Wie schon in zwei Jahren zuvor präsentierte Joachim Hennig wieder in der Zeit vom 9. November 2001 bis zum 27. Januar 2002 in der Rhein-Zeitung Kurzbiografien von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung.
„Semper fidelis (immer treu)“
Teil 1 der RZ-Serie über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 7. November 2001:
Eduard Verhülsdonk
Als die Nazis am 30. Januar 1933 „legal“ an die Macht kamen, gingen sie sofort daran, sie zu festigen. Hierzu dienten vor allem die kurzfristig angesetzten Reichstagswahlen am 5. März und die Kommunalwahlen am 12. März 1933. Aber selbst dabei erreichten sie ihr Ziel nicht ganz. Gerade auch im Rheinland waren die katholische Kirche und der sog. politische Katholizismus wichtige Gegner. Hierfür stand in Koblenz und Umgebung der Neuwieder Zentrumsabgeordnete des Reichstages Eduard Verhülsdonk.
Am 16. April 1884 in Krefeld geboren begann er zielstrebig seine journalistische Tätigkeit bei katholischen, dem „Zentrum“ nahe stehenden Tageszeitungen. 1911 trat er in Neuwied als Chefredakteur und Verlagsdirektor der „Rhein- und Wied-Zeitung“ seine entscheidende Lebensstellung an. Noch im selben Jahr heiratete er seine Ehefrau Maria. „Semper fidelis“ machten sie zu ihrem Lebensmotto.
In den folgenden schweren Zeiten deutscher Geschichte gelang es Verhülsdonk, das Ansehen der Zeitung weiter zu mehren. Auch war er politisch aktiv. Sein Engagement begann im Winthorstbund, der Jugendorganisation des Zentrum, führte ihn nach dem Krieg für das Zentrum ins Stadtparlament von Neuwied und dann in den Kreistag. 1928 wurde er in den Preußischen Landtag und 1930 in den Reichstag gewählt. In diesen politischen Funktionen konnte „der starke Eduard“ wie man ihn anerkennend nannte, viel für seine Wahlheimat-Stadt Neuwied tun. Marksteine waren der 1931 fertig gestellte Schutzdeich und die Planung und Finanzierung der (1935 vollendeten) Rheinbrücke.
Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre bestimmten dann die beiden zentralen Themen der Zeit Verhülsdonks persönlichen und beruflichen Lebensweg: die Weltwirtschaftskrise und der aufkommende Nationalsozialismus. So nahm er, um die Existenz von Zeitung und Verlag zu sichern, wiederholt Kredite bei der Neuwieder Kreissparkasse auf und es begannen die Diffamierungen des NS-Blattes „Koblenzer Nationalblatt“ gegen ihn. 1931 und 1932 konnte er sich noch durch Prozesse gegen ehrabschneidende Berichte dieses Blattes mit Erfolg zur Wehr setzen.
Nach der „Machtergreifung“ verschärfte sich die Situation: Vor den Wahlen 1933 polemisierten Verhülsdonk und die „Rhein- und Wied-Zeitung“ gegen die „nationale Regierung“ Hitlers. Postwendend kamen vom „Nationalblatt“ Anschuldigungen gegen Verhülsdonk wegen Kreditvergaben der Sparkasse. - Ende März 1933 schien sich dann alles doch noch zu beruhigen: Eine nationale Hochstimmung kam auf, die ihren sinnfälligen Ausdruck im „Tag von Potsdam“ am 21. März erhielt. Zwei Tage später stimmte das Zentrum im Reichstag dem „Ermächtigungsgesetz“ zu. Diese Selbstausschaltung beschwichtigte die Nazis aber keineswegs. Vielmehr gingen sie konsequent daran, die Repräsentanten des Zentrum zu diffamieren und zu kriminalisieren und das Zentrum zu schwächen und zu zerstören.
Das traf auch Verhülsdonk persönlich. Am 8. April 1933 kam er in „Schutzhaft“, wurde aber bald entlassen. Im Januar 1934 - inzwischen hatte sich das Zentrum selbst aufgelöst und deren Abgeordnete hatten ihre Mandate verloren - folgte der Prozess. Er und zwei weitere Angeklagte standen vor der auswärtigen Kammer des Landgerichts Koblenz wegen „Untreue“, wurden aber freigesprochen. Alles hatte aber so sehr an seinen Kräften gezehrt, dass Verhülsdonk am 2. November 1934 verstarb.
