Ausstellung im Oberlandesgericht Koblenz (2)
Lesen Sie HIER auch die Presseerklärung des Oberlandesgerichts Koblenz zur Ausstellungseröffnung:
Aus der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Koblenz
vom 7. November 2008
Feierliche Eröffnung der Ausstellung „Vergessen heißt Verbannung. Erinnern ist der Pfad der Erlösung“ am 30. Oktober 2008 im Oberlandesgericht Koblenz
(…)
„Sie haben aus eigenem furchtbaren Erleben Bilder aus der Zeit des Warschauer Ghettos in den Jahren 1940 bis 1943 gezeichnet, die wir in unserer Ausstellung sehen dürfen. Diese Bilder sind erschütternd und ergreifend. Sie sind eine ewige Mahnung und stetige Erinnerung an die Millionen Opfer der Shoa“, begrüßte Präsident des Oberlandesgerichts Bartz Frau Reich-Ranicki, die zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung am 30. Oktober 2008 selbst mit ihrem Ehemann ins Oberlandesgericht Koblenz gekommen war.
Glücklich über die Anwesenheit von Teofila und Marcel Reich-Ranicki zeigte sich auch Justizminister Dr. Bamberger, Schirmherr der Ausstellung. „Eine Zeitzeugin wie Sie verkörpert Authentizität und Ermutigung zugleich“, begrüßte Bamberger die Künstlerin stellvertretend auch für die übrigen anwesenden Zeitzeugen. „Mit Ihrer Anwesenheit distanzieren Sie sich von dem Mythos der kollektiven Amnesie. Indem wir uns der Barbarei der Vergangenheit stellen, auch der der deutschen Justiz im nationalsozialistischen Terrorstaat, beschreiten wir den Pfad der Erinnerung“, dankte Bamberger auch den weiteren zahlreichen Gästen für ihr Erscheinen. „Wer sich der Vergangenheit nicht stellt, narkotisiert das Leben“, führte er weiter aus.
Bevor Marcel Reich-Ranicki gemeinsame Erlebnisse mit seiner Ehefrau im Warschauer Ghetto schilderte, erinnerte er sich zunächst an die Zeit, nachdem er im Jahr 1958 nach Deutschland zurückgekehrt war. „Ich hatte in Deutschland keine Schwierigkeiten. Ich bekam sofort und ohne Probleme die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich wusste gar nicht, dass ich einen Anspruch hierauf hatte, weil meine Mutter eine Deutsche war und ich einen deutschen Schulabschluss hatte“, berichtete Reich-Ranicki. „Obwohl alle wussten, dass ich im Warschauer Ghetto gelebt hatte, hat mich niemand danach gefragt“, ergänzte er. „Niemand hat gefragt: Wie war das eigentlich? Was war da los? Was ist da überhaupt passiert?“ Die erste, die ihm diese Fragen gestellt habe, sei eine Journalistin im Dienste des Norddeutschen Rundfunks gewesen. „Nun wollen Sie sicher wissen, wie die Journalistin hieß“, fuhr Reich-Ranicki fort, ohne den Zuhörern die Antwort schuldig zu bleiben. „Sie hieß Ulrike Meinhof.“
Mit seiner thematischen Einführung in die Ausstellung rückte Joachim Hennig, Träger des Kulturpreises der Stadt Koblenz 2008, die Betroffenheit der Stadt Koblenz und Umgebung von den Pogromen des Jahres 1938 in den Vordergrund. „Auch in Koblenz töteten die Nazis. Zerstört wurden 13 beziehungsweise nach einer anderen Zählung 19 Geschäfte und 36 beziehungsweise 41 Wohnungen. Jüdische Mitbürger wurden misshandelt. Trupps zerstörten die Synagoge am Florinsmarkt. Der Friedhof wurde geschändet und die Leichenhalle verwüstet. Etwa 100 Männer wurden in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald verschleppt.“, lautete seine erschütternde Bilanz. „Aus dieser Zeit des Zweiten Weltkrieges stammen auch die insgesamt 16 Aquarelle von Frau Reich-Ranicki“, leitete Hennig in den zweiten Teil der Ausstellung über. Neben dem persönlichen Schicksal der Eheleute Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto schilderte er unter anderem auch, wie die Künstlerin auf eine eigene Flucht, die sie von ihrem Ehemann getrennt hätte, verzichtete und stattdessen mit Hilfe einer Tante die in der Ausstellung zu sehenden Bilder aus dem Ghetto schmuggelte.
Frau Maria Streisova, eine aus der Ukraine stammende Konzertpianistin, interpretierte am Flügel Werke von Chopin, Gubaidulina und Rachmaninoff und gab der Eröffnungsfeier einen würdigen musikalischen Rahmen.
Die Ausstellung „Vergessen heißt Verbannung. Erinnern ist der Pfad der Erlösung.“ zeigte das Oberlandesgericht in Kooperation mit unserem Förderverein Mahnmal Koblenz noch bis zum 28. November 2008.
Begleitend dazu gab es noch zwei Veranstaltungen im Oberlandesgericht Koblenz:
Am 14. November 2008 referierte unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig über die Diskriminierung, Ausschaltung und Ermordung jüdischer Juristen aus Koblenz und Umgebung.
Lesen Sie hier:
Die Diskriminierung, Ausschaltung und Ermordung jüdischer Juristen aus Koblenz und Umgebung
Vortrag von Joachim Hennig, Richter am Oberverwaltungsgericht, Koblenz gehalten am 14. November 2008 im OLG Koblenz
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich begrüße Sie sehr herzlich zur ersten Begleitveranstaltung zu der Ausstellung, die Sie hier im OLG sehen können und vielleicht auch schon gesehen haben: „Vergessen heißt Verbannung, erinnern ist der Pfad der Erlösung“. Die Ausstellung zeigt 16 Bilder von Teofila Reich-Ranicki aus und über das Warschauer Ghetto und ebenso viele Personentafeln des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz. Diese Tafeln porträtieren 16 jüdische Menschen und Familien – jüdische Mitbürger wie man so sagt -, die in der NS-Zeit gelebt und teilweise auch überlebt haben, teilweise aber auch ermordet wurden - umkamen wie man so sagt. Sie waren alle auch mehr oder minder von den Novemberpogromen betroffen, die am 9. und 10. November 1938 – also vor 70 Jahren – inszeniert wurden.
Lassen Sie mich beginnen mit einem Zitat aus der juristischen Fachzeitschrift „Deutsche Justiz“ vom 21. Oktober 1938. Es stammt von Walter Buch, dem höchsten Juristen der Nazis, dem Obersten Parteirichter der NSDAP und Reichsleiter, und lautet:
Der Nationalsozialismus hat erkannt: Der Jude ist kein Mensch. Er ist eine Fäulniserscheinung. Wie sich der Spaltpilz erst im faulenden Holz einnistet und sein Gewebe zerstört, so konnte sich der Jude erst im deutschen Volk einschleichen und Unheil anrichten, als es geschwächt durch den Blutverlust des 30-jährigen Krieges innerlich zu faulen begann und seine Schwären begierig den Einflüssen der der Französischen Revolution dargeboten hatte.
