13. Stolperstein-Aktion in Koblenz
Am 26. Juni 2019 war der Kölner Künstler Gunter Demnig wieder im Rheinland mit Stolpersteinen unterwegs. Auch in Koblenz machte er Halt. Hier verlegte er zwei Stolpersteine, mit denen es eine beasondere Bewandtnis hatte. Der eine Stolperstein erinnert an den evangelischen Pfarrer Paul Schneider, den "Prediger von Buchenwald". Dieser Stein - übrigens der erste Stolperstein für Paul Schneider - wurde vor dem heutigen Kreishaus der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz am Friedrich-Ebert-Ring verlegt. Dort befand sich nicht - wie sonst bei der Verlegung von Stolpersteinen üblich - sein letzter frei gewählter Wohnsitz (das war vielmehr das Pfarrhaus in der Hunsrückgemeinde Dickenschied). Die Verlegung erfolgte an dem Ort, an dem Pfarrer Paul Schneider zuletzt in Koblenz inhaftiert war und von wo aus er am 27. November 1937 in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verschleppt wurde. Da dieser JHaftort von Paul Schneider wenig bekannt ist und auf diese Historie hingewiesen werden soll, wurde der Stolperstein für Paul Schneider ergänzt durch einen zweiten, das erklärenden Stolperstein. Dieser "Erklärtstein" macht deutlich, dass an dieser Stelle stehende Kreishaus mit der Verfolgung in der NS-Zeit nichts zu tun hat. Er weist darauf hin, dass an dieser Stelle früher das Polizeipräsidium Koblenz stand. Dort war Paul Schneider in den Arrestzellen im 1. Stock inhaftiert. Mit dem Stein soll mittelbar auch an weitere dort inhaftierte NS-Opfer erinnert werden. So ist bekannt, dass zusammen mit Pfarrer Paul Schneider dort fünf "Ernste Bibelforscher" (Zeugen Jehovas) inhaftiert waren. Zusammen mit Paul Schneider ging ein Zeuge Jehovas, Otto Müller, auf Transport ins KZ Buchenwald. Seine Frau Johanna wurde zur gleichen Zeit vom Koblenzer Polizeipräsidium aus in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Anders als Pfarrer Paul Schneider, der am 18. Juli 1939 im KZ Buchenwald ermordet wurde, überlebten die aus Idar-Oberstein stammenden Zeugen Jehovas die jahrelange Haft in Konzentrationslagern. Vielleicht werden für die Eheleute Otto und Johanna Müller an gleicher Stelle auch noch Stolpersteine verlegt.
Lesen Sie HIER den Vorbericht unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig im
"Schängel" Nr. 25 vom 19. Juni 2019 über die Stolperstein- Verlegung, sowie den Artikel im
"Schängel" Nr. 27 vom 3. Juli 2019 über die Verlegung selbst.
Bei der Verlegung der Stolpersteine wurden mehrere kleine Ansprachen gehalten. Lesen Sie HIER die Ansprache unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig, in der aus den Briefen Paul Schneiders, die er aus der Haft im Polizeipräsidium Koblenz heraus an seine Ehefrau Margarete geschrieben hat, zitiert wird.
Briefe von Pfarrer Paul Schneider aus dem Gefängnis im Polizeipräsidium in Koblenz an seine Familie
Vorbemerkung
Seit 1933 stand Pfarrer Paul Schneider unter Beobachtung der Nazis. Sie sorgten wiederholt für seine Maßregelungen durch die Evangelische Kirchenleitung und auch für Inhaftierungen. Seit er 1934 in die Hunsrückgemeinden Dickenschied und Womrath strafversetzt worden war, wurde er zweimal kürzere Zeit in den Gefängnissen von Simmern und Kirchberg inhaftiert. Im Mai 1937 kam Pfarrer Paul Schneider zum ersten Mal in „Schutzhaft“ in Koblenz, und zwar in das „Hausgefängnis“ der Gestapo „Im Vogelsang“. Nach zwei Monaten entließ ihn die Gestapo aus der Haft mit der Auflage, das Rheinland zu verlassen. Zum Erntedankfest 1937, am 3. Oktober 1937, kehrte er verbotenermaßen zu seinen Gemeinden zurück und feierte zunächst mit der Gemeinde Dickenschied den Gottesdienst. Auf dem Weg zur Gemeinde Womrath wurde er verhaftet. Am folgenden Tag brachte man ihn wieder in Schutzhaft in der Gestapozentrale „Im Vogelsang“.
