Neues zur Erinnerung an den "Prediger von Buchenwald" Pfarrer Paul Schneider.
- Ergänzungen am Ende des ursprünglichen Artikels -
Jetzt ist es amtlich und vollzogen: Die vor einiger Zeit beschlossene Fusion der evangelischen Gemeinden von drei Dörfern und einer kleinen Stadt ist vollendet. Die neue Gemeinde an der Nahe und am Glan heißt jetzt Paul-Schneider-Gemeinde und ist mit Leben erfüllt. Mit zahlreichen Gästen aus Kirche, Politik und Gesellschaft feierte die Paul-Schneider-Gemeinde am Sonntag, dem 9. Januar 2022, ihren Gründungsgottesdienst in der evangelischen Kirche von Staudernheim. Die Gemeinde ist aus der Fusion von Bad Sobernheim und Staudernheim, wozu auch Abtweiler und Lauschied gehören, hervorgegangen. Ehrengast war Karl-Adolf Schneider, Sohn des Namensgebers der neuen Gemeinde.
Lesen Sie hier den Vorbericht "Auf den Spuren des unbeugsamen Seelsorgers" im Öffentlichen Anzeiger vom 30. Dezember 2021 zur Gemeindegründung mit Karl-Adolf Schneider.
Am Sonntag, dem 9. Januar 2022, feierte die Paul-Schneider-Gemeinde in der evangelischen Kirche in Staudernheim ihre Gründung.
Lesen Sie dazu den Artikel "Paul-Schneider-Gemeinde feiert die Gründung" im Öffentlichen Anzeiger vom 13. Januar 2022.
Am Abend des Gründungstages gab es dann einen Abendsegen in der evangelischen Matthiaskirche in Bad Sobernheim.
Lesen Sie HIER den Bericht "Abendsegen rundet den Gründungstag ab" im Öffentlichen Anzeiger vom 14. Januar 2022.
Inzwischen ist auch die Kirchenzeitung der Evangelischen Kirchengemeinden Bad Sobernheim und Staudernheim "Die Brücke" als Organ der Evangelischen Paul-Schneider-Gemeinde erschienen.
Lesen Sie hier die Ausgabe für Februar und März 2022 von "Die Brücke - Evangelische Paul-Schneider-Gemeinde". In ihrem Innenteil berichtet "Die Brücke" anschaulich über den Gründungstag der neuen Gemeinde.
Sehen Sie HIER die Fotos und lesen Sie den Begleittext dazu.
Zu dieser neuen Entwicklung passt es sehr gut, dass inzwischen die seit einem Jahr auf dieser Homepage zu sehende Dokumentation "'Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.' Pfarrer Paul Schneider (1897-1939) und seine Familie" nicht nur als Buch erschienen, sondern schon in 2. Auflage herausgekommen ist. Der Rhein-Mosel-Verlag hat das Buch unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig in sein Verlagsprogramm aufgenommen und bewirbt es in seinen Medien.
Lesen Sie dazu den Link:
https://r-m-v.de/zeitgeschichte/1163-wer-aus-der-wahrheit-ist-der-hoeret-meine-stimme
Die Namensgebung der neuen Gemeinde war für zahlreiche Gläubige auch Anlass, unter dem Motto "Meine Geschichte mit Paul Schneider" persönliche Zeugnisse zum Namenspatron zu geben. Einer von ihnen war der im Jahr 1948 in Pferdsfeld geborene und dort aufgewachsene Werner Bohn. Bohn wurde einer der Initiatoren der Umsiedlung wegen der Lärmbelastung durch den benachbarten NATO-Flugplatz und zog 1980 mit seiner Familie nach (Bad) Sobernheim um. Er war Lehrer, zuletzt Rektor der Grundschule Bad Sobernheim, aktiv in Gemeinderat, Stadtrat und Kreistag als Mitglied der SPD. Seit vielen Jahren schreibt Bohn für "Die Brücke", die Zeitung der dortigen Kirchengemeinde, jetzt der Evangelischen Paul-Schneider-Gemeinde. Daraus stammt auch dieser Beitrag.
