1910 auf das Königliche Realgymnasium in Trier (heute: Hindenburg-Gymnasium). Viel wissen wir aus dieser Zeit nicht. Diese Schulzeit war wohl recht unbeschwert. Aus diesen Jahren gibt es ein Foto, das ihn als Ruderer im Kreis von Ruderkameraden zeigt. Es ist so 1915/16 aufgenommen worden. Nach 6 ½ Jahren beendete er den Schulbesuch im Oktober 1917 mit der Versetzung von der Obersekunda in die Unterprima.
Was in Andreas vor sich ging, wissen wir nicht. Aber offenbar - der I. Weltkrieg befand sich ja inzwischen im vierten Jahr - hielt ihn nichts mehr in der Schule. Er ging ab und meldete sich als Freiwilliger zu den Seefliegern in Wilhelmshaven. Dort wurde er aber sehr bald entlassen, weil er „K.V.I.L.“ war. Schon bald war er als „Elève“ (Schüler) in der Landwirtschaft tätig. Im Juni 1918 war auch diese Zeit zu Ende. Nun, für die letzten Monate des I. Weltkrieges, wurde er als 18jähriger zum Heeresdienst bei einem Garde-Ersatz-Jäger-Bataillon einberufen.
Nach dem I. Weltkrieg kam Andreas auf die zwischenzeitlich entdeckte Liebe zur Landwirtschaft zurück und war als landwirtschaftlicher Verwalter tätig. Schon bald fühlte er sich aber unterfordert. 1919/1920 begann er daraufhin ein Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Poppelsdorf bei Bonn, er schrieb sich gar auch an der Bonner Universität ein. Dem Studentenleben verschrieb er sich so sehr, dass er sogar einer Burschenschaft beitrat, und zwar der Burschenschaft „Germania“ in Bonn. Das Studium war aber nicht von langer Dauer. Seine Ursache mag das darin gehabt haben, dass sein Vater aus dem Dienst bei der Reichsbahn ausgeschieden war, sein Glück in der Verwertung der Erfindungen suchte und dann nicht gefunden hat.
Jedenfalls brach er sein Studium ab. Wie seinerzeit sein Vater wurde er Mitarbeiter bei der Reichsbahn. Er absolvierte die vorgeschriebenen Prüfungen zum Assistenten mit bestem Erfolg. Aus welchen Gründen auch immer schied er dann aus dem Dienst der Reichsbahn aus, um einer Einladung einer in Georgia/USA lebenden Tante zu folgen. Dort übernahm er die Bewirtschaftung ihrer Farmen. Wieder war er landwirtschaftlicher Verwalter. Nach zweijähriger Tätigkeit, bei der er nicht viel verdiente, zog es ihn in die Industrie. der Wechsel fiel ihm nicht schwer, hatte er doch durch seinen Fleiß, seine Klugheit und sein charmantes Wesen viele Freunde gewonnen. Mit einer belobigenden Empfehlung des damaligen Gouverneurs des Bundesstaates Tennessee trat er als kaufmännischer Voluntär bei der Firma Good Year Tire & Rubber Co in Akron im Bundesstaat Ohio ein. Seine Schwester beschrieb später die Situation damit, dass er dort an den „Honigtropfen Ägyptens“ gesessen habe: Die Firma Good Year erkannte bald seine besonderen Fähigkeiten und er avancierte sehr schnell. Da er u.a. über gute Sprachkenntnisse verfügte - er beherrschte, deutsch, englisch und französisch -, saß er schon bald in der Auslandsabteilung der Niederlassung in Akron. Dort wurde er als „Office Manager“ einer Auslandsniederlassung von Goodyear geschult. Seine erste Station im Ausland war Zürich. Zum 1. Januar 1927 wurde er dann zur Niederlassung nach Berlin versetzt. In Berlin blieb er knapp 1 ½ Jahre. Während dieser Zeit lernte er einige Menschen kennen, die ihm später in sehr schwerer Zeit eine Hilfe und Stütze waren. Bekannt wurde Andreas auch mit Anneliese Fiedler, seiner späteren Frau, die in der Firma als Kontoristin und Buchhalterin beschäftigt war. Bei seinem Ausscheiden aus der Firma erhielt Andreas ein Dienstzeugnis, das ich zitieren möchte, um seine Tätigkeit und Situation zu skizzieren:
Hiermit bescheinigen wir Herrn Hoevel, dass er vom 1. Januar 1927 bis Mai 1928 in unserer Firma tätig gewesen ist und zwar war seine Hauptarbeit die eines Büroleiters. Also solcher war Herr Andreas Hoevel beauftragt, Personal einzustellen und zu entlassen. Sodann hatte er die gesamte Buchhaltung unter sich und war für die Richtigkeit der Bilanz-, verlust- und Gewinnrechnung verantwortlich. Unter seiner Aufsicht stand auch die Kreditabteilung. In Abwesenheit des Direktors hatte er ihn zu vertreten.
Mit den Leistungen des Herrn Hoevel sind wir durchaus zufrieden gewesen und er verlässt uns auf eigenen Wunsch, weil ihn die Tätigkeit nicht voll befriedigt und er sich mehr dem Verkauf widmen will.
Wieder einmal war es Andreas unruhiger Geist und sein Wunsch, voranzukommen und Karriere zu machen, die ihn seine, jetzt doch schon recht hervorgehobene Position aufgeben ließen. Andreas war mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten bei den in Deutschland tätigen ausländischen Firmen sehr begehrt. Eine andere nordamerikanische Firma bot ihm ein deutlich höheres Gehalt und er nahm an. Dort war er von September 1928 bis Dezember 1929 beschäftigt.
Unterdessen hatten Andreas und Anneliese Hoevel im Januar 1929 in Berlin geheiratet. Auch die Heirat brachte keine Ruhe und Konstanz in Andreas Leben. Als ihm die Adam Opel AG in Rüsselsheim, dahinter stand schon damals General Motors, noch bessere Chancen eröffnete, nahm er deren Angebot an. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, nunmehr in der Nähe der Eltern zu wohnen. Diese lebten immer noch in Wiesbaden und Andreas und Anneliese Hoevel zogen dort hin. Das war im Jahr 1930.
Kurz zuvor war es zur Weltwirtschaftskrise gekommen: Amerikanische Spekulanten lösten am 25. Oktober 1929, dem „Schwarzen Freitag“, an der Wall Street einen Kurssturz aus, der in kürzester Zeit Existenzen vernichtete und Banken zusammenbrechen ließ. In panischer Reaktion darauf wurden kurzfristige Kredite umgehend zurückgefordert, was zu einem ganz massiven Konjunktureinbruch führte. Von dieser Weltwirtschaftskrise waren die USA am stärksten betroffen. Ganz besonders stark traf es aber auch Deutschland. Die Krise traf hier auf ein allgemein niedriges Wohlstandsniveau und eine geringe Kapitaldecke der Unternehmen, die ihre Ursache vor allem in den hohen Reparationszahlungen und der Inflation hatte. Der deutsche Export sank 1932 auf die Hälfte des Wertes von 1928, die Industrieproduktion ging um 40 % zurück, Anfang 1933 war jeder dritte deutsche Arbeitnehmer arbeitslos.
Spätestens durch die Weltwirtschaftskrise wandten sich Andreas und alsbald auch Anneliese kommunistischen Ideen und Organisationen zu. Exakt wissen wir es nicht, wie es dazu kam und wie es sich entwickelte. Es liegen knappe Informationen von seiner Familie und seinem Berliner Freundeskreis einerseits und solche von kommunistischen Weggefährten aus dem Rhein-Main-Raum vor, die sich weder in den Einzelheiten noch in der Gesamtbeurteilung in Einklang bringen lassen.