Dieses Unwort gibt keine sog. Erkenntnis des ranghöchsten Nazi-Richters wieder, die ihm erstmals im Jahr 1938 kam, sondern ist vielmehr eine prägnante Zusammenfassung dessen, was die Nazis von Anfang an dachten und dementsprechend auch schnell und brutal in die Tat umsetzten. Bereits im Parteiprogramm, dem 25 Punkte-Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 hieß es unter Punkt 4:
Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
Der Punkt 5 lautete:
Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Fremdengesetzgebung stehen.
Und im Punkt 6 hieß es schließlich, dass jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde, nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Das Unwort des obersten Parteirichters von 1938 entsprach voll und ganz der NS-Ideologie. Inzwischen war diese Ideologie auch schon weitgehend in die Praxis umgesetzt worden.
Angefangen hatte es fünf Jahre früher, mit der Machtübernahme durch die Nazis am 30. Januar 1933, also vor nunmehr 75 Jahren. Damals hatte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg sofort für den 5. März 1933 Neuwahlen zum Reichstag angesetzt und im größten und wichtigsten Land Preußen hatte Göring den Posten des Innenministers übernommen und die Schläger von SA und SS offiziell zur „Hilfspolizei“ erhoben. Nach dem Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933 begannen die massenhaften Verhaftungen der Kommunisten, Sozialdemokraten und anderer Oppositioneller. Unter ihnen waren auch Juden. Aber die Repressalien galten nicht – in erster Linie – ihrer ethnischen Herkunft oder Religion sondern ihrer politischen Gesinnung.
Die Repressalien der Juden als Juden begannen dann schon unmittelbar nach der Reichstagswahl am 5. März 1933, die der NSDAP zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot die absolute Mehrheit brachte. Schon am 6. März 1933 wurden auf dem Berliner Kurfürstendamm Juden von Schlägertrupps der SA angepöbelt, verprügelt und aus Kaffeehäusern hinausgeworfen.
Schon eine Woche später hatten die antisemitischen Unruhen die Justiz erreicht. Am 12. März 1933 besetzten SA-Leute das Landgericht in Breslau und unterbrachen Verhandlungen, in denen jüdische Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte tätig waren. Gleiche Aktionen gab es in Gleiwitz, Görlitz und anderen Städten. Die Nazipresse schilderte die Aktionen stets so: Eine „erregte Menschenmenge“ sei in die Gerichtsverhandlungen geströmt, um „gegen das Übergewicht von Juden in der deutschen Rechtspflege zu demonstrieren“.
Nur zwei Tage später – und auch das zeigt die Lenkung der Aktionen durch die NSDAP – verlangte der „Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ auf einer Versammlung in Leipzig, kein Jude dürfe im Dritten Reich als Richter, Notar oder Rechtsanwalt tätig sein. Danach sollten alle deutschen Gerichte bis hinauf zum Reichsgericht von Richtern und Beamten „fremder Rasse“ unverzüglich gesäubert werden, sofort eine Zulassungssperre für Rechtsanwälte „fremder Rasse“ an deutschen Gerichten in Kraft treten, bestehende Zulassungen für „Angehörige fremder Rasse weiblichen Geschlechts“ unverzüglich aufgehoben werden und anderes mehr. Diese Propaganda vermittelte schon einen Eindruck von dem, was noch kommen würde. Und in der Tat nahm die Entrechtung der Juden, gerade auch jüdischer Juristen – in einer Mischung von gewaltsamen Übergriffen und administrativen Maßnahmen ihren Lauf.
Für den 1. April 1933 hatte die NSDAP den Boykott „jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte“ propagiert. Das war die erste öffentliche Aktion zur Demonstration des Antisemitismus in Deutschland. Um die „Stoßkraft der Aktion zu erhöhen“, konzentrierten sich die Aktionskomitees von SA und SS auf die Berufe der Ärzte und Rechtsanwälte.
Im Vorfeld dieses „Judenboykotts“ kam es bereits am Tag zuvor, am 31. März 1933, zu Maßnahmen gegen jüdische Richter und Staatsanwälte. Am hiesigen Landgericht wurde der als Hilfsrichter dort tätige jüdische Gerichtsassessor Dr. Fritz Dreyfuss durch Angehörige der NSDAP an der Weiterausübung seines Dienstes gehindert. Am Landgericht Köln kam es am selben Tag sogar zu Übergriffen. Dazu heißt es in einem Bericht des Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln an den Preußischen Justizminister unter Vorlage von Presseberichten:
Die Vorlegung erfolgt, weil im Verlaufe der in den anliegenden Presseberichten behandelten Aktion gegen jüdische Richter und Rechtsanwälte am 31. März dieses Jahres doch auch Dinge vorgekommen sind, die geeignet sind, das Ansehen der Rechtspflege zu schädigen. Dazu möchte ich insbesondere rechnen, dass ein jüdischer Richter, übrigens auch einige jüdische Rechtsanwälte, gezwungen wurden, sich in der Robe, dem Amts- und Ehrengewand auch der deutschstämmigen Richter und Rechtsanwälte, abtransportieren zu lassen. Dabei erfolgte die Wegführung der in Schutzhaft genommenen Personen zum Teil auf Müllabfuhrwagen, auf denen sie stehen mussten. Der hiesige Gauleiter der NSDAP, Herr Grohé, den ich noch am gleichen Tage in der Angelegenheit aufgesucht und unterrichtet habe, hat mir erklärt, dass auch er den Abtransport in Roben missbillige. Er hat mir sein Bedauern darüber ausgesprochen (…) Ein nicht jüdischer Referendar, Sohn eines Landgerichtsdirektors i.R. in Bonn, ist so erheblich misshandelt worden, dass er vom Gerichtsgebäude gleich zum Arzt gefahren werden musste. Einen bericht kann ich nicht beifügen, da der verletzte seinen Dienst noch nicht hat wieder aufnehmen können.
Am Abend des desselben Tages, also des 31. März 1933, und noch in Unkenntnis dieser Übergriffe vor allem der SA richtete der frisch ernannte Preußische Justizminister Hanns Kerrl per Fernschreiben und Polizeifunk folgende Anordnung u.a. an die OLG-Präsidenten, Generalstaatsanwälte:
Die Erregung des Volkes über das anmaßende Auftreten amtierender jüdischer Rechtsanwälte und jüdischer Richter hat Ausmaße erreicht, die dazu zwingen, mit der Möglichkeit zu rechnen, dass, besonders in der Zeit des berechtigten Abwehrkampfes des deutschen Volkes gegen die alljüdische Gräuelpropaganda, das Volk zur Selbsthilfe schreitet. Das würde eine Gefahr für die Aufrechterhaltung der Autorität der Rechtspflege darstellen. Es muss daher Pflicht aller zuständigen Behörden sein, dafür zu sorgen, dass spätestens mit dem beginn des von der NSDAP geleiteten Abwehrboykotts die Ursache solcher Selbsthilfeaktionen beseitigt wird. Ich ersuche deshalb, umgehend allen amtierenden jüdischen Richtern nahe zu legen, sofort ihr Urlaubsgesuch einzureichen und diesem sofort stattzugeben.