Im Auftrag der Partei in den Tod
Serie in der Rhein-Zeitung über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 15. November 2001:
Nikolaus Thielen
Die KPD war die einzige große Partei, die sich vor 1933 auf die Illegalität vorbereitete. Doch all dies erwies sich angesichts des NS-Terrors als unzureichend, zumal sie zentralistisch organisiert blieb und keine neuen Widerstandsformen entwickelte. Man schätzt, dass die Hälfte der 300.000 KPD-Mitglieder (1932) mehr oder weniger lang in Haft war, etwa 20.000 wurden ermordet. Trotzdem blieben bis heute die kommunistischen Opfer umstritten. Einer von ihnen war der Reichstagsabgeordnete Nikolaus Thielen.
Thielen – vor genau 100 Jahren, am 22. November 1901, in St. Sebastian geboren – war Maschinist in Bendorf. Durch die Inflation wurde er 1923/24 arbeitslos. Zunächst trat er der SPD, dann der KPD bei und war für letztere in verschiedenen Funktionen tätig. 1929 wählte man ihn zum Stadtverordneten seines Wohnortes Vallendar und zum Mitglied des Kreistages Koblenz-Land. 1932 wurde er Unterbezirkssekretär der KPD in Koblenz, Reichstagsabgeordneter sowie Bezirksinstrukteur des Bezirks Koblenz-Trier-Eifel.
Nach dem Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933 erging der allgemeine Haftbefehl gegen alle kommunistischen Abgeordneten. Diesem entzog er sich durch die Flucht ins Saargebiet. Als er seine Frau Sophie und seine Kinder aus Vallendar nachkommen ließ, kam es zum Zusammenstoß mit der KPD-Bezirksleitung in Saarbrücken. Sie wollte keine Sesshaftmachung sondern allein eine Rückkehr und illegale Arbeit Thielens im Reich. Unter Androhung des Parteiausschlusses begab er sich im Parteiauftrag nach Berlin. Schon einen Tag nach seiner Ankunft wurde er dort mit drei anderen bei einem illegalen Treffen verhaftet. Aus der Untersuchungshaft schreibt er dann: „..habe ich die Hoffnung, dass ich gnädig davon komme, denn ich bin verhaftet worden, ehe ich meine vorgesehene Tätigkeit aufgenommen hatte. Und nach dieser Zeit werde ich für meine Familie leben.“
Am 2. Juli 1935 wird er vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu 15 Jahren Zuchthaus sowie zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Die drei Mitangeklagten erhalten zwischen zehn und sechs Jahre Zuchthaus. Die Strafe verbüßt Thielen im Zuchthaus Siegburg. Nach mehr als drei Jahren bemüht sich seine Ehefrau um den Erlass der Reststrafe. Das Justizministerium lehnt ab: „Als Oberberater der illegalen KPD nahm der Verurteilte einen hohen Funktionärsposten ein. Mehrere Träger der nämlichen Funktion sind zum Tode verurteilt worden. Der Umstand, dass die Tätigkeit des Verurteilten beendet wurde, bevor sie richtig begonnen hatte, ist im Strafmaß berücksichtigt worden. Einem Gnadenerweis steht der lange Strafrest (11 Jahre) und die unzulängliche Führung des Verurteilten in der Strafanstalt entgegen.“
Die letzte Station seines Lebens erreicht Thielen am 18. November 1943, als er aus dem Zuchthaus ins Konzentrationslager Mauthausen in Österreich verschleppt wird. Es hatte als einziges KZ im Reichsgebiet die Schwerestufe III und diente den Nazis vielfach zur Tötung ohne Gerichtsurteil. Sie, die vielfach den Vermerk „R. u.“ (Rückkehr unerwünscht) erhielten, wurden oft in die Strafkompanie zum Tragen von Steinblöcken eingesetzt. Hierbei wurden sie entweder erschlagen oder „auf der Flucht“ erschossen. Nikolaus Thielens Tod ist ungeklärt. Nach Angaben des KZs soll er am 6. Januar 1944 angeblich an akuter Herzschwäche gestorben sein.