Seine Schwester betonte den christlich-humanitären Ansatz von Andreas und seine Gegnerschaft zu dem aufkommenden Nationalsozialismus. Sie berichtete darüber wie folgt:
Als nun mein Bruder zu Opel kam, hatte die Nazi-Partei schon überall Fuß gefasst. Mit Schrecken schrieb er mir nach Amerika, dass er das Schlimmste für Deutschland befürchte, wenn es Hitler als Führer annähme. Er selbst wollte für Deutschland ein Regime, das auf die Konstitution von Amerika und das Leben der ersten Christen aufgebaut sei... Er schrieb weiter, dass seiner Ansicht nach, das internationale Judentum und die ganze Welt das Nazi-Regime nicht dulden und gegen Deutschland erheben werde. Anscheinend schrieb er in diesem Sinne leider einen Artikel in der Werkszeitung von Opel... So wurden seine Ideen von einer Arbeitergewerkschaft begrüßt und man lud ihn zu Reden ein... (Er) suchte, als die Mängel der liberalen Wirtschaft im Jahre 1930 krass zu Tage traten, in der rein staatlichen Planwirtschaft sein Ideal zu finden. Auf diesem Wege geriet er in eine Interessennahme am politischen Leben, dessen Irrtum er zu spät erkannte... Dann, als die Gewerkschaft ihn zum Präsidenten erwählen wollte, (miss)fiel es den Herren bei Opel, die schon damals begeisterte Nazis waren, und sie baten ihn, die Firma zu verlassen oder vielmehr, sie baten um seinen Rücktritt. Mein Vater, dessen Augapfel Andreas von jeher war, ermahnte ihn, und bat ihn, doch aus der Politik zu bleiben, aber Andreas Hass (auf) eine Diktatur, sein fester Glaube an persönliche Freiheit (und) sein tiefes Empfinden für die Minderbegüterten der Welt waren so stark, dass er nicht von seinen Idealen losließ.
So weit die Erinnerungen von Andreas Hoevels Schwester. Andere Erinnerungen an Andreas hat ein früherer Kampfgefährte von ihm namens Paul Krüger. Er war bis 1933 KPD-Stadtverordneter in Wiesbaden, sodann einige Jahre in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen und nach 1945 Gewerkschaftssekretär. Er schildert ihn kämpferischer und agitatorischer. Hier sein kurzer Bericht:
Andreas Hoevel war ein sehr guter, bekannter Kamerad und Mitkämpfer unserer antifaschistischen Kampfbewegung in Wiesbaden und rechnete zu meinem engeren politischen Freundeskreis... Ich lernte Andreas Hoevel erstmalig in den Jahren 1929/30 kennen, als er in Wiesbaden meiner Partei beitrat. Er war damals beruflich in einer leitenden Funktion bei den Opel-Werken in Rüsselsheim beschäftigt. Andreas war ein überzeugter Anhänger der marxistischen Weltanschauung und zählte zu dem intellektuellen Kreis meiner Partei. Besondere Freundschaft pflegte er mit dem genossen Adolf Noetzel... Andreas Hoevel war ein vorbildlicher Kämpfer und Antifaschist und war ein Mensch mit lauterem Charakter, der ohne Rücksicht auf Leib und Leben allen gefahren zum Trotz stets einsatzbereit war. Mit den gleichen guten Eigenschaften war seine mutige, selbstlose Frau Anneliese ausgestattet.
Ich kann mich erinnern, dass in der Zeit meiner Schutzhaft des Jahres 1933 Andreas Hoevel als führender Funktionär in der illegalen Widerstandsbewegung tätig war. Seine Widerstandsgruppe verfasste und verteilte Flugschriften, die gegen die Naziherrschaft gerichtet waren. Nach meiner ersten Entlassung aus dem KZ erfuhr ich dann in einem persönlichen Treff mit Andreas Hoevel Näheres von der Existenz und Arbeit der örtlichen Widerstandsbewegung, in welche ich mich aber als entlassener KZ-Häftling nur bedingt einschalten konnte, da ich unter verschärfter Beobachtung der Gestapo stand.
So weit diese skizzenhafte Berichte, die den Rahmen, in dem Andreas und Anneliese Hoevel in jener Zeit lebten, dachten und handelten, ein wenig beleuchten mögen.
Die bloßen Fakten sind dabei schnell rekapituliert: Am 2. Januar 1930 trat Andreas in die Dienste der Adam Opel AG in Rüsselsheim. Seit 1931 war er formell Mitglied der KPD, bald danach trat auch Anneliese in die KPD ein. Einige Zeit später war Andreas örtlicher Funktionär der KPD und der RGO, der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition; letztere war eine der KPD nahe stehende „Richtungs“-Gewerkschaft (im Gegensatz zur „Einheits“-Gewerkschaft heutzutage). Mit dieser politischen Einstellung führte er auch in der Adam Opel AG Auseinandersetzungen, indem er einen kämpferischen Artikel in der Werkszeitung schrieb und/oder an einem „wilden“ Streik teilnahm und/oder im Dezember 1932 einen Kongress der RGO in Berlin besuchte. Jedenfalls wurde ihm von der Adam Opel AG mit Schreiben vom 25. Januar 1933 - fünf Tage vor der so genannten Machtergreifung - zum 28. Februar 1933 gekündigt. Das André Hoevel unter dem Datum des 28. Februar 1933 - dem Tag des Reichstagsbrandes - ausgestellte Dienstzeugnis lässt diese Spannungen kaum erkennen. Darin heißt es u.a.:
Herr Hoevel erwies sich während seiner Tätigkeit in unserem Hause als ein erfolgreicher Revisator und Revisionsbeamter, der dank seiner Branchenkenntnisse, Zuverlässigkeit und Initiative die ihm anvertrauten Aufgaben mit Erfolg löste, so dass wir mit seinen Leistungen durchaus zufrieden waren. Herr Hoevel verfügt über gute Umgangsformen und sicheres Auftreten und war uns ein brauchbarer Mitarbeiter. Herr Hoevel scheidet heute aus unserer Firma aus.
Angesichts der sich im Zuge des Reichstagsbrandes überschlagenden Ereignisse hatte das Zeugnis schon keine Bedeutung mehr, ehe es Andreas richtig in der Hand hielt. Denn schon am Morgen des kommenden Tages begannen die Verhaftungen von Kommunisten, denen in den nächsten Tagen sehr viele zum Opfer fielen. Allerdings blieben Andreas und Anneliese Hoevel davon verschont. Andreas war es gelungen, in Frankfurt/Main unterzutauchen. Dort war er Kopf einer von der RGO für Angestellte herausgegebenen Zeitung mit dem Titel „Der Kampfgeist“. Außerdem leistete Andreas Hoevel im Rhein-Main-Gebiet Kurierdienste und wurde alsbald Instrukteur der KPD. Das blieb auch der Polizei in Wiesbaden nicht verborgen, die Mitte 1933 nach ihm suchte.