Jüdische Staatsanwälte und jüdische Beamte im Strafvollzuge ersuche ich umgehend zu beurlauben. Besondere Erregung hat das anmaßende Auftreten jüdischer Rechtsanwälte hervorgerufen; ich ersuche deshalb mit den Anwaltskammern oder örtlichen Anwaltsvereinen oder sonstigen geeigneten Stellen noch heute zu vereinbaren, dass ab morgen früh, 10 Uhr, nur noch bestimmte jüdische Rechtsanwälte, und zwar in einer Verhältniszahl, die dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zur sonstigen Bevölkerung etwa entspricht, auftreten. (…) Wenn von den Gau- oder Kreisleitungen der NSDAP der Wunsch geäußert wird, durch uniformierte Wachen die Sicherheit und Ordnung innerhalb des Gerichtsgebäudes zu überwachen, ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen und damit die dringend erforderliche Beachtung der Autorität der Gerichtsbehörden sicherzustellen.
Der Boykott hatte nicht den von den Nazis erwarteten Erfolg. Offenbar hatte die Bevölkerung eine gefühlsmäßige Abneigung gegen gewalttätige Aktionen und perfide antisemitistische Hetze. Aber der Boden war schon bereitet.
Und wenig später setzte sich die Entrechtung durch Gesetze und Verordnungen fort. Gegen diese legislatorischen Maßnahmen hatte die ganz große Mehrheit der Bevölkerung nichts einzuwenden. Man hielt sie „für durchaus tragbar“ und im Übrigen schaffte sie mit der Zurückdrängung der Juden aus den juristischen Berufen durchaus Platz und Karrieren für andere.
Die ersten gesetzlichen Maßnahmen, durch die den deutschen Juden die Errungenschaften der Emanzipation wieder geraubt wurden, tragen das Datum des 7. April 1933. Das grundlegende Gesetz trug den Titel: „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“.
Schon dieser war zynisch. Denn es ging mit ihm nicht um die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, sondern genau um das Gegenteil, um die Vertreibung missliebiger Staatsdiener aus ihrem Beruf. Das Gesetz richtete sich zum einen gegen politische Gegner des NS-Regimes, das trifft vor allem Sozialdemokraten und exponierte Anhänger der parlamentarisch-demokratischen Reichsverfassung. Die Entfernung dieses Personenkreises aus dem Beamtenverhältnis war in § 4 des Gesetzes geregelt.
Zum anderen ist in § 3 folgendes bestimmt: „Beamte, die nicht-arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen.“ Das war der sog. Arier-Paragraph. Interessant war natürlich, wer „nicht-arisch“ war. Auch das wurde geregelt, und zwar in der 1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933. Zu § 3 hieß es darin:
„Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat.“
Es gab aber eine Ausnahmeregelung. Sie war in Absatz 2 des § 3 dieses Gesetzes enthalten. Er lautete: „Absatz 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“
Zu dieser Ausnahmeregelung ist anzumerken, dass Hitler alle jüdischen Beamten entlassen wollte. Der greise Reichspräsident von Hindenburg, der ja früher Generalfeldmarschall war, wollte aber nicht so rigoros sein und sein Gewissen etwas beruhigen. Schließlich verständigte man sich auf eine Ausnahme für „Alt-Beamte“ und für „Frontkämpfer“.
Insbesondere Preußen setzte dieses Gesetz rigoros und mit rasanter Schnelligkeit durch. Den Nachweis der Frontkämpfereigenschaft bzw. entsprechender Privilegierung mussten die Betroffenen innerhalb einer Frist von drei Tagen nebst urkundlichen Beweisen erbringen. Ebenso war innerhalb von nur drei Tagen in Zweifelsfällen der Nachweis „arischer Abstammung“ zu führen.
Nach einer Schätzung hatten im gesamten Deutschen Reich etwa 2.000 akademisch gebildete Beamte durch die antijüdische Gesetzgebung Beruf und Arbeitsplatz verloren, nicht gerechnet rund 700 Hochschullehrer, die sich zum jüdischen Glauben bekannten. Nach einer Aufstellung aus dem Jahr 1934 waren 574 jüdische Richter und Staatsanwälte aus dem Dienst geschieden.
Beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft Koblenz – ein Oberlandesgericht Koblenz gab es damals noch nicht – waren die Auswirkungen vergleichsweise gering. Meines Wissens gab es damals keinen planmäßig angestellten jüdischen Richter hier. Der mir namentlich bekannte Amtsgerichtsrat Dr. Edwin Landau war nach Erreichung der Altersgrenze 1927 aus dem Justizdienst ausgeschieden. Noch im aktiven Dienst war aber ein Staatsanwalt, der Staatsanwalt bzw. Erste Staatsanwalt Dr. Georg Krämer. Als sog. Volljude wurde er auch beurlaubt, als Soldat im Ersten Weltkrieg konnte er aber noch das sog. Frontkämpferprivileg in Anspruch nehmen. Beurlaubt wurde auch der bereits erwähnte jüdische Gerichtsassessor Dr. Fritz Dreyfuss, der als Hilfsrichter beim Landgericht Koblenz tätig war.
Dreyfuss wehrte sich gegen seine Beurlaubung und die drohende Entlassung aus dem Justizdienst mit der Begründung, er sein Frontkämpfer. Er habe den Krieg von Anfang 1916 bis zum Ende größtenteils in vorderster Front bei einer Maschinengewehrabteilung mitgemacht, sei wegen Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet worden und zwar mit einer ehrenvollen Begleiturkunde. Trotz dreimaliger schwerster Erkrankung – durch Ruhr mit Typhus, Malaria und fieberhafter Gelbsucht – habe er sich dreimal als Freiwilliger wieder an die Front gemeldet. Nach Ende des Krieges habe er weiterhin an den Folgen der Erkrankungen gelitten, habe jahrelang in ärztlicher Behandlung gestanden und sich nicht weniger als fünf schweren Operationen unterziehen müssen.
Aber auch all dies half ihm letztlich nichts. Es war nämlich auch bekannt, dass Dreyfuss in der Weimarer Republik aktives Mitglied zunächst der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und dann der SPD war sowie auch Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front war. Dies war dann Anlass, ihn gemäß § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Dienst zu entfernen. Anders als bei der Entlassung wegen jüdischer Herkunft galt hier das Privileg des Frontkämpfers nicht.
Das, was für die Richterschaft und die Staatsanwälte das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ war, war für die Rechtsanwälte das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, ebenfalls vom 7. April 1933. Nach Hitlers Erklärung sollte u.a. das Gesetz die „Abwehr des deutschen Volkes gegenüber der Überflutung gewisser Berufe durch das Judentum“ bewerkstelligen. – Hintergrund dieser Äußerung war, dass der Anteil jüdischer Rechtsanwälte im gesamten Reich, vor allem in Preußen zu dieser Zeit hoch war. Zum 7. April 1933 waren in Preußen von insgesamt 11.814 Rechtsanwälten 3.370 Juden, das entsprach einem Anteil von 28,6 %.
Das Rechtsanwaltsgesetz war in der Formulierung ähnlich wie das Berufsbeamtengesetz. Die Regelung hinsichtlich der politischen Gegner fand sich in § 3. Darin waren ausdrücklich Personen angesprochen, die sich – was auch immer das heißen mag – „im kommunistischen Sinne betätigt hatten“. Diese waren zwingend von der Zulassung ausgeschlossen, ihre zuvor erteilte Zulassung war zwingend zurückzunehmen.