Nach wenigen Tagen dort wurde er hierher in das ehemalige Polizeipräsidium verlegt. Hier gab es damals im 1. Stock mehrere Hafträume, also ebenfalls ein „Hausgefängnis“.
Auszüge aus seinen Briefen
Aus der Haft wissen wir von und über Paul Schneider und die Situation einiges aus Briefen, die er seiner Familie schreiben konnte. Das waren offizielle Briefe, die durch die Postzensur der Gestapo liefen, und auch inoffizielle Briefe, die er seinen Wäschepaketen, die nur von den Polizeiwachtmeistern kontrolliert wurden, versteckt beilegte.
Ein immer wiederkehrendes Motiv in seinen Berichten aus der Haft war ein Kastanienbaum, der vor seinem Fenster stand, da wo heute die Tiefgarage der Sparkasse ist.
In einem Brief vom 18. Oktober 1937 heißt es dazu:
Ich sitze auf meinem lustigen Sitz am Fensterbrett, genieße den Ausblick in die Kastanienkrone, die nun in wenigen Tagen gelb geworden ist, die Blätter im Wintersterben mit letzter Kraft noch festhaltend. (…) Spazieren waren wir auch wieder. Dabei sieht man an den Fenstern allerlei Gesichter, und wenn es jemand mal vor Sehnsucht nach mir nicht mehr aushalten könnte, brauchte er nur einen Fensterplatz in einer der Privatwohnungen zu belegen. Von da kann man den ganzen Hof einsehen.
Im Brief vom 24. Oktober 1937 schrieb er zunächst wieder über den Kastanienbaum:
Wenn ich (…) nachmittags meinen Verandaplatz am offenen Fenster einnehme, wie auch jetzt beim Schreiben, oder wenn ich mich an dem nun gelb gewordenen Kastanienbaum freue, den die Nachmittagssonne golden überglänzt und durch den der Himmel immer lichtet fein ziseliert hereinschaut, dann komme ich mir fast wie ein Lebemann vor und beneide keinen Menschen auf der Welt.
Und dann kam Paul Schneider auf die Liebe der Eheleute zueinander zu sprechen und schrieb:
Und gell, Liebste, das haben wir nun durch unsere verschiedenen Trennungen auch schon erfahren, dass das innere Zusammengehören im Glauben vor Gott wichtiger, ja entscheidend wichtig ist, gerade auch für Eheleute, „dass eins das andere mit sich in den Himmel bringe.“
Am Freitag, dem 26. November 1937, sahen sich die Eheleute Paul und Margarete Schneider noch einmal hier im Gefängnis und nahmen Abschied voneinander.
Seine Frau Margarete erzählte später
Da es Freitag vor dem 1. Advent ist, habe ich ein Adventskränzlein bei mir. Er nimmt es nachher in seine Zelle und liest in seinem Licht die Adventslichter. – Paul weiß, dass er heute noch frei ist, wenn er sich verpflichtet, dem Ausweisungsbefehl Folge zu leisten. Das Herz ist uns ganz schwer. Ich streichle Paul leise. „Wie hab‘ ich dich so lieb!“ da erschüttert ihn tiefes Weinen. Wir reden nichts mehr. – der Aufsichtsbeamte fordert uns dazu auf, indem er auf seine Verschwiegenheit hinweist. Ich habe die Losung des Tages aufgeschlagen: „Es hat überwunden der Löwe aus Juda.“ – Stammelnd beten wir das Vaterunser miteinander. Die Zeit ist abgelaufen. Ein schmerzdurchwühlter Mann wird abgeführt.
Und Margarete Schneider erzählte weiter:
Das darf nicht das letzte sein. Das sieht auch der Wachtmeister ein. Und so bekomme ich in der letzten Stunde vor dem Abtransport noch einmal Einlass. Wir haben uns gefasst. „Wir dürfen nicht mehr weich werden.“, sagt Paul. Verse der Adventslieder, die ich eben oben in der Zelle trösteten, strömen von seinen Lippen. (Dann wird Paul Schneider zusammen mit einem Ehepaar in einen Gefängniswagen geführt.). – Margarete Schneider hatte dann noch ein letztes, bleibendes Bild von ihrem Mann und sagte später: Als letzter schaut Paul noch einmal aus dem Gefängnisauto heraus – lächelnd.