Der drohenden Verhaftung entging er durch die Flucht ins Saargebiet. Das „Saarland“ hatte damals aufgrund des Versailler Vertrags noch einen besonderen völkerrechtlichen Status. Es gehörte nicht zum Deutschen Reich und konnte deshalb politischen Flüchtlingen aus Deutschland Schutz bieten. Vor allem Kommunisten flüchteten im Frühjahr und Frühsommer 1933 in das Saargebiet. Für viele - so auch für Andreas Hoevel - war der Aufenthalt dort lediglich eine Episode. Denn die KPD wollte nicht, dass ihre Leute im Saargebiet sesshaft wurden, sie sollten vielmehr ins Reich zurückkehren und dort die illegale Arbeit für die Partei aufnehmen bzw. fortsetzen. Im September 1933 erging sogar eine diesbezügliche Anordnung des Zentralkomitees der KPD. Sie ist - wie ich hier anfügen möchte - ein sinnfälliger Ausdruck für die damalige Politik der KPD. Sie war zwar die einzige große Partei, die sich vor 1933 auf die Illegalität vorbereitete, jedoch beging sie mehrere große strategische Fehler. Einer bestand darin, die emigrierten Funktionäre wieder nach Hitler-Deutschland zurückzubeordern. Dabei ging die KPD davon aus, dass Hitler rasch abwirtschaften und der Faschismus schnell zusammenbrechen werde. Deshalb setzte sie alle verfügbaren Kräfte in Deutschland selbst ein, die Emigration sollte die Ausnahme bleiben. Diese Fehleinschätzung kostete vielen die Freiheit und sogar das Leben.
Einer von diesen zur Rückkehr Beorderten war André, wie er sich nach seiner Rückkehr aus dem Saargebiet fortan selbst nannte. Das Saargebiet verließ er am 20. September 1933.
Zu diesem Zeitpunkt traf er seine Frau Anneliese schon nicht mehr an. Sie war bereits Anfang September 1933 in so genannte Schutzhaft gekommen, weil sie den Aufenthaltsort von André nicht preis gab. Die Gestapo erklärte: Sie bleiben so lange in Haft, bis sie sagen, wo Ihr Mann ist.“ Sie kam ins Konzentrationslager Moringen bei Göttingen. Dort war sie bis Februar 1934 inhaftiert. Noch im selben Monat September 1933 wurde auch André verhaftet. Er hatte bei Genossen in Frankfurt Unterschlupf gefunden und sich zu konspirativen Treffs mit anderen tatsächlichen oder vermeintlichen Genossen getroffen. Ein solcher Treff war aber verraten worden, so dass André und zwei andere verhaftet wurden. In diesem September 1933 begann für beide eine fast neun Jahre währende Verfolgung durch die Nazis und ihre zahlreichen Helfer.
Gegen André erging dann ein Haftbefehl und noch im Jahre 1933 erhob der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Kassel gegen ihn und die beiden anderen Anklage wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. In diesem Strafverfahren wurde er im Jahre 1934 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Strafe verbüßte er in der Strafanstalt in Hameln an der Weser.
Während dieses Strafverfahren gegen André lief und er inhaftiert war, war Anneliese weiterhin für die illegale KPD tätig. Im September 1934 kam sie deswegen in Haft. Im Oktober 1934 wurde sie zusammen mit über 30 anderen Kommunisten aus Wiesbaden, Biebrich und Umgebung vom Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Kassel wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeklagt. Man machte ihnen zum Vorwurf, einen organisatorischen Zusammenhalt hergestellt zu haben und tätig geworden zu sein, um durch die Herstellung und Verbreitung von Schriften die Massen zu beeinflussen. Konkret zur Last legte man ihr, zweimal von einem Frankfurter Kurier der RGO ein Päckchen mit RGO-Schriften ( jeweils acht bis zehn Exemplare des „Roten Gewerkschaftlers“) erhalten und an einen Wiesbadener Kommunisten weitergegeben sowie diesen Frankfurter Kurier mit einem Wiesbadener Kommunisten zu einer Verabredung zusammengebracht zu haben. Dafür wurde Anneliese vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Kassel mit Urteil vom 1. Dezember 1934 wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu drei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt. In den Urteilsgründen wurde sie als „gefährliche und hartnäckige Förderin der illegalen Bestrebungen der KPD“ bezeichnet.
Während Anneliese diese Zuchthausstrafe verbüßte, kam André am 31. März 1935 nach Verbüßung der 1½jährigen Gefängnisstrafe wieder frei. Er kehrte nach Wiesbaden zurück. Sein Bemühen um eine Anstellung blieb ohne Erfolg. Er war aber weiterhin für die illegale KPD aktiv und hielt Kontakt zu seinen Genossen. Dies war dann für die Gestapo Grund genug, ihn am 20. August 1935 in „Schutzhaft“ zu nehmen. Im Polizeigefängnis von Wiesbaden traf er in einer Gemeinschaftszelle u.a. seinen Kameraden Paul Krüger wieder. Dort blieben beide bis zum 2. Oktober 1935, um dann mit anderen Genossen als „unverbesserliche Staatsfeinde“ „auf Transport“ ins Konzentrationslager Esterwegen im Emsland geschickt zu werden.
Weder die Gefängnisstrafe noch die neuerliche „Schutzhaft“ konnten ihn seelisch brechen. Nach Aussage seines Kameraden Paul Krüger gehörte er zu dem engeren Kreis der politisch zuverlässigen Kameraden, die zu bestimmten Funktionen im Lager dirigiert wurden. So war André Arbeitsleiter (später nannte man das Kapo) in der Häftlingskammer - eine Funktion, die er später in einem anderen Lager auch wahrnehmen sollte. Unter den unsäglichen Bedingungen des Konzentrationslagers hatte er sogar die Energie und Kraft, unter den Gefangenen zu propagieren, bei der Volksabstimmung im März 1936 mit „Nein“ zu stimmen.
Als das KZ Esterwegen in ein Straflager umgewandelt wurde, kam André - wiederum zusammen mit Paul Krüger - nach Sachsenhausen, um dieses bei Berlin gelegene Konzentrationslager aufzubauen. Am 1. September 1936 gingen beide von Esterwegen nach Sachsenhausen „auf Transport“. Aus diesen Zeiten der „Schutzhaft“ wissen wir nicht viel. Um diese gleichwohl ein wenig zu beleuchten und um auch einen flüchtigen Eindruck von Anneliese Hoevel zu vermitteln, möchte ich eine Episode wiedergeben, an die sich der Kamerad Paul Krüger viele Jahre später noch erinnerte:
Eines ist mir aus dieser Zeit heute noch in Erinnerung. Genosse André, der in die Kammer des Lagers abkommandiert wurde, zeigte mir eines Tages einen Brief von seiner Frau Anneliese, den sie aus dem Zuchthaus (in) Norddeutschland geschrieben hatte. Der Inhalt dieses Briefes hatte mich sehr beeindruckt und ich sagte zu André: ‘Auf diese tapfere Frau kannst du stolz sein!’ Trotz der sehr schweren Arbeitsbedingungen, die sie aus diesem Zuchthaus schilderte, ließ sie aber keinen Zweifel erkennen, dass unsere Sache eines Tages siegen wird. Wer die lebensgefährlichen Verhältnisse in den KZs kannte, konnte den Mut dieser Frau, einen solchen Brief in die Hölle der SS zu schicken, nur bewundern.
Im Juli 1937 wurde André nach Buchenwald überführt, um dort das neue Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar aufbauen zu helfen. Damit ging der Kontakt zu seinem Kameraden Paul Krüger verloren, der im KZ Sachsenhausen blieb. Im KZ Buchenwald wurde André Kapo der Effektenkammer und knüpfte Kontakte zu anderen kommunistischen Kameraden. U.a. zu dem Künstler Bruno Apitz. Während dieser Zeit hat André auf Bruno Apitz einen derartigen tiefen Eindruck gemacht, dass er ihm nach der Befreiung ein literarisches Denkmal in seinem berühmten Roman „Nackt unter Wölfen“ gesetzt hat. Dieser Roman ist u.a. Anfang der 60er Jahre in der DDR verfilmt worden. In zwei Wochen möchte ich zum Abschluss der Vortragsreihe in diesem Semester diese Verfilmung hier in der VHS vorstellen.