Was die Zulassung von Juden zum Beruf eines Rechtsanwalts betraf, so verwies das Gesetz in § 1 Abs. 1 auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Im Übrigen sprach es davon, dass die Zulassung bis zum 30. September 1933 zurückgenommen werden „könne“. Sie muss also nicht zwingend zurückgenommen werden, vielmehr steht die Rücknahme der Zulassung im Ermessen der Behörde. Es wundert aber nicht, dass diese Kann-Bestimmung rigoros zu Ungunsten der betroffenen jüdischen Rechtsanwälte gehandhabt wurde. Im Übrigen enthielt auch dieses Gesetz eine Ausnahme für „Alt-Rechtsanwälte“ und „Frontkämpfer“.
Vor allem wegen dieser Ausnahmen zeigte das Gesetz nicht die von den Nazis damit bezweckte Wirkung. Von den in Preußen zugelassenen 3.370 jüdischen Rechtsanwälten behielten 2/3, nämlich 2.158 Rechtsanwälte ihre Zulassung. Nach Überprüfung einiger strittiger Fälle stieg diese Zahl im Sommer 1933 sogar auf 2.609 Anwälte an. Anschließend sank sie aber mehr und mehr, da manche Rechtsanwälte von sich aus resignierten, auswanderten oder sich zur Ruhe setzten.
Im gesamten Landgerichtsbezirk Koblenz waren meines Wissens insgesamt 16 jüdische Rechtsanwälte niedergelassen: Davon waren mindestens 7 beim Amts- und Landgericht Koblenz zugelassen (Dr. Isidor Brasch, Dr. Walter Brasch, Jakob Gottschalk, Paul Hirsch, Dr. Arthur Salomon, Dr. Isidor Treidel und Albert Trum). 3 Rechtsanwälte waren beim Amtsgericht in Bad Kreuznach zugelassen (Dr. Georg Arfeld, Dr. Ernst Liebert und Dr. Robert Wolff), 1 Rechtsanwalt beim Amtsgericht Kirn (Dr. Lothar Hecht) und 1 Rechtsanwalt beim Amtsgericht in Mayen (Albrecht Wallenstein). Von drei weiteren Rechtsanwälten (Nathan Blumenthal, Dr. Philipp Steinhard und Dr. Willy Zylversmit) weiß ich nichts Näheres. Zu erwähnen ist noch, dass der Koblenzer Rechtsanwalt Dr. Elias Fröhlich kurz zuvor – im März 1933 – seine Kanzlei von Koblenz nach Düsseldorf verlegt hatte.
Von diesen mindestens 7 jüdischen Koblenzer Rechtsanwälten behielten nur 3 ihre Zulassung. Das waren der Justizrat Dr. Isidor Brasch, Dr. Arthur Salomon und Dr. Isidor Treidel. Um ein Schlaglicht auf die Situation zu werfen, möchte ich hier kurz die jüdische Juristenfamilie Brasch erwähnen – bestehend aus dem Vater, Justizrat Dr. Isidor Brasch, dem älteren Sohn Ernst Brasch und dem jüngere Sohn Dr. Walter Brasch. Walter Brasch war erst in den 1920er Jahren Rechtsanwalt geworden, hatte aber am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war sogar verwundet worden. Ihm erkannte man aber gleichwohl das Frontkämpferprivileg nicht zu. Deshalb wurde seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am 13. Juli 1933 zurückgenommen, „weil er nicht arischer Abstammung“ war. Nicht betroffen von dieser Maßnahme war der Vater Dr. Isidor Brasch. Er war vor dem 1. August 1914 als Rechtsanwalt zugelassen, und damit privilegierter sog. Altanwalt. Ebenfalls nicht unmittelbar betroffen war der Sohn Ernst Brasch. Er war Regierungsrat in Wiesbaden geworden, hatte aber Anfang 1933 wegen judenfeindlicher Äußerungen seines Vorgesetzten um seine Entlassung gebeten. So war er – wie sich später herausstellte – der Entfernung aus dem Dienst aufgrund des „Arierparagraphen“ zuvorgekommen. Gleichzeitig wurde ihm aber der Weg, sich als Rechtsanwalt niederzulassen, mit dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbaut.
Die Entfernung aus dem Beruf war sicherlich oft schmerzlich. Hinzu kamen noch die psychologischen und existentiellen Auswirkungen dieser Berufsverbote. So nahm sich etwa Ernst Braschs Schwiegermutter einen Tag nach Erlass dieser Gesetze das Leben. Und der Justizrat Dr. Isidor Brasch gab im Sommer 1935 resigniert seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück.
Um die Stimmung unter den deutschen Richtern und Staatsanwälten ein wenig wiederzugeben, soll hier aus einem Telegramm an Preußischen Justizminister zitiert werden. Vor dem Hintergrund, dass nicht alle beurlaubten Juristen endgültig von den Gerichten und Kanzleien ferngehalten werden konnten, sondern als Frontkämpfer, Altbeamte und Alt-Rechtsanwälte oftmals weiterbeschäftigt bzw. zugelassen werden mussten, hieß es darin:
Die in großer Zahl versammelten nationalsozialistischen deutschen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte erheben schärfsten Einspruch gegen die Wiederverwendung jüdischer Spruchrichter und gegen die Überflutung der Gerichte mit jüdischen staatsfeindlichen Elementen. Die Rechtspflege muss in Zukunft rein sein von allen art- und volksfremden Elementen zur Rechtfertigung des Vertrauens des Volkes.
Dies war übrigens nicht die Meinung einer sektiererischen Gruppe von Verbandsoberen, sondern vielmehr die maßgebliche Stimme der Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, hatten sich mit dem ausdrücklichen Einverständnis Hitlers doch mehr oder minder freiwillig alle bisherigen Organisationen zur Gründung „der Nationalsozialistischen Front des deutschen Rechts“ zusammengeschlossen. Damit war – wie es in der Juli-Ausgabe der Deutschen Richter-Zeitung hieß, „nach dem Willen des Führers ausschließlich der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen die ständige Vertretung der Juristen“. Einen sichtbaren Höhepunkt bildete dann der Deutsche Juristentag Ende September/Anfang Oktober 1933 in Leipzig. Vor dem Reichsgericht versammelten sich mehr als 12.000 deutsche Juristen und schworen den „Rütli-Schwur“:
Wir schwören beim ewigen Herrgott,
wir schwören bei dem Geiste unserer Toten,
wir schwören bei all denen, die das Opfer einer
volksfremden Justiz einmal geworden sind,
wir schwören bei der Seele des deutschen Volkes,
dass wir unserem Führer auf seinem Wege als deutsche
Juristen folgen wollen bis zum Ende unserer Tage.
Unterdessen ging die legislatorische Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden weiter:
Mit Rundverfügung des Preußischen Justizministers vom 18. April 1933 wurde die Ernennung und Beförderung von Beamten, die möglicherweise Juden waren, untersagt.