Ein Pferdsfelder
Paul Schneider, ein Pferdsfelder – wie ich. Auch wenn er nur die ersten 13 Jahre seines Lebens am Soonwaldrand verbrachte und ich weniger als die Hälfte meines Lebens, so gilt für uns beide der Eintrag in seinem Tagebuch (1925): „Heimatluft ist halt Heimatluft, und diese Naturverbundenheit können wir wohl überwinden, aber nie verlieren.“
Paul Schneider gehörte zur Generation meines Großvaters, der ihm, vier Jahre älter, sicher in Dorf, Gemarkung und Schule oft begegnet ist. Als „Parrersch Paul“, wie man ihn wohl nannte, hatte er bei den Dorfkindern wohl eine Sonderstellung, wird mit ihnen aber gespielt und getobt haben, „Versteckelches“ und „Reiwer un Schandarm“ gespielt, durch „Holzborr, Benseloch un Miehleberg“ gestreift sein. Er hat bei Bauern mit angepackt, saß bei Familien mit am Tisch, trank Wasser vom Röhrbrunnen unterhalb vom Pfarrhaus. Nach dem Umzug der Familie ins hessische Hochelheim und Kriegsdienst als 18jähriger Freiwilliger kam Paul Schneider als Student und danach auch als Pfarrer und Familienvater immer wieder in die alte Heimat zu Besuch, fühlte sich hier wohl, wie seine Frau später schreibt: „Die Kindheitserinnerungen wurden wieder wach. Paul freute sich sehr an der alten Heimat.“ Die langjährige Haushälterin der Familie, Sophie Helmes, war auch Pferdsfelderin.
Als Nachkriegs-Geborener erfuhr ich in meiner Kindheit und Jugend so gut wie nichts von dem wohl berühmtesten Pferdsfelder. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir jemand etwas von ihm erzählt hat, weder in meinem Elternhaus noch in der Volksschule, weder im Konfirmanden-Unterricht noch im Sobernheimer Gymnasium. Erst viel später, als Erwachsener, hörte und las ich vom aufrechten und unbeugsamen „Prediger von Buchenwald.“
1963 wurde die neue dreiklassige Pferdsfelder Volksschule „Paul-Schneider-Schule“ genannt. Später hörte ich, dass es gegen diese Namensgebung verdeckten Widerstand im Dorf gegeben habe. Offen wollte wohl niemand Kritik äußern, so versuchte man es mit hilflosen Argumenten. Bei der entscheidenden Abstimmung im Gemeinderat habe einer der Gegner gesagt: „Der Lausbub hott jo frieher bei uus Äppel geklaut!“ Dabei war dieser „Mundraub“ für uns Dorfkinder (und Erwachsene) nichts Besonderes.
Als später einmal im Familienkreis über Paul Schneider gesprochen wurde, hörte ich den deutlichen Vorwurf: „Warum hat er keine Rücksicht auf seine Frau und seine Kinder genommen? Er hätte doch nur den Mund halten müssen.“ Der mutige Pfarrer Paul Schneider, der bis zuletzt zu seiner Überzeugung stand, hatte kein Ansehen bei vielen, die im Dritten Reich sozialisiert wurden – auch nicht, nachdem ihnen die Augen eigentlich hätten aufgegangen sein müssen. Ich habe zudem den Eindruck, dass diese kritische Einstellung zu Paul Schneider auch an viele Pferdsfelder der Nachkriegsgeneration weitergegeben wurde.
Heute ist Paul Schneiders Name mit Bad Sobernheim fest verbunden, besonders im Leinenborn, der neuen Heimat für uns Pferdsfelder. Paul-Schneider-Straße und Paul-Schneider-Gästehaus erinnern uns alltäglich an ihn. Zum PSG, dem Paul-Schneider-Gymnasium, zieht es auch Bad Sobernheimer Kinder – oft auch wegen des zusätzlichen Sport-Angebots. Nun ist sogar unsere fusionierte Evangelische Paul-Schneider-Gemeinde nach dem Unbeugsamen benannt.
Als ich mit meiner Frau vor ein paar Jahren in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar vor Paul Schneiders Todeszelle stand, schauderte es mich. Hier hatte ein Pferdsfelder sein Leben verloren, der so mutig und unbeugsam war. Hätte er - wie viele andere – klein beigegeben und wäre er im breiten Strom mitgetrieben, dann könnten wir heute nicht stolz auf ihn sein. Den Dickschädel des Hunsrückers hat er wohl in seiner Heimat bekommen.
Werner Bohn
Update:
Die Erinnerung an den „Prediger von Buchenwald“ wird nicht nur auf dem heimatlichen Hunsrück und der Nahe wachgehalten, sondern auch andernorts.
Das sogar in den Niederlanden und auf Niederländisch. Für unsere holländischen Gäste verweisen wir auf eine Buchbesprechung im Reformatorisch Dagblad, einer niederländischen überregionalen Tageszeitung, vom 16. März 2022. Darin wird die Dokumentation von Joachim Hennig: „‘Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.‘ Pfarrer Paul Schneider (1897-1939) und seine Familie“ rezensiert. Wir wissen das aus einem Schreiben von Adrianus B. Goedhart an Karl Adolf Schneider vom 17. März 2022. (In Niederländisch - HIER lesen)
Herr Goedhart ist Autor der Biografie von Pfarrer Paul Schneider: „De dominee van Buchenwald: Het levensverhaal van Paul Schneider“. Das Buch ist als Taschenbuch mit 160 Seiten im März 2021 erschienen. ISBN-10: 9087182961 und ISBN-13: 978-9087182960.