Am 5. September 1937 hatte Anneliese ihre dreijährige Zuchthausstrafe verbüßt, nachdem ihr die erlittene Untersuchungshaft angerechnet worden war. Sie kam aber nicht frei, sondern vielmehr im unmittelbaren Anschluss hieran erneut in „Schutzhaft“. Zunächst wurde sie wieder ins Konzentrationslager Moringen verschleppt. Von dort aus wurde sie am 15. Dezember 1937 mit anderen politischen Schutzhäftlingen in das sich im Aufbau befindliche Konzentrationslager Lichtenburg überführt.
Zu Weihnachten wurde Andreas nach 40 Monaten Konzentrationslager und nach einer fast ununterbrochenen 5 ½ jährigen Haft, bestehend aus Polizeihaft, Untersuchungshaft, Gefängnis und Konzentrationslager entlassen. Danach ging er zu Freunden nach Berlin. Später erinnert sich einer von ihnen: „Im Januar erschien dann (André) in beklagenswertem körperlichen und seelischen Zustand und in erbärmlicher Kleidung. Aus dem gesunden, blühenden jungen Mann war ein abgemagerter, weißhaariger, alter Mann geworden, trotz seiner erst 37 Jahre. Natürlich legten wir Wert darauf, ihn schnell wieder aufzupäppeln, und mein amerikanischer Arbeitgeber sorgte für neue Garderobe.“ André versuchte sogleich, sich nach dieser Hölle der Konzentrationslager wieder eine Existenz aufzubauen. In den ersten Wochen seiner wieder gewonnenen Freiheit erhielt er von seiner Frau Anneliese, die immer noch im KZ Lichtenburg festgehalten wurde, einen Brief. Mittlerweile waren die Eheleute fast sechs Jahre voneinander getrennt, weil zumindest einer von ihnen in Haft gewesen war. Der Brief ist ein eindrucksvolles Dokument, ich möchte ihn Ihnen nicht vorenthalten. Er lautet:
Prettin, den 24. Januar 1939
André, mein Liebster!
Dank für Deinen lieben Brief mit den warmen Worten. Nun und Du, gell, es ist alles nicht so einfach und Du bist so einsam. Ich empfinde Dein Alleinsein jetzt sehr stark, weiß ich doch, dass sich zu zweien alles viel leichter überwindet; weiß andererseits auch, dass mein Andre, so wie ich ihn kenne, mit allen Schwierigkeiten schnell fertig wird. Hoffen und wünschen tue ich, dass Du recht bald irgendeine Position bekommst, die Dich wieder ins richtige Gleis kommen lässt, Man sollte doch annehmen, dass ein Mensch mit Deinen Qualifikationen und rein menschlichen Werten sehr schnell untergebracht wäre...
Mein armes, gutes Lieb, so hast Du ausgesehen, dass Deine Fotografie nicht verwendungsfähig war. Schöner und Jünger bin ich ja ebenfalls nicht geworden, doch habe ich versucht, was ich konnte, um den drohenden Verfall (!!!) (Na so schlimm ist's ja auch wieder nicht) zurückzudrängen. Doch damit Du Dir keine zu abscheulichen Vorstellungen von mir machst und Dir gleich eine andere Frau nimmst, sei Dir gesagt, dass ich immer noch Staunen hervorrufe bei der Feststellung meines Alters...
Den ganzen Tag über bin ich im Arbeitsdienst. Meine Arbeit erfordert meine ganze Konzentration und erlaubt mir nicht zu grübeln über Dinge, die sind und sich nicht ändern lassen und das ist gut so, denn man sehnt sich sonst nur krank. Mal ein wenig lesen, etwas plaudern und das ist meine geistige „Betätigung". Aber lass, es wird schon werden. Momentan bin ich zu sehr ausgepumpt.
Grüße alle Lieben herzlich. Und Du Liebes, behalt mich ganz lieb. Ich drücke ganz fest die Daumen für ein Gelingen nach Deinem Wunsch.
Es grüßt Dich recht herzlich Deine Annelies.
Einige Monate später - zu „Führers Geburtstag“ am 20. April 1939 - kam auch Anneliese aus dem KZ Lichtenburg frei. Nach den vielen Jahren der Trennung und Verfolgung sahen sich die Eheleute an diesem Tag im April 1939 wieder. Über dieses Wiedersehen berichtet später der Freund aus Berlin, bei dem André zunächst untergekommen war: „André bat mich, ihn zu Annelieses Abholung zu begleiten, da er fürchtete, einen Anfall zu erleiden. Wir erwarteten sie in einer Gastwirtschaft gegenüber dem (Entlassungstor des) KZ. Während wir, wie André, eine Jammergestalt erwarteten, erschien sie lachend und pausbäckig und gesund, wie nie zuvor in ihrem Leben. Ihre drei Jahre Zuchthausstrafe waren sehr hart und streng und bestanden überwiegend in schwerer Arbeit im Forstwesen, während sie, dank ihrer bestechend schönen Handschrift, im KZ-Lager einem SS-Mann in der Vorrats-Lagerführung zugeteilt wurde.“
Beide, Anneliese und André, lebten nach den vielen Jahren der Trennung wieder in Berlin, wo sie sich zehn Jahre zuvor kennen und lieben gelernt hatten. Sie fanden bald auch eine gute Anstellung, André war wieder Buchhalter bei den Primus-Traktorenwerken in Lichtenberg. Anneliese erhielt zum 1. Mai 1939 bei einem Verlag eine Anstellung als Kontoristin.
Alles schien sich ein wenig zu stabilisieren.-- Da erreichte sie ein Hilferuf aus --- Koblenz. Sicherlich werden Sie sich fragen, warum er nach alledem gerade aus Koblenz kam. Die Erklärung ist - wenn man die familiären Hintergründe kennt - nicht schwer. André hatte Angehörige in Koblenz. Seine Schwester Katharina, genannt Tinchen, lebte hier. Sie war mit Peter Heep verheiratet. Dieser Schwager Peter starb im Mai 1939 ganz überraschend. Er hinterließ außer seiner Frau fünf minderjährige Kinder und außerdem einen Obst- und Gemüsehandel mit Import und Export. Dieser befand sich übrigens in Metternich in der Trierer Straße 97. André übernahm den Obst- und Gemüsehandel seines verstorbenen Schwagers. Nach einigen Wochen folgte ihm seine Frau Anneliese nach Koblenz nach. Das Geschäft bekam André bald in den Griff. Innerhalb eines Jahres verdoppelte er den Umsatz des Betriebes.
Es will scheinen, dass André und Anneliese hier in Koblenz nach den schweren Jahren in verschiedenen Haftanstalten und Konzentrationslagern so gut es in diesen ganz schlimmen Zeiten überhaupt möglich war, ein wenig zur Ruhe kamen. Die Eheleute knüpften von Koblenz aus wieder Kontakte zu alten Freunden in Wiesbaden und zu Kameraden und Kameradinnen, die sie jeweils in ihren Konzentrationslagern kennen gelernt hatten. So wurde das Haus der Hoevels hier in Koblenz ein Treff Gleichgesinnter.
Ich möchte in der Erzählung ihres Schicksals ein wenig einhalten, um einige Personen dieses Freundes- und Kameradenkreises wenigstens kurz zu skizzieren.
Ganz alte Freunde der beiden war das Ehepaar Margarete und Adolf Noetzel. Beide Ehepaare kannten sich seit 1930 aus Wiesbaden. Adolf und Margarete Noetzel waren einige Jahre jünger als André und Anneliese Hoevel. Sie lebten schon in Wiesbaden, als die Hoevels Anfang 1930 dorthin zogen.