Mit Gesetz vom 22. April 1933 wurden die Neuzulassung von Patentanwälten und die Rücknahme ihrer Zulassung in gleicher Weise geregelt wie zuvor die der Rechtsanwälte.
Mit dem Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen wurde der Anteil der jüdischen Schüler und Hochschüler auf den Prozentsatz begrenzt, den die Juden an der Gesamtbevölkerung ausmachten.
Mit Rundverfügung vom 28. April 1933 wurde die Ernennung von Juden zu Gerichtsassessoren verboten.
Aufgrund einer Durchführungsverordnung vom 6. Mai 1933 mussten jüdische Honorarprofessoren, Privatdozenten und Notare ihre Tätigkeit einstellen. Jüdischen Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes wurde gekündigt.
Einen vorläufigen Höhepunkt brachte dann das Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933. Danach konnte Erbhofbauer nur sein, wer unter seinen Vorfahren bis zum Jahr 1800 zurück kein jüdisches Blut hatte. In diesem Gesetz fand sich zum ersten Mal der Ausdruck „jüdisches“ Blut.
Im Frühjahr und Sommer 1935 kam es zu einer neuen Welle antijüdischer Hetze in der NS-Presse. Die Schilder „Juden unerwünscht!“ fanden sich nicht an kommunalen Sportplätzen und Schwimmbädern und anderen Einrichtungen, sondern auch an den Eingängen vieler Restaurants, Cafés und Geschäften. Gemeindebehörden verboten jüdischen Händlern den Zutritt zu Wochenmärkten und Messen, Zeitungen weigerten sich, Anzeigen von Juden aufzunehmen. Juden stießen auf Schwierigkeiten und Schikanen, wenn sie eine Wohnung suchten, einen Führerschein beantragten oder ein Auto zulassen wollten. Die Rechtsunsicherheit wurde immer größer, weil oft untergeordnete Behörden, die vielfach von strammen Parteimitgliedern besetzt waren, ihre eigenen radikalen „Judengesetze“ machten.
In dieser Situation wurden auf dem sog. Parteitag der Freiheit am 15. September die „Nürnberger Gesetze“ erlassen, die in der zeitgenössischen Literatur als „Staatsgrundgesetze“ und als Wegmarke bezeichnet wurden, an der „das Reich den zweiten vernichtenden Schlag gegen das Judentum in der Justiz führen“ konnte.
Von diesen drei Gesetzen waren das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz)“ wichtig. Sie bildeten fortan die Grundlage für die Rassenpolitik des NS-Regimes bis zur letzten Konsequenz des Völkermordes.
Das „Reichsbürgergesetz“ konstruierte einen Unterschied zwischen Staatsangehörigen und „Reichsbürgern“. Der entscheidende Satz in § 2 lautete: „Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, dass er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Mit dieser Formel ließen sich Juden und andere Unerwünschte aus der Gemeinschaft der vollberechtigten Bürger ausgrenzen.
In der 1. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ vom 14. November 1935 wurde dann der Versuch unternommen, den Personenkreis zu definieren, der durch das Gesetz diskriminiert wird. Ein Problem sind dabei die so genannten Mischlinge.
Wichtig war auch die in § 4 Abs. 2 der Verordnung getroffene Regelung, wonach jüdische Beamte bis zum Ablauf des Jahres ausnahmslos aus dem Amt ausschieden. Damit entfielen auch die Ausnahmen für die „Alt-Beamten“ und die „Frontkämpfer“.
Reichsjustizminister Dr. Gürtner – inzwischen war nach Auflösung der Landesjustizverwaltungen zum 30. Januar 1934 die Justiz „verreichlicht“ worden – ließ mit Telegrammen vom 30. September 1935 die jüdischen Richter und Staatsanwälte mit sofortiger Wirkung beurlauben. Ihre Zahl belief sich, da seit 1933 auch manche aufgrund des Frontkämpferprivilegs noch Geduldeten resigniert und den Staatsdienst von sich aus verlassen hatten, noch auf 232. Bis Mitte Oktober 1936 wurden 205 jüdische Richter und Staatsanwälte entlassen, die 27 Verbliebenen kamen aus besonderen Gründen etwas später zur Entlassung.
Neue Gesetze vertrieben aber nicht nur die letzten jüdischen Richter und Staatsanwälte aus ihren Ämtern, sondern betrafen auch andere jüdische Juristen, vornehmlich die früheren Rechtsanwälte. Wenn diese mit dem Gesetz vom 7. April 1933 auch ihre Zulassung verloren hatten, so konnten sie immer noch wenigstens fremde Rechtsangelegenheiten besorgen, Rechtsrat erteilen und fremde Forderungen einziehen und damit außergerichtlich noch tätig sein. Die Möglichkeit nahm ihnen dann auch noch das Gesetz zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsvertretung vom 13. Dezember 1935. Dies machte die Tätigkeit abhängig von einer Erlaubnis. In § 5 der dazu ergangenen Ausführungsverordnung hieß es lapidar: „Juden wird die Erlaubnis nicht erteilt.“
Damit wurde nichtprivilegierten Juden jede Möglichkeit genommen, noch juristisch tätig zu werden. Was das für diese Personen bedeutete, macht der Fall des früheren Rechtsanwalts Dr. Walter Brasch deutlich: Ohne jede Perspektive verließ er mit seiner jungen Familie, seine Frau ist noch mit dem zweiten Kind schwanger, Deutschland und begab sich über das Elsaß nach Holland. Dort fand er keine angemessene juristische Betätigung und eröffnete in der Not ein Antiquariat.
Die Diskriminierung und Ausgrenzung der in Deutschland verbliebenen Juden spitzte sich im Jahr 1938 weiter zu. Hierzu gehörte insbesondere die Einführung einer besonderen Kennkarte für Juden und die am 17. August 1938 verkündete Verpflichtung zur Annahme des zusätzlichen jüdischen Zwangsvornamens „Sara“ bzw. „Israel“. Im September 1938 erging dann die 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Sie regelte in Artikel I das „Ausscheiden der Juden aus der Rechtsanwaltschaft“ und bestimmte: „Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen. Die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte, und zwar auch der Frontkämpfer, war bis zum 30. November 1938 zurückzunehmen. Die anderweitige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten wurde verboten. Zur – wie es hieß – „rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden“ konnte der Reichsjustizminister einzelne jüdische Anwälte, möglichst Frontkämpfer, als „jüdische Konsulenten“ zulassen, aber nur, soweit ein Bedürfnis dafür bestand, auf jederzeitigen Widerruf oder überhaupt nur auf Zeit. Diese „jüdischen Konsulenten“ standen mit dem Rücken zur Wand. Sie konnten für die anderen Juden und jüdische Unternehmen nur noch versuchen, eingegangene Verträge und Geschäfte abzuwickeln, das Schlimmste an legislatorischer Diskriminierung zu verhindern oder abzumildern. Im Übrigen erhielten sie sehr viel geringere Gebühren als Rechtsanwälte.
In Koblenz gab es damals nur noch zwei Rechtsanwälte: Dr. Arthur Salomon und Dr. Isidor Treidel. Beide verloren dementsprechend ihre Zulassung als Rechtsanwälte. Sie wurden aber – als Frontkämpfer – als jüdische Konsulenten zugelassen.