Paul Schneider – der „Prediger von Buchenwald“
Am diesem 27. November 1937, dem Samstag vor dem 1. Advent, wurde Paul Schneider in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verschleppt. Dort kam er wegen seines widerständigen Verhaltens auch noch im KZ in das Gefängnis des KZ, in den Bunker. Von dort „predigte“ trotz ständigen Misshandlungen zu den auf dem Appellplatz stehenden Häftlingen. Er rief ihnen Bibelsprüche, Trostworte und Ermutigungen zu und klagte die SS-Leute an. Paul Schneider wurde zum „Prediger von Buchenwald“ – so sein Ehrentitel.
1 ½ Jahre später, am 18. Juli 1939 kam Paul Schneider ums Leben, er wurde ermordet. Seine Witwe Margarete durfte den Leichnam nach hier überführen. Wenige Tage später wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Pfarrer der Bekennenden Kirche auf dem Friedhof in Dickenschied beigesetzt. Seit 2003 ruht an seiner Seite seine Frau Margarete. Sie hat Jahrzehnte lang die Erinnerung an ihren Mann wachgehalten. So kann Pfarrer Paul Schneider uns auch heute noch ein Vorbild für Glaubenstreue und für ein bedingungsloses Eintreten für eine Wahrheit und Menschlichkeit sein.
Die Stolperstein-Verlegung wurde begleitet von einem Filmteam von Rheinland-Pfalz.Fernsehen. Hier ist der Link, um sich diesen Beitrag anzusehen.
Von der Stolperstein-Verlegung hat Herr Ralf Schulze Fotoaufnahmen gemacht. Sie sind nachfolgedn hier zu sehen:
Die Stolperstein-Verlegung war für unseren stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig Anlass, noch einmal kurz die einzelnen Haftorte während der NS-Zeit in Koblenz zu erwähnen.
Lesen Sie HIER den Artikel im "Schängel" Nr. 26 vom 26. Juni 2019.
Der 20. Juli 1944 - damals und heute
Immer wieder sind es die Gedenktage, die uns an den Nationalsozialismus und seine Verbrechen und gerade auch an Verfolgung und Widerstand dagegen erinnern lassen. In diesem Jahr gibt es mehrere dieser "denkwürdigen" Tage. Einer ist der 20. Juli. An diesem Tag 2019 jährt sich der Attentats- und Umsturzversuch von Claus Schenk Graf von Staufenberg und seinen Mitverschwörern zum 75. Mal. Das Gedenken an diesen "großen" Widerstand ist gut und wichtig, denn um der Gegenwart und der Zukunft willen müssen wir aus der Geschichte lernen: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Das sind keine Parolen von vorgestern, die Zeichen stehen vielmehr hier und jetzt auf Sturm. Es gibt Morde und Todesdrohungen für demokratische Politiker und die nehmen noch zu, überdies ist die AfD mit ihrem nationalistischen Höcke-Flügel im Osten stärkste Kraft.
In seiner Reihe "Erinnerung an NS-Opfer" hat sich unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig mit der Geschichte und Nachgeschichte des 20. Juli 1944 beschäftigt und auch mit dem Gedenken heute.
Lesen Sie HIER den Vorbericht zum 20. Juli 2019: "Vor 75 Jahren: Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944" im "Schängel" Nr. 29 vom 17. Juli 2019.
In einem weiteren Artikel "Der 20. Juli 1944 - und heute" ist unser stellvertretender Vorsitzender auf die Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 im Bendlerblock in Berlin eingegangen.
Lesen Sie HIER den Artikel im "Schängel" Nr. 30 vom 24. Juli 2019.
Zur Erinnerung daran, dass auch Menschen aus dem heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz an dem "großen" Widerstand am und im Umfeld des 20. Juli 1944 beteiligt waren, hat unser stellvertretender Vorsitzender auch den in Bad Ems geborenen Adolf Reichwein porträtiert, der ein wichtiges Mitglied des "Kreisauer Kreises" war.
Lesen Sie HIER den Artikel über den Widerstandskämpfer Adolf Reichwein aus Bad Ems im "Schängel" Nr. 31 vom 31. Juli 2019
Zum Abschluss dieser Berichterstattung ist unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig auch noch auf den neuerlichen Disput über den Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Vorbild eingegangen.
Lesen Sie HIER den Artikel im "Schängel" Nr. 32 vom 7. August 2019