Adolf Noetzel war von Beruf Kunstmaler, später verdiente er sich sein Geld auch als Reklamefachmann. Seit Mitte 1929 trat er als Parteiredner in Wiesbaden. Im Zuge der Verfolgung der Kommunisten nach dem Reichstagsbrand kam er Mitte März 1933 in „Schutzhaft“. U.a. saß er im KZ Sonnenberg ein, in dem er näheren Kontakt hatte zu dem entschiedenen Pazifisten, früheren Herausgeber der „Weltbühne“ und späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Nach seiner Entlassung war er weiterhin für die illegale KPD und RGO aktiv. Deshalb wurde er 1935 wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Haft lebte er weiter in Wiesbaden. Vor und auch nach dieser Zeit war Adolf Noetzel ein geschätzter Maler.
Adolf Noetzels Frau Margarete war etwa zur gleichen Zeit wie ihr Mann in die KPD eingetreten und engagierte sich seit 1928 für diese Partei und die ihr nahe stehende kommunistische Kindergruppe JAH. Nach der „Machtergreifung“ wurde sie im November 1933 auf die Dauer von sieben Wochen in das Konzentrationslager Moringen verbracht.
Zu dieser Widerstandsgruppe gehörten weiterhin der Wehrmachtsangehörige Alois Dieseler, der vor 1933 Funktionär der KPD in Winkel im Rheingau war, und der ebenfalls aus dem Rheingau stammende Leutnant Ludwig Kleinz. Man hatte Kontakt zu Heinrich Roos, einem ehemaligen Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei und zum Biebricher Kunstmaler Karl Schöppler, der vor 1933 der Zentrumspartei angehörte und die Junghandwerkerbewegung in Wiesbaden mitgegründet hatte. Darüber hinaus hatte Anneliese Hoevel Kontakt zu Cilli Helten aus Düsseldorf, die sie im Zuchthaus kennen gelernt hatte. Sie stellte Kontakte zu einer im Raum Düsseldorf und Duisburg arbeitenden Widerstandsgruppe der KPD her, der u.a. Helene Stommel und Margarete Lotz aus Duisburg angehörten.
In Koblenz selbst stießen zu dieser kommunistischen Widerstandsgruppe u.a. der Wehrmachtsangehörige Helmut Steinwand und dessen Bruder Rudolf. Einer, Rudolf, von ihnen wurde später in der DDR Minister. (vgl. Rudolf Steinwand – Personentafel Nr. 60).
Das wichtigste Mitglied dieser Widerstandsgruppe aus Koblenz war aber Jakob Newinger. (vgl. Jakob Newinger – Personentafel Nr. 19). Er war von seinem Werdegang und von seiner Persönlichkeit her eine hochinteressante Person des kommunistischen Widerstandes hier in Koblenz, die zu Unrecht fast in Vergessenheit geraten ist. Über ihn ließe sich sehr viel erzählen, ich muss mich hier auf weniges beschränken. Geboren wurde Jakob Newinger am 9. März 1889 in St. Sebastian bei Koblenz. Zeit seines Lebens war er ein Mensch, der sich nicht anpasste, aufbegehrte und für seine Arbeitgeber unbequem war. Das lag daran, dass er ein unermüdlicher Kämpfer für die Rechte und Interessen der Arbeiter und solidarisch mit seinen ebenso denkenden und handelnden Arbeitskollegen war. Nach der Teilnahme am I. Weltkrieg und dem Scheitern der so genannten Novemberrevolution, bei der Newinger Soldatenrat war, kehrte er nach Koblenz und Umgebung zurück. Er war Mitglied der KPD und sorgte auf seinen verschiedenen Arbeitsstellen immer wieder dafür, dass sich die Belegschaft gewerkschaftlich organisierte. Die Arbeitgeber sahen in ihm einen Störenfried und machten ihm das Leben schwer, wo sie nur konnten. 1925 zog er mit seiner Familie nach Metternich. Schon bald wurde er Mitglied des Gemeinderats. Seine politischen Überzeugungen vertrat er auch dort ganz entschieden. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand kam Jakob Newinger am 28. Februar 1933 hier in Koblenz in „Schutzhaft“, erst im Februar 1934 kam er wieder frei. Auch danach arbeitete er mit anderen Genossen für die illegale KPD. Im Herbst 1935 fiel diese Gruppe mit ihren Aktivitäten auf. Wegen der Verbreitung von illegalen Schriften wurde er zusammen mit 20 anderen Genossen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Hamm wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeklagt und zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Strafe verbüßte er im Zuchthaus Siegburg. Nach Metternich zurückgekehrt, schloss er sich alsbald André und Anneliese Hoevel und ihrem Kreis an.
Dieser Kreis von ehemaligen Mitgliedern der KPD, deren Sympathisanten und Freunden half nach der langen und schweren Zeit der Verfolgung, der Inhaftierung in Zuchthäusern und Konzentrationslagern, der Isolierung und Schikanierung, die eigene - auch politische - Identität und Überzeugung zu bewahren. Hierzu gehörte auch das regelmäßige Abhören ausländischer Sender, des Londoner Rundfunks und des Moskauer Rundfunks, um sich über die wahre Kriegslage zu informieren und diese Lage dann politisch zu analysieren. Dass der Kreis dabei den von Hitler begonnenen Angriffskrieg, insbesondere den Vernichtungskrieg im Osten, verurteilte, versteht sich dabei von selbst. Der Kreis um das Ehepaar Hoevel blieb aber bei der Analyse der Lage nicht stehen. Vielmehr war der Kreis - trotz der äußerst schweren Bedingungen der Hitler-Diktatur zumal in der Kriegszeit - bemüht, ihre Einstellung zu Hitler und dem Krieg auch anderen zu vermitteln. So betrieb sie auch Antikriegspropaganda innerhalb der deutschen Wehrmacht. Man sammelte Adressen von Wehrmachtsangehörigen und schickte ihnen Aufklärungsbriefe. All dies war von der Erwägung getragen, dass innerhalb der kämpfenden Truppe eine möglichst breite Widerstandsbewegung aufgebaut werden müsse, um damit den Sturz des NS-Regimes und zugleich das Ende des Weltkrieges zu erreichen.
Die Staatsanwaltschaft, die später diese „Verbrechen“ anklagen sollte, beschrieb diese Aktivitäten wie folgt:
Nach der Machtübernahme traten die Eheleute Noetzel zu den Eheleuten Hoevel in nähere Verbindung. Sie besuchten sich gegenseitig und hörten gemeinsam die Nachrichten des Londoner Senders ab. Das Abhören des Londoner Senders fand in der Wohnung der Eheleute Hoevel in Koblenz statt. Zu diesem Zweck besuchte Noetzel die Eheleute Hoevel in Koblenz. Auch Frau Hoevel beteiligte sich am Abhören der Nachrichten des Londoner Senders. Im Anschluss an dieses Abhören diskutierten die Eheleute Hoevel mit Noetzel über das Gehörte und bestärkten sich gegenseitig in ihrer staatsfeindlichen Gesinnung. Außer diesem Abhören des Senders führten Hoevel und Noetzel auch mehrere Male politische Besprechungen in Koblenz. Auch bei diesen Gelegenheiten bestärkten sie sich gegenseitig on ihren illegalen Ideen. Man unterhielt sich darüber, wie man die Fühlungnahme mit einem größeren Kreis bewerkstelligen könne. Noetzel war hierbei der Ansicht, dass man über die Minderheitenfragen sprechen müsse. Hoevel war der Ansicht, dass man mit politischen Witzen am besten am besten den Boden für die kommunistische Idee reif machen könne.