In dieser Zeit, vor genau 70 Jahren, kam es dann zu den Novemberpogromen. Das war kein Zufall. Die Lage der Juden spitzte sich immer mehr zu, auch nahmen die Gewaltakte gegen sie zu. So hatte es im Frühjahr 1938 wochenlang Gewaltakte von NSDAP und SA gegen Juden gegeben mit der Parole: „Juden raus aus der Wirtschaft“. Am 9. Juni 1938 wurde die Synagoge in München zerstört. Eine Woche später wurden im Zuge der sog. Juni-Aktion gegen „Asoziale“ ca. 1.500 Juden festgenommen und in Konzentrationslager verschleppt. Im August wurde die Synagoge in Nürnberg zerstört. Einen Monat später – auf dem Reichsparteitag in Nürnberg – hielt der oberste Parteirichter Buch seine eingangs zitierte Rede, wonach der Jude kein Mensch, sondern eine Fäulniserscheinung sei. Einen Monat später wurde diese Rede dann in dem „Amtlichen Blatt der deutschen Rechtspflege“ der „Deutschen Justiz““ abgedruckt.
Im selben Monat, am 28. Oktober 1938, ließ der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich in einer Blitzaktion 17.000 in Deutschland lebende polnische Juden verhaften und sie an die deutsch-polnische Grenze schaffen. Da sich die Polen weigerten, nach Polen hineinzulassen, mussten die Abgeschobenen im Niemandsland zwischen Deutschland und Polen kampieren.
Unter den Verschleppten war auch der in Hannover lebende Schneidermeister Jozef Grynspan. Sein 17-jähriger Sohn Herschel, war bei einem Onkel in Paris. Als er vom Schicksal seiner Familie erfuhr, begab er sich mit einem Revolver zur deutschen Botschaft in Paris und schoss dort auf einen Botschaftsangehörigen, der sich nach seinem Anliegen erkundigte. Am folgenden Tag, dem 8. November 1938, erlag der Legationssekretär Ernst vom Rath seinen Verletzungen.
Für die Nazis, vor allem für den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, war diese unbedachte Tat eines psychisch labilen Jugendlichen der willkommene Anlass, von einer „großangelegten Verschwörung des Weltjudentums“ zu sprechen und in ganz Deutschland ein Pogrom zu initiieren.
Als die NS-Größen und „Alten Kämpfer“ am Abend des 8. November im Münchner Bürgerbräu Keller des Hitler-Putsches von 1923 – dem sog. Marsch auf die Feldherrnhalle gedachten und sich und ihre nationale Revolution feierten, sah Goebbels die einmalige Chance, in ganz Deutschland einen blutigen Pogrom zu entfachen. Mit Hitlers Einverständnis hielt Goebbels vor den „Alten Kämpfern“ im Münchner Bürgerbräukeller eine wüste antisemitische Rede. Er sprach von einem „feigen Anschlag des internationalen Judentums“. Er, Goebbels, habe dem „Führer“ berichtet, dass es in verschiedenen Orten Deutschlands bereits zu „spontanen Vergeltungsaktionen“ des Volkes gekommen sei. Der „Führer“ habe geantwortet, die Partei habe solche Aktionen nicht zu organisieren, aber auch nicht zu behindern, falls sie spontan entstünden. Sodann instruierte Goebbels die „Alten Kämpfer“, was zu tun sei. In einem Bericht des Obersten Parteigerichts über den Pogrom las sich das dann so:
Die mündlich gegebenen Anweisungen des Reichspropagandaleiters sind wohl von sämtlichen anwesenden Parteiführern so verstanden worden, dass die Partei nicht nach außen als Urheber der Demonstrationen in Erscheinung in Erscheinung tritt, sie in Wirklichkeit aber organisieren und durchführen sollte.
So kam es dann auch. Die Führer der Parteiorganisationen stürzten in München noch in der Nacht vom 8. auf den 9. November an die Telefone und forderten die örtlichen Parteigrößen und die SA auf, „spontane Aktionen“ gegen die jüdische Bevölkerung zu organisieren.
Überall begannen die Synagogen zu brennen, wurden Geschäfte und Gemeindehäuser zerstört, wurde geplündert und zerschlagen, wurden Juden geprügelt, durch die Straßen gejagt, erschlagen oder angeschossen.
Erst als der Pogrom im Gange war, erfuhren Himmler, Heydrich, die SS und die Polizei, was überhaupt ablief. Sie waren von Goebbels bewusst nicht beizeiten informiert, weil er befürchtete, diese würden einen solchen archaischen Ausbruch der Gewalt mit sinnloser Zerstörung von jüdischem Vermögen nicht dulden. Jetzt, da der Pogrom angelaufen war, konnte er jedenfalls nicht mehr verhindert werden. So ordnete Heydrich an, dass Geschäfte und Wohnungen von Juden „nur“ zerstört, nicht aber auch geplündert werden dürfen. Weiterhin befahl er, so viele männliche Juden wie möglich, besonders wohlhabendere, in „Schutzhaft“ zu nehmen und in Konzentrationslager zu verschleppen.
Am 11. November lag das offizielle Zwischenergebnis vor: 815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesetzte oder zerstörte Warenhäuser, 171 in Brand gesetzte oder zerstörte Wohnungen. 191 Synagogen waren in Brand gesteckt, 76 weitere vollständig demoliert. Dazu kamen Gemeindehäuser, Friedhofskapellen und andere jüdische Einrichtungen. Fast 100 Juden waren ermordet worden, noch mehr hatten Verletzungen erlitten. Weit mehr als 20.000 Männer verschleppte man in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen.
So inszenierte Gewaltakte gab es auch in Koblenz und Umgebung. Sie fanden beispielsweise statt in
Kobern-Gondorf
Vallendar
Bendorf
Neuwied
Auch in Koblenz wüteten die Nazis. Zerstört wurden 19 Geschäfte und 41 Wohnungen, jüdische Mitbürger wurden misshandelt. Trupps zerstörten die Synagoge am Florinsmarkt, in Brand gesteckt wurde sie allerdings nicht - die Nachbarhäuser sollten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber der Friedhof wurde geschändet und die Leichenhalle verwüstet. Etwa 100 Männer wurden in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald verschleppt. Um Ihnen einen gewissen Eindruck von dem Geschehen hier in Koblenz zu geben, zitiere ich aus einem Urteil des Landgerichts Koblenz, mit dem nach dem Krieg diese Untaten strafrechtlich geahndet werden sollten. Darin heißt es:
Der Ortsgruppenleiter W.K. warf hier eine Maschine um und erklärte dabei den anwesenden Männern seines Zerstörungstrupps: „So wird das gemacht!“
Unter Führung des zurzeit noch flüchtigen Ortsgruppenleiters D. sowie des inzwischen verstorbenen Ortsgruppengeschäftsführers X. kämmte eine Gruppe die Rizzastraße, Löhrstraße, Mainzer Straße, Bismarckstraße sowie den Prinzeß-Luisenweg ab und zerstörte die hier gelegenen Häuser und Geschäfte. Diesem Trupp gehörten auch die Angeklagten A, B, C, D und E an; die übrigen Mittäter sind nicht bekannt.