Auch mit anderen Medien wird an Paul Schneider und seine Familie erinnert. So ist jetzt ein Musical über Pfarrer Paul Schneider und seine Frau Gretel entstanden: „Paul und Gretel – kein Märchen“. Die Initiative dazu hat Andreas Haupt entwickelt und umgesetzt hat es der Arzt und Musiker Dr. Peter Menger. Erstmals aufgeführt wird das Werk am 1. Juli 2022 im mittelhessischen Hüttenberg. Am 19. November 2022 ist das Musical in der Hunsrückhalle in Simmern/Hunsrück zu sehen und zu hören. Weitere Aufführungen, auch in Baden-Württemberg, sind geplant, die Termine stehen aber noch nicht fest.
Dazu schrieb Karl Adolf Schneider: Letzte Woche bekam ich bereits ein Werbeplakat dafür zugeschickt:
Vor 80 Jahren: Verfolgung, Inhaftierung und Verschleppung jüdischer und politischer Emigranten in Frankreich – Neue Ausstellung
In diesen ersten Wochen und Monaten des Jahres 2022 geht das Gedenken zurück an den beginnenden Völkermord an den Juden Europas vor 80 Jahren. Ein Markstein auf dem Weg in den Holocaust war die sog. Wannsee-Konferenz. Am 20. Januar 1942 trafen sich 15 hochrangige Vertreter des NS-Staates, der NSDAP und der SS zur Besprechung der „mit der Endlösung der Judenfrage zusammenhängenden Fragen“. In der Tarnsprache hieß es in dem später angefertigten Protokoll: „Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. (…) Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht. (…) Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt.“
Nach der Wannsee-Konferenz wurde dieses Deportationsprogramm umgesetzt. Die schon zuvor begonnenen Deportationen von Juden aus dem „Großdeutschen Reich“ (dem „Altreich“, Österreich sowie Böhmen und Mähren) wurden wieder aufgenommen und die Juden nach und nach aus allen von Deutschland beherrschten Gebieten und aus den meisten mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten verschleppt. Während die Deportationen aus dem „Altreich“ sehr gut aufgearbeitet und weitgehend bekannt sind, ist das Wissen um die Verschleppungen aus dem übrigen Europa eher gering. Und dabei gehörten zu den aus allen Teilen Europas Deportierten nicht nur die einheimischen, sondern auch zahlreiche aus Hitler-Deutschland geflohene Juden.
Deshalb hat unser Förderverein Mahnmal Koblenz aus Anlass der 80. Wiederkehr der Deportationen eine Ausstellung erarbeitet, die das Schicksal der nach Frankreich geflüchteten Juden darstellt. Das Fluchtland Frankreich wurde ausgewählt, weil viele von ihnen, früher oder später, in dieses „klassische Asylland“ emigrierten.
Noch weniger bekannt als das Schicksal der nach Frankreich geflohenen und dann von dort deportierten deutschen Juden ist das der politischen Emigranten. Sie wurden zu Beginn des Krieges als „gefährliche“ oder „unerwünschte“ Ausländer interniert und vielfach „auf Verlangen“ der deutschen Besatzer denen ausgeliefert. Anschließend wurden sie in deutsche Konzentrationslager oder – nach einem Prozess wegen Hochverrats vor dem Volksgerichtshof – in Zuchthäuser verschleppt..
Beide Opfergruppen werden in der Ausstellung exemplarisch an 15 Einzelbiografien oder solchen von Familien aus dem südlichen Rheinland, aus Koblenz und Umgebung, dargestellt. So sind 15 Lebensbilder von ehemaligen Nachbarn entstanden, die der Verfolgung durch Hitler-Deutschland entgehen wollten – und dann doch meist von Holocaust, Verfolgung und Tod eingeholt wurden. Eingeführt in diese Biografien wird mit einer ausführlichen Einleitung zur Situation der Emigranten im damaligen Frankreich.
Die Ausstellung ist auf Personentafeln erstellt und kann beim Förderverein Mahnmal ausgeliehen werden. Da sie wegen der Corona-Beschränkungen bisher noch nicht präsentiert werden konnte, ist sie jetzt auf dieser Homepage virtuell zu sehen.
Möglich wurde das durch das Amt für Wiedergutmachung in Saarburg, das bei der umfangreichen Recherche sehr behilflich war, und durch die Förderung des Beauftragten der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz und die Dr. Wolfgang und Anita Bürkle-Stiftung, Kirn. Ihnen gilt der besondere Dank unseres Fördervereins Mahnmal Koblenz.