Auch mit dem Leutnant Kleinz, der der Wehrmacht angehörte, hörte Noetzel in seiner Wohnung den Londoner Sender ab. Im Anschluss daran führten sie politische Gespräche.
Den Schöppler lernte Noetzel im Herbst 1940 kennen. Er besprach mit ihm auch politische Fragen.
Auch mit einem gewissen Diesler, der der Wehrmacht angehört und früher Funktionär der KPD in Winkel ... war, stand Noetzel in Verbindung. Die Nachrichten des Londoner Rundfunks waren die Grundlagen des Gespräches zwischen Noetzel, Schöppler und Diesler. Mit Hoevel unterhielt sich Noetzel darüber, wie man die Verbindung mit früheren Gesinnungsgenossen wieder auf nehmen könne. Er vertrat hierbei die Ansicht, dass er bei diesen ehemaligen Genossen noch in gutem Andenken stehe...
Der Beschuldigte Hoevel gibt zu, in seiner Wohnung zusammen mit Noetzel den Londoner und den Moskauer Sender abgehört zu haben. Noetzel habe ihn zu diesem Zweck in kleineren Zeitabständen besucht. Hoevel räumt weiter ein, dass man bei diesen Gelegenheiten gemeinsam über politische Dinge gesprochen habe und sich in seinen Absichten bestärkt habe.
Hoevel hat in seiner Wohnung in Koblenz auch mit Newinger und einem gewissen Steinwand, der der Wehrmacht angehört, den Londoner Sender abgehört. Zuweilen wurde dieses Abhören auch in Anwesenheit mit Noetzel, Newinger und Steinwand von Hoevel vorgenommen. bei dieser Gelegenheit diskutierten sie anschließend über die politische Lage.
Hoevel hat auch, wie er zugibt, in Anwesenheit seiner Ehefrau und des Noetzel mit diesen politische Gespräche geführt, wobei wiederum die Nachrichten des Londoner Senders zur Grundlage dienten. Hoevel erzählte hierbei politische Witze. Hoevel gibt zu, dass sich auch seine Frau am Abhören des Londoner und Moskauer Rundfunks beteiligt habe. Auch die Ehefrau Noetzel, die zuweilen nach Koblenz kam, beteiligte sich an diesem Abhören mit anschließenden politischen Gesprächen.
Die Ehefrau Hoevel gibt zu, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann, Noetzel, Steinwand und Newinger in ihrer Wohnung den Londoner Sender abgehört hat, dass es im Anschluss daran ui politischen Gesprächen gekommen ist. Auch die Ehefrau Noetzel sei hierbei zuweilen zugegen gewesen. Frau Hoevel hat in ihrer Wohnung auch mit der Cilli Helten aus Düsseldorf, der Lene Stommel aus Duisburg und der Grete Lotz aus Duisburg den Londoner Sender abgehört...
Der Beschuldigte Newinger räumt ein, dass er zusammen mit Hoevel und Steinwand den Londoner Sender in der Wohnung des Hoevel abgehört und dass sie sich darüber anschließend unterhalten haben...
In den Berichten des Sachbearbeiters der Staatspolizei wird zum Ausdruck gebracht, dass sich sämtliche Beschuldigte das gemeinsame Abhören des Londoner Senders und durch ihre staatsfeindlichen Äußerungen der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens schuldig gemacht haben. Außerdem haben sie gegen die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen verstoßen...
Wahrscheinlich wurde der Kreis denunziert. Zunächst nahm die Gestapo die Eheleute Noetzel in „Schutzhaft“. Vor allem Adolf Noetzel wurde grausam verhört. Es steht zu vermuten, dass er diesen Peinigungen nicht standgehalten und Namen von weiteren Mitgliedern des Kreises preisgegeben hat. Jedenfalls waren die Verhöre für ihn so unerträglich, dass er sich zehn Tage später, am 6. Dezember 1941, in seiner Zelle im Polizeigefängnis in Wiesbaden erhängt hat. Bereits am 30. November 1941 waren André und Anneliese Hoevel hier in Koblenz von der Gestapo festgenommen worden. Am 7. Dezember 1941 verhaftete man Jakob Newinger. Später erging erging gegen Frau Noetzel, die Eheleute Hoevel und gegen Jakob Newinger Haftbefehl. Im Mai 1942 folgte eine Anklage beim Oberlandesgericht Kassel.
Mit Urteil vom 26. Juni 1942 verurteilte das Oberlandesgericht Kassel alle vier wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in Tateinheit mit einem Verbrechen nach der Rundfunkverordnung. Deswegen wurden Margarete Noetzel zu sechs Jahren Zuchthaus, Jakob Newinger zu zehn Jahren Zuchthaus und André und Anneliese Hoevel zum Tode verurteilt. Bei Newinger und den Eheleuten Hoevel nahm man einen besonders schweren Fall eines Rundfunkverbrechens an; dies hatte bei den Hoevels die Todesstrafe zur Folge. Der Grund dafür lag bei den Eheleuten Hoevel in einer Bemerkung von André Hoevel, die als Aufforderung zur Desertion angesehen werden konnte. Hierzu heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft u.a.: „Bei seinem letzten Besuch in Koblenz im Oktober 1941 brachte Noetzel in Anwesenheit der Eheleute Hoevel die Rede auf (den Leutnant) Kleinz sowie auf einen Brief, den dieser von der Ostfront geschrieben hatte. Hoevel bemerkte hierauf, wenn man Kommunist sein wolle und Soldat wäre, dann müsse man sehen, dass man ‘auf die andere Seite’ komme. Wer es anders sähe, könne keinen Anspruch darauf erheben, als Kommunist bezeichnet zu werden. Im Anschluss hieran äußerte er zu Noetzel gewandt: ‘Bringst Du es fertig, auf einen russischen Genossen zu schießen? Da muss man doch bei der ersten besten Gelegenheit überlaufen, damit man so etwas nicht macht.“ In dem Urteil heißt es zu André und Anneliese Hoevel dann u.a.:
Bei den Eheleuten Hoevel (war) das Vorliegen eines besonders schweren Falles im Sinne des § 2 der Rundfunkverordnung zu bejahen. Die Eheleute Hoevel sind. wie bereits in den früher gegen sie ergangenen Urteilen zum Ausdruck gebracht ist, besonders intelligente und gefährliche Kommunisten. Die erheblichen einschlägigen Vorstrafen, die sie verbüßt haben, haben ebensowenig an ihrer fanatischen kommunistischen Einstellung etwas zu ändern vermocht wie die lang dauernde Unterbringung im Konzentrationslager und die dort abgegeben Verpflichtungserklärung. Kaum aus dem Konzentrationslager entlassen, nehmen sie wieder die Betätigung für den Kommunismus auf und machen sich in Koblenz zum geistigen Mittelpunkt eines kommunistischen Kreises. Und zwar tun sie das, obwohl sie alsbald in Koblenz eine gute wirtschaftliche Daseinsgrundlage fanden und allen Grund hatten, dem Dritten reich für seine Duldsamkeit dankbar zu sein. Statt das zu tun. zeigen sie gerade in dem Fall Kleinz ihren ganzen schlechthin nicht zu übertreffenden Hass gegen das Dritte Reich. Es erübrigt sich jede nähere Ausführung über das Gefährliche der bestrebungen, die die Eheleute Hoevel verfolgt haben. Sie sind, wie die mit ihnen gemachten Erfahrungen beweisen, völlig unverbesserlich. Sie wollen sich nicht in die Volksgemeinschaft eingliedern, sondern kämpfen dagegen mit allen Mitteln an, die sich ihnen bieten. Sie müssen deshalb zum Schutz der Volksgemeinschaft aus dieser ausgemerzt werden. Auf Grund dessen war bei ihnen unter Annahme eines besonders schweren Falls nach § 2 der Rundfunkverordnung auf die Todesstrafe zu erkennen.