Am Morgen des 10. November befand sich der Angeklagte E auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle. Unterwegs merkte er, dass eine Aktion gegen die Wohnungen der Juden im Gange war und begab sich wieder zu seinem Haus zurück. Vor dem Hause, etwa gegen 8 Uhr, traf er den Geschäftsführer der Ortsgruppe Roon und einige weitere nicht ermittelte Männer in Zivil, die im Begriffe waren, die Wohnungen der im Hause Kaiser-Friedrich-Straße 53 wohnhaften jüdischen Familien aufzusuchen. E zeigte zunächst die im 2. Stock des Hauses befindliche Wohnung des Juden Wassermann und gin dann mit dem Trupp in die Parterrewohnung des Juden Bernd.
Der Angeklagte zerschlug hier mit einem Stuhlbein vor den Augen des krank zu Bett liegenden Bernd ein Nachtschränkchen sowie in der Speisekammer ein Regal.
Danach ging der Angeklagte mit den übrigen Leuten des Trupps auch durch die Wohnungen Oster und Wassermann. Als er sich wieder nach unten begeben wollte, traf er vor der Wohnung Wassermann den Hausverwalter der Eigentümerin des Hauses, der Jüdin Oster, der gleichfalls im Hause wohnte. Der Angeklagte sagte zu den umstehenden Männern: „Der da ist auch ein Judenfreund“, stürzte sich auf ihn und schlug ihn zu Boden. (…)
Der Angeklagte E. hat sich an den Zerstörungen der Wohnungen seiner eigenen Hausgenossen und nächsten Nachbarn beteiligt, mit denen er zum Teil seit mehr als acht Jahren unter einem Dache wohnte.
Der Jude Süßmann wurde, nachdem man seine Wohnung in der Balduinstraße/Ecke Görgenstraße demoliert hatte, im Nachthemd auf die Straße gezerrt, während der Bildberichterstatter des „Nationalblattes“, der Angeklagte A, eine Aufnahme von ihm machte.
Auch der in der Görgenstraße wohnhafte Jude Bernd wurde von mehreren Männern nur mit Pantoffeln und Nachthemd bekleidet, auf die Straße gezerrt, wo sich der Angeklagte X an Misshandlungen des Bernd beteiligte.
Von hier aus begab man sich zur Wohnung des in der Mainzer Straße lebenden jüdischen Rechtsanwalts Dr. Treidel, die man ebenfalls demolierte. Dr. Treidel wurde von X. derartig misshandelt, dass er im Rizzaheim verbunden werden musste.
Mit einer längeren Holzstange schlug der Angeklagte K von der Straße aus die Fenster im ersten Stock des jüdischen Hauses Schmitz in der Balduinstraße/Ecke Görgenstraße ein und begab sich auch in die Wohnung selbst. Dort flehte ihn die Jüdin Rosa Schmitz an, ihr doch noch etwas zu lassen, indem sie sagte: „Lasst mir doch wenigstens das da!“ K. antwortete darauf: „Nein, gar nichts.“ Die Zerstörungen im Haus nahmen dann ihren Fortgang.
Der Angeklagte war auch Zeuge, wie ein älteres jüdisches Fräulein von mehreren Männern durch die Straßen geführt wurde.
Nachdem der Jude Bernd, Inhaber des Schuhgeschäftes Ecke Görgenstraße/Balduinstraße von unbekannten Tätern nur mit Hemd und Hose bekleidet auf die Straße gezerrt worden war, lief der Angeklagte D ihm nach und trieb ihn vor sich her. Dabei beschimpfte er Bernd mit den Worten: „Du stinkiger Jude!“ Bernd fiel schließ vor dem Angeklagten auf die Knie und flehte, ihn als alten Koblenzer Bürger in Ruhe zu lassen und sagte zu D: „Ich war doch auch im Krieg.“ Der Angeklagte trieb den Juden Bernd trotzdem weiter und versetzte ihm einen Fußtritt.
So weit Auszüge aus dem Nachkriegsurteil zu dem November-Pogrom hier in Koblenz. Die Bilanz dieses Nachkriegs-Strafverfahrens wegen der sog. Judenaktion 1938 in Koblenz war - übrigens aus verschiedenen Gründen – beschämend. Kein einziger dieser Täter musste deswegen ins Gefängnis. Soweit sie nicht ohnehin – mangels Beweisen – freigesprochen wurden, ergingen gegen sie geringe Freiheitsstrafen, die unter die zwischenzeitlich erlassenen Amnestiegesetze fielen oder aber durch die Internierung unmittelbar nach dem Krieg als verbüßt galten.
Auch die finanziellen Folgen der Novemberpogrome waren für die Juden in Deutschland verheerend. An sich hätten sie von ihren Versicherungen Ersatz der ihnen entstandenen Schäden beanspruchen können. Dieser wurde ihnen aber vorenthalten, indem die Versicherungssummen für Schäden, die durch den Pogrom entstanden waren, zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt wurden. Die Versicherungen zahlten also die Schadenssummen aus, aber nicht an ihre geschädigten jüdischen Versicherungsnehmer, sondern stattdessen an den Verursacher der Schäden, das Deutsche Reich. Gleichwohl mussten die alle Juden die entstandenen Schäden beseitigen lassen – und zwar auf eigene Kosten und aufgrund der zu diesem Zweck erlassenen „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“. Schließlich wurde allen Juden durch die „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ eine Kollektivstrafe von einer Milliarde Mark auferlegt – als „Sühne“ für die „feige Mordtat“ am deutschen Volk (gemeint war damit das Attentat Herschel Grynspan auf den Legationssekretär vom Rath).
Dies alles wurde am 12. November 1938 auf einer Besprechung unter Leitung von Hermann Göring als Beauftragten für den Vierjahresplan beschlossen und dann in Verordnungen niedergelegt. Außerdem beschloss die Konferenz, dass nunmehr die „Zwangsarisierung“ aller noch vorhandenen jüdischen Betriebe einzuleiten sei. Das wurde dann umgesetzt durch die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Zum Schluss der Konferenz sagte Göring trocken: „Jedenfalls, ich möchte kein Jude in Deutschland sein.“
In den folgenden Tagen und Wochen prasselte ein Hagel von neuen diskriminierenden Verordnungen auf die deutschen Juden nieder:
Alle Juden wurden von deutschen Schulen und Hochschulen ausgeschlossen,
Alle jüdischen Betriebe wurden zwangsweise gegen Schuldverschreibungen enteignet,
Alle Städte mussten einen „Judenbann“ errichten, d.h. Sperrgebiete festlegen, die von Juden nicht betreten werden durften
Juden wurde der Besuch von Theatern, Konzerten, Museen, Sportplätzen und Bädern verboten
Führerscheine und Kraftfahrzeugzulassungen von Juden wurden eingezogen, die Auto beschlagnahmt und nach einer Schätzung auf die Strafkontribution angerechnet
Von den Berufsverboten waren jetzt auch jüdische Zahnärzte und Tierärzte betroffen
Alsbald wurde der Mieterschutz für Juden gelockert. Sie wurden vielfach aus ihren Wohnungen vertrieben und mit anderen Juden ins sog. Judenhäuser zusammengelegt – das war der Beginn der Ghettoisierung.