Über die letzten Tage der beiden berichtet Andrés Schwester:
So wurden beide, Andreas und Anneliese, nach dem Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim verschleppt, wo sie mangels Nahrung zu Skeletten abmagerten. Ein Neffe, Peter Heep, der seinen Onkel noch acht Tage vor dessen Hinrichtung besuchte, erschrak, als er ihn sah. Er sagte mir, dass er nur noch Haut und Knochen war, vor Schwäche nicht stehen konnte, formte nur noch das Wort „Hunger", so dass sein Neffe in Frankfurt herumlief, um ihm ein belegtes Brot und ein Getränk aufzustöbern. Andre sandte die Hälfte der Nahrung seiner Frau. Seit acht Tagen hatte keiner etwas zu essen oder zu trinken bekommen.
Nachdem auch ein Gnadengesuch abgelehnt worden war, wurden Anneliese und André Hoevel am 28. August 1942 innerhalb von fünf Minuten im Gefängnis von Frankfurt-Preungesheim mit dem Fallbeil hingerichtet.
Die Erinnerung an Anneliese und André Hoevel ist heute ein wenig verblasst, aber nicht verloren. Dass sie nicht vergessen sind, zeigt gerade auch der Vortrag heute, der in der Hoevelstraße hier in Koblenz gehalten wird. Auch in Trier-Pallien gibt es eine Andreas-Hoevel-Straße, die mit einem Zusatz am Straßenschild eine Erläuterung zu der Namensgebung gibt. Viel für die Erinnerung an André und Anneliese Hoevel hat auch seine Schwester Elizabeth Askew. Sie war in die USA ausgewandert und hatte dort geheiratet. Ihre Angehörigen waren Diplomaten, die in Vietnam und anderswo tätig waren. Sie selbst war in Washington eine bekannte Malerin und lebte in den 60er Jahren in Paris und in Barcelona. Damals war ihr Sohn Laurin in Spanien Botschaftsrat in der amerikanischen Botschaft. Andrés Schwester wollte eine Biografie über die Eheleute Hoevel schreiben, dazu ist es aber nicht gekommen. Immerhin hat sie wichtige Vorarbeiten hierzu geleistet, auch die hier gezeigten Fotografien stammen von ihr. Sie war auch dabei, als am 20. Juli 1962 das Mahnmal an die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Gefängnis in Frankfurt/Main-Preungesheim von dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn und dem seinerzeitigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer eingeweiht wurde. Das Mahnmal stellt einen Torso dar, ein Symbol für die den Menschen dort zugefügten Leiden.
In seiner Ansprache ging Ministerpräsident Zinn - in anonymisierter Form - vor allem auf das Schicksal von André und Anneliese Hoevel ein und sagte u.a.:
Wir wollen heute keine Namen nennen, weil wir aller Kämpfer und Opfer gedenken. Ein Zitat ... mag genügen:
Die Eheleute X lebten in Rüsselsheim. Er, ein leitender Angestellter, sah sehr früh, wohin das NS-Regime Volk und Vaterland bringen werde. Wegen seiner antinazistischen Haltung fristlos entlassen, organisiert das Ehepaar eine Widerstandsgruppe. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt, eingekerkert, wieder entlassen, darauf in das Konzentrationslager Esterwegen (Ostfriesland) eingeliefert, kam der Ehemann später nach Sachsenhausen und Buchenwald. Auch die Ehefrau wurde mit Zuchthaus bestraft. Die SS verschleppte sie in das KZ Lichtenburg. 1938 entlassen, nahmen sie sogleich wieder den Kampf auf. 1942 wurde das Ehepaar in Kassel von einem Sondergericht zum Tode verurteilt. Am 28. August 1942 wurden sie im Gefängnishof Frankfurt-Preungesheim hingerichtet. Vor Gericht erklärte der Mann: „Wir wollen bis zum Schluss unsere Haltung bewahren.“
In den 90er Jahren wurde die Gedenkstätte in Preungesheim umgestaltet. Zu der Skulptur führt nunmehr u.a. ein Weg, an dem eine Steinwand entlang führt. An dieser Wand sind die Worte des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede aus Anlass der 40. Wiederkehr des Kriegsendes am 8. Mai 1985 eingemeißelt: „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Sodann enthält die Steinwand einen kurzen Hinweis auf die Geschichte und Funktion der Strafanstalt Preungesheim. Im Anschluss daran sind nach Nationalitäten getrennt die Namen der ermordeten Opfer der NS-Blutjustiz aufgeführt. Dort sind auch die Namen von André und Anneliese Hoevel eingemeißelt.
Als letzte Veranstaltung im WS 2001/2002 zeigte Hennig den Film „Nackt unter Wölfen“, ein DEFA-Film nach dem gleichnamigen Roman von Bruno Apitz. Beides ist ein kulturelles Denkmal für André Hoevel, der als Kapo der Effektenkammer des KZ Buchenwald im Mittelpunkt des Romans und des Films steht. Hennig gab dazu die nachfolgende Einführung in den Film:
„Nackt unter Wölfen“
Einführung in den Film von Joachim Hennig bei der Volkshochschule Koblenz am 31. Januar 2002
Heute bin ich in der glücklichen Lage, Ihnen einen ganzen Spielfilm über einen Widerständler aus Koblenz, über André Hoevel (Foto rechts), zu zeigen. Gemeint ist der Film „Nackt unter Wölfen“, der 1963 in der damaligen DDR nach dem gleichnamigen Roman von Bruno Apitz gedreht wurde. Es ist ein in mancherlei Hinsicht ungewöhnliches Filmdokument. Seine Existenz sollte Sie nicht zu der Annahme verleiten, es gäbe über einige Opfer des Nationalsozialismus in und aus Koblenz solche Filme. Der hier vorgestellte Film ist insoweit eine Rarität, bitte sehen Sie ihn auch als solche.
Nun - so werden Sie fragen - wie passt das zusammen: Der eine, der Leipziger Schriftsteller, Schauspieler und Bildhauer Bruno Apitz, und der andere, André Hoevel, in Trier geboren, in Koblenz verhaftet und im Gefängnis Frankfurt/Main-Preungesheim hingerichtet?
Wenn man die Lebensdaten und Lebenslinien beider nebeneinander hält, dann wird dies schon verständlich. Beide sind Jahrgang 1900, beide waren Kommunisten - wobei sich Bruno Apitz schon als Jugendlicher dem Kommunismus zugewandt hatte. Der Nationalsozialismus bestimmte ihr weiteres Lebensschicksal in ganz ähnlicher Weise: Beide arbeiteten nach der so genannten Machtergreifung Hitlers illegal weiter für die KPD. Bereits im Mai 1933 kam Bruno Apitz in so genannte Schutzhaft. Während er nach drei Monaten entlassen wurde, kam André Hoevel, der zuvor ins Saargebiet emigriert war, im September 1933 nach Deutschland zurück und bald darauf seinerseits in Schutzhaft. Anschließend wurde er wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. André Hoevel verbüßte diese Strafe noch im Gefängnis in Hameln an der Weser, als Bruno Apitz im Oktober 1934 erneut verhaftet und später wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren und zwei Monaten Zuchthaus verurteilt wurde. Apitz saß deswegen von Mai 1935 an im Zuchthaus Waldheim ein. Im selben Jahr 1935 hatte André Hoevel seine Zuchthausstrafe verbüßt. Er kam frei, wurde aber wenige Monate später erneut in so genannte Schutzhaft genommen. Diesmal machte sich der NS-Staat gar nicht die Mühe eines Strafverfahrens. Als „unverbesserlicher Staatsfeind“ wurde André Hoevel ins Konzentrationslager Esterwegen im Emsland verschleppt. Am 1. September 1936 kam er „auf Transport“ nach Sachsenhausen bei Berlin, um dort das in der Entstehung befindliche Konzentrationslager aufzubauen.