Schließlich erging am 1. September 1941 die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung von Juden: ab dem 15. September musste jeder Jude vom 6. Lebensjahr an einen gelben Stern auf der Kleidung fest aufgenäht tragen. Damit waren die öffentliche Demütigung und Brandmarkung vollkommen, die Überwachung der verfolgten Minderheit perfekt.
Was dann folgte, war der Völkermord, der Holocaust, die Shoa – wie auch immer man dieses unbeschreibliche Verbrechen an den europäischen Juden bezeichnen will.
Auch jüdische Juristen aus Koblenz und Umgebung wurden von hier aus in die Ghettos und Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten deportiert und ermordet.
Beispielhaft erwähnt werden soll hier das weitere Schicksal der bereits zuvor genannten jüdischen Juristenfamilie Brasch.
Der Vater, der Justizrat Dr. Isidor Brasch, starb Mitte 1936 eines natürlichen Todes. Bei dem Novemberpogrom fällt eine ganze Horde Nazis in das Haus der Braschs in der Rizzastraße 40 ein. Dort lebte nach dem Wegzug des jüngeren Sohnes Walter und dem Tod ihres Mannes nur noch seine Witwe Emma. Das ganze Haus der Braschs wurde verwüstet. Bereits im Eingangsbereich rissen sie die Kacheln von den Wänden und demolierten das Treppenhaus. Ihre Verwüstung setzten sie in der Wohnung fort. Sie zerhackten einen großen Teil der Möbel, und plünderten den Inhalt von Schränken. In der Wohnung trafen sie die 71 Jahre alte Emma Brasch an. Diese entsetzte alte Dame zerrten sie aus der Wohnung, schleppten sie in den Garten, sperrten sie dort ein und machten von ihr, im Nachthemd, ein Foto – um es später in dem Hetzblatt „Der Stürmer“ zu veröffentlichen und damit die Juden insgesamt lächerlich zu machen.
Auch Ernst Braschs Wohnung in Franfurt/Main wurde bei den Novemberpogromen aufgesucht. Als er merkte, dass die Nazis seiner habhaft werden wollten, unternahm er einen Selbstmordversuch. Anschließend verschleppte man ihn ins Konzentrationslager Buchenwald. Kurz vor Weihnachten 1938 ließ man ihn wieder frei – er war inzwischen ein gebrochener Mann. Während Ernst Braschs beide Töchter und seine Ehefrau nach und nach England bzw. in die USA fliehen konnten, blieb er in Frankfurt/Main; er wollte nicht fliehen und vergrub sich in seine Wohnung.
Als dann Ende Oktober 1941 von den Nazis die erste Deportation von Juden aus Frankfurt vorbereitet wurde, entzog sich Ernst Brasch seiner drohenden Verschleppung durch den Freitod. Drei Wochen später wurden mehr als tausend Juden aus Frankfurt/Main und Umgebung nach Minsk in Weißrussland verschleppt. Die inzwischen 74jährige Emma war nicht unter ihnen. Sie blieb allein zurück und war verurteilt zu warten auf das, was ihr widerfahren sollte. Sie wurde dann ein dreiviertel Jahr später, im August 1942, mit mehr als tausend Juden in das „Altersghetto“, das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Von dort aus kam sie einen Monat später in das Vernichtungslager Treblinka. Am 23. September 1942 wurde sie bei ihrer Ankunft mit Motorenabgasen ermordet und verbrannt.
Dr. Walter Brasch und seine Frau Irma und auch ihre beiden kleinen Kinder wurden nach der Besetzung Hollands durch die deutsche Wehrmacht alsbald in das holländische Lager Westerbork verschleppt. Von dort aus gingen alle vier „auf Transport“ in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, ins Giftgas geschickt und ermordet.
Mein letztes Wort gilt den beiden zuletzt noch in Koblenz verbliebenen „jüdischen Konsulenten“ Dr. Arthur Salomon und Dr. Isidor Treidel.
Dr. Salomon zog Ende 1941 mit seiner Familie, seiner Frau Alma und seiner Tochter Ruth in das „Judenhaus“ in der Moselweißer Straße 52.
Am 21. März 1942 zeigte der „Konsulent“ Dr. Salomon dem Landgerichtspräsidenten in Koblenz an, dass er wegen seiner „Evakuierung“ seinen Beruf aufgebe. Seine Akten, Register usw. übergab er dem letzten in Koblenz verbliebenen Rechtsanwalt, dem „Konsulenten“ Dr. Josef Treidel. Zur gleichen Zeit flehte Alma Salomon verzweifelt ihre Nachbarin an, doch die achtjährige Tochter Ruth zu nehmen, damit wenigstens das Kind gerettet würde – vergebens.
Am folgenden Tag, am 22. März 1942, wurden Arthur Salomon, seine Frau Alma und ihre Tochter Ruth mit dem 1. Deportationszug von Koblenz nach Izbica verschleppt und aller Voraussicht nach in dem Vernichtungslager Sobibor mit Motorenabgasen ermordet.
Ein gutes Jahr später, am 13. Juni 1943, wiederholte sich dieses Schicksal für den noch zuletzt in Koblenz verbliebenen Rechtsanwalt Dr. Isidor Treidel. Unter dem 13. Juni 1943 zeigte er als „Konsulent“ dem Herrn Landgerichtspräsidenten in Koblenz „ergebenst an, dass (er) am 16. Juni 1943 von hier abwandere“. Am 16. Juni 1943 wurden er und seine Frau Erna mit der 6. Deportation von Koblenz aus in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Dort blieben sie bis zum 15. Oktober 1944. Dann wurden Isidor und Erna Treidel unter der Bezeichnung „Arbeiter“ und „Haushalt“ vom Konzentrationslager Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und kurz darauf in den Gaskammern ermordet.
Meine Damen und Herren, das war das Ende der Koblenzer Juristen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Und am 26. November 2008 berichtete Werner Appel aus Frankfurt/Main, Überlebender des Holocaust, im Gespräch mit unserem stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig über seine Kindheit und Jugend in Koblenz.
Lesen Sie HIER den Bericht in der Rhein-Zeitung vom 28. November 2008.
Wer mehr über das Leben des Holocaust-Überlebenden Werner Appel erfahren will, sei auch der Film mit und über ihn empfohlen:
Informationen bitte HIER lesen
Außer der Ausstellung fanden noch zahlreiche Veranstaltungen zur Erinnerung an die Novemberpogrome statt. Die zentrale Gedenkfeier gestalteten am 9. November 2008 in der Florinskirche die christlichen Kirchen und die Jüdische Kultusgemeinde in Kooperation mit Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann und der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit. Am Abend zuvor gab es vor dem Bürresheimer Hof, der ehemaligen Synagoge, eine Lichtaktion. Diese fand ihre Fortsetzung in der Florinskirche als Klangcollage aus Vokal- und Instrumentalmusik. Diese Veranstaltungen standen unter dem Motto: „Widersteht dem Unrecht!“.
Lesen Sie HIER die Berichte über diese Veranstaltungen in der Rhein-Zeitung vom 10. November 2008
und in Blick aktuell Nr. 46/2008.