Im Juli 1937 wurde André Hoevel zum Aufbau des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar überführt. Dort war er - wie auch früher in Esterwegen - Kapo der Effektenkammer, d.h. der von der SS ausgewählte Leiter des Arbeitskommandos, das die Wertsachen u.a. im KZ verwaltete. Im November 1937 hatte Bruno Apitz die Zuchthausstrafe verbüßt. Er kam aber nicht frei, sondern wurde als „politisch Rückfälliger“ ebenfalls ins KZ Buchenwald verschleppt. Dort hat er dann André Hoevel als Kapo und als Kameraden kennen und schätzen gelernt.
Im Dezember 1938 trennten sich die Lebenswege von Bruno Apitz und André Hoevel. André Hoevel wurde zu Weihnachten 1938 aus dem KZ Buchenwald nach 40-monatiger Haft entlassen. Er ging nach Berlin und folgte dem Ruf seiner Schwägerin, um hier in Koblenz den Obst- und Gemüsehandel seines plötzlich verstorbenen Schwagers Peter Heeb in der Trierer Straße 97 zu übernehmen. Später wurde er zusammen mit seiner Frau Anneliese wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Rundfunkverbrechens“ zum Tode verurteilt und am 28. August 1942 mit dem Fallbeil im Gefängnis Frankfurt/Main-Preungesheim hingerichtet.
Bruno Apitz musste noch viele Jahre im KZ Buchenwald bleiben, ehe er am 12. April 1945 frei kam.
Er blieb in der sowjetisch besetzten Zone und war Mitglied der SED von ihrer Gründung an. Zeit seines Lebens war Apitz ein künstlerisches Multitalent. Er war vor allem Schriftsteller, aber auch Schauspieler und Kabarettist, im KZ war er sogar Bildhauer. Im Jahre 1958 erschien sein Roman „Nackt unter Wölfen“, im gleichen Jahr folgte dessen Hörspielfassung, 1960 der gleichnamige Fernsehfilm. 1963 wurde „Nackt unter Wölfen“ bei der DEFA verfilmt. Bruno Apitz arbeitete als Drehbuchautor, Berater und Schauspieler. „Nackt unter Wölfen“ wurde weltweit bekannt. 1990 hatte das Buch eine Weltauflage von mehr als 3 Millionen Exemplare und war in über 30 Sprachen übersetzt. In der ehemaligen DDR gehörte es zur Pflichtlektüre in den Schulen. Bruno Apitz erhielt in der DDR viele und hohe Auszeichnungen. Er starb am 7. April 1979 in Ost-Berlin.
Der Roman und der Film „Nackt unter Wölfen“ sind mit Einschränkungen authentisch. Sie schildern die letzten zwei Monate im Konzentrationslager Buchenwald vor dessen Befreiung. Ein polnischer KZ-Häftling bringt - aus dem KZ Auschwitz „verlegt“ - in einem Koffer heimlich ein jüdisches Kind mit ins KZ Buchenwald. Dadurch entsteht für die Häftlinge eine schwierige Situation. Man beschließt, das Kind vor der SS zu verstecken. Das ist für den einzelnen Häftling, aber auch für die illegale Organisation der Häftlinge, das illegale Lagerkomitee, eine sehr große Gefahr. Es ist der Kapo der Effektenkammer André Hoevel, der sich für das Kind einsetzt. Es bleibt, wird versteckt und versorgt. Obwohl der SS alles verraten wird, gelingt es, den Jungen zu behüten. Gezeigt wird die Solidarität politischer Häftlinge im KZ Buchenwald und ihre Bereitschaft, alle Gefahren auf sich zu nehmen, um das Leben eines jüdischen Kindes zu retten. Sie wird gekrönt von der Befreiung des KZ, der eigenen Freiheit und der Freiheit des Kindes.
Authentisch ist der Stoff insoweit, als tatsächlich gegen Kriegsende immer wieder jüdische Kinder in die KZs, auch in das KZ Buchenwald, kamen. Konkreter Anlass für den Roman war das Verfolgungsschicksal des Krakauer Rechtsanwalts Dr. Zacharias Zweig und seines dreijährigen Sohnes Stefan Jerzy. Bei dem Transport aus einem Lager im Osten gelingt es ihm, wenigstens seinen kleinen Sohn bei sich zu verstecken. Während Mutter und Schwester nach Auschwitz verschleppt werden und vergast werden, können Vater und Sohn durch die Solidarität der Häftlinge in Buchenwald gerettet werden. In besonderem Maße engagiert hat sich dabei Willi Bleicher. Er war nach André Hoevel Kapo der Effektenkammer des KZ Buchenwald. Nach dem Krieg war Willi Bleicher - manche von Ihnen werden sich erinnern - langjähriger Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. Der kleine Stefan ist übrigens im Laufe der Jahre herangewachsen und hat sein Schicksal und den Roman „Nackt unter Wölfen“ weltweit verbreiten helfen.
Dieses authentische Geschehen verbindet Bruno Apitz nun mit Kameraden, die ihm während seiner langjährigen KZ-Haft besonders nahe standen. In dem Text, den Apitz seinem Roman voranstellte, heißt es dazu: „Ich grüße mit dem Buch unsere toten Kampfgenossen aller Nationen, die wir auf unserem opferreichen Weg im Lager Buchenwald zurücklassen mussten. Sie zu ehren, gab ich vielen Gestalten des Buches ihre Namen.“ Einer von ihnen ist die Hauptfigur des Romans und Film, André Hoevel, der mit Bruno Apitz von November 1937 bis Weihnachten 1938 zusammen im KZ Buchenwald einsaß und tatsächlich auch Kapo der Effektenkammer dort war. Einmal darauf angesprochen, welche Gestalten im Roman unmittelbare Vorbilder aus seiner Haftzeit haben, sagte er: „Nicht eine einzige, sondern jede Gestalt meines Romans ist ein Kompendium vieler meiner ehemaligen Kameraden. Ich werde oft gefragt, was aus Höfel... (und den anderen) Häftlingen geworden ist. Ich sehe hier die Identifikation des Lesers mit der Figur, obwohl ich im Vorspruch geschrieben habe, dass ich den Häftlingsfiguren meines Buches die Namen toter Häftlinge gegeben habe, um sie zu ehren. Der wirkliche Höfel hatte mit dem Kind gar nichts zu tun. Ich habe nur den Namen Höfel verwendet. Im Buch ist Höfel auch nicht der wirkliche Höfel. Denn er war, bevor die Geschichte mit dem Kind im Lager stattfand, längst tot. Höfel ist hingerichtet worden.“
Lassen wir uns alle jetzt auf diesen fast authentischen Film ein. Erwähnen möchte ich noch, dass es im KZ Buchenwald in der Tat ein solches illegales Lagerkomitee gab, der vor allem Kommunisten verschiedener Nationen angehörten. Ebenfalls gab es im Zuge der Befreiung durch die amerikanischen Soldaten eine Selbstbefreiung der Häftlinge mit Waffen. Beides ist aber hier im Film episch überhöht. Dies sollte man aber so hinnehmen. Schließlich ist es ein Stück dichterische Freiheit und außerdem muss man das alles vor dem Hintergrund sehen, dass der Autor fast 12 Jahre in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des NS-Regimes gequält und seiner Menschenwürde beraubt